VON 1492 BIS 1648 Europas Sprung in die Neuzeit in Interessensphären aufteilen und ausbeuten. Die Völker der Neuen Welt und Afrikas bezahlen diesen Aufstieg mit Entrechtung und gnadenloser Dezimierung. In Europa bereiten bahnbrechende Erkenntnisse eines Galilei der modernen Wissenschaft den Boden. Die konfessionelle Spaltung Europas durch den Siegeszug der Reformation entlädt sich ab 1618 im Dreißigjährigen Krieg, der große Teile Mitteleuropas entvölkert und verwüstet. Die moderne 20-bändige „Große Weltgeschichte“ präsentiert die Geschichte unserer Welt präzise, leichtverständlich und streng chronologisch. Genaue Einzelinformationen und verständliche Zusammenhangs- und Spezialdarstellungen mit über 8000 Abbildungen machen die Vergangenheit inhaltlich und visuell erfahrbar. Je drei Bände beschreiben die Vor – und Frühgeschichte, die Antike und das Mittelalter. Der Zeitraum von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wird in fünf, das 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart in sechs Bänden behandelt. ISBN 978-3-902016-84-3 9 7 83 902 01 6843 Titelbild: Unterschrift Galileo Galileis; Copyright: corbis Europas Sprung in die Neuzeit Die Königreiche Spanien und Portugal werden zu Weltmächten, indem sie den Globus WELTGESCHICHTE VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART W E LT G E S C H I C H T E V O N D E N A N F Ä N G E N B I S Z U R G E G E N W A R T 10 NO- 10 Überblick 1492 – 1648 Europas Sprung in die Neuzeit Die Königreiche Spanien und Portugal werden zu Weltmächten, indem sie den Globus in Interessensphären aufteilen und konsequent ausbeuten. Diesen Aufstieg bezahlen die Völker der Neuen Welt und Afrikas mit Entrechtung und gnadenloser Dezimierung. In Europa bereiten die bahnbrechenden Erkenntnisse etwa eines Galilei der modernen Wissenschaft den Boden. Die konfessionelle Spaltung Europas durch den Siegeszug der Reformation entlädt sich ab 1618 im Dreißigjährigen Krieg, der große Teile Mitteleuropas entvölkert und verwüstet. Z u Beginn des 16. Jahrhunderts ruft der Einvernehmliche Aufteilung deutsche Humanist Ulrich von Hutten der Einflusssphären begeistert aus: »Oh Jahrhundert! Oh Wis­ senschaften! Es ist eine Lust zu leben...« In der Tat werden die Zeitgenossen Zeugen so en Beginn der Neuzeit markieren zwei epochaler und glanzvoller Entwicklungen wie epochale Ereignisse des Jahres 1492, dem Wandel des abendländischen Weltbildes die sich beide unter der Herrschaft des ka­ durch den Humanismus, der Ausbreitung der tholischen Königspaars von Spanien, Isa­ Luther’schen Reformation in Europa und der bella I. und Ferdinand II., ereignen. Zum Vollendung der Renaissance. Der Astronom einen endet mit der Einnahme Granadas die Nikolaus Kopernikus entwickelt seine Leh­ Reconquista, die bereits im 8. Jahrhundert re, das Universalgenie Leonardo da Vinci begonnene Rückeroberung der Iberischen erschafft seine »Mona Lisa«, Michelangelo Halbinsel von den Mauren. Zum anderen ge­ beginnt mit der Ausmalung der Sixtinischen lingt dem unter spanischer Flagge segelnden Kapelle, Matthias Grünewald vollendet den Genuesen Christoph Kolumbus die Entde­ Isenheimer Altar. Die kühne Umsegelung der ckung Amerikas. Der Besitz der riesigen Ge­ Welt durch Magellan liefert biete jenseits des Atlantiks den empirischen Beweis, ist jedoch alles andere als Der Humanismus und epochadass die Erde keine Schei­ unumstritten, denn auch le Leistungen in Kultur und be ist. Auch in politischer Portugal, das Christoph Wissenschaft bewirken einen Hinsicht ist es eine be­ Kolumbus einige Jahre zu­ Wandel des Weltbildes. wegte Zeit. In Italien üben vor die finanziellen Mittel sich Päpste in höchst welt­ für eine Atlantikpassage licher Machtpolitik. Im krisengeschüttelten verweigert hatte, befindet sich auf dem bes­ Deutschland rebellieren die Bauern, zugleich ten Wege, sein Einflussgebiet weit über die erlangen schwerreiche Handelsdynastien wie Weltmeere auszudehnen. die Augsburger Fugger und Welser, die mit Da Portugal sich seine Rechte über die ihren Finanzkrediten Kaiserwahlen entschei­ afrikanische Atlantikküste bereits 1455 den, einen beträchtlichen Einfluss auf die von Papst Nikolaus V. hatte bestätigen las­ Reichspolitik. In Russland regiert der erste sen – wodurch die andalusischen Seefahrer Zar, Frankreichs und Englands Renaissance­ den Zugang zu der Region vom Kap Boja­ könige wissen Kriege und Intrigen meisterlich dor bis Guinea verloren –, beeilen sich die zur Mehrung ihres Einflusses zu nutzen. katholischen Regenten von Spanien, ihre D 12 Ein neues Weltbild: Uhrwerkgetriebenes Planetarium nach Kopernikus und Kepler (Andreas Bosch, 1657) 13 1492 – 1648 Europas Sprung in die Neuzeit Herrschaftsansprüche auf die von Kolum­ bus entdeckten Gebiete rechtskräftig zu un­ termauern. 