Kapitel 1.5 und 1.6 Ein adäquater Kalkül der Aussagenlogik

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Kapitel 1.5 und 1.6
Ein adäquater Kalkül der Aussagenlogik
Teil 2:
Vollständigkeit des Shoenfield-Kalküls
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Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
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Vollständigkeit des Shoenfield-Kalküls S
VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ. Der Schoenfield-Kalkül S ist vollständig
(bzgl. Folgerungen):
T ϕ ⇒ T `S ϕ
Der Beweis ist recht aufwändig und umfasst folgende Teilschritte:
Zulässige Regeln
Vollständigkeitssatz für T = ∅ (Tautologiesatz) und für endliches T
Deduktionstheorem: T ` ϕ → ψ ⇔ T ∪ {ϕ} ` ψ
Erfüllbarkeitslemma: Jede konsistente Formelmenge T ist erfüllbar.
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Axiome und Regeln des Shoenfield-Kalküls S
Bevor wir mit dem Beweis beginnen rufen wir uns Axiome und Regeln des
Shoenfield-Kalküls S in Erinnerung:
AXIOME
¬ϕ ∨ ϕ (≡ ϕ → ϕ) “tertium non datur” (Ax)
REGELN
ψ
ϕ∨ψ
Expansion (E)
ϕ∨ϕ
ϕ
Kürzung (Kü)
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ϕ ∨ (ψ ∨ δ)
(ϕ ∨ ψ) ∨ δ
Assoziativität (A)
ϕ ∨ ψ, ¬ϕ ∨ δ
ψ∨δ
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Schnitt (S)
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1. Schritt: Zulässige Regeln
SCHRITT 1:
Beispiele zulässiger Regeln
Wir diskutieren zunächst den Begriff der in einem Kalkül zulässigen
Regeln und Axiome sowie den sich hieraus ergebenden Begriff der
zulässigen Erweiterung eines Kalküls.
Dann geben wir Beispiele von Regeln, die im Shoenfield-Kalkül
zulässig sind.
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Erweiterungen von Kalkülen
DEFINITION. Seien K und K0 Kalküle über derselben Sprache und mit
identischen Formelmengen. K0 heißt Erweiterung von K (K ⊆ K0 ), wenn
alle Axiome und Regeln von K Axiome und Regeln von K0 sind.
Eine Erweiterung K0 von K ist konservativ (K ⊆konserv K0 ), wenn für alle
T und ϕ
T `K0 ϕ ⇒ T `K ϕ
gilt.
BEMERKUNGEN.
Für K ⊆ K0 gilt: T `K ϕ ⇒ T `K0 ϕ.
Für K ⊆konserv K0 gilt: T `K ϕ ⇔ T `K0 ϕ.
In einer konservativen Erweiterung K0 eines Kalküls K sind also
dieselben Formeln beweisbar (aus einer Formelmenge T ) wie in K.
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Zulässige Regeln und Axiome
DEFINITION. Eine Regel
(R)
ϕ1 , . . . , ϕn
ϕ
ist zulässig in dem Kalkül K (oder ableitbar in K), falls
ϕ1 , . . . , ϕ n ` K ϕ
gilt.
Eine Formel ϕ ist ein zulässiges Axiom von K (oder ein ableitbares Axiom
von K), falls `K ϕ gilt.
NB: Jede Regel und jedes Axiom von K ist zulässig in K.
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Zulässige Erweiterungen eines Kalküls
DEFINITION. Eine Erweiterung K0 von K ist eine zulässige Erweiterung von K,
wenn jedes Axiom und jede Regel von K0 in K zulässig ist.
SATZ ÜBER ZULÄSSIGE ERWEITERUNGEN. Sei K0 eine zulässige Erweiterung
von K. Dann ist K0 eine konservative Erweiterung von K. D.h. für jede
Formelmenge T und jede Formel ϕ gilt: T `K ϕ ⇔ T `K0 ϕ
BEWEISIDEE: Zum Beweis der nichttrivialen Richtung ⇐ nehme T `K0 ϕ an.
Aus einem K0 -Beweis ϕ1 , . . . , ϕn von ϕ aus T erhält man einen K-Beweis von ϕ
aus T durch folgende Ersetzungen (i = 1, . . . n):
Ist ϕi ein Axiom von K0 aber nicht von K (also ein zulässiges Axiom von K),
so ersetze ϕi durch einen K-Beweis von ϕi .
Folgt ϕi aus Formeln ϕj1 , . . . , ϕjk , (wobei j1 , . . . , jk < i) mit Hilfe einer
K0 -Regel (R), die keine K-Regel ist (also (R) ist eine zulässige Regel in K),
so ersetze ϕi durch einen K-Beweis von ϕi aus ϕj1 , . . . , ϕjk .
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Beispiele zulässiger Regeln für S: Vorbemerkungen
Weisen wir eine Regel (Axiom) als zulässig im Shoenfield-Kalkül S nach, so
dürfen wir diese(s) o.B.d.A. als Regel (Axiom) von S auffassen.
Hierdurch werden Beweise einfacher, da wir diese zusätzlichen Regeln (oder
Axiome) verwenden dürfen. (Was uns bei dem Nachweis der Vollständigkeit
helfen wird.)
Alternativ hätten wir auch die im Folgenden als zulässig nachgewiesenen
Regeln direkt zu S hinzunehmen können.
