Europas Sprung in die Neuzeit

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VON 1492 BIS 1648
Europas Sprung
in die Neuzeit
in Interessensphären aufteilen und ausbeuten. Die Völker der Neuen Welt und Afrikas
bezahlen diesen Aufstieg mit Entrechtung und gnadenloser Dezimierung. In Europa
bereiten bahnbrechende Erkenntnisse eines Galilei der modernen Wissenschaft den
Boden. Die konfessionelle Spaltung Europas durch den Siegeszug der Reformation entlädt
sich ab 1618 im Dreißigjährigen Krieg, der große Teile Mitteleuropas entvölkert und verwüstet.
Die moderne 20-bändige „Große Weltgeschichte“ präsentiert die Geschichte unserer Welt
präzise, leichtverständlich und streng chronologisch. Genaue Einzelinformationen
und verständliche Zusammenhangs- und Spezialdarstellungen mit über 8000
Abbildungen machen die Vergangenheit inhaltlich und visuell erfahrbar. Je drei Bände
beschreiben die Vor – und Frühgeschichte, die Antike und das Mittelalter. Der Zeitraum von
der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wird in fünf, das 20. Jahrhundert
bis zur Gegenwart in sechs Bänden behandelt.
ISBN 978-3-902016-84-3
9 7 83 902 01 6843
Titelbild: Unterschrift Galileo Galileis; Copyright: corbis
Europas Sprung in die Neuzeit
Die Königreiche Spanien und Portugal werden zu Weltmächten, indem sie den Globus
WELTGESCHICHTE VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART
W E LT G E S C H I C H T E V O N D E N A N F Ä N G E N B I S Z U R G E G E N W A R T
10
NO- 10
Überblick
1492 – 1648
Europas Sprung in die Neuzeit
Die Königreiche Spanien und Portugal werden zu Weltmächten, indem sie den
Globus in Interessensphären aufteilen und konsequent ausbeuten. Diesen
Aufstieg bezahlen die Völker der Neuen Welt und Afrikas mit Entrechtung und
gnadenloser Dezimierung. In Europa bereiten die bahnbrechenden Erkenntnisse
etwa eines Galilei der modernen Wissenschaft den Boden. Die konfessionelle
Spaltung Europas durch den Siegeszug der Reformation entlädt sich ab 1618 im
Dreißigjährigen Krieg, der große Teile Mitteleuropas entvölkert und verwüstet.
Z
u Beginn des 16. Jahrhunderts ruft der
Einvernehmliche Aufteilung
deutsche Humanist Ulrich von Hutten
der Einflusssphären
begeistert aus: »Oh Jahrhundert! Oh Wis­
senschaften! Es ist eine Lust zu leben...« In
der Tat werden die Zeitgenossen Zeugen so
en Beginn der Neuzeit markieren zwei
epochaler und glanzvoller Entwicklungen wie
epochale Ereignisse des Jahres 1492,
dem Wandel des abendländischen Weltbildes die sich beide unter der Herrschaft des ka­
durch den Humanismus, der Ausbreitung der tholischen Königspaars von Spanien, Isa­
Luther’schen Reformation in Europa und der bella I. und Ferdinand II., ereignen. Zum
Vollendung der Renaissance. Der Astronom einen endet mit der Einnahme Granadas die
Nikolaus Kopernikus entwickelt seine Leh­ Reconquista, die bereits im 8. Jahrhundert
re, das Universalgenie Leonardo da Vinci begonnene Rückeroberung der Iberischen
erschafft seine »Mona Lisa«, Michelangelo Halbinsel von den Mauren. Zum anderen ge­
beginnt mit der Ausmalung der Sixtinischen lingt dem unter spanischer Flagge segelnden
Kapelle, Matthias Grünewald vollendet den Genuesen Christoph Kolumbus die Entde­
Isenheimer Altar. Die kühne Umsegelung der ckung Amerikas. Der Besitz der riesigen Ge­
Welt durch Magellan liefert
biete jenseits des Atlantiks
den empirischen Beweis,
ist jedoch alles andere als
Der Humanismus und epochadass die Erde keine Schei­
unumstritten, denn auch
le Leistungen in Kultur und
be ist. Auch in politischer
Portugal, das Christoph
Wissenschaft bewirken einen
Hinsicht ist es eine be­
Kolumbus einige Jahre zu­
Wandel des Weltbildes.
wegte Zeit. In Italien üben
vor die finanziellen Mittel
sich Päpste in höchst welt­
für eine Atlantikpassage
licher Machtpolitik. Im krisengeschüttelten verweigert hatte, befindet sich auf dem bes­
Deutschland rebellieren die Bauern, zugleich ten Wege, sein Einflussgebiet weit über die
erlangen schwerreiche Handelsdynastien wie Weltmeere auszudehnen.
die Augsburger Fugger und Welser, die mit
Da Portugal sich seine Rechte über die
ihren Finanzkrediten Kaiserwahlen entschei­ afrikanische Atlantikküste bereits 1455
den, einen beträchtlichen Einfluss auf die von Papst Nikolaus V. hatte bestätigen las­
Reichspolitik. In Russland regiert der erste sen – wodurch die andalusischen Seefahrer
Zar, Frankreichs und Englands Renaissance­ den Zugang zu der Region vom Kap Boja­
könige wissen Kriege und Intrigen meisterlich dor bis Guinea verloren –, beeilen sich die
zur Mehrung ihres Einflusses zu nutzen.
katholischen Regenten von Spanien, ihre
D
12
Ein neues Weltbild: Uhrwerkgetriebenes Planetarium nach Kopernikus und Kepler (Andreas Bosch, 1657)
13
1492 – 1648
Europas Sprung in die Neuzeit
Herrschaftsansprüche auf die von Kolum­
bus entdeckten Gebiete rechtskräftig zu un­
termauern. 1493 legt Papst Alexander VI. in
der Bulle »Inter caetera« eine 480 km west­
lich der Kapverdischen Inseln verlaufende
Seegrenze fest und spricht alle westlich die­
ser Linie liegenden Gebiete der kastilischen
Krone zu. Durch den Einspruch des por­
tugiesischen Regenten, König Johann II.,
wird diese Demarkationslinie im folgenden
Jahr in zähen Verhandlungen bis auf Höhe
des 46. Grades westlicher Länge ausgedehnt
und im Vertrag von Tordesillas (1494) festge­
schrieben. Nur dank seiner unnachgiebigen
Haltung ist Portugal wenige Jahre später in
der Lage, sich ebenfalls in der Neuen Welt
festzusetzen und die Ostküste Brasiliens in
Besitz zu nehmen.