1493 legt Papst Alexander VI. in der Bulle »Inter caetera« eine 480 km west­ lich der Kapverdischen Inseln verlaufende Seegrenze fest und spricht alle westlich die­ ser Linie liegenden Gebiete der kastilischen Krone zu. Durch den Einspruch des por­ tugiesischen Regenten, König Johann II., wird diese Demarkationslinie im folgenden Jahr in zähen Verhandlungen bis auf Höhe des 46. Grades westlicher Länge ausgedehnt und im Vertrag von Tordesillas (1494) festge­ schrieben. Nur dank seiner unnachgiebigen Haltung ist Portugal wenige Jahre später in der Lage, sich ebenfalls in der Neuen Welt festzusetzen und die Ostküste Brasiliens in Besitz zu nehmen. Als es kurz darauf erneut zu Interessenskon­ flikten zwischen den beiden iberischen Mäch­ ten kommt, diesmal im indonesischen Raum, wird die Vereinbarung von Torde­sillas durch den Vertrag von Saragossa ergänzt, der nun auch eine östliche Seescheide definiert. Ihre Grenze verläuft zwischen der Insel Guam und dem restlichen Archipel der Marianen. Eine gewaltsame Konfrontation zwischen Spanien und Portugal wird zwar durch die beiden Vertragswerke vermieden, allerdings ist nun die ganze Erde – wenigstens theoretisch – in Die Eroberung Perus durch die Spanier unter Francisco Pizarro (kolor. Kupferstich, Theodor de Bry, 16. Jh.) 14 eine spanische und eine portugiesische In­ teressensphäre aufgeteilt; sehr zum Ärger anderer europäischer Staaten wie England, Frankreich oder den Niederlanden, die sich darüber bitter beim Papst beschweren und beide Verträge nicht anerkennen. Neue Untertanen der spanischen Krone D ie Entdeckung Amerikas ist eine Epochenwende: Im alten Europa markiert sie den Beginn einer langen Pha­ se der Prosperität. Für die Ureinwohner Nord-, Mittel- und Südamerikas erweist sich die Ankunft der Weißen hingegen als größte Katastrophe in der Geschichte des Kontinents. Dabei sind die »Entdecker« (eines schon seit Jahrtausenden besiedelten Kontinents) anfangs durchaus nicht bösen Willens, zumal sie freundlich empfangen werden. Der Auftrag des spanischen Kö­ nigspaares an Kolumbus lautet allerdings, Gold oder anderweitige Schätze zu finden, denn die Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den muslimischen Herr­ schern hat große Summen verschlungen. Der spanische Staatshaushalt ist nahezu ruiniert. Gleichzeitig betrachtet das ka­ tholische Königspaar den Vorstoß in neue Erdregionen als Fortsetzung der Kreuzzüge mit anderen Mitteln: Die christlichen Ent­ decker sollen das Wort Gottes in die Welt tragen. Im Unterschied zu den Schwarz­ afrikanern gelten die Ureinwohner Ameri­ kas, die »Indios«, jedoch nicht als »Wilde«, sondern vielmehr als neue »Untertanen« eines katholischen spanischen Großreichs. Um ihren gehobenen Status zu unterstrei­ chen, wird 1500 ein Gesetz erlassen, dass den Sklavenhandel mit Indianern im spa­ nischen Mutterland verbietet und die Indi­ anersklaven sogar für frei erklärt. In der Neuen Welt liegen die Dinge freilich anders. Spätestens auf seiner dritten Ame­ rikareise muss sich Kolumbus 1499 einge­ stehen, dass die Antillen nicht die erhofften Goldschätze bergen und dass von den In­ dianern auch keine Tributzahlungen zu er­ warten sind. Er teilte deshalb jedem Spanier, der sich zur Auswanderung entschlossen hat, Indianer als Arbeitskräfte zu, um wenigstens eine profitable, am Export orientierte Land­ wirtschaft aufzubauen. Dieses unter Königin Isabella entstandene System der »encomien­ da«, der organisierten Zwangsarbeit, wirkt sich auf die spanische Siedlungskolonisation verstärkend aus. Die Sklaverei fordert in Amerika unzählige Todesopfer, vor allem unter der Bevölkerung der Antillen, deren Zahl rapide sinkt. Dem Engagement eines Missionars namens Bar­ tolomé de Las Casas, der später den Titel »Apostel der Indianer« erhält, ist es zu ver­ danken, dass sich der Rechtsstatus der In­ dianer durch eine Gesetzesreform von 1512 ein wenig bessert. Im Jahr 1542 – die Zahl der amerikanischen Ureinwohner ist bereits rapide gesunken – wird die Versklavung von Indianern nach langem Hin und Her grund­ sätzlich unter Strafe gestellt. An der Entrech­ tung und Versklavung von Afrikanern ändert das Reformgesetz freilich nichts. Sie nimmt im Gegenteil sogar an Schärfe zu. Untergang der Azteken und Inka O bgleich die Goldfunde in der Neuen Welt im Vergleich zu den hochge­ steckten Erwartungen der Europäer relativ unbedeutend sind, hält sich hartnäckig die Sage von einem »Eldorado«, einem sagen­ haften »Land des Goldes« im unzugäng­ lichen Inneren der Neuen Welt. Auf der Suche nach diesem mystischen Ort löschen die spanischen Konquistadoren innerhalb 15 Europas Sprung in die Neuzeit weniger Jahre die indianischen Großreiche nicht um geografische Entdeckungen, son­ der Azteken (1521) und Inka (1533) aus und dern ausschließlich um Profit, Gold und vernichten damit zwei der bedeutendsten Macht. Hochkulturen Altamerikas. Es vollzieht sich Auf die Konquistadoren folgen Missionare. ein geradezu ungeheuerlicher Völkermord. Jesuiten und Franziskaner gründen Missions­ Obwohl zahlenmäßig weit überlegen, hat die stationen, um aus den Indianern treue und indianische Urbevölkerung den berittenen glaubensfeste Untertanen der katholischen Eroberern mit ihren Rüstungen und Schuss­ Könige zu machen. Zugleich lassen die un­ waffen nichts entgegenzusetzen. Zum einen erschöpflich scheinenden Reichtümer aus der haben die indianischen Hochkulturen ihre Neuen Welt Spanien zur weitaus stärksten Blütezeit bereits hinter sich, zum anderen nei­ Macht des 16. Jahrhunderts aufsteigen. Erst gen die Eingeborenen dazu, die Eroberer mit als die große spanische Armada gegen Eng­ ihrer weißen Haut und den seltsamen Bärten land ausgesandt wird – aus Verärgerung über in die Nähe von Göttern zu rücken. Denn sie die englische Unterstützung der rebellischen kommen nicht nur über das unendliche Meer, Niederlande und die Hinrichtung Maria Stu­ sie reiten auch auf unbekannten Tieren, den arts – und 1588 eine verheerende Niederlage Pferden, und sie tragen Furcht einflößende erleidet, neigt sich das »spanische Jahrhun­ Feuerwaffen, die einen Menschen wie durch dert« langsam seinem Ende entgegen. Zauberhand auf große Distanz verwunden oder sogar töten können. Durchbruch im Osten – Zahllose Indianer werden von den Kon­ der Seeweg nach Indien quistadoren umgebracht, andere fallen der Zwangsarbeit oder eingeschleppten Krank­ heiten zum Opfer. Da die Domestikation