Kapitel 1.5 und 1.6 Ein adäquater Kalkül der Aussagenlogik Teil 2: Vollständigkeit des Shoenfield-Kalküls Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 1 / 53 Vollständigkeit des Shoenfield-Kalküls S VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ. Der Schoenfield-Kalkül S ist vollständig (bzgl. Folgerungen): T ϕ ⇒ T `S ϕ Der Beweis ist recht aufwändig und umfasst folgende Teilschritte: Zulässige Regeln Vollständigkeitssatz für T = ∅ (Tautologiesatz) und für endliches T Deduktionstheorem: T ` ϕ → ψ ⇔ T ∪ {ϕ} ` ψ Erfüllbarkeitslemma: Jede konsistente Formelmenge T ist erfüllbar. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 2 / 53 Axiome und Regeln des Shoenfield-Kalküls S Bevor wir mit dem Beweis beginnen rufen wir uns Axiome und Regeln des Shoenfield-Kalküls S in Erinnerung: AXIOME ¬ϕ ∨ ϕ (≡ ϕ → ϕ) “tertium non datur” (Ax) REGELN ψ ϕ∨ψ Expansion (E) ϕ∨ϕ ϕ Kürzung (Kü) Mathematische Logik (WS 2010/11) ϕ ∨ (ψ ∨ δ) (ϕ ∨ ψ) ∨ δ Assoziativität (A) ϕ ∨ ψ, ¬ϕ ∨ δ ψ∨δ Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle Schnitt (S) 3 / 53 1. Schritt: Zulässige Regeln SCHRITT 1: Beispiele zulässiger Regeln Wir diskutieren zunächst den Begriff der in einem Kalkül zulässigen Regeln und Axiome sowie den sich hieraus ergebenden Begriff der zulässigen Erweiterung eines Kalküls. Dann geben wir Beispiele von Regeln, die im Shoenfield-Kalkül zulässig sind. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 4 / 53 Erweiterungen von Kalkülen DEFINITION. Seien K und K0 Kalküle über derselben Sprache und mit identischen Formelmengen. K0 heißt Erweiterung von K (K ⊆ K0 ), wenn alle Axiome und Regeln von K Axiome und Regeln von K0 sind. Eine Erweiterung K0 von K ist konservativ (K ⊆konserv K0 ), wenn für alle T und ϕ T `K0 ϕ ⇒ T `K ϕ gilt. BEMERKUNGEN. Für K ⊆ K0 gilt: T `K ϕ ⇒ T `K0 ϕ. Für K ⊆konserv K0 gilt: T `K ϕ ⇔ T `K0 ϕ. In einer konservativen Erweiterung K0 eines Kalküls K sind also dieselben Formeln beweisbar (aus einer Formelmenge T ) wie in K. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 5 / 53 Zulässige Regeln und Axiome DEFINITION. Eine Regel (R) ϕ1 , . . . , ϕn ϕ ist zulässig in dem Kalkül K (oder ableitbar in K), falls ϕ1 , . . . , ϕ n ` K ϕ gilt. Eine Formel ϕ ist ein zulässiges Axiom von K (oder ein ableitbares Axiom von K), falls `K ϕ gilt. NB: Jede Regel und jedes Axiom von K ist zulässig in K. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 6 / 53 Zulässige Erweiterungen eines Kalküls DEFINITION. Eine Erweiterung K0 von K ist eine zulässige Erweiterung von K, wenn jedes Axiom und jede Regel von K0 in K zulässig ist. SATZ ÜBER ZULÄSSIGE ERWEITERUNGEN. Sei K0 eine zulässige Erweiterung von K. Dann ist K0 eine konservative Erweiterung von K. D.h. für jede Formelmenge T und jede Formel ϕ gilt: T `K ϕ ⇔ T `K0 ϕ BEWEISIDEE: Zum Beweis der nichttrivialen Richtung ⇐ nehme T `K0 ϕ an. Aus einem K0 -Beweis ϕ1 , . . . , ϕn von ϕ aus T erhält man einen K-Beweis von ϕ aus T durch folgende Ersetzungen (i = 1, . . . n): Ist ϕi ein Axiom von K0 aber nicht von K (also ein zulässiges Axiom von K), so ersetze ϕi durch einen K-Beweis von ϕi . Folgt ϕi aus Formeln ϕj1 , . . . , ϕjk , (wobei j1 , . . . , jk < i) mit Hilfe einer K0 -Regel (R), die keine K-Regel ist (also (R) ist eine zulässige Regel in K), so ersetze ϕi durch einen K-Beweis von ϕi aus ϕj1 , . . . , ϕjk . Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 7 / 53 Beispiele zulässiger Regeln für S: Vorbemerkungen Weisen wir eine Regel (Axiom) als zulässig im Shoenfield-Kalkül S nach, so dürfen wir diese(s) o.B.d.A. als Regel (Axiom) von S auffassen. Hierdurch werden Beweise einfacher, da wir diese zusätzlichen Regeln (oder Axiome) verwenden dürfen. (Was uns bei dem Nachweis der Vollständigkeit helfen wird.) Alternativ hätten wir auch die im Folgenden als zulässig nachgewiesenen Regeln direkt zu S hinzunehmen können. Wir hätten in diesem Fall natürlich beim Nachweis der Korrektheit des Kalküls diese Regeln miteinbeziehen müssen, was den Beweis umfangreicher gemacht hätte aber nicht wesentlich erschwert. Dies wäre also weniger aufwändig als den Nachweis der Zulässigkeit zu führen. Dieses Vorgehen widerpräche aber der Idee, einem Kalkül unabhängige Axiome und Regeln zugrundezulegen, also mit möglichst wenigen und einfachen Axiomen und Regeln auszukommen. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 8 / 53 Zulässige Regeln für S: Kommutativitätsregel Kommutativität (Ko): ϕ∨ψ ψ∨ϕ NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT: Z.zg.: ϕ ∨ ψ ` ψ ∨ ϕ 1. 2. 3. Mathematische Logik (WS 2010/11) ϕ∨ψ ¬ϕ ∨ ϕ ψ∨ϕ Voraussetzung Axiom S: 1,2 Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 9 / 53 Zulässige Regeln für S: Modus Ponens Modus Ponens (M): ϕ, ϕ → ψ ψ d.h. ϕ, ¬ϕ ∨ ψ ψ NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT: Z.zg.: ϕ, ϕ → ψ ` ψ 1. 2. 3. 4. 5. 6. Mathematische Logik (WS 2010/11) ϕ ψ∨ϕ ϕ∨ψ ¬ϕ ∨ ψ ψ∨ψ ψ Voraussetzung E: 1 Ko: 2 Voraussetzung S: 3,4 Kü: 5 Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 10 / 53 Zulässige Regeln für S: Verallgemeinerte Expansionsregel Als nächstes wollen wir zeigen, dass sich die Expansionsregel ψ ϕ∨ψ Expansion (E) wie folgt verallgemeinern lässt: Verallgemeinerte Expansion (VE): ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn wobei m, n ≥ 1 und ϕi1 , . . . , ϕim ∈ {ϕ1 , . . . ϕn } Der Nachweis der Zulässigkeit ist hier jedoch aufwändiger. Als erstes zeigen wir die Zulässigkeit eines Spezialfalls von VE, nämlich der Schwach verallg. Expansionsregel (VE1), und verwenden diesen dann, um die Zulässigkeit der Verallgemeinerten Expansionsregel in deren allgemeinen Form zu zeigen. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 11 / 53 Zulässige Regeln für S: Schwach verallg. Expansionsregel Schwach Verallgemeinerte Expansion (VE1) ϕi ∨ ϕj ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn wobei 1 ≤ i < j ≤ n NB: ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ≡ ϕ1 ∨ (. . . (ϕn−1 ∨ ϕn ) . . . ) NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT durch Ind(n) mit n ≥ 2: Da die Behauptung für n = 2 trivial ist, dürfen wir n ≥ 3 annehmen. Zu zeigen ist also: ϕi ∨ ϕj ` ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ) wobei 1 ≤ i < j ≤ n, n ≥ 3 und ϕ :≡ ϕ3 ∨ · · · ∨ ϕn wobei nach Induktionsvoraussetzung für beliebige ϕ0i gilt: ϕ0i 0 ∨ ϕ0j 0 ` ϕ01 ∨ · · · ∨ ϕ0m wobei 1 ≤ i 0 < j 0 ≤ m < n Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 12 / 53 Schwach verallg. Expansionsregel: Zulässigkeit (1) Wir unterscheiden die folgenden 3 Fälle: (1) i = 1 und j = 2 (2) i = 1 und j ≥ 3 (2) 2 ≤ i < j ≤ n 1. FALL: i = 1 und j = 2 Zu zeigen: ϕ1 ∨ ϕ2 ` ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ) 1. 2. 3. 4. 5. 6. Mathematische Logik (WS 2010/11) ϕ1 ∨ ϕ2 ϕ ∨ (ϕ1 ∨ ϕ2 ) (ϕ ∨ ϕ1 ) ∨ ϕ2 ϕ2 ∨ (ϕ ∨ ϕ1 ) (ϕ2 ∨ ϕ) ∨ ϕ1 ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ) Voraussetzung E: 1 A: 2 Ko: 3 A: 4 Ko: 5 Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 13 / 53 Schwach verallg. Expansionsregel: Zulässigkeit (2) 2. FALL: i = 1 und j ≥ 3 Zu zeigen: ϕ1 ∨ ϕj ` ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ) (wobei 3 ≤ j ≤ n und ϕ ≡ ϕ3 ∨ · · · ∨ ϕn ) 1. 2. 3. 4. 5. 6. ϕ1 ∨ ϕj ϕ1 ∨ ϕ ϕ ∨ ϕ1 ϕ2 ∨ (ϕ ∨ ϕ1 ) (ϕ2 ∨ ϕ) ∨ ϕ1 ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ) Mathematische Logik (WS 2010/11) Voraussetzung I.V.: 1 (lasse ϕ2 in Konklusion weg) Ko: 2 E: 3 A: 4 Ko: 5 Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 14 / 53 Schwach verallg. Expansionsregel: Zulässigkeit (3) 3. FALL: 2 ≤ i < j ≤ n Zu zeigen: ϕi ∨ ϕj ` ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ) (wobei 2 ≤ i < j ≤ n und ϕ ≡ ϕ3 ∨ · · · ∨ ϕn ) 1. 