Artikel als PDF-Datei - Newsportal - Ruhr

Werbung
SCHWERPUNKT STRESS
Wann das Gedächtnis profitiert
Wie das Immunsystem reagiert
Wo er in der Schule lauert
# 24
Jahrgang
Nr. 2 | 2014
4,00 Euro
Astronomie · Doppelsterne
DER HIMMEL IST
VOLLER
ALS GEDACHT
12
RUBIN 2/14
Es gibt wesentlich mehr Doppelsterne als angenommen.
Bochumer Astronomen vermuten, dass sie schon als Zwillinge entstehen.
Fotos: LS Astrophysik, RUB
RUBIN 2/14
mit seinem Team systematisch überprüft. „Früher dachte ich:
Wenn du weißt, wie ein Einzelstern funktioniert, weißt du
auch, wie ein Doppelstern funktioniert. Aber das ist falsch“,
so Chini. Die Bochumer Astronomen analysierten alle 800
massereichen Sterne, die sie von ihrem Standort in Chile ins
Visier nehmen können (Abb. 2). Über 90 Prozent entpuppten
sich als Mehrfachsysteme, die aus zwei bis vier umeinander
kreisenden Sternen bestehen.
Warum aber ist das in den Daten der größten Teleskope der
Welt bislang nicht aufgefallen? „In der Regel sind diese
Sterne so dicht beieinander, dass man sie nicht als zwei getrennte Punkte auflösen kann“, sagt Chini. Also dachten sich
die Bochumer Astronomen einen Trick aus. Sie zerlegten das
Licht der Sterne in verschiedene Wellenlängen. Die chemische
Zusammensetzung eines Sterns bestimmt, bei welchen Wellenlängen er Licht aussendet; man spricht von Spektrallinien.
Eine Analyse der Spektrallinien verrät, ob es sich bei einem
vermeintlich einzelnen Stern in Wirklichkeit um mehrere
handelt.
Die Forscher nutzen die Tatsache, dass sich Sterne in Mehrfachsystemen umeinander drehen und dass dabei der Dopplereffekt auftritt (Abb. 3). Diesen Effekt kennt jeder, der
schon einmal das Martinshorn eines vorbeifahrenden Krankenwagens gehört hat. Kommt der Krankenwagen auf einen
zu, klingt der Ton höher, als wenn sich das Auto von einem
wegbewegt. Etwas Ähnliches passiert auch mit Lichtwellen.
Bewegt sich ein Stern auf den Beobachter zu, erscheint das
von ihm ausgesandte Licht kurzwelliger, also blauer, als wenn
der Stern sich nicht bewegen würde. Entfernt sich der Stern,
werden die ausgesandten Lichtwellen langwelliger, also ins
Rote verschoben.
▶
13
D
ie Sonne versinkt hinter dem Horizont; über der Atacama-Wüste in Chile bricht Dunkelheit herein. Ein paar
Punkte glimmen am Himmel auf, dann immer mehr
und immer mehr, bis sich das breite Band der Milchstraße
über das Firmament erstreckt. Es gibt keinen besseren Ort
auf der Welt für astronomische Beobachtungen als diesen.
Hier steht die Universitätssternwarte der RUB (Info), und
hier hat das Team um Prof. Dr. Rolf Chini ein paar erstaunliche Entdeckungen gemacht.
Das RUB-Observatorium befindet sich nur 20 Kilometer
entfernt von der größten europäischen Sternwarte, dem
„Very Large Telescope“, auf dem Berg Paranal (Abb. 1). „Da
stellt sich schon die Frage, was wir als ‚Amateure‘ mit unseren kleinen Instrumenten dort ausrichten können“, sagt
Rolf Chini, Leiter des Astronomischen Instituts. Eine ganze
Menge, lautet die Antwort. Die RUB-Astronomen erreichen
mit ihren Teleskopen zwar nicht so eine hohe Auflösung wie
die großen Observatorien. Aber sie können sich für ihre Himmelsbeobachtungen richtig Zeit lassen. „An den großen Teleskopen bekommt ein Durchschnittsastronom vielleicht fünf
bis zehn Stunden Beobachtungszeit im Jahr – wenn er Glück
hat“, erklärt Chini. Das macht es unmöglich, Himmelsobjekte
über Tage oder sogar Wochen im Auge zu behalten. Genau
das muss das RUB-Team aber für seine speziellen Fragestellungen tun.
Die Bochumer Astronomen interessieren sich für variable Phänomene. Über lange Zeit hinweg beobachten sie, wie
sich die Helligkeit von Sternen verändert. „Vor ein paar Jahren
hat sich angedeutet, dass massereiche Sterne, die etwa hundertmal schwerer sind als unsere Sonne, bevorzugt als Doppelsterne auftreten“, erzählt Rolf Chini. Diese Theorie hat er
Astronomie · Doppelsterne
Abb. 1: Es gibt keinen besseren Ort für
astronomische Beobachtungen als die Atacama-Wüste.