evor Christoph Kolumbus in den Dienst von Tieren in beiden Teilen des amerika­ der spanischen Krone getreten war, hatte nischen Doppelkontinents noch so gut wie er lange Jahre versucht, den portugiesischen unbekannt ist, haben die Indianer gegen alle Hof für sein Unternehmen zu gewinnen. Sei­ Krankheiten, die ursprünglich von Haustie­ ne unermüdlichen Interventionen zwischen ren stammen – etwa Masern, Pocken und 1476 und 1485 waren gescheitert, aber im­ Grippe – keinerlei Abwehrkräfte. Zu Milli­ merhin hatte er sich in dieser Zeit die nöti­ onen sterben sie an Infek­ gen Navigationskenntnisse tionen, die für Europäer für seine Atlantikpassage Nach der erfolgreichen Entvergleichsweise harmlos erworben. Das entschei­ deckungsfahrt der Spanier im sind. Leben 1519 bei der Westen setzt Portugal alles auf dende Wissen verdankte Ankunft der Spanier in er erfahrenen Seeleuten seine große Indienexpedition. Zentralmexiko noch rund aus Lissabon und von den 25 Mio. Ureinwohner, Azoren. Portugals ganz sind es etwa 100 Jahre später gerade noch dem Atlantik zugewandte Lage, seine exzel­ eine Million. Ganze Stämme und Völker lenten Häfen, die durch Kastilien begründete – wie die Kariben auf den Kleinen Antillen Beschränkung der Expansion im Landesin­ – werden ausgerottet. In einer Mischung neren und das Ende der arabischen Besat­ aus Sendungsbewusstsein, Stolz, Brutali­ zung begünstigten den Entdeckungsdrang tät und Habgier geht es Konquistadoren der portugiesischen Seefahrer. Schon früh wie Hernán Cortés oder Francisco Pizarro hatten sie den Atlantik in nördlicher Rich­ B 16 1492 – 1648 Vasco da Gamas Ankunft in Calicut; der Entdecker findet den Seeweg nach Indien (fläm. Wandteppich, 16. Jh.). tung erkundet und eine Fangflotte aufgebaut. Unter Prinz Heinrich dem Seefahrer waren sie in den Jahren vor 1460 an der westafrika­ nischen Küste weit nach Süden vorgedrun­ gen, hatten erst den Äquator und später sogar das Kap der Guten Hoffnung erreicht. Nach der erfolgreichen Atlantikfahrt unter spanischer Flagge wird die Erforschung eines Seewegs nach Indien auch in Portugal ener­ gisch vorangetrieben; allerdings entscheiden sich die Portugiesen für den östlichen Kurs. Die große Indienexpedition wird mit größter Sorgfalt vorbereitet, geht es doch um ein Un­ ternehmen, das politisch und wirtschaftlich von größter Tragweite ist. Mit der Leitung betraut König Emanuel I., der Glückliche, der als einer der bedeutendsten Regenten Portugals in die Geschichtsbücher eingehen wird, den Edelmann Vasco da Gama. Mit drei Schiffen und rund 160 Seeleuten sticht da Gama im Juli 1497 von Lissabon aus in See, im November erreicht seine kleine Flotte die Sankt-Helena-Bucht an der Westküste Südafrikas. Entscheidende Dienste erweist ihm ein arabischer Lotse, der ihn mit seinen hervorragenden Navigationskenntnissen über den Indischen Ozean leitet. Am 20. Mai 1498 erreicht da Gama den indischen Handelsha­ fen Calicut, einen zentralen Umschlagplatz für Gewürze und andere begehrte Han­ delswaren. Das heutige Kozhikode wird allerdings zu dieser Zeit vollständig von muslimischen Kaufleuten dominiert. Daher gelingt es da Gama nicht, eine portugiesische Handelsniederlassung zu gründen. Dennoch leitet seine epochale Seereise eine Epoche ein, in der sein Land durch eine Vielzahl er­ folgreicher Entdeckungsfahrten seine größte 17 1492 – 1648 Europas Sprung in die Neuzeit Machtentfaltung und auch einen enormen Wohlstand erlangt. Im September 1499 wird dem Entdecker in Lissabon ein triumphaler Empfang bereitet. Aufstieg Portugals zur Weltmacht I m März 1500 bricht eine große Flotte von 13 Schiffen mit rund 1800 Männern in Portugal auf, um auf der neuen Route nach Indien zu gelangen. Zum Befehlshaber der zweiten königlich-portugiesischen Indien­ expedition wird der Adlige Pedro Álvares Cabral ernannt, der seine Karriere am Hof als Mitglied der königlichen Leibgarde be­ gonnen hatte. Ein prominenter Teilnehmer dieser Expedition ist der Seefahrer Bartolo­ Portugals »Denkmal der Entdeckungen« mit Heinrich dem Seefahrer (Lissabon, Torre de Belém, 1960) 18 meu Diaz, der 1488 als Erster das Kap der Guten Hoffnung umsegelt hatte. Unterwegs werden die Schiffe vom Äquatorialstrom so stark nach Westen verdriftet, dass sie an der Küste des heutigen Brasiliens landen – so je­ denfalls lautet die offizielle Version. Nicht we­ nige Historiker werden später die These ver­ treten, dass Cabral bewusst und im Auftrag des Königs nach Westen steuert. Unbestritten ist, dass er das Gebiet als »Land des Heiligen Kreuzes« für die portugiesische Krone in Be­ sitz nimmt. Während eines der Schiffe nach Portugal zurückkehrt, um die Nachricht von den territorialen Erwerbungen an den Hof zu bringen, segelt Cabral mit dem Rest der Flotte nach Asien. In Calicut wird er wenig freundlich empfangen, da die um ihren In­ dienhandel bangenden arabischen Händler den dortigen Herrscher gegen die Europäer aufgewiegelt hatten. Nach kurzen Kämpfen mit einigen Dutzend Opfern zieht die Flotte nach Cochin, wo Cabral im Auftrag des Kö­ nigs die beiden ersten portugiesischen Han­ delsniederlassungen in Indien gründet. In der Folge konzentrieren sich die Por­ tugiesen darauf, das Erreichte auszubauen und Beziehungen zu knüpfen. Bis 1502 folgen vier weitere Indienexpeditionen. Die letzte vertraut man noch einmal Vasco da Gama an, der dem König von Calicut den Krieg erklärt und weitere Handelsstützpunkte er­ richtet. Diejenigen Schiffe, die nicht unter­ wegs in schwerer See verloren gehen, keh­ ren mit Gewürzen und anderen exotischen Handelswaren reich beladen nach Lissabon zurück. Um den