2. 3. ϕ i ∨ ϕj ϕ 2 ∨ · · · ∨ ϕn ≡ ϕ2 ∨ ϕ ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ ϕ Voraussetzung I.V.: 1 (lasse ϕ1 in Konklusion weg) E: 2 Hiermit ist der Beweis der Zulässigkeit von (VE1 ) abgeschlossen. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 15 / 53 Zulässige Regeln für S: Verallgemeinerte Expansionsregel Verallgemeinerte Expansion (VE): ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn wobei m, n ≥ 1 und ϕi1 , . . . , ϕim ∈ {ϕ1 , . . . ϕn } NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT DURCH Ind(m). Wir unterscheiden dabei die folgenden Fälle: 1. Fall: m = 1 (Unterfälle: i1 = 1, 1 < i1 < n, 1 < i1 = n) 2. Fall: m = 2 (Unterfälle: i1 = i2 , i1 < i2 , i2 < i1 ) 3. Fall: m ≥ 3 Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 16 / 53 Verallgemeinerte Expansionsregel: Zulässigkeit (1) Fall 1.1: m = 1 und i1 = 1 Z.zg.: ϕ1 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn 1. 2. 3. ϕ1 (ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn ) ∨ ϕ1 ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn Voraussetzung E: 1 Ko: 2 Fall 1.2: m = 1 und 1 < i1 < n Z.zg.: ϕi1 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 < i1 < n) 1. 2. 3. 4. 3 + (i1 − 1). Mathematische Logik (WS 2010/11) ϕ i1 (ϕi1 +1 ∨ · · · ∨ ϕn ) ∨ ϕi1 ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕn ϕi1 −1 ∨ ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕn ... ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle Voraussetzung E: 1 Ko: 2 E: 3 E: 3 + (i1 − 2) 17 / 53 Verallgemeinerte Expansionsregel: Zulässigkeit (2) Fall 1.3: m = 1 und 1 < i1 = n Z.zg.: ϕn ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 < n) 1. 2. 3. ϕn ϕn−1 ∨ ϕn ϕn−2 ∨ ϕn−1 ∨ ϕn ... ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn n. Voraussetzung E: 1 E: 2 E: n − 1 Fall 2.1: m = 2 und i1 = i2 Z.zg.: ϕi1 ∨ ϕi1 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 ≤ i1 ≤ n) 1. 2. 3. ϕi1 ∨ ϕi1 ϕ i1 ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn Mathematische Logik (WS 2010/11) Voraussetzung Kü: 1 I.V.: 2 (m0 = 1 < 2) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 18 / 53 Verallgemeinerte Expansionsregel: Zulässigkeit (3) Fall 2.2: m = 2 und i1 < i2 Z.zg.: ϕi1 ∨ ϕi2 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 ≤ i1 < i2 ≤ n) 1. 2. ϕi1 ∨ ϕi2 ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn Voraussetzung VE1: 2 Fall 2.3: m = 1 und i2 < i1 Z.zg.: ϕi1 ∨ ϕi2 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 ≤ i2 < i1 ≤ n) 1. 2. 3. Mathematische Logik (WS 2010/11) ϕi1 ∨ ϕi2 ϕi2 ∨ ϕi1 ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn Voraussetzung Ko: 1 VE1: 2 Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 19 / 53 Verallgemeinerte Expansionsregel: Zulässigkeit (4) Fall 3: m ≥ 3 Z.zg.: ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 ≤ ij ≤ n) Setze ϕ :≡ ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim (ϕi1 ∨ ϕi2 ) ∨ (ϕi3 ∨ · · · ∨ ϕim ) (ϕi1 ∨ ϕi2 ) ∨ ϕ ϕ ∨ (ϕi1 ∨ ϕi2 ) (ϕ ∨ ϕi1 ) ∨ ϕi2 (ϕ ∨ ϕi1 ) ∨ ϕ ϕ ∨ (ϕ ∨ ϕi1 ) (ϕ ∨ ϕ) ∨ ϕi1 (ϕ ∨ ϕ) ∨ ϕ ϕ∨ϕ∨ϕ ϕ∨ϕ∨ϕ∨ϕ (ϕ ∨ ϕ) ∨ (ϕ ∨ ϕ) ϕ∨ϕ ϕ Mathematische Logik (WS 2010/11) Voraussetzung A: 1 I.V.: 2 (m0 = m − 1 wobei ϕ0i1 :≡ ϕi1 ∨ ϕi2 und ϕ0ij :≡ ϕij+1 (j ≥ 2)) Ko: 3 A: 4 I.V. : 5 (m0 = 2) Ko: 6 A: 7 I.V. : 8 (m0 = 2) Ko: 9 E: 10 A: 11 Kü: 12 Kü: 13 Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 20 / 53 Zulässige Regeln für S: Duales Assoziativgesetz (Duale) Assoziativität (A2): (ϕ ∨ ψ) ∨ δ ϕ ∨ (ψ ∨ δ) NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT: Z.zg.: (ϕ ∨ ψ) ∨ δ ` ϕ ∨ (ψ ∨ δ) 1. 