14
RUBIN 2/14
Astronomie · Doppelsterne
Abb. 3: Dopplereffekt: Bewegt sich ein Stern auf die Erde zu oder
von ihr weg, verschiebt sich die Farbe des wahrgenommenen
Sternenlichts ins Blaue oder Rote, und somit verschieben sich
auch die Spektrallinien.
Bei vielen der untersuchten Sterne bemerkte Chinis Team,
dass sich ihre Spektrallinien regelmäßig änderten, nämlich
immer wieder ins Blaue oder Rote verschoben waren. Bei den
vermeintlichen Einzelsternen handelte es sich in Wirklichkeit
nämlich um zwei Sterne, die umeinander kreisen und somit
abwechselnd näher an die Erde heranrücken und sich entfernen. In einigen Systemen entdeckten die Astronomen sogar
drei oder vier Sternenpartner. Aus den Daten berechneten sie
auch die Umlaufdauer jedes Mehrfachsystems, also wie lange
die Sterne brauchen, um sich einmal zu umkreisen.
Die statistische Auswertung ergab außerdem: Je schwerer
ein Stern ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er
nicht allein ist. Dabei tun sich bevorzugt Sternenpartner mit
ähnlicher Masse zusammen. Laut Rolf Chini kein Zufall: „Warum sollte sich ein Stern von 50 Sonnenmassen in seiner Umgebung ausgerechnet einen Partner von ebenfalls 50 Sonnenmassen einfangen? Er hätte es doch viel leichter, einen Stern
von einer einzigen Sonnenmasse anzuziehen. Die Erklärung
muss im Entstehungsprozess der Sterne stecken.“ Chini geht
davon aus, dass massereiche Sterne bereits als Zwillinge entstehen: Die Himmelskörper gehen aus Gas- und Staubwolken
hervor (Abb. 4), die sich verdichten. Im Endstadium bricht die
Wolke offenbar in zwei Teile.
Inzwischen gibt es Modelle, die diesen Prozess erklären
können. In der Tat hatten Wissenschaftler bislang vergeblich versucht, die Entstehung von einzelnen massereichen
Sternen theoretisch zu begründen. Die Beobachtungen der
RUB-Astronomen geben ihnen nun guten Grund, alternative
Modelle der Sternenentstehung zu denken.
Für die Messungen war ständig jemand aus Chinis Team in
Chile im Observatorium. Die RUB-Sternwarte ist zwar via
Internet mit Bochum verbunden, und alle Teleskope lassen
sich prinzipiell aus Deutschland steuern. „Aber ohne jemanden vor Ort geht es nicht“, sagt er. „Sonst bräuchten wir eine
Infrastruktur wie bei einem Satelliten, und das wäre unendlich
teuer.“
Der Leiter der Universitätssternwarte stand schon immer
gerne selbst an den Messinstrumenten: „Von meinem ersten selbst verdienten Geld habe ich mir bei Tchibo ein Telesköpchen gekauft und bin nachts ins Feld gelaufen.“ Vier- bis
sechsmal im Jahr fliegt Chini heute in die Atacama-Wüste, um
sich um Wartungsarbeiten, Reparaturen und den laufenden
Betrieb zu kümmern. Die Infrarotkamera muss jeden Tag
mit flüssigem Stickstoff befüllt werden – für die Kühlung.
„In Chile zu sein ist toll“, erzählt er. „Aber hinzufliegen ist
großer Stress.“ Aus Deutschland über Madrid nach Santiago de Chile, dann noch einmal weiter mit einem Inlandsflug und schließlich zwei Stunden per Allradfahrzeug den
Berg hinauf – es ist nicht leicht, den weltbesten Standort
für astronomische Beobachtungen zu erreichen. Aber auch
davon lässt sich ein Vollblutastronom selbstverständlich
nicht aufhalten.
jwe
Abb. 4: Der Carinanebel ist eine Geburtsstätte für neue Sterne.
(Foto: LS Astrophysik, RUB)
Bildergalerie: Himmelsobjekte
Video: Mondaufgang über der Atacama-Wüste in Chile
rubin.rub.de/de/der-himmel-ist-voller-als-gedacht
RUBIN 2/14
RUBIN IM NETZ
15
Abb. 2: Die Analyse der Daten, die die Teleskope in Chile
aufzeichnen, hat viel mit Handarbeit zu tun. (Foto: mn)
Die Universitätssternwarte der RUB liegt in 2800 Metern
Höhe, nur einen Kilometer von dem Nachbarberg entfernt,
auf dem das „European Southern Observatory“ (ESO) in
den nächsten Jahren das größte Teleskop der Welt bauen
wird. Sie ist die einzige „grüne“ Sternwarte weltweit, denn
sie wird ausschließlich mit regenerativer Energie betrieben.