lukrativen Handel mit dem Osten zu sichern, erobern die Portugiesen bis 1518 Goa, Diu und Bombay, Malakka und die Molukken, gleichzeitig gründen sie Stützpunkte im heutigen Sri Lanka und auf Java und entsenden Kundschafter nach In­ dochina, Malaysia und China. Eine weitere epochale Entdeckungsfahrt gelingt dem Portugiesen Fernão de Magellan 1519–1521 Landkarte der Molukken-Gewürzinseln aus dem Jahr 1563. Gewürze sind ein enorm wertvolles Handelsgut. mit der ersten Weltumseglung. Zugleich wird unter König Johann III. die Erschließung Brasiliens in Südamerika vorangetrieben. Spanien unterwirft Portugal D urch verschiedene Monopole, etwa auf die Pfeffereinfuhr nach Europa, kontrolliert die portugiesische Krone die Handelspreise und gelangt zu unermess­ lichem Reichtum. In Brasilien bauen por­ tugiesische Siedler erstmals Zuckerrohr an. Da die Indianer den harten Arbeitsbedin­ gungen auf den Plantagen nicht gewachsen sind, bringen die Eroberer über ihre Häfen an der afrikanischen Westküste schwarze Sklaven nach Südamerika. Die anderen Kolonialmächte tun es ihnen nach. Aus der Kolonisation der Neuen Welt durch die Europäer entsteht ein Menschenhandel mit afrikanischen Ureinwohnern, der bis weit in die Moderne anhält. Allerdings kommt es auch zu wachsenden Spannungen zwischen den iberischen Mächten. Nach dem Tod König Heinrichs erneuert Spaniens Monarch Philipp II. seinen An­ spruch auf den portugiesischen Thron. Er lässt Truppen in das Nachbarland einmar­ schieren und verkündet 1580 die spanischportugiesische Personalunion, die bis 1640 Bestand haben wird. De facto bedeutet dies die Annexion Portugals und seines gesamten Kolonialreiches. Im Ostindienhandel geht seine einstige Vormachtstellung relativ rasch auf Holland und vor allem England über. Portugal, das vor weniger als einem Jahr­ hundert zu einer führenden Kolonial- und Wirtschaftsmacht geworden war, findet sich plötzlich als Vasallenstaat wieder. Während Spanien und Portugal im Sü­ den des amerikanischen Doppelkontinents noch immer die unangefochtene Vormacht ausüben und weiterhin Handelsstationen und Verwaltungsinstitutionen gründen, er­ wächst in Nordamerika mit Frankreich und England Konkurrenz. Diese aufstrebenden Großmächte versuchen – als Alternative zu den von Portugal beherrschten Seerouten um das Kap der Guten Hoffnung – einen nördlichen, kürzeren Seeweg nach Indien und China zu finden. Eine Frucht dieser Be­ mühungen ist die genauere Erforschung der nordamerikanischen Küste. Im Jahr 1534 erreicht der französische Seefahrer Jacques Cartier den St.-Lorenz-Golf und nimmt Kanada für Frankreich in Besitz. In den Jahren von 1535 bis 1541 erkundet er den St.-Lorenz-Strom, wobei er das Landesin­ 19 1492 – 1648 Europas Sprung in die Neuzeit Der Reformator Martin Luther fordert Rom heraus (Lutherdenkmal in Wittenberg, Deutschland). nere bis Montreal erforscht. Leicht verspätet, aber umso energischer beginnt die britische Kolonialgeschichte in Nordamerika im Jahr 1607 mit der Gründung von Jamestown im späteren Bundesstaat Virginia. Kirchenstreit in Deutschland – Spaltung der Christenheit D ie Verweltlichung der Kirche, ihr Reichtum und das üppige Leben der höheren Geistlichkeit fordern zu Beginn des 16. Jahrhunderts die fromme Mehrheit der Bevölkerung heraus. Die römische Kurie ist 20 zu einem Fürstenstaat unter vielen geworden. Der Ablasshandel erteilt die Absolution ge­ gen bare Münze. Auslöser der Reformation in Deutschland, die den Prozess der Glau­ bensspaltung und der Entstehung eigenstän­ diger Konfessionen neben der katholischen Kirche einleitet, ist die Veröffentlichung der 95 Thesen gegen den Ablasshandel durch Martin Luther am 31. Oktober 1517. Nach Luthers Auffassung kann der Mensch das Heil nur durch den Glauben erreichen. Allein die Heilige Schrift, keine anderen Glaubens­ sätze, seien für den Gläubigen verbindlich. Eine Vermittlung des Klerus zwischen dem Gläubigen und Gott sei nicht erforderlich. Die Anhänger der reformatorischen Bewe­ gung rekrutieren sich aus allen Schichten der Gesellschaft. Vielfach verbinden sich mit dem reformatorischen Gedankengut soziale und revolutionäre Forderungen, etwa während der Bauernkriege 1524/25 in Deutschland. Als Luthers – an Bauern und Fürsten gerich­ tete – Ermahnung zur Einhaltung des Frie­ dens nicht fruchtet, schlägt sich der Reforma­ tor auf die Seite der Autoritäten und zieht sich damit die Verachtung vieler Humanisten zu. In der Folgezeit konvertieren viele Territori­ alherren zu dem neuen Bekenntnis. Nicht nur aus religiösen Gründen: Durch Übernahme ehemals kirchlicher Besitzungen und die Ein­ führung des »landesherrlichen Kirchenregi­ ments« – wonach die Geistlichen vom Lan­ desherrn eingesetzt werden und kirchlicher Besitz von ihm verwaltet wird – können die protestantischen Fürsten ihre Machtstellung gegenüber der Zentralgewalt des Reiches be­ trächtlich stärken. Unter der Führung Hes­ sens und Kursachsens schließen sich 1531 die evangelischen Reichsstände zum Schmalkal­ dischen Bund zusammen. Die Versuche Kai­ ser Karls V., die Religionseinheit zu retten, scheitern sämtlich. Mit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) wird die Existenz zweier Religionen im Reich anerkannt. Nach dem Grundsatz »cuius regio, eius religio« (wessen Herrschaft, dessen Religion) bestimmen fortan die Fürs­ ten oder Landesherren über die Konfession eines Territoriums. Untertanen, die einem anderen Bekenntnis angehören, erhalten al­ lerdings – sofern es sich nicht um Leibeigene handelt – das Recht, in ein Territorium ihres Glaubens auszuwandern. Die Glaubensspal­ tung des Heiligen