Als es kurz darauf erneut zu Interessenskon­
flikten zwischen den beiden iberischen Mäch­
ten kommt, diesmal im indonesischen Raum,
wird die Vereinbarung von Torde­sillas durch
den Vertrag von Saragossa ergänzt, der nun
auch eine östliche Seescheide definiert. Ihre
Grenze verläuft zwischen der Insel Guam und
dem restlichen Archipel der Marianen. Eine
gewaltsame Konfrontation zwischen Spanien
und Portugal wird zwar durch die beiden
Vertragswerke vermieden, allerdings ist nun
die ganze Erde – wenigstens theoretisch – in
Die Eroberung Perus durch die Spanier unter Francisco Pizarro (kolor. Kupferstich, Theodor de Bry, 16. Jh.)
14
eine spanische und eine portugiesische In­
teressensphäre aufgeteilt; sehr zum Ärger
anderer europäischer Staaten wie England,
Frankreich oder den Niederlanden, die sich
darüber bitter beim Papst beschweren und
beide Verträge nicht anerkennen.
Neue Untertanen der
spanischen Krone
D
ie Entdeckung Amerikas ist eine
Epochenwende: Im alten Europa
markiert sie den Beginn einer langen Pha­
se der Prosperität. Für die Ureinwohner
Nord-, Mittel- und Südamerikas erweist
sich die Ankunft der Weißen hingegen als
größte Katastrophe in der Geschichte des
Kontinents. Dabei sind die »Entdecker«
(eines schon seit Jahrtausenden besiedelten
Kontinents) anfangs durchaus nicht bösen
Willens, zumal sie freundlich empfangen
werden. Der Auftrag des spanischen Kö­
nigspaares an Kolumbus lautet allerdings,
Gold oder anderweitige Schätze zu finden,
denn die Rückeroberung der Iberischen
Halbinsel von den muslimischen Herr­
schern hat große Summen verschlungen.
Der spanische Staatshaushalt ist nahezu
ruiniert. Gleichzeitig betrachtet das ka­
tholische Königspaar den Vorstoß in neue
Erdregionen als Fortsetzung der Kreuzzüge
mit anderen Mitteln: Die christlichen Ent­
decker sollen das Wort Gottes in die Welt
tragen. Im Unterschied zu den Schwarz­
afrikanern gelten die Ureinwohner Ameri­
kas, die »Indios«, jedoch nicht als »Wilde«,
sondern vielmehr als neue »Untertanen«
eines katholischen spanischen Großreichs.
Um ihren gehobenen Status zu unterstrei­
chen, wird 1500 ein Gesetz erlassen, dass
den Sklavenhandel mit Indianern im spa­
nischen Mutterland verbietet und die Indi­
anersklaven sogar für frei erklärt.
In der Neuen Welt liegen die Dinge freilich
anders. Spätestens auf seiner dritten Ame­
rikareise muss sich Kolumbus 1499 einge­
stehen, dass die Antillen nicht die erhofften
Goldschätze bergen und dass von den In­
dianern auch keine Tributzahlungen zu er­
warten sind. Er teilte deshalb jedem Spanier,
der sich zur Auswanderung entschlossen hat,
Indianer als Arbeitskräfte zu, um wenigstens
eine profitable, am Export orientierte Land­
wirtschaft aufzubauen. Dieses unter Königin
Isabella entstandene System der »encomien­
da«, der organisierten Zwangsarbeit, wirkt
sich auf die spanische Siedlungskolonisation
verstärkend aus.
Die Sklaverei fordert in Amerika unzählige
Todesopfer, vor allem unter der Bevölkerung
der Antillen, deren Zahl rapide sinkt. Dem
Engagement eines Missionars namens Bar­
tolomé de Las Casas, der später den Titel
»Apostel der Indianer« erhält, ist es zu ver­
danken, dass sich der Rechtsstatus der In­
dianer durch eine Gesetzesreform von 1512
ein wenig bessert. Im Jahr 1542 – die Zahl
der amerikanischen Ureinwohner ist bereits
rapide gesunken – wird die Versklavung von
Indianern nach langem Hin und Her grund­
sätzlich unter Strafe gestellt. An der Entrech­
tung und Versklavung von Afrikanern ändert
das Reformgesetz freilich nichts. Sie nimmt
im Gegenteil sogar an Schärfe zu.
Untergang der Azteken und Inka
O
bgleich die Goldfunde in der Neuen
Welt im Vergleich zu den hochge­
steckten Erwartungen der Europäer relativ
unbedeutend sind, hält sich hartnäckig die
Sage von einem »Eldorado«, einem sagen­
haften »Land des Goldes« im unzugäng­
lichen Inneren der Neuen Welt. Auf der
Suche nach diesem mystischen Ort löschen
die spanischen Konquistadoren innerhalb
15
Europas Sprung in die Neuzeit
weniger Jahre die indianischen Großreiche nicht um geografische Entdeckungen, son­
der Azteken (1521) und Inka (1533) aus und dern ausschließlich um Profit, Gold und
vernichten damit zwei der bedeutendsten Macht.
Hochkulturen Altamerikas. Es vollzieht sich
Auf die Konquistadoren folgen Missionare.
ein geradezu ungeheuerlicher Völkermord. Jesuiten und Franziskaner gründen Missions­
Obwohl zahlenmäßig weit überlegen, hat die stationen, um aus den Indianern treue und
indianische Urbevölkerung den berittenen glaubensfeste Untertanen der katholischen
Eroberern mit ihren Rüstungen und Schuss­ Könige zu machen. Zugleich lassen die un­
waffen nichts entgegenzusetzen. Zum einen erschöpflich scheinenden Reichtümer aus der
haben die indianischen Hochkulturen ihre Neuen Welt Spanien zur weitaus stärksten
Blütezeit bereits hinter sich, zum anderen nei­ Macht des 16. Jahrhunderts aufsteigen. Erst
gen die Eingeborenen dazu, die Eroberer mit als die große spanische Armada gegen Eng­
ihrer weißen Haut und den seltsamen Bärten land ausgesandt wird – aus Verärgerung über
in die Nähe von Göttern zu rücken. Denn sie die englische Unterstützung der rebellischen
kommen nicht nur über das unendliche Meer, Niederlande und die Hinrichtung Maria Stu­
sie reiten auch auf unbekannten Tieren, den arts – und 1588 eine verheerende Niederlage
Pferden, und sie tragen Furcht einflößende erleidet, neigt sich das »spanische Jahrhun­
Feuerwaffen, die einen Menschen wie durch dert« langsam seinem Ende entgegen.
Zauberhand auf große Distanz verwunden
oder sogar töten können.