Wir hätten in diesem Fall natürlich beim Nachweis der Korrektheit des
Kalküls diese Regeln miteinbeziehen müssen, was den Beweis umfangreicher
gemacht hätte aber nicht wesentlich erschwert. Dies wäre also weniger
aufwändig als den Nachweis der Zulässigkeit zu führen.
Dieses Vorgehen widerpräche aber der Idee, einem Kalkül unabhängige
Axiome und Regeln zugrundezulegen, also mit möglichst wenigen und
einfachen Axiomen und Regeln auszukommen.
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Zulässige Regeln für S: Kommutativitätsregel
Kommutativität (Ko):
ϕ∨ψ
ψ∨ϕ
NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT:
Z.zg.: ϕ ∨ ψ ` ψ ∨ ϕ
1.
2.
3.
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ϕ∨ψ
¬ϕ ∨ ϕ
ψ∨ϕ
Voraussetzung
Axiom
S: 1,2
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Zulässige Regeln für S: Modus Ponens
Modus Ponens (M):
ϕ, ϕ → ψ
ψ
d.h.
ϕ, ¬ϕ ∨ ψ
ψ
NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT:
Z.zg.: ϕ, ϕ → ψ ` ψ
1.
2.
3.
4.
5.
6.
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ϕ
ψ∨ϕ
ϕ∨ψ
¬ϕ ∨ ψ
ψ∨ψ
ψ
Voraussetzung
E: 1
Ko: 2
Voraussetzung
S: 3,4
Kü: 5
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Zulässige Regeln für S: Verallgemeinerte Expansionsregel
Als nächstes wollen wir zeigen, dass sich die Expansionsregel
ψ
ϕ∨ψ
Expansion (E)
wie folgt verallgemeinern lässt:
Verallgemeinerte Expansion (VE):
ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
wobei m, n ≥ 1 und ϕi1 , . . . , ϕim ∈ {ϕ1 , . . . ϕn }
Der Nachweis der Zulässigkeit ist hier jedoch aufwändiger. Als erstes zeigen wir
die Zulässigkeit eines Spezialfalls von VE, nämlich der Schwach verallg.
Expansionsregel (VE1), und verwenden diesen dann, um die Zulässigkeit der
Verallgemeinerten Expansionsregel in deren allgemeinen Form zu zeigen.
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Zulässige Regeln für S: Schwach verallg. Expansionsregel
Schwach Verallgemeinerte Expansion (VE1)
ϕi ∨ ϕj
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
wobei 1 ≤ i < j ≤ n
NB: ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ≡ ϕ1 ∨ (. . . (ϕn−1 ∨ ϕn ) . . . )
NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT durch Ind(n) mit n ≥ 2:
Da die Behauptung für n = 2 trivial ist, dürfen wir n ≥ 3 annehmen.
Zu zeigen ist also:
ϕi ∨ ϕj ` ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ) wobei 1 ≤ i < j ≤ n, n ≥ 3
und
ϕ :≡ ϕ3 ∨ · · · ∨ ϕn
wobei nach Induktionsvoraussetzung für beliebige ϕ0i gilt:
ϕ0i 0 ∨ ϕ0j 0 ` ϕ01 ∨ · · · ∨ ϕ0m wobei 1 ≤ i 0 < j 0 ≤ m < n
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Schwach verallg. Expansionsregel: Zulässigkeit (1)
Wir unterscheiden die folgenden 3 Fälle:
(1) i = 1 und j = 2
(2) i = 1 und j ≥ 3
(2) 2 ≤ i < j ≤ n
1. FALL: i = 1 und j = 2
Zu zeigen: ϕ1 ∨ ϕ2 ` ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ)
1.
2.
3.
4.
5.
6.
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ϕ1 ∨ ϕ2
ϕ ∨ (ϕ1 ∨ ϕ2 )
(ϕ ∨ ϕ1 ) ∨ ϕ2
ϕ2 ∨ (ϕ ∨ ϕ1 )
(ϕ2 ∨ ϕ) ∨ ϕ1
ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ)
Voraussetzung
E: 1
A: 2
Ko: 3
A: 4
Ko: 5
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Schwach verallg. Expansionsregel: Zulässigkeit (2)
2. FALL: i = 1 und j ≥ 3
Zu zeigen: ϕ1 ∨ ϕj ` ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ)
(wobei 3 ≤ j ≤ n und ϕ ≡ ϕ3 ∨ · · · ∨ ϕn )
1.
2.
3.
4.
5.
6.
ϕ1 ∨ ϕj
ϕ1 ∨ ϕ
ϕ ∨ ϕ1
ϕ2 ∨ (ϕ ∨ ϕ1 )
(ϕ2 ∨ ϕ) ∨ ϕ1
ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ)
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Voraussetzung
I.V.: 1 (lasse ϕ2 in Konklusion weg)
Ko: 2
E: 3
A: 4
Ko: 5
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Schwach verallg. Expansionsregel: Zulässigkeit (3)
3. FALL: 2 ≤ i < j ≤ n
Zu zeigen: ϕi ∨ ϕj ` ϕ1 ∨ (ϕ2 ∨ ϕ)
(wobei 2 ≤ i < j ≤ n und ϕ ≡ ϕ3 ∨ · · · ∨ ϕn )