Römischen Reiches ist da­ mit endgültig festgeschrieben. Reformation überzieht Europa D ie Reformation bleibt nicht auf Deutsch­ land beschränkt, sie findet Anhänger auch in anderen Teilen Europas. Der Pfarrer Huldrych Zwingli setzt seit 1519 in Zürich eine reformatorische Richtung durch, die sich von Luthers Lehre vor allem durch die konsequentere Ablehnung der kirchlichen Zeremonien und Kultformen – insbesonde­ re des Abendmahls – unterscheidet. In Genf propagiert der gebürtige Franzose Johannes Calvin seit 1536 eine besonders rigide Glau­ benspraxis. Sein Ziel ist es, das Leben voll­ kommen zu verchristlichen. Calvin vertritt strenge moralische Grundsätze, u. a. verbietet er Tanz und Glücksspiel. Seine Lehre ist von der Vorstellung durchdrungen, dass der äu­ ßere Reichtum eines Menschen auf Erden über sein Heil nach dem Tod entscheidet. Der Calvinismus greift von Genf aus nach Frankreich, Schottland, den Niederlanden, Polen, Ungarn und Südwestdeutschland über. In Frankreich werden die Anhänger des Calvinismus, die Hugenotten, von der Krone unterdrückt und blutig verfolgt. Allein in der auch als »Pariser Bluthochzeit« bezeich­ Mahnung zum Frieden: Der Papst, Calvin und Luther gemeinsam am Tisch (niederl. Gemälde, anonym, 17. Jh.) 21 Europas Sprung in die Neuzeit neten Bartholomäusnacht des Jahres 1572 lässt die Königsmutter Katharina de Medici etwa 8000 Hugenotten kaltblütig ermorden. Beendet werden die blutigen Glaubenskämpfe in Frankreich erst unter dem zum Katholizis­ mus konvertierten Hugenotten Heinrich von Navarra, der 1598 als König Heinrich IV. das Edikt von Nantes erlässt. Es gewährt den Hugenotten Gewissensfreiheit sowie Besitz­ standswahrung und gesteht ihnen die Abhal­ tung eigener Gottesdienste zu. Ein Sonderfall ist die englische Reforma­ tion, die von Beginn an eher eine politische denn eine theologische Bewegung ist. König Heinrich VIII., durch seine Hochzeit mit Katharina von Aragonien ein Schwieger­ sohn der katholischen Könige von Spanien, löst die englische Kirche in einer Reihe von legalen Akten immer stärker von Rom ab, obgleich er persönlich durchaus gläubiger Katholik ist. Ursache dieser Entwicklung ist Heinrichs Wunsch, seine Ehe mit Katharina, die ihm den ersehnten männlichen Nachfol­ ger nicht geboren hatte, aufzulösen. Als Papst Klemens VII. auf Druck des deutschen Kai­ sers eine Annullierung der Ehe ablehnt und Heinrich sie daraufhin durch den von ihm ernannten Erzbischof von Canterbury für nichtig erklären lässt, ist eine wichtige histo­ rische Weiche in der kirchenpolitischen Ent­ wicklung Englands mit ihrer ausgeprägten Tendenz zum Nationalkirchentum gestellt. Indien – Schmelztiegel der Kulturen A uf dem indischen Subkontinent legt der Sieg Baburs über den Sultan von Delhi bei Panipat (1526) den Grundstein für das mächtige Mogulreich. Die Dynastie mon­ Der prachtvolle Königspalast in Fatehpur Sikri nahe Agra wird unter Großmogul Akbar im 16. Jh. erbaut. 22 1492 – 1648 golisch-türkischer Abstammung hat bis gulkaiser wie den Tadsch Mahal, ein Mauso­ 1858 Bestand. Babur, ein fähiger Feldherr leum, das Großmogul Schah Dschahan zum und literarisch gebildeter Mann, bringt von Andenken an seine 1631 verstorbene Lieb­ Afghanistan aus den Pandschab und das lingsfrau Mumtaz Mahal errichten lässt. Das nordwestliche Gangesgebiet in seine Ge­ weltberühmte Prachtgebäude, das in seiner walt. Baburs Enkel Akbar schafft zunächst Form an safawidisch-persische Traditionen einen hochwirksamen Verwaltungsapparat anknüpft, in seiner Ausstattung aber den Stil mit einer Hierarchie von 33 Stufen. Bei den der Mogul-Dynastie verrät, zählt heute zum Abgaben, die er den Bauern abverlangt, be­ Weltkulturerbe der Menschheit. rücksichtigt er deren wechselnde Erträge. Akbar dehnt bis zu seinem Tod 1605 das Niederländischer Herrschaftsgebiet der muslimischen Mo­ Unabhängigkeitskrieg guln (von persisch: mughul, »Mongole«) über Nordindien, Kaschmir, Bihar, Bengalen, Orissa und einen großen Teil des Dekhans ie Zustimmung Kaiser Karls V. zum aus. Indien gerät dadurch unter den Einfluss Augsburger Religionsfrieden von 1555 islamischer Lebensgewohnheiten und wird war ein Akt der puren Staatsräson, ohne gleichzeitig Schauplatz der Verschmelzung jegliche innere Überzeugung. Unzufrieden persischer, hinduistischer und europäischer darüber, dass es ihm nicht gelungen ist, die Traditionen. konfessionelle Spaltung seines Riesenreiches Großmogul Akbar, auch er ein liberaler rückgängig zu machen, dankt er 1556 ab. Die und weltoffener Herrscher, versammelt an Kaiserkrone und die österreichischen Länder seinem Hof Adelige, Maler und Dichter, vermacht er seinem Bruder Ferdinand II., aber auch muslimische Theologen, Brah­ sein Sohn Philipp II. erhält außer Spanien manen und portugiesische Missionare aus die Königreiche Sizilien, Neapel und Sardi­ Goa. Die Hofsprache ist nien, das Herzogtum Lom­ Persisch. Aus ihrer Vermi­ bardei, die Freigrafschaft In Indien verschmelzen unter schung mit nordindischen Burgund, alle spanischen den Moguln persische, hinDialekten entsteht Urdu, Kolonien in Übersee und duistische, muslimische und die heutige Staatssprache die Spanischen Niederlan­ europäische Traditionen. Pakistans. Um die Völker de. Damit ist die Spaltung und Religionen seines Rei­ des Habsburgerhauses in ches miteinander auszusöhnen, stiftet Akbar eine österreichische und eine spanische Linie eine Einheitsreligion, die hinduistische, isla­ vollzogen. Zugleich sind die Weichen für den mische, christliche und parsische Elemente Freiheitskampf der Niederlande gestellt. enthält. Zugleich fördert er den