Durchbruch im Osten –
Zahllose Indianer werden von den Kon­
der
Seeweg nach Indien
quistadoren umgebracht, andere fallen der
Zwangsarbeit oder eingeschleppten Krank­
heiten zum Opfer. Da die Domestikation
evor Christoph Kolumbus in den Dienst
von Tieren in beiden Teilen des amerika­
der spanischen Krone getreten war, hatte
nischen Doppelkontinents noch so gut wie er lange Jahre versucht, den portugiesischen
unbekannt ist, haben die Indianer gegen alle Hof für sein Unternehmen zu gewinnen. Sei­
Krankheiten, die ursprünglich von Haustie­ ne unermüdlichen Interventionen zwischen
ren stammen – etwa Masern, Pocken und 1476 und 1485 waren gescheitert, aber im­
Grippe – keinerlei Abwehrkräfte. Zu Milli­ merhin hatte er sich in dieser Zeit die nöti­
onen sterben sie an Infek­
gen Navigationskenntnisse
tionen, die für Europäer
für seine Atlantikpassage
Nach der erfolgreichen Entvergleichsweise harmlos
erworben. Das entschei­
deckungsfahrt der Spanier im
sind. Leben 1519 bei der Westen setzt Portugal alles auf
dende Wissen verdankte
Ankunft der Spanier in
er erfahrenen Seeleuten
seine große Indienexpedition.
Zentralmexiko noch rund
aus Lissabon und von den
25 Mio. Ureinwohner,
Azoren. Portugals ganz
sind es etwa 100 Jahre später gerade noch dem Atlantik zugewandte Lage, seine exzel­
eine Million. Ganze Stämme und Völker lenten Häfen, die durch Kastilien begründete
– wie die Kariben auf den Kleinen Antillen Beschränkung der Expansion im Landesin­
– werden ausgerottet. In einer Mischung neren und das Ende der arabischen Besat­
aus Sendungsbewusstsein, Stolz, Brutali­ zung begünstigten den Entdeckungsdrang
tät und Habgier geht es Konquistadoren der portugiesischen Seefahrer. Schon früh
wie Hernán Cortés oder Francisco Pizarro hatten sie den Atlantik in nördlicher Rich­
B
16
1492 – 1648
Vasco da Gamas Ankunft in Calicut; der Entdecker findet den Seeweg nach Indien (fläm. Wandteppich, 16. Jh.).
tung erkundet und eine Fangflotte aufgebaut.
Unter Prinz Heinrich dem Seefahrer waren
sie in den Jahren vor 1460 an der westafrika­
nischen Küste weit nach Süden vorgedrun­
gen, hatten erst den Äquator und später sogar
das Kap der Guten Hoffnung erreicht.
Nach der erfolgreichen Atlantikfahrt unter
spanischer Flagge wird die Erforschung eines
Seewegs nach Indien auch in Portugal ener­
gisch vorangetrieben; allerdings entscheiden
sich die Portugiesen für den östlichen Kurs.
Die große Indienexpedition wird mit größter
Sorgfalt vorbereitet, geht es doch um ein Un­
ternehmen, das politisch und wirtschaftlich
von größter Tragweite ist. Mit der Leitung
betraut König Emanuel I., der Glückliche,
der als einer der bedeutendsten Regenten
Portugals in die Geschichtsbücher eingehen
wird, den Edelmann Vasco da Gama. Mit
drei Schiffen und rund 160 Seeleuten sticht
da Gama im Juli 1497 von Lissabon aus in
See, im November erreicht seine kleine Flotte
die Sankt-Helena-Bucht an der Westküste
Südafrikas. Entscheidende Dienste erweist
ihm ein arabischer Lotse, der ihn mit seinen
hervorragenden Navigationskenntnissen über
den Indischen Ozean leitet. Am 20. Mai 1498
erreicht da Gama den indischen Handelsha­
fen Calicut, einen zentralen Umschlagplatz
für Gewürze und andere begehrte Han­
delswaren. Das heutige Kozhikode wird
allerdings zu dieser Zeit vollständig von
muslimischen Kaufleuten dominiert. Daher
gelingt es da Gama nicht, eine portugiesische
Handelsniederlassung zu gründen. Dennoch
leitet seine epochale Seereise eine Epoche
ein, in der sein Land durch eine Vielzahl er­
folgreicher Entdeckungsfahrten seine größte
17
1492 – 1648
Europas Sprung in die Neuzeit
Machtentfaltung und auch einen enormen
Wohlstand erlangt. Im September 1499 wird
dem Entdecker in Lissabon ein triumphaler
Empfang bereitet.
Aufstieg Portugals zur Weltmacht
I
m März 1500 bricht eine große Flotte von
13 Schiffen mit rund 1800 Männern in
Portugal auf, um auf der neuen Route nach
Indien zu gelangen. Zum Befehlshaber der
zweiten königlich-portugiesischen Indien­
expedition wird der Adlige Pedro Álvares
Cabral ernannt, der seine Karriere am Hof
als Mitglied der königlichen Leibgarde be­
gonnen hatte. Ein prominenter Teilnehmer
dieser Expedition ist der Seefahrer Bartolo­
Portugals »Denkmal der Entdeckungen« mit Heinrich
dem Seefahrer (Lissabon, Torre de Belém, 1960)
18
meu Diaz, der 1488 als Erster das Kap der
Guten Hoffnung umsegelt hatte. Unterwegs
werden die Schiffe vom Äquatorialstrom so
stark nach Westen verdriftet, dass sie an der
Küste des heutigen Brasiliens landen – so je­
denfalls lautet die offizielle Version. Nicht we­
nige Historiker werden später die These ver­
treten, dass Cabral bewusst und im Auftrag
des Königs nach Westen steuert. Unbestritten
ist, dass er das Gebiet als »Land des Heiligen
Kreuzes« für die portugiesische Krone in Be­
sitz nimmt. Während eines der Schiffe nach
Portugal zurückkehrt, um die Nachricht von
den territorialen Erwerbungen an den Hof
zu bringen, segelt Cabral mit dem Rest der
Flotte nach Asien. In Calicut wird er wenig
freundlich empfangen, da die um ihren In­
dienhandel bangenden arabischen Händler
den dortigen Herrscher gegen die Europäer
aufgewiegelt hatten. Nach kurzen Kämpfen
mit einigen Dutzend Opfern zieht die Flotte
nach Cochin, wo Cabral im Auftrag des Kö­
nigs die beiden ersten portugiesischen Han­
delsniederlassungen in Indien gründet.