2. 3. Mathematische Logik (WS 2010/11) (ϕ ∨ ψ) ∨ δ δ∨ϕ∨ψ ϕ∨ψ∨δ Voraussetzung Ko: 1 VE: 2 Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 21 / 53 Zulässige Regeln für S: Negationsregeln 1. Negationsregel (N1) ϕ∨ψ ¬¬ϕ ∨ ψ 2. Negationsregel (N2) ¬¬ϕ ∨ ψ ϕ∨ψ 3. Negationsregel (N3) ϕ → δ, ψ → δ (ϕ ∨ ψ) → δ d.h. ¬ϕ ∨ δ, ¬ψ ∨ δ ¬(ϕ ∨ ψ) ∨ δ Beweis der Zulässigkeit: siehe Übungen. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 22 / 53 Zulässige Regeln: Zusammenfassung Kommutativität (Ko): ϕ∨ψ ψ∨ϕ 1. Negationsregel (N1): ϕ∨ψ ¬¬ϕ ∨ ψ Modus Ponens (M): ϕ, ϕ → ψ ϕ, ¬ϕ ∨ ψ d.h. ψ ψ 2. Negationsregel (N2): ¬¬ϕ ∨ ψ ϕ∨ψ Verallgemeinerte Expansion (VE): ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn wobei ϕi1 , . . . , ϕim ∈ {ϕ1 , . . . ϕn } 3. Negationsregel (N3): ϕ → δ, ψ → δ ¬ϕ ∨ δ, ¬ψ ∨ δ d.h. (ϕ ∨ ψ) → δ ¬(ϕ ∨ ψ) ∨ δ (Duale) Assoziativität (A2): (ϕ ∨ ψ) ∨ δ ϕ ∨ (ψ ∨ δ) Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 23 / 53 2. Schritt: Tautologiesatz SCHRITT 2: Der Tautologiesatz Wir zeigen nun die folgenden Spezialfälle des Vollständigkeitssatzes T ϕ ⇒ T `ϕ 1 T = ∅, d.h. die Vollständigkeit bzgl. der Allgemeingültigkeit (Tautologiesatz) 2 T endlich Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 24 / 53 Der Tautologiesatz TAUTOLOGIESATZ: ϕ ⇒`ϕ Zum Beweis des Tautologiesatzes benutzen wir eine trickreiche Induktion: Wir zeigen (∗) ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ⇒ ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn durch Induktion nach m := n X lz(ϕi ) i=1 NB: Der Tautologiesatz folgt aus (∗) für n = 1. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 25 / 53 Der Tautologiesatz: Beweis Gegeben: ϕ1 , . . . , ϕn mit ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn und m := Pn i=1 lz(ϕi ). Zum Nachweis von ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn unterscheiden wir folgende Fälle, wobei wir nach Induktionsvoraussetzung für beliebige ψ1 , . . . , ψn0 annehmen dürfen Pn 0 I.V. ψ1 ∨ · · · ∨ ψn0 & i=1 lz(ψi ) < m ⇒ ` ψ1 ∨ · · · ∨ ψn0 Fall 1: ϕ1 , . . . , ϕn sind Literale. Wegen ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn gibt es dann eine Variable A und Indizes i1 , i2 ∈ {1, . . . , n} mit ϕi1 ≡ ¬A und ϕi2 ≡ A. Dann gilt aber ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn wegen: 1. 2. Mathematische Logik (WS 2010/11) ϕi1 ∨ ϕi2 ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle Axiom VE: 1 26 / 53 Der Tautologiesatz: Beweis (Fortsetzung) Fall 2: Sonst. Nach Fallannahme gibt es zumindest ein i, sodass ϕi kein Literal ist. Da es wegen der Verallgemeinerten Expansionsregel bei dem Beweis von ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn nicht auf die Reihenfolge der Disjunktionsglieder ankommt, können wir o.B.d.A. annehmen, dass ϕ1 kein Literal ist. Die Formel ϕ1 muss daher eine der folgenden Gestalten haben: I I I ϕ1 ≡ ψ ∨ δ ϕ1 ≡ ¬¬ψ ϕ1 ≡ ¬(ψ ∨ δ) Wir betrachten im Folgenden diese 3 Unterfälle getrennt. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 27 / 53 Der Tautologiesatz: Beweis (Fortsetzung) Fall 2.1: ϕ1 ≡ ψ ∨ δ. Wegen ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn folgt aus ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ≡ (ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn äq ψ ∨ δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn , dass auch ψ ∨ δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn gilt. Da lz(ψ) + lz(δ) + lz(ϕ2 ) + · · · + lz(ϕn ) = m − 1 folgt mit I.V. ` ψ ∨ δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn und hieraus mit (A) ` (ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn d.h. ` ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 28 / 53 Der Tautologiesatz: Beweis (Fortsetzung) Fall 2.2: ϕ1 ≡ ¬¬ψ. Wegen ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn folgt aus ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ≡ ¬¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn äq ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn , dass auch ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn gilt. Da lz(ψ) + lz(ϕ2 ) + · · · + lz(ϕn ) = m − 2 folgt mit I.V. ` ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn und hieraus mit (N1) ` ¬¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn d.h. ` ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 29 / 53 Der Tautologiesatz: Beweis (Ende) Fall 2.3: ϕ1 ≡ ¬(ψ ∨ δ). Wegen ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn folgt aus ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ≡ ¬(ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn mit ¬(ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn ¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn und ¬(ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn ¬δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn , dass auch ¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn und ¬δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn gelten. Da lz(¬ψ), lz(¬δ) < lz(¬(ψ ∨ δ)) = lz(ϕ1 ) folgt mit I.V. ` ¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn und ` ¬δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn und hieraus mit (N3) ` ¬(ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn d.h. ` ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn . Mathematische Logik (WS 2010/11) (Damit ist der Satz bewiesen.) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 30 / 53 Der Vollständigkeitssatz für endliches T VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ FÜR ENDLICHES T . Für endliches T gilt: T ϕ ⇒ T `ϕ BEWEIS durch Ind(|T |): |T | = 0. Dann ist T = ∅ und die Behauptung gilt nach dem Tautologiesatz. |T | = n + 1. Dann gibt es eine Formel ψ und eine Formelmenge T 0 mit |T 0 | = n und T = T 0 ∪ {ψ}. Es folgt: T 0, ψ ϕ T0 ψ → ϕ T0 ` ψ → ϕ T ` ψ → ϕ und T ` ψ T `ϕ Mathematische Logik (WS 2010/11) (nach Annahme) (Verträglichkeit von und →) (nach I.V.) (wegen T 0 ⊆ T bzw. ψ ∈ T ) (Modus Ponens) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 31 / 53 3. Schritt: Deduktionstheorem SCHRITT 3: Das Deduktionstheorem Wie wir bereits gesehen haben, ist der semantische Folgerungsbegriff mit dem Junktor der Implikation verträglich: T ϕ → ψ ⇔ T ∪ {ψ} ϕ Wir zeigen als nächstes die entsprechende Aussage für den syntaktischen Folgerungsbegriff, die Beweisbarkeit: DEDUKTIONSTHEOREM: T ` ϕ → ψ ⇔ T ∪ {ϕ} ` ψ Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 32 / 53 Deduktionstheorem: Beweis T ` ϕ → ψ ⇒ T ∪ {ϕ} ` ψ: Einen Beweis von ψ aus T ∪ {ϕ} erhält man wie folgt: 1. ϕ → ψ Annahme: T ` ϕ → ψ 2. ϕ ϕ ∈ T ∪ {ϕ} 3. ψ M: 1,2 T ∪ {ϕ} ` ψ ⇒ T ` ϕ → ψ: T ∪ {ϕ} ` ψ nach Annahme. (Z.zg.: T ` ϕ → ψ) Wegen der Endlichkeit von ` gibt es T0 ⊆ T endlich mit T0 ∪ {ϕ} ` ψ. Mit dem Korrektheitssatz folgt: T0 ∪ {ϕ} ψ. Mit der Verträglichkeit von und → folgt: T0 ϕ → ψ. Mit der bereits gezeigten Vollständigkeit für endliches T folgt: T0 ` ϕ → ψ. Mit T0 ⊆ T und der Monotonie von ` folgt schließlich: T ` ϕ → ψ. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 33 / 53 4. Schritt: Erfüllbarkeitslemma SCHRITT 4: Das Erfüllbarkeitslemma Wir führen zunächst das syntaktische Gegenstück der Erfüllbarkeit, nämlich die Konsistenz ein, definieren vollständige Formelmengen und machen einige einfache Beobachtungen zu diesen Konzepten. Wir zeigen dann, dass jede konsistente Menge erfüllbar ist (Erfüllbarkeitslemma). Der Vollständigkeitssatz ergibt sich dann unmittelbar aus diesem Lemma. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 34 / 53 Konsistente und vollständige Formelmengen DEFINITION. Eine Formelmenge T ist konsistent, falls es eine Formel ϕ gibt, mit T 6` ϕ. Andernfalls ist T inkonsistent. NB: Wie wir gesehen haben, ist eine Formelmenge T genau dann erfüllbar, wenn es eine Formel ϕ mit T 6 ϕ gibt. Konsistenz ist daher das syntaktische Gegenstück zur Erfüllbarkeit. DEFINITION. Eine Formelmenge T ist vollständig, falls für jede Formel ϕ gilt: T ` ϕ oder T ` ¬ϕ. NB: Vollständigkeit im Sinne dieser Definition und Vollständigkeit im Sinne des Vollständigkeitssatzes sind unterschiedliche Konzepte, zwischen denen kein direkter Zusammenhang besteht! Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 35 / 53 Alternative Charakterisierung der Konsistenz Die Konsistenz einer Formelmenge T lässt sich alternativ wie folgt beschreiben: LEMMA (CHARAKTERISIERUNGSLEMMA, CKL). T konsistent ⇔ Es gibt kein ϕ mit T ` ϕ und T ` ¬ϕ. BEWEIS. Die nichttriviale Richtung ⇒ zeigen wir durch Kontraposition: aus der Annahme, dass T ` ϕ und T ` ¬ϕ gelte, leiten wir T ` ψ für ψ beliebig wie folgt ab: 1. 2. 3. 4. 5. 6. Mathematische Logik (WS 2010/11) ϕ ¬ϕ ϕ∨ψ ¬ϕ ∨ ψ ψ∨ψ ψ Annahme Annahme VE: 1 VE: 2 S: 3,4 Kü: 5 Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 36 / 53 Das Endlichkeitslemma für die Konsistenz Offensichtlich ist jede Teilmenge einer konsistenten Menge wiederum konsistent. Aus der Endlichkeit des Beweisbegriffs ergibt sich umgekehrt, dass eine Formelmenge bereits konsistent ist, wenn alle ihre endlichen Teilmengen konsistent sind: LEMMA (ENDLICHKEITSLEMMA FÜR KONSISTENZ (EK)). Eine Formelmenge T ist genau dann konsistent, wenn jede endliche Teilmenge T0 von T konsistent ist. BEWEIS. Die nichttriviale Richtung zeigt man durch Kontraposition: Sei T inkonsistent. Nach dem CKL-Lemma gibt es dann ϕ mit T ` ϕ und T ` ¬ϕ. Wegen des Endlichkeitssatzes für ` gibt es dann aber T0 ⊆ T endlich mit T0 ` ϕ und T0 ` ¬ϕ. Nach dem CKL-Lemma ist dann aber T0 inkonsistent. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 37 / 53 Konsistenz vs. Beweisbarkeit Bei der Analyse des Folgerungsbegriffs haben wir den folgenden Zusammenhang zwischen Folgerungs- und Erfüllbarkeitsbegriff beobachtet: T ϕ ⇔ T ∪ {¬ϕ} nicht erfüllbar (LFE) Auf der syntaktischen Ebene ist das entsprechende Ergebnis: LEMMA ÜBER BEWEISBARKEIT UND KONSISTENZ (LBK). T ` ϕ ⇔ T ∪ {¬ϕ} inkonsistent Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 38 / 53 Konsistenz vs. Beweisbarkeit: Beweis von LBK T ` ϕ ⇒ T ∪ {¬ϕ} inkonsistent: Annahme: T ` ϕ. Dann: T ∪ {¬ϕ} ` ϕ Annahme und Monotonie von ` T ∪ {¬ϕ} ` ¬ϕ Trivialerweise Also: T ∪ {¬ϕ} inkonsistent nach dem CKL-Lemma. T ` ϕ ⇐ T ∪ {¬ϕ} inkonsistent: Annahme: T ∪ {¬ϕ} inkonsistent. Dann: ⇒ ⇒ ⇒ T T T T ∪ {¬ϕ} ` ϕ ` ¬ϕ → ϕ `ϕ∨ϕ `ϕ Mathematische Logik (WS 2010/11) wegen Inkonsistenz von T ∪ {¬ϕ} Deduktionstheorem mit N2 (NB: ¬ϕ → ϕ ≡ ¬¬ϕ ∨ ϕ) mit Kü Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 39 / 53 Konsistenz vs. Erfüllbarkeit: Korrektheitssatz und Konsistenzlemma Die Übereinstimmung des (semantischen) Folgerungsbegriffs und des (syntaktischen) Beweisbarkeitsbegriffs ist äquivalent zur Übereinstimmung des (semantischen) Erfüllbarkeitsbegriffs und des (syntaktischen) Konsistenzbegriffs. So erhalten wir aus dem Korrektheitssatz das folgende KONSISTENZLEMMA. Jede erfüllbare Formelmenge T ist konsistent. BEWEIS (durch Kontraposition): Sei T inkonsistent. Dann gibt es nach dem CKL-Lemma eine Formel ϕ mit T ` ϕ und T ` ¬ϕ. Mit dem Korrektheitssatz folgt: T ϕ und T ¬ϕ. Da es keine Belegung B mit B(ϕ) = B(¬ϕ) = 1 gibt, gibt es also keine Belegung B mit B T . D.h. T ist nicht erfüllbar. Entsprechend folgt aus der Umkehrung des Konsistenzlemmas (dem Erfüllbarkeitslemma) der Vollständigkeitssatz: Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 