Dafür sorgen 100 Solarpanele und drei Windkraftanlagen. Mit bis zu 1,5 Metern Spiegeldurchmesser sind die
Bochumer Teleskope im Vergleich zu dem aktuell von der
ESO gebauten 40-Meter-Teleskop klein. Aber sie bieten
unschlagbare Vorteile: Die Forscher können zeitaufwendige
Beobachtungen durchführen und sehr helle Objekte untersuchen. „An größeren Teleskopen dürfen helle Objekte
gar nicht mehr analysiert werden, weil sie den Empfänger
zerstören können“, sagt Chini. Die lichtempfindlichen
CCD-Chips, die auch als Sensoren in Fotokameras zum
Einsatz kommen, nehmen bei zu starker Belichtung
dauerhaft Schaden.
Astronomie · Doppelsterne
DIE UNIVERSITÄTSSTERNWARTE
IN CHILE
Foto: rs
REDAKTIONSSCHLUSS
F
ür RUBIN zu recherchieren wird nie langweilig. Immer neue Labore gilt es zu erkunden und spannende
Persönlichkeiten kennzulernen. Nicht selten passiert
dabei etwas völlig Unerwartetes. So zum Beispiel als wir
Biologiedidaktikerin Nina Minkley besucht haben, die Stress
im Schulunterricht erforscht (siehe Seite 30). Ihre Büronachbarn findet man nicht auf jedem Flur. Es waren nämlich Blattschneiderameisen.
Nicht nur das Verhalten von Menschen erforscht die Arbeitsgruppe Verhaltensbiologie und Didaktik der Biologie, geleitet von Prof. Dr. Wolfgang Kirchner. Auch für das Verhalten
sozialer Insekten interessieren sich die Wissenschaftler.
Zu diesem Zweck halten sie Tiere nicht nur auf den Fluren
der RUB. Sie pflegen auch Bienenvölker im Freiland oder begeben sich zur Feldforschung nach Südafrika. So vielfältig können Forschungseinheiten sein!
Was erforschen die Biologinnen und Biologen
an diesen Tieren? Die Antwort: http://rubin.rub.de/
de/ungewoehnliche-nachbarn
62
RUBIN 2/14
Redaktionsschluss · Impressum
IMPRESSUM
HERAUSGEBER: Rektorat der Ruhr-Universität Bochum in Verbindung mit dem
Dezernat Hochschulkommunikation
POSTPRODUKTION: Jana Zöllner, RUB
WEBAUFTRITT: Andreas Rohden, Abteilung Markenbildung, RUB
WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT: Prof. Dr. Astrid Deuber-Mankowsky (Philologie), Prof. Dr. Reinhold Glei (Philologie), Prof. Dr. Achim von Keudell (Physik und
Astronomie), Prof. Dr. Ulrich Kück (Biologie), Prof. Dr.-Ing. Ulrich Kunze (Elektrotechnik/Informationstechnik), Prof. Dr. Alfred Ludwig (Maschinenbau), Prof. Dr.
Denise Manahan-Vaughan (Medizin), Prof. Dr. Käte Meyer-Drawe (Philosophie und
Erziehungswissenschaft), Prof. Dr. Christian Tapp (Katholische Theologie), Prof.
Dr. Klaus T. Überla (Medizin)
GRAFIK, LAYOUT UND SATZ: VISUELL MARKETING GMBH, Springorumallee 2,
44795 Bochum, Tel.: 0234 / 459803, www.visuell-marketing.com
DRUCK: AZ Druck und Datentechnik GmbH, 87437 Kempten
AUFLAGE: 2.500
REDAKTIONSANSCHRIFT: Dezernat Hochschulkommunikation, Abteilung
Wissenschaftskommunikation, Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum,
Tel.: 0234/32 - 25528, Fax: 0234/32 - 14136, [email protected], http://rubin.rub.de/
ANZEIGENVERWALTUNG UND -HERSTELLUNG: vmm Wirtschaftsverlag
GmbH&Co. KG, Kleine Grottenau 1, 86150 Augsburg, Barbara Vogt,
Tel.: 0821 / 4405 - 432, www.vmm-wirtschaftsverlag.de
REDAKTION: Dr. Julia Weiler (jwe, Redaktionsleitung), Meike Drießen (md)
BEZUG: RUBIN ist erhältlich in der Redaktion zum Einzelpreis von 4 €. Jahresabonnement (zwei Hefte inkl. Porto/Jahr): 7 €. www.rub.de/rubin/rubin-abo.
RUBIN erscheint zweimal im Jahr, ein Teil der Auflage als Beilage zur Universitätszeitschrift RUBENS.
BILDREDAKTION: Marion Nelle (mn), Roberto Schirdewahn (rs), RUB Agentur,
Dezernat Hochschulkommunikation
Die Redaktion hat sich um die Einholung der nötigen Bildrechte mit allen Mitteln
bemüht; wo das nicht möglich war, bitten wir eventuelle Rechteinhaber, sich mit
der Redaktion in Verbindung zu setzen.
ISSN 0942-6639
Nachdruck bei Quellenangabe und Zusenden von Belegexemplaren
Herunterladen