In der Folge konzentrieren sich die Por­
tugiesen darauf, das Erreichte auszubauen
und Beziehungen zu knüpfen. Bis 1502 folgen
vier weitere Indienexpeditionen. Die letzte
vertraut man noch einmal Vasco da Gama
an, der dem König von Calicut den Krieg
erklärt und weitere Handelsstützpunkte er­
richtet. Diejenigen Schiffe, die nicht unter­
wegs in schwerer See verloren gehen, keh­
ren mit Gewürzen und anderen exotischen
Handelswaren reich beladen nach Lissabon
zurück. Um den lukrativen Handel mit dem
Osten zu sichern, erobern die Portugiesen
bis 1518 Goa, Diu und Bombay, Malakka
und die Molukken, gleichzeitig gründen sie
Stützpunkte im heutigen Sri Lanka und auf
Java und entsenden Kundschafter nach In­
dochina, Malaysia und China. Eine weitere
epochale Entdeckungsfahrt gelingt dem
Portugiesen Fernão de Magellan 1519–1521
Landkarte der Molukken-Gewürzinseln aus dem Jahr
1563. Gewürze sind ein enorm wertvolles Handelsgut.
mit der ersten Weltumseglung. Zugleich wird
unter König Johann III. die Erschließung
Brasiliens in Südamerika vorangetrieben.
Spanien unterwirft Portugal
D
urch verschiedene Monopole, etwa
auf die Pfeffereinfuhr nach Europa,
kontrolliert die portugiesische Krone die
Handelspreise und gelangt zu unermess­
lichem Reichtum. In Brasilien bauen por­
tugiesische Siedler erstmals Zuckerrohr an.
Da die Indianer den harten Arbeitsbedin­
gungen auf den Plantagen nicht gewachsen
sind, bringen die Eroberer über ihre Häfen
an der afrikanischen Westküste schwarze
Sklaven nach Südamerika. Die anderen
Kolonialmächte tun es ihnen nach. Aus
der Kolonisation der Neuen Welt durch die
Europäer entsteht ein Menschenhandel mit
afrikanischen Ureinwohnern, der bis weit in
die Moderne anhält. Allerdings kommt es
auch zu wachsenden Spannungen zwischen
den iberischen Mächten.
Nach dem Tod König Heinrichs erneuert
Spaniens Monarch Philipp II. seinen An­
spruch auf den portugiesischen Thron. Er
lässt Truppen in das Nachbarland einmar­
schieren und verkündet 1580 die spanischportugiesische Personalunion, die bis 1640
Bestand haben wird. De facto bedeutet dies
die Annexion Portugals und seines gesamten
Kolonialreiches. Im Ostindienhandel geht
seine einstige Vormachtstellung relativ rasch
auf Holland und vor allem England über.
Portugal, das vor weniger als einem Jahr­
hundert zu einer führenden Kolonial- und
Wirtschaftsmacht geworden war, findet sich
plötzlich als Vasallenstaat wieder.
Während Spanien und Portugal im Sü­
den des amerikanischen Doppelkontinents
noch immer die unangefochtene Vormacht
ausüben und weiterhin Handelsstationen
und Verwaltungsinstitutionen gründen, er­
wächst in Nordamerika mit Frankreich und
England Konkurrenz. Diese aufstrebenden
Großmächte versuchen – als Alternative zu
den von Portugal beherrschten Seerouten
um das Kap der Guten Hoffnung – einen
nördlichen, kürzeren Seeweg nach Indien
und China zu finden. Eine Frucht dieser Be­
mühungen ist die genauere Erforschung der
nordamerikanischen Küste. Im Jahr 1534
erreicht der französische Seefahrer Jacques
Cartier den St.-Lorenz-Golf und nimmt
Kanada für Frankreich in Besitz. In den
Jahren von 1535 bis 1541 erkundet er den
St.-Lorenz-Strom, wobei er das Landesin­
19
1492 – 1648
Europas Sprung in die Neuzeit
Der Reformator Martin Luther fordert Rom heraus
(Lutherdenkmal in Wittenberg, Deutschland).
nere bis Montreal erforscht. Leicht verspätet,
aber umso energischer beginnt die britische
Kolonialgeschichte in Nordamerika im Jahr
1607 mit der Gründung von Jamestown im
späteren Bundesstaat Virginia.
Kirchenstreit in Deutschland –
Spaltung der Christenheit
D
ie Verweltlichung der Kirche, ihr
Reichtum und das üppige Leben der
höheren Geistlichkeit fordern zu Beginn des
16. Jahrhunderts die fromme Mehrheit der
Bevölkerung heraus. Die römische Kurie ist
20
zu einem Fürstenstaat unter vielen geworden.
Der Ablasshandel erteilt die Absolution ge­
gen bare Münze. Auslöser der Reformation
in Deutschland, die den Prozess der Glau­
bensspaltung und der Entstehung eigenstän­
diger Konfessionen neben der katholischen
Kirche einleitet, ist die Veröffentlichung der
95 Thesen gegen den Ablasshandel durch
Martin Luther am 31. Oktober 1517. Nach
Luthers Auffassung kann der Mensch das
Heil nur durch den Glauben erreichen. Allein
die Heilige Schrift, keine anderen Glaubens­
sätze, seien für den Gläubigen verbindlich.
Eine Vermittlung des Klerus zwischen dem
Gläubigen und Gott sei nicht erforderlich.
Die Anhänger der reformatorischen Bewe­
gung rekrutieren sich aus allen Schichten der
Gesellschaft. Vielfach verbinden sich mit dem
reformatorischen Gedankengut soziale und
revolutionäre Forderungen, etwa während
der Bauernkriege 1524/25 in Deutschland.
Als Luthers – an Bauern und Fürsten gerich­
tete – Ermahnung zur Einhaltung des Frie­
dens nicht fruchtet, schlägt sich der Reforma­
tor auf die Seite der Autoritäten und zieht sich
damit die Verachtung vieler Humanisten zu.
In der Folgezeit konvertieren viele Territori­
alherren zu dem neuen Bekenntnis. Nicht nur
aus religiösen Gründen: Durch Übernahme
ehemals kirchlicher Besitzungen und die Ein­
führung des »landesherrlichen Kirchenregi­
ments« – wonach die Geistlichen vom Lan­
desherrn eingesetzt werden und kirchlicher
Besitz von ihm verwaltet wird – können die
protestantischen Fürsten ihre Machtstellung
gegenüber der Zentralgewalt des Reiches be­
trächtlich stärken. Unter der Führung Hes­
sens und Kursachsens schließen sich 1531 die
evangelischen Reichsstände zum Schmalkal­
dischen Bund zusammen. Die Versuche Kai­
ser Karls V., die Religionseinheit zu retten,
scheitern sämtlich.
Mit dem Augsburger Religionsfrieden
(1555) wird die Existenz zweier Religionen
im Reich anerkannt. Nach dem Grundsatz
»cuius regio, eius religio« (wessen Herrschaft,
dessen Religion) bestimmen fortan die Fürs­
ten oder Landesherren über die Konfession
eines Territoriums. Untertanen, die einem
anderen Bekenntnis angehören, erhalten al­
lerdings – sofern es sich nicht um Leibeigene
handelt – das Recht, in ein Territorium ihres
Glaubens auszuwandern. Die Glaubensspal­
tung des Heiligen Römischen Reiches ist da­
mit endgültig festgeschrieben.