Handel und Denn während Karl V. die Protestanten zu­ lässt Bibliotheken und Schulen errichten. Die letzt immerhin geduldet hat, geht sein Sohn Miniaturmalerei der Mogulschule ist weithin erneut entschlossen gegen die »Ketzer« vor. bekannt. Akbar lässt die Residenz Fatehpur Angeführt von Adligen wie dem Graf von Sikri errichten. Die neben Delhi und Agra Hoorn, dem Graf von Egmont und dem Graf dritte Mogulhauptstadt, in der bedeutende von Nassau, Wilhelm I. von Oranien, bildet Bauwerke entstehen, wird allerdings 1585 sich in den Niederlanden eine breite Wider­ wegen Wassermangels aufgegeben. Besucher standsbewegung gegen die absolutistische staunen heute über die Prachtbauten der Mo­ Herrschaft des spanischen Habsburgers. D 23 Europas Sprung in die Neuzeit Als die Aufständischen 1566 den »Geusen­ bund« gründen, einige katholische Kirchen zerstören und in einer Bittschrift an den Kö­ nig größere politische und religiöse Rechte fordern, kommt es zur Eskalation. In die re­ bellische Provinz schickt Philipp II. den be­ rüchtigten Herzog von Alba, der sogleich ein Sondergericht einrichten lässt, den »Blutrat von Brüssel«, dem kaum einer der Vorge­ aushandeln, gründen die sieben reformierten Nordprovinzen 1579 die Utrechter Union, einen »ewigen Bund« gegen alle äußeren Feinde und jeden Versuch, ihre Freiheits­ rechte zu beschneiden. Als der spanische König daraufhin Wilhelm von Oranien äch­ tet, rufen die Aufständischen in den Nieder­ landen 1581 im Gegenzug die »Vereinigten Generalstaaten« ins Leben, die sich selbst für unabhängig und den spanischen Habsbur­ gerkönig für abgesetzt erklären. Als ein fanatischer Katholik im Jahr 1584 – einem Aufruf König Philipps II. fol­ gend – Wilhelm von Oranien ermordet, geht dessen Amt auf seinen Sohn über. Moritz von Oranien erweist sich in den folgenden Jahren als ein erfolgreicher Stratege und Feldherr, der die Spanier Schritt für Schritt aus dem Land verdrängt und damit die faktische Un­ abhängigkeit der Niederlande besiegelt, lange bevor sie 1648 im Westfälischen Frieden auch formal bestätigt wird. Neue Kolonialmächte kommen hinzu – der Kampf um die Weltmeere W Der Tod König Philipps II. von Spanien leitet den Niedergang seines Weltreichs ein (undat. Gemälde). ladenen lebend entkommt. Tausende fallen Albas sechsjähriger Schreckensherrschaft zum Opfer, darunter auch die Grafen von Egmont und Hoorn. 1572 kommt es unter Wilhelm von Oranien zu einem bewaffneten Aufstand auf breiter Front. Während die überwiegend katholischen Südprovinzen der Spanischen Niederlan­ de – das spätere Belgien – 1577 mit den spa­ nischen Fremdherrschern einen Kompromiss 24 ährend die Niederländer um ihre natio­ nale Unabhängigkeit kämpfen, toben vor den Küsten Europas, Asiens, Afrikas und Amerikas kaum weniger erbitterte Streitig­ keiten, in denen es um Territorien, Rohstoffe und geraubte Schätze geht. Angesichts der päpstlichen Aufteilung der Erde in eine spanische und eine portugiesische Interes­ sensphäre fordern auch andere europäische Mächte wie England, Frankreich – bald auch die Niederlande und Schweden – das Recht auf Vertretung eigener Territorialinteressen in Übersee. Da die spanische Armada den Flotten anderer europäischer Staaten an Größe deutlich überlegen ist, scheuen sich vor allem die Engländer nicht, mit den Mitteln der Piraterie wenigstens einen Teil der unge­ 1492 – 1648 heuren Reichtümer aus der Neuen Welt zu die zu dieser Zeit ohne Beispiel ist. Kaufleute ergattern. Zum wohl berühmtesten Piraten residieren wie Fürsten und lassen ihren re­ der Neuzeit entwickelt sich der englische präsentativen Lebensstil von Meistern der Admiral Sir Francis Drake, der im Auftrag bildenden Kunst verewigen – eine neue Qua­ Seiner Majestät zahlreiche Kaperfahrten lität bürgerlichen Daseins und Selbstbewusst­ nach Westindien unternimmt und sich dabei seins. Auch die Engländer sind nach ihrem zum Schrecken der spanischen Schifffahrt Sieg über die spanische Flotte alles andere entwickelt. Wie andere Freibeuter wird auch als tatenlos. Sowohl in Südostasien wie auch er vom englischen Königs­ in Nordamerika legen sie haus in den Adelsstand er­ die ersten Fundamente für Niederländische Kaufleute hoben. ihr späteres britisches Im­ prägen einen repräsentativen Die anhaltenden Kon­ perium. Der zwischen den Lebensstil auf der Grundlage flikte zwischen Spanien europäischen Mächten des ökonomischen Erfolgs. und England führen in ausgefochtene Kampf um den Jahren 1587/88 zum Land verwandelt das er­ Krieg, in dessen Verlauf die als bis dahin sehnte Paradies in der Neuen Welt allerdings unbesiegbar geltende spanische Armada na­ zusehends in ein Krisengebiet. Der Anbau hezu vollständig vernichtet wird. Mit diesem von Tabak und Baumwolle in den südlichen englischen Sieg neigt sich die Epoche der Kolonien der Engländer erfordert zahllose spanisch-portugiesischen Vorherrschaft in Arbeitskräfte. Die Sklavenhändler machen Übersee endgültig ihrem Ende entgegen. gute Geschäfte. Vor allem gegen Ende des Spanien – im 16. Jahrhundert durch die 17. Jahrhunderts wird sich der Handel mit Ausbeutung der Neuen Welt zur reichsten afrikanischen Sklaven immer stärker nach Nation Europas aufgestiegen – verlässt das Nordamerika verlagern. Parkett der Großmächte und versinkt zu­ nehmend in der Bedeutungslosigkeit. Die Keimzellen der Kolonisation spanischen Habsburger haben nicht nur ei­ nen großen Teil ihrer Reichtümer für krie­ gerische Unternehmungen vergeudet, der ie Ausdehnung des Welthandels lässt Strom von Edelmetallen aus Amerika hat in Westeuropa neue Kaufmannsgesell­ zudem die spanische Währung