40 / 53 Konsistenz vs. Erfüllbarkeit: Erfüllbarkeitslemma und Vollständigkeitssatz ERFÜLLBARKEITSLEMMA (EL). Jede konsistente Formelmenge T ist erfüllbar. Das Erfüllbarkeitslemma impliziert den Vollständigkeitssatz: VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ (VS). T ϕ ⇒ T ` ϕ. Beweis des Vollständigkeitssatzes mit Hilfe von EL: ⇒ ⇒ ⇒ T ϕ Annahme nicht erfb[T ∪ {¬ϕ}] LFE T ∪ {¬ϕ} inkonsistent EL (Kontraposition) T `ϕ LBK Um den Beweis des Vollständigkeitssatzes abzuschließen, müssen wir also nur noch das Erfüllbarkeitslemma beweisen! Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 41 / 53 Beweis von EL: Übersicht Gegeben: eine konsistente Formelmenge T . Zu zeigen: T ist erfüllbar. Der Beweis erfolgt in 2 Schritten: Schritt 1: Erweitere T zu einer vollständigen konsistenten Menge TV . Schritt 2: Zeige, dass jede vollständige konsistente Menge TV erfüllbar ist. Da jede Teilmenge einer erfüllbaren Menge ebenfalls erfüllbar ist, folgt hieraus die Erfüllbarkeit von T . Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 42 / 53 Bew. von EL: eine vollst. kons. Erweiterung TV von T : Definition von TV Sei ϕ0 , ϕ1 , ϕ2 , . . . eine Aufzählung aller Formeln. Definiere T ⊆ T0 ⊆ T1 ⊆ T2 ⊆ . . . induktiv durch ( Tn falls Tn ` ϕn T0 := T und Tn+1 := Tn ∪ {¬ϕn } sonst und setze TV := [ Tn . n≥0 Nach Definition ist TV eine Obermenge von T . Zu zeigen bleibt, dass TV vollständig und konsistent ist. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 43 / 53 Bew. von EL: eine vollst. kons. Erweiterung TV von T : Vollständigkeit von TV Sei ϕ eine beliebige Formel. Z.zg.: TV ` ϕ oder TV ` ¬ϕ. Wähle n mit ϕn ≡ ϕ. Dann gilt nach Definition der Erweiterungen Tn von T : Tn ` ϕ oder ¬ϕ ∈ Tn+1 und daher Tn+1 ` ¬ϕ. Da TV eine Obermenge von Tn und Tn+1 ist, folgt mit der Monotonie von `, dass TV ` ϕ oder TV ` ¬ϕ gilt. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 44 / 53 Bew. von EL: eine vollst. kons. Erweiterung TV von T : Konsistenz von TV Wir zeigen zunächst durch Ind(n), dass die Mengen Tn konsistent sind: I I n = 0: Wegen T0 = T folgt dies aus der Annahme, dass T konsistent ist. n + 1: Da nach I.V. Tn konsistent ist, ist die Behauptung trivial, falls Tn+1 = Tn . Andernfalls gilt Tn+1 = Tn ∪ {¬ϕn } und Tn 6` ϕn . Aus Letzterem folgt aber mit LBK die Konsistenz von Tn ∪ {¬ϕn } also von Tn+1 . Die Konsistenz von TV ergibt sich hieraus wie folgt: Widerspruchsannahme: TV inkonsistent. Dann gibt es (nach EK) eine endliche Teilmenge T 0 von TV , die inkonsistent ist. Da TV die Vereinigung der aufsteigenden Kette Tn (n ≥ 0) ist, ist die endliche Teilmenge T 0 von TV aber in einem Tn enthalten, das dann ebenfalls inkonsistent ist (triviale Richtung von EK). Widerspruch! Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 45 / 53 Bew. von EL: Erfüllbarkeit der vollst. und kons. Menge TV : Definition einer Belegung B Definiere eine Belegung B aller Variablen durch ( 1 falls TV ` An B(An ) = 0 falls TV ` ¬An . NB: Die Abbildung B : {An : n ≥ 0} → {0, 1} ist wohldefiniert, da wegen der Konsistenz von TV für kein n TV ` An und TV ` ¬An gilt, und total, da wegen der Vollständigkeit von TV für jedes n TV ` An oder TV ` ¬An gilt. BEHAUPTUNG: B TV . Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 46 / 53 Bew. von EL: Erfüllbarkeit der vollst. und kons. Menge TV : Nachweis von B TV Zum Nachweis von B TV genügt es (∗) B ϕ ⇔ TV ` ϕ durch Ind(ϕ) zu zeigen. ϕ ≡ A: Dann gilt (∗) gerade nach Definition von B. ϕ ≡ ¬ψ: Dann gilt Bϕ ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ Mathematische Logik (WS 2010/11) B ¬ψ B 6 ψ TV 6` ψ TV ` ¬ψ TV ` ϕ (da ϕ ≡ ¬ψ) (da B Belegung) (nach I.V.) (da TV vollständig und konsistent) (da ϕ ≡ ¬ψ) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 47 / 53 Bew. von EL: Erfüllbarkeit der vollst. und kons. Menge TV : Nachweis von B TV (Fortsetzg.) ϕ ≡ ψ ∨ δ: Wegen B ψ∨δ ⇔ B ψ oder B δ ⇔ TV ` ψ oder TV ` δ (da B Belegung) (nach I.V.) genügt es TV ` ψ oder TV ` δ ⇔ TV ` ψ ∨ δ zu zeigen. I ⇒: Wende die Regel (VE) an. I ⇐: Der Beweis ist durch Kontraposition: TV 6` ψ und TV 6` δ ⇒ TV ` ¬ψ und TV ` ¬δ ⇒ TV ` ¬ψ ∨ ¬(ψ ∨ δ) und TV ` ¬δ ∨ ¬(ψ ∨ δ) ⇒ TV ` ¬(ψ ∨ δ) ∨ ¬(ψ ∨ δ) ⇒ TV ` ¬(ψ ∨ δ) ⇒ TV 6` ψ ∨ δ Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle (nach Annahme) (da TV vollständig) (mit (VE)) (mit (N3)) (mit (Kü)) (da TV konsistent) 48 / 53 Folgerungen aus dem Vollsändigkeitssatz Hiermit ist der Beweis des Erfüllbarkeitslemma abgeschlossen. Da wir bereits gezeigt haben, dass der Vollständigkeitssatz aus dem Erfüllbarkeitslemma folgt, ist damit auch der Vollständigkeitssatz bewiesen. Im Folgenden betrachten wir noch einige Folgerungen aus dem Vollständigkeitssatz. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 49 / 53 Der Adäquatheitssatz Vollständigkeits- und Korrektheitsatz lassen sich zusammenfassen zu: ADÄQUATHEITSSATZ (für den Folgerungsbegriff). Für jede Formelmenge T und jede Formel ϕ gilt: T ϕ ⇔ T ` ϕ BEWEIS: ⇒: Vollständigkeitssatz ⇐: Korrektheitssatz Entsprechend folgt aus dem Erfüllbarkeits- und Konsistenzlemma: ADÄQUATHEITSSATZ (für den Erfüllbarkeitsbegriff). Für jede Formelmenge T gilt: T erfüllbar ⇔ T konsistent BEWEIS: ⇒: Konsistenzlemma ⇐: Erfüllbarkeitslemma Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 50 / 53 Der Kompaktheitssatz (1) Mit Hilfe des Adäquatheitssatzes überträgt sich die Endlichkeit des Beweisbarkeitsbegriffs auf den semantischen Folgerungsbegriff: KOMPAKTHEITSSATZ oder ENDLICHKEITSSATZ (für den Folgerungsbegriff). Eine Formel ϕ folgt genau dann aus einer Formelmenge T , wenn es eine endliche Teilmenge T0 von T gibt, aus der ϕ folgt: T ϕ ⇔ Es gibt T0 ⊆ T endlich: T0 ϕ BEWEIS: T ϕ ⇔ ⇔ ⇔ T `ϕ Adäquatheitssatz Es gibt T0 ⊆ T endlich: T0 ` ϕ Endlichkeitssatz für ` Es gibt T0 ⊆ T endlich: T0 ϕ Adäquatheitssatz Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 51 / 53 Der Kompaktheitssatz (2) Alternativ lässt sich der Endlichkeitssatz auch für die Erfüllbarkeit formulieren: KOMPAKTHEITSSATZ oder ENDLICHKEITSSATZ (für den Erfüllbarkeitsbegriff). Eine Formelmenge T ist genau dann erfüllbar, wenn jede endliche Teilmenge T0 von T erfüllbar ist: erfb[T ] ⇔ Für alle T0 ⊆ T endlich: erfb[T0 ] BEWEIS: erfb[T ] ⇔ ⇔ ⇔ T konsistent Adäquatheitssatz f. Erfb. Für alle T0 ⊆ T endlich: T0 konsistent EK Für alle T0 ⊆ T endlich: erfb[T0 ] Adäquatheitssatz f. Erfb. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 52 / 53 Entscheidbarkeit der Beweisbarkeit Abschliessend bemerken wir, dass die Menge der (im Shoenfield-Kalkül) beweisbaren Formeln {ϕ : ` ϕ} entscheidbar ist, da wegen des Adäquatheitssatzes {ϕ : ` ϕ} = {ϕ : ϕ} gilt und da wir bereits gesehen haben, dass die Menge der allgemeingültigen Formeln entscheidbar ist. Für einen beliebigen Kalkül K gilt, dass wegen der Entscheidbarkeit der Axiome und Regeln die Menge der Beweise {~ ϕ: ϕ ~ K-Beweis} ebenfalls entscheidbar ist. Es folgt, dass die Menge der beweisbaren Formeln aufzählbar ist. (Nämlich: Da die Menge der Beweise entscheidbar ist, ist diese Menge insbesondere aufzählbar. Ein Aufzählungsverfahren für die Beweise lässt sich aber in ein Aufzählungsverfahren der beweisbaren Formeln umformen: Es genügt statt der einzelnen Beweise jeweils nur die letzte Formel des Beweises auszugeben!) Es gibt aber Kalküle deren Beweisbarkeitsbegriff unentscheidbar ist. Dies gilt z.B. für adäquate Kalküle der Prädikatenlogik, wie wir noch sehen werden. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle 53 / 53