Reformation überzieht Europa
D
ie Reformation bleibt nicht auf Deutsch­
land beschränkt, sie findet Anhänger
auch in anderen Teilen Europas. Der Pfarrer
Huldrych Zwingli setzt seit 1519 in Zürich
eine reformatorische Richtung durch, die
sich von Luthers Lehre vor allem durch die
konsequentere Ablehnung der kirchlichen
Zeremonien und Kultformen – insbesonde­
re des Abendmahls – unterscheidet. In Genf
propagiert der gebürtige Franzose Johannes
Calvin seit 1536 eine besonders rigide Glau­
benspraxis. Sein Ziel ist es, das Leben voll­
kommen zu verchristlichen. Calvin vertritt
strenge moralische Grundsätze, u. a. verbietet
er Tanz und Glücksspiel. Seine Lehre ist von
der Vorstellung durchdrungen, dass der äu­
ßere Reichtum eines Menschen auf Erden
über sein Heil nach dem Tod entscheidet.
Der Calvinismus greift von Genf aus nach
Frankreich, Schottland, den Niederlanden,
Polen, Ungarn und Südwestdeutschland
über. In Frankreich werden die Anhänger
des Calvinismus, die Hugenotten, von der
Krone unterdrückt und blutig verfolgt. Allein
in der auch als »Pariser Bluthochzeit« bezeich­
Mahnung zum Frieden: Der Papst, Calvin und Luther gemeinsam am Tisch (niederl. Gemälde, anonym, 17. Jh.)
21
Europas Sprung in die Neuzeit
neten Bartholomäusnacht des Jahres 1572
lässt die Königsmutter Katharina de Medici
etwa 8000 Hugenotten kaltblütig ermorden.
Beendet werden die blutigen Glaubenskämpfe
in Frankreich erst unter dem zum Katholizis­
mus konvertierten Hugenotten Heinrich von
Navarra, der 1598 als König Heinrich IV.
das Edikt von Nantes erlässt. Es gewährt den
Hugenotten Gewissensfreiheit sowie Besitz­
standswahrung und gesteht ihnen die Abhal­
tung eigener Gottesdienste zu.
Ein Sonderfall ist die englische Reforma­
tion, die von Beginn an eher eine politische
denn eine theologische Bewegung ist. König
Heinrich VIII., durch seine Hochzeit mit
Katharina von Aragonien ein Schwieger­
sohn der katholischen Könige von Spanien,
löst die englische Kirche in einer Reihe von
legalen Akten immer stärker von Rom ab,
obgleich er persönlich durchaus gläubiger
Katholik ist. Ursache dieser Entwicklung ist
Heinrichs Wunsch, seine Ehe mit Katharina,
die ihm den ersehnten männlichen Nachfol­
ger nicht geboren hatte, aufzulösen. Als Papst
Klemens VII. auf Druck des deutschen Kai­
sers eine Annullierung der Ehe ablehnt und
Heinrich sie daraufhin durch den von ihm
ernannten Erzbischof von Canterbury für
nichtig erklären lässt, ist eine wichtige histo­
rische Weiche in der kirchenpolitischen Ent­
wicklung Englands mit ihrer ausgeprägten
Tendenz zum Nationalkirchentum gestellt.
Indien – Schmelztiegel der Kulturen
A
uf dem indischen Subkontinent legt der
Sieg Baburs über den Sultan von Delhi
bei Panipat (1526) den Grundstein für das
mächtige Mogulreich. Die Dynastie mon­
Der prachtvolle Königspalast in Fatehpur Sikri nahe Agra wird unter Großmogul Akbar im 16. Jh. erbaut.
22
1492 – 1648
golisch-türkischer Abstammung hat bis gulkaiser wie den Tadsch Mahal, ein Mauso­
1858 Bestand. Babur, ein fähiger Feldherr leum, das Großmogul Schah Dschahan zum
und literarisch gebildeter Mann, bringt von Andenken an seine 1631 verstorbene Lieb­
Afghanistan aus den Pandschab und das lingsfrau Mumtaz Mahal errichten lässt. Das
nordwestliche Gangesgebiet in seine Ge­ weltberühmte Prachtgebäude, das in seiner
walt. Baburs Enkel Akbar schafft zunächst Form an safawidisch-persische Traditionen
einen hochwirksamen Verwaltungsapparat anknüpft, in seiner Ausstattung aber den Stil
mit einer Hierarchie von 33 Stufen. Bei den der Mogul-Dynastie verrät, zählt heute zum
Abgaben, die er den Bauern abverlangt, be­ Weltkulturerbe der Menschheit.
rücksichtigt er deren wechselnde Erträge.
Akbar dehnt bis zu seinem Tod 1605 das
Niederländischer
Herrschaftsgebiet der muslimischen Mo­
Unabhängigkeitskrieg
guln (von persisch: mughul, »Mongole«) über
Nordindien, Kaschmir, Bihar, Bengalen,
Orissa und einen großen Teil des Dekhans
ie Zustimmung Kaiser Karls V. zum
aus. Indien gerät dadurch unter den Einfluss
Augsburger Religionsfrieden von 1555
islamischer Lebensgewohnheiten und wird war ein Akt der puren Staatsräson, ohne
gleichzeitig Schauplatz der Verschmelzung jegliche innere Überzeugung. Unzufrieden
persischer, hinduistischer und europäischer darüber, dass es ihm nicht gelungen ist, die
Traditionen.
konfessionelle Spaltung seines Riesenreiches
Großmogul Akbar, auch er ein liberaler rückgängig zu machen, dankt er 1556 ab. Die
und weltoffener Herrscher, versammelt an Kaiserkrone und die österreichischen Länder
seinem Hof Adelige, Maler und Dichter, vermacht er seinem Bruder Ferdinand II.,
aber auch muslimische Theologen, Brah­ sein Sohn Philipp II. erhält außer Spanien
manen und portugiesische Missionare aus die Königreiche Sizilien, Neapel und Sardi­
Goa. Die Hofsprache ist
nien, das Herzogtum Lom­
Persisch. Aus ihrer Vermi­
bardei, die Freigrafschaft
In Indien verschmelzen unter
schung mit nordindischen
Burgund, alle spanischen
den Moguln persische, hinDialekten entsteht Urdu,
Kolonien in Übersee und
duistische, muslimische und
die heutige Staatssprache
die Spanischen Niederlan­
europäische Traditionen.