destabilisiert schaften hervortreten. Mit staatlicher Un­ und – schlimmer noch – die Entstehung terstützung werden Firmen gegründet, die eines wirtschaftlich potenten Bürgertums durch Monopole geschützt vor allem den verhindert. Handel mit Indien und Amerika kontrollieren Zu einer dominierenden Handelsmacht im und im Gegenzug den Staat an den Gewin­ Indischen Ozean entwickeln sich hingegen nen beteiligen. Prototyp dieser neuen Ge­ die Niederlande. Von der spanischen Vor­ sellschaften, an denen sich diverse Kaufleute herrschaft de facto befreit und ebenfalls aus über einen Kapitalfonds beteiligen können, dem Verband des deutschen Reiches ausge­ ist die 1599 in London gegründete Ostin­ schieden, schreibt das kleine Land ab dem dische Kompanie, die von der englischen 17. Jahrhundert eine beispiellose Erfolgsge­ Krone 1600 das Monopol für den englischen schichte. Der neue Reichtum der Handel trei­ Ostindienhandel erhält. In Amsterdam benden Seefahrernation ist die materielle Ba­ entsteht 1602 mit der Holländisch-Ostin­ sis einer kulturellen und ökonomischen Blüte, dischen Kompanie eine Konkurrenz für die D 25 1492 – 1648 Europas Sprung in die Neuzeit Europäische Handelsschiffe vor Batavia, dem heutigen Djakarta/Indonesien (kolorierter Kupferstich, 18. Jh.) Engländer. Die Handelskompanien werden zum Vorbild für Gründungen in Dänemark, Schweden, Frankreich und Österreich, im späten 17. und im 18. Jahrhundert kommt es auch in Brandenburg, Spanien und Portugal zu ähnlichen Gründungen. Neben Gewürzen aus Indien, Sumatra, Borneo und Java locken Seide, Tee und Porzellan aus China, Diamanten, Baum­ wollwaren, Indigo, Kaffee und Gold aus Indien, Teppiche aus Persien sowie Kupfer und Edelsteine aus Siam an die asiatischen Küsten. Für den Handel mit Amerika werden ebenfalls Monopolgesellschaften gegründet: 1621 in Amsterdam die Niederländische Westindische Kompanie – auf ihre Initiati­ ve erfolgt der Erwerb der Insel Manhattan und die Gründung von Neu Amsterdam, dem späteren New York – und 1670 in London die Hudson’s Bay Company, die zunächst 26 ein Monopol auf den Handel und die Bo­ denschätze im Bereich der Hudsonbai erhält. Die Erweiterung des Welthandels durch die neuen Seewege führt immer wieder zu krie­ gerischen Auseinandersetzungen der beteilig­ ten Mächte und lässt den Nord- und Ostsee­ handel in seiner Bedeutung schrumpfen. Die bereits geschwächte Hanse geht endgültig unter. Auf dem letzten Hansetag 1669 sind nur noch neun Städte vertreten. Vorboten der Aufklärung D afür erleben die Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert einen phänomenalen Aufschwung. Zu Beginn der Epoche werden die in der Renaissancezeit gewonnenen tech­ nischen Kenntnisse präzisiert und verbessert. Wissenschaftler wie Johannes Kepler und Ga­ lileo Galilei begründen mit bahnbrechenden Die Auseinandersetzungen beginnen in Erkenntnissen die moderne Forschung und Böhmen, wo die protestantischen Stände aus bereiten den Weg für die ihnen nachfolgende Verärgerung über die Beschneidung der ih­ Epoche der Aufklärung. Auf der Basis neuer nen zugesicherten Rechte im Mai 1618 zwei wissenschaftlicher Erkenntnisse setzt auch in kaiserliche Statthalter aus einem Fenster der der technischen Entwicklung eine Innovations­ Prager Burg werfen. Sie überleben wie durch welle ein. Im Zusammen­ ein Wunder. Ehe Kaiser hang mit der politischen Si­ Matthias Entscheidendes Dem Stil der Renaissance folgt tuation bilden Festungsbau, gegen die böhmischen Re­ die barocke Kunst als FormenWaffentechnik und Schiffs­ bellen unternehmen kann, sprache des Absolutismus und bau einen Schwerpunkt des stirbt er und vererbt den der Gegenreformation. technischen Wandels. Die schwelenden Konflikt sei­ barocke Kunst löst als Stil nem Nachfolger Ferdinand des Absolutismus und der Gegenreformati­ II., einem eifrigen Anhänger der Gegenrefor­ on die Formensprache der Renaissance ab. mation. Die Böhmen verweigern seine Aner­ Malerei, Musik, Bildhauerei und Architek­ kennung und wählen Friedrich V. von der Pfalz tur stellen das Sinnliche in den Mittelpunkt, zum Gegenkönig. Ein kaiserliches Heer unter das sich in den barocken Werken nicht selten Johann Tserclaes von Tilly zerstört die böh­ auch im Schwülstigen verliert. Vor allem in mischen Hoffnungen mit einem vernichtenden den katholischen Ländern Europas entwickelt Sieg im November 1620. Während die pfälzi­ sich ein Mäzenatentum, das die Künste för­ sche Kurwürde an Bayern fällt, ergeht über dert. Prunkbeispiel barocker Baukunst ist der Böhmen ein schweres Strafgericht mit Hinrich­ Petersplatz in Rom, der von Gian Lorenzo tungen, Enteignungen und Vertreibungen. Das Bernini ab 1629 als Queroval mit vierfachen Land wird gewaltsam rekatholisiert, 150 000 Kolonnaden gestaltet wird. Menschen müssen ihre Heimat verlassen. Blutige Glaubenskriege auf deutschem Boden D erweil beginnt eine Serie verheerender Konflikte, die die Nachwelt zu einem ein­ zigen großen Kriegsgeschehen, dem Dreißig­ jährigen Krieg, zusammenfassen wird. Ursa­ che der blutigen Kämpfe, die in weiten Teilen Mitteleuropas zu einem fast 40-prozentigen Bevölkerungsverlust führen, sind anfangs re­ ligiöse Konflikte, die gegen Ende des vorigen Jahrhunderts schon bewältigt schienen, tat­ sächlich aber im Verborgenen weitergeschwelt hatten. Je länger die Auseinandersetzungen al­ lerdings dauern, umso mehr sind die religiösen Divergenzen bloß noch ein Vorwand zur pu­ren Durchsetzung weltlicher Macht. Ausweitung des Konflikts – die Schweden kommen V on diesem Erfolg gestärkt, versucht Ferdinand II. die Gegenreformati­ on auch im überwiegend protestantischen Norddeutschland gewaltsam voranzutreiben. Angesichts dieses kaiserlichen Machtstrebens greift König Christian IV. von Dänemark 1625 auf protestantischer Seite in den Kon­ flikt ein. Er trifft allerdings auf einen gefähr­ lichen Gegner, den katholischen Feldherrn Albrecht von Wallenstein, der, aus einem alten böhmischen Geschlecht stammend und durch eine geschickte Heirat reich und mächtig geworden, dem Kaiser auf eigene Kosten ein 40 000-Mann-Heer zur Verfü­ 27 Europas Sprung in die Neuzeit gung stellt. Mit genialer Taktik führte er diese Krieg. Entscheidende Siege gelingen kei­ Streitmacht von Sieg zu Sieg. Seine Söldner­ ner Seite mehr, zu groß ist inzwischen die truppe versorgt sich – zum Leidwesen der Zi­ Kriegsmüdigkeit. Längst weiß kaum noch vilisten – raubend und plündernd nach dem jemand, wofür gekämpft und gestorben Grundsatz »Der Krieg ernährt den Krieg.« wird. Die Front ist überall, wo marodieren­ Im Jahr 1629 – Norddeutschland ist fast de Landsknechtshaufen sich um die letzten vollständig in katholischer Reste in den Vorratskam­ Hand – sieht sich der Kai­ mern der Bauern schla­ Unter bestialischer Folter ser angesichts des schwe­ gen. Mit bestialischen erpressen marodierende dischen Eingreifens in den Foltermethoden rauben Landsknechte die Bauern um Krieg zu einem Friedens­ sie der hungernden Zivil­ ihre letzten Habseligkeiten. schluss mit Dänemark ge­ bevölkerung ihre letzten zwungen. Seine Machtstel­ Habseligkeiten. Die all­ lung scheint allerdings inzwischen so gefestigt, gemeine Erschöpfung führt die Parteien dass er eigenmächtig, ohne Rücksprache mit im Jahr 1644 an die Verhandlungstische dem Reichstag, in einem Restitutionsedikt in Münster und Osnabrück, die Gespräche die Rückgabe aller seit 1552 von den Protes­ gestalten sich allerdings schwierig. Erst im tanten gewonnenen Gebiete verfügt. Nun Oktober 1648 kann das Gesamtvertrags­ wird der Regent sogar seinen Verbündeten, werk mit seinen zahllosen Klauseln unter­ den katholischen Reichsfürsten, zu mächtig: zeichnet werden. Auf dem Regensburger Kurfürstentag im August 1630 zwingen sie ihn zur Entlassung Westfälischer Friede und Wallensteins. Diese Forderung sollte sich rä­ Folgen des Krieges chen, denn mittlerweile greifen die Schweden unter König Gustav II. Adolf in das Kriegsge­ schehen ein. Als die Kaiserlichen unter Tilly urch Amnestie werden alle Betrof­ 1631 vernichtend geschlagen werden, wird fenen von der Reichsacht befreit. Die Wallenstein eiligst wieder zum Generalissimus Restauration der alten Landeshoheiten folgt bestellt. Er besiegt die Sachsen und stoppt die den Grenzen von 1618; zu Friedensgaranten Schweden, wird dann aber erneut das Opfer werden die Großmächte bestimmt. Sie lassen eines Komplotts: Am 25. Februar 1634 fällt sich diese Mitwirkung wie die Beteiligung er einem Mordanschlag seiner Offiziere zum am Krieg entsprechend belohnen: Schweden Opfer. Im Frieden von Prag 1635 schließt erhält Territorien in Norddeutschland und Ferdinand II. mit den meisten katholischen fünf Millionen Taler zur Abfindung seiner und protestantischen Fürsten Frieden und Soldaten, Frankreich bekommt die letzten verzichtet auf die Durchsetzung seines Resti­ habsburgischen Ländereien im Elsass und tutionsedikts von 1629. wird in seinem Besitz der Bistümer Metz, Nun aber nutzt das katholische Frank­ Toul und Verdun bestätigt. Die de facto reich Kardinal Richelieus, das die Kämpfe schon seit langem selbstständigen Niederlan­ von Beginn an geschürt hat, seine Chance, de werden offiziell als souveränes Staatswesen Habsburg zu schwächen, und verbündet anerkannt, Gleiches gilt für die Schweizer sich mit den Schweden. Damit beginnt die Eidgenossenschaft, die ebenfalls schon Jahr­ vierte und längste Phase der Auseinander­ zehnte zuvor aus dem Reichsverband aus­ setzungen, der Französisch-Schwedische geschieden ist. Die Bevölkerung hat noch 1492 – 1648 lange unter den Folgen des Kriegs zu leiden. Die Wirtschaft ist zerstört, viele Felder liegen brach. Zehntausende Soldaten müssen demo­ bilisiert werden. Im Allgemeinen handelt es sich allerdings um Söldner, die außer dem Kriegshandwerk nichts gelernt haben. Auch Frauen und Kinder, die mit den Soldaten gezogen waren, müssen ins zivile Leben in­ tegriert werden. Das Marodeurwesen bleibt noch lange virulent, hier und dort müssen Truppen zur Bekämpfung von Räuberban­ den abgestellt werden. Die alte Kaisermacht verblasst, gestärkt ge­ hen nur die Territorialfürsten aus dem jah­ relangen Ringen hervor. Das deutsche Reich ist politisch in über 300 souveräne staatliche Einheiten zersplittert und daher dem Ein­ fluss ausländischer Mächte ausgeliefert. Ei­ ner der Gewinner des Westfälischen Friedens ist Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Große Kurfürst. Er gewinnt Hinterpom­ mern, die Bistümer Cammin, Halberstadt und Minden sowie die Anwartschaft auf das Bistum Magdeburg. Seine langjährige Herrschaft, die von 1640 bis 1688 währt, stützt sich auf Schaffung und Ausbau eines stehenden Heeres und einen straff organi­ sierten Verwaltungsapparat mit staatstreuer Beamtenschaft. Um die heimische Wirtschaft und den Handel zu beleben, nimmt der Re­ gent zudem 20 000 aus Glaubensgründen geflohene französische Hugenotten in sein Reich auf. Im Schul- und Ausbildungswesen gilt das Ideal der strengen Erziehung. Durch Diplomatie und militärisches Geschick legt Friedrich Wilhelm von Brandenburg den Grundstein für den Aufstieg Preußens zu einer europäischen Großmacht. D 28 Die Kaiserlichen behalten in der Schlacht bei Wimpfen 1622 die Oberhand (Matthäus Merian d. Ältere, 17. Jh.). 29