Pakistans. Um die Völker
de. Damit ist die Spaltung
und Religionen seines Rei­
des Habsburgerhauses in
ches miteinander auszusöhnen, stiftet Akbar eine österreichische und eine spanische Linie
eine Einheitsreligion, die hinduistische, isla­ vollzogen. Zugleich sind die Weichen für den
mische, christliche und parsische Elemente Freiheitskampf der Niederlande gestellt.
enthält. Zugleich fördert er den Handel und
Denn während Karl V. die Protestanten zu­
lässt Bibliotheken und Schulen errichten. Die letzt immerhin geduldet hat, geht sein Sohn
Miniaturmalerei der Mogulschule ist weithin erneut entschlossen gegen die »Ketzer« vor.
bekannt. Akbar lässt die Residenz Fatehpur Angeführt von Adligen wie dem Graf von
Sikri errichten. Die neben Delhi und Agra Hoorn, dem Graf von Egmont und dem Graf
dritte Mogulhauptstadt, in der bedeutende von Nassau, Wilhelm I. von Oranien, bildet
Bauwerke entstehen, wird allerdings 1585 sich in den Niederlanden eine breite Wider­
wegen Wassermangels aufgegeben. Besucher standsbewegung gegen die absolutistische
staunen heute über die Prachtbauten der Mo­ Herrschaft des spanischen Habsburgers.
D
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Europas Sprung in die Neuzeit
Als die Aufständischen 1566 den »Geusen­
bund« gründen, einige katholische Kirchen
zerstören und in einer Bittschrift an den Kö­
nig größere politische und religiöse Rechte
fordern, kommt es zur Eskalation. In die re­
bellische Provinz schickt Philipp II. den be­
rüchtigten Herzog von Alba, der sogleich ein
Sondergericht einrichten lässt, den »Blutrat
von Brüssel«, dem kaum einer der Vorge­
aushandeln, gründen die sieben reformierten
Nordprovinzen 1579 die Utrechter Union,
einen »ewigen Bund« gegen alle äußeren
Feinde und jeden Versuch, ihre Freiheits­
rechte zu beschneiden. Als der spanische
König daraufhin Wilhelm von Oranien äch­
tet, rufen die Aufständischen in den Nieder­
landen 1581 im Gegenzug die »Vereinigten
Generalstaaten« ins Leben, die sich selbst für
unabhängig und den spanischen Habsbur­
gerkönig für abgesetzt erklären.
Als ein fanatischer Katholik im Jahr
1584 – einem Aufruf König Philipps II. fol­
gend – Wilhelm von Oranien ermordet, geht
dessen Amt auf seinen Sohn über. Moritz von
Oranien erweist sich in den folgenden Jahren
als ein erfolgreicher Stratege und Feldherr,
der die Spanier Schritt für Schritt aus dem
Land verdrängt und damit die faktische Un­
abhängigkeit der Niederlande besiegelt, lange
bevor sie 1648 im Westfälischen Frieden auch
formal bestätigt wird.
Neue Kolonialmächte kommen hinzu –
der Kampf um die Weltmeere
W
Der Tod König Philipps II. von Spanien leitet den Niedergang seines Weltreichs ein (undat. Gemälde).
ladenen lebend entkommt. Tausende fallen
Albas sechsjähriger Schreckensherrschaft
zum Opfer, darunter auch die Grafen von
Egmont und Hoorn. 1572 kommt es unter
Wilhelm von Oranien zu einem bewaffneten
Aufstand auf breiter Front.
Während die überwiegend katholischen
Südprovinzen der Spanischen Niederlan­
de – das spätere Belgien – 1577 mit den spa­
nischen Fremdherrschern einen Kompromiss
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ährend die Niederländer um ihre natio­
nale Unabhängigkeit kämpfen, toben
vor den Küsten Europas, Asiens, Afrikas und
Amerikas kaum weniger erbitterte Streitig­
keiten, in denen es um Territorien, Rohstoffe
und geraubte Schätze geht. Angesichts der
päpstlichen Aufteilung der Erde in eine
spanische und eine portugiesische Interes­
sensphäre fordern auch andere europäische
Mächte wie England, Frankreich – bald auch
die Niederlande und Schweden – das Recht
auf Vertretung eigener Territorialinteressen
in Übersee. Da die spanische Armada den
Flotten anderer europäischer Staaten an
Größe deutlich überlegen ist, scheuen sich vor
allem die Engländer nicht, mit den Mitteln
der Piraterie wenigstens einen Teil der unge­
1492 – 1648
heuren Reichtümer aus der Neuen Welt zu die zu dieser Zeit ohne Beispiel ist. Kaufleute
ergattern. Zum wohl berühmtesten Piraten residieren wie Fürsten und lassen ihren re­
der Neuzeit entwickelt sich der englische präsentativen Lebensstil von Meistern der
Admiral Sir Francis Drake, der im Auftrag bildenden Kunst verewigen – eine neue Qua­
Seiner Majestät zahlreiche Kaperfahrten lität bürgerlichen Daseins und Selbstbewusst­
nach Westindien unternimmt und sich dabei seins. Auch die Engländer sind nach ihrem
zum Schrecken der spanischen Schifffahrt Sieg über die spanische Flotte alles andere
entwickelt. Wie andere Freibeuter wird auch als tatenlos. Sowohl in Südostasien wie auch
er vom englischen Königs­
in Nordamerika legen sie
haus in den Adelsstand er­
die ersten Fundamente für
Niederländische Kaufleute
hoben.
ihr späteres britisches Im­
prägen einen repräsentativen
Die anhaltenden Kon­
perium. Der zwischen den
Lebensstil auf der Grundlage
flikte zwischen Spanien
europäischen Mächten
des ökonomischen Erfolgs.
und England führen in
ausgefochtene Kampf um
den Jahren 1587/88 zum
Land verwandelt das er­
Krieg, in dessen Verlauf die als bis dahin sehnte Paradies in der Neuen Welt allerdings
unbesiegbar geltende spanische Armada na­ zusehends in ein Krisengebiet. Der Anbau
hezu vollständig vernichtet wird. Mit diesem von Tabak und Baumwolle in den südlichen
englischen Sieg neigt sich die Epoche der Kolonien der Engländer erfordert zahllose
spanisch-portugiesischen Vorherrschaft in Arbeitskräfte. Die Sklavenhändler machen
Übersee endgültig ihrem Ende entgegen. gute Geschäfte. Vor allem gegen Ende des
Spanien – im 16. Jahrhundert durch die 17. Jahrhunderts wird sich der Handel mit
Ausbeutung der Neuen Welt zur reichsten afrikanischen Sklaven immer stärker nach
Nation Europas aufgestiegen – verlässt das Nordamerika verlagern.
Parkett der Großmächte und versinkt zu­
nehmend in der Bedeutungslosigkeit. Die
Keimzellen der Kolonisation
spanischen Habsburger haben nicht nur ei­
nen großen Teil ihrer Reichtümer für krie­
gerische Unternehmungen vergeudet, der
ie Ausdehnung des Welthandels lässt
Strom von Edelmetallen aus Amerika hat
in Westeuropa neue Kaufmannsgesell­
zudem die spanische Währung destabilisiert schaften hervortreten. Mit staatlicher Un­
und – schlimmer noch – die Entstehung terstützung werden Firmen gegründet, die
eines wirtschaftlich potenten Bürgertums durch Monopole geschützt vor allem den
verhindert.
Handel mit Indien und Amerika kontrollieren
Zu einer dominierenden Handelsmacht im und im Gegenzug den Staat an den Gewin­
Indischen Ozean entwickeln sich hingegen nen beteiligen. Prototyp dieser neuen Ge­
die Niederlande. Von der spanischen Vor­ sellschaften, an denen sich diverse Kaufleute
herrschaft de facto befreit und ebenfalls aus über einen Kapitalfonds beteiligen können,
dem Verband des deutschen Reiches ausge­ ist die 1599 in London gegründete Ostin­
schieden, schreibt das kleine Land ab dem dische Kompanie, die von der englischen
17. Jahrhundert eine beispiellose Erfolgsge­ Krone 1600 das Monopol für den englischen
schichte. Der neue Reichtum der Handel trei­ Ostindienhandel erhält. In Amsterdam
benden Seefahrernation ist die materielle Ba­ entsteht 1602 mit der Holländisch-Ostin­
sis einer kulturellen und ökonomischen Blüte, dischen Kompanie eine Konkurrenz für die
D
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1492 – 1648
Europas Sprung in die Neuzeit
Europäische Handelsschiffe vor Batavia, dem heutigen Djakarta/Indonesien (kolorierter Kupferstich, 18. Jh.)
Engländer. Die Handelskompanien werden
zum Vorbild für Gründungen in Dänemark,
Schweden, Frankreich und Österreich, im
späten 17. und im 18. Jahrhundert kommt es
auch in Brandenburg, Spanien und Portugal
zu ähnlichen Gründungen.
Neben Gewürzen aus Indien, Sumatra,
Borneo und Java locken Seide, Tee und
Porzellan aus China, Diamanten, Baum­
wollwaren, Indigo, Kaffee und Gold aus
Indien, Teppiche aus Persien sowie Kupfer
und Edelsteine aus Siam an die asiatischen
Küsten. Für den Handel mit Amerika werden
ebenfalls Monopolgesellschaften gegründet:
1621 in Amsterdam die Niederländische
Westindische Kompanie – auf ihre Initiati­
ve erfolgt der Erwerb der Insel Manhattan
und die Gründung von Neu Amsterdam, dem
späteren New York – und 1670 in London
die Hudson’s Bay Company, die zunächst
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ein Monopol auf den Handel und die Bo­
denschätze im Bereich der Hudsonbai erhält.
Die Erweiterung des Welthandels durch die
neuen Seewege führt immer wieder zu krie­
gerischen Auseinandersetzungen der beteilig­
ten Mächte und lässt den Nord- und Ostsee­
handel in seiner Bedeutung schrumpfen. Die
bereits geschwächte Hanse geht endgültig
unter. Auf dem letzten Hansetag 1669 sind
nur noch neun Städte vertreten.
Vorboten der Aufklärung
D
afür erleben die Naturwissenschaften
im 17. Jahrhundert einen phänomenalen
Aufschwung. Zu Beginn der Epoche werden
die in der Renaissancezeit gewonnenen tech­
nischen Kenntnisse präzisiert und verbessert.
Wissenschaftler wie Johannes Kepler und Ga­
lileo Galilei begründen mit bahnbrechenden
Die Auseinandersetzungen beginnen in
Erkenntnissen die moderne Forschung und Böhmen, wo die protestantischen Stände aus
bereiten den Weg für die ihnen nachfolgende Verärgerung über die Beschneidung der ih­
Epoche der Aufklärung. Auf der Basis neuer nen zugesicherten Rechte im Mai 1618 zwei
wissenschaftlicher Erkenntnisse setzt auch in kaiserliche Statthalter aus einem Fenster der
der technischen Entwicklung eine Innovations­ Prager Burg werfen. Sie überleben wie durch
welle ein. Im Zusammen­
ein Wunder. Ehe Kaiser
hang mit der politischen Si­
Matthias Entscheidendes
Dem Stil der Renaissance folgt
tuation bilden Festungsbau,
gegen die böhmischen Re­
die barocke Kunst als FormenWaffentechnik und Schiffs­
bellen unternehmen kann,
sprache des Absolutismus und
bau einen Schwerpunkt des
stirbt er und vererbt den
der Gegenreformation.
technischen Wandels. Die
schwelenden Konflikt sei­
barocke Kunst löst als Stil
nem Nachfolger Ferdinand
des Absolutismus und der Gegenreformati­ II., einem eifrigen Anhänger der Gegenrefor­
on die Formensprache der Renaissance ab. mation. Die Böhmen verweigern seine Aner­
Malerei, Musik, Bildhauerei und Architek­ kennung und wählen Friedrich V. von der Pfalz
tur stellen das Sinnliche in den Mittelpunkt, zum Gegenkönig. Ein kaiserliches Heer unter
das sich in den barocken Werken nicht selten Johann Tserclaes von Tilly zerstört die böh­
auch im Schwülstigen verliert. Vor allem in mischen Hoffnungen mit einem vernichtenden
den katholischen Ländern Europas entwickelt Sieg im November 1620. Während die pfälzi­
sich ein Mäzenatentum, das die Künste för­ sche Kurwürde an Bayern fällt, ergeht über
dert. Prunkbeispiel barocker Baukunst ist der Böhmen ein schweres Strafgericht mit Hinrich­
Petersplatz in Rom, der von Gian Lorenzo tungen, Enteignungen und Vertreibungen. Das
Bernini ab 1629 als Queroval mit vierfachen Land wird gewaltsam rekatholisiert, 150 000
Kolonnaden gestaltet wird.
Menschen müssen ihre Heimat verlassen.
Blutige Glaubenskriege
auf deutschem Boden
D
erweil beginnt eine Serie verheerender
Konflikte, die die Nachwelt zu einem ein­
zigen großen Kriegsgeschehen, dem Dreißig­
jährigen Krieg, zusammenfassen wird. Ursa­
che der blutigen Kämpfe, die in weiten Teilen
Mitteleuropas zu einem fast 40-prozentigen
Bevölkerungsverlust führen, sind anfangs re­
ligiöse Konflikte, die gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts schon bewältigt schienen, tat­
sächlich aber im Verborgenen weitergeschwelt
hatten. Je länger die Auseinandersetzungen al­
lerdings dauern, umso mehr sind die religiösen
Divergenzen bloß noch ein Vorwand zur pu­ren Durchsetzung weltlicher Macht.
Ausweitung des Konflikts –
die Schweden kommen
V
on diesem Erfolg gestärkt, versucht
Ferdinand II. die Gegenreformati­
on auch im überwiegend protestantischen
Norddeutschland gewaltsam voranzutreiben.
Angesichts dieses kaiserlichen Machtstrebens
greift König Christian IV. von Dänemark
1625 auf protestantischer Seite in den Kon­
flikt ein. Er trifft allerdings auf einen gefähr­
lichen Gegner, den katholischen Feldherrn
Albrecht von Wallenstein, der, aus einem
alten böhmischen Geschlecht stammend
und durch eine geschickte Heirat reich und
mächtig geworden, dem Kaiser auf eigene
Kosten ein 40 000-Mann-Heer zur Verfü­
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Europas Sprung in die Neuzeit
gung stellt. Mit genialer Taktik führte er diese Krieg. Entscheidende Siege gelingen kei­
Streitmacht von Sieg zu Sieg. Seine Söldner­ ner Seite mehr, zu groß ist inzwischen die
truppe versorgt sich – zum Leidwesen der Zi­ Kriegsmüdigkeit. Längst weiß kaum noch
vilisten – raubend und plündernd nach dem jemand, wofür gekämpft und gestorben
Grundsatz »Der Krieg ernährt den Krieg.« wird. Die Front ist überall, wo marodieren­
Im Jahr 1629 – Norddeutschland ist fast de Landsknechtshaufen sich um die letzten
vollständig in katholischer
Reste in den Vorratskam­
Hand – sieht sich der Kai­
mern der Bauern schla­
Unter bestialischer Folter
ser angesichts des schwe­
gen. Mit bestialischen
erpressen marodierende
dischen Eingreifens in den
Foltermethoden rauben
Landsknechte die Bauern um
Krieg zu einem Friedens­
sie der hungernden Zivil­
ihre letzten Habseligkeiten.
schluss mit Dänemark ge­
bevölkerung ihre letzten
zwungen. Seine Machtstel­
Habseligkeiten. Die all­
lung scheint allerdings inzwischen so gefestigt, gemeine Erschöpfung führt die Parteien
dass er eigenmächtig, ohne Rücksprache mit im Jahr 1644 an die Verhandlungstische
dem Reichstag, in einem Restitutionsedikt in Münster und Osnabrück, die Gespräche
die Rückgabe aller seit 1552 von den Protes­ gestalten sich allerdings schwierig. Erst im
tanten gewonnenen Gebiete verfügt. Nun Oktober 1648 kann das Gesamtvertrags­
wird der Regent sogar seinen Verbündeten, werk mit seinen zahllosen Klauseln unter­
den katholischen Reichsfürsten, zu mächtig: zeichnet werden.
Auf dem Regensburger Kurfürstentag im
August 1630 zwingen sie ihn zur Entlassung
Westfälischer Friede und
Wallensteins. Diese Forderung sollte sich rä­
Folgen des Krieges
chen, denn mittlerweile greifen die Schweden
unter König Gustav II. Adolf in das Kriegsge­
schehen ein. Als die Kaiserlichen unter Tilly
urch Amnestie werden alle Betrof­
1631 vernichtend geschlagen werden, wird
fenen von der Reichsacht befreit. Die
Wallenstein eiligst wieder zum Generalissimus Restauration der alten Landeshoheiten folgt
bestellt. Er besiegt die Sachsen und stoppt die den Grenzen von 1618; zu Friedensgaranten
Schweden, wird dann aber erneut das Opfer werden die Großmächte bestimmt. Sie lassen
eines Komplotts: Am 25. Februar 1634 fällt sich diese Mitwirkung wie die Beteiligung
er einem Mordanschlag seiner Offiziere zum am Krieg entsprechend belohnen: Schweden
Opfer. Im Frieden von Prag 1635 schließt erhält Territorien in Norddeutschland und
Ferdinand II. mit den meisten katholischen fünf Millionen Taler zur Abfindung seiner
und protestantischen Fürsten Frieden und Soldaten, Frankreich bekommt die letzten
verzichtet auf die Durchsetzung seines Resti­ habsburgischen Ländereien im Elsass und
tutionsedikts von 1629.
wird in seinem Besitz der Bistümer Metz,
Nun aber nutzt das katholische Frank­ Toul und Verdun bestätigt. Die de facto
reich Kardinal Richelieus, das die Kämpfe schon seit langem selbstständigen Niederlan­
von Beginn an geschürt hat, seine Chance, de werden offiziell als souveränes Staatswesen
Habsburg zu schwächen, und verbündet anerkannt, Gleiches gilt für die Schweizer
sich mit den Schweden. Damit beginnt die Eidgenossenschaft, die ebenfalls schon Jahr­
vierte und längste Phase der Auseinander­ zehnte zuvor aus dem Reichsverband aus­
setzungen, der Französisch-Schwedische geschieden ist. Die Bevölkerung hat noch
1492 – 1648
lange unter den Folgen des Kriegs zu leiden.
Die Wirtschaft ist zerstört, viele Felder liegen
brach. Zehntausende Soldaten müssen demo­
bilisiert werden. Im Allgemeinen handelt es
sich allerdings um Söldner, die außer dem
Kriegshandwerk nichts gelernt haben. Auch
Frauen und Kinder, die mit den Soldaten
gezogen waren, müssen ins zivile Leben in­
tegriert werden. Das Marodeurwesen bleibt
noch lange virulent, hier und dort müssen
Truppen zur Bekämpfung von Räuberban­
den abgestellt werden.
Die alte Kaisermacht verblasst, gestärkt ge­
hen nur die Territorialfürsten aus dem jah­
relangen Ringen hervor. Das deutsche Reich
ist politisch in über 300 souveräne staatliche
Einheiten zersplittert und daher dem Ein­
fluss ausländischer Mächte ausgeliefert. Ei­
ner der Gewinner des Westfälischen Friedens
ist Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der
Große Kurfürst. Er gewinnt Hinterpom­
mern, die Bistümer Cammin, Halberstadt
und Minden sowie die Anwartschaft auf
das Bistum Magdeburg. Seine langjährige
Herrschaft, die von 1640 bis 1688 währt,
stützt sich auf Schaffung und Ausbau eines
stehenden Heeres und einen straff organi­
sierten Verwaltungsapparat mit staatstreuer
Beamtenschaft. Um die heimische Wirtschaft
und den Handel zu beleben, nimmt der Re­
gent zudem 20 000 aus Glaubensgründen
geflohene französische Hugenotten in sein
Reich auf. Im Schul- und Ausbildungswesen
gilt das Ideal der strengen Erziehung. Durch
Diplomatie und militärisches Geschick legt
Friedrich Wilhelm von Brandenburg den
Grundstein für den Aufstieg Preußens zu
einer europäischen Großmacht.
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Die Kaiserlichen behalten in der Schlacht bei Wimpfen 1622 die Oberhand (Matthäus Merian d. Ältere, 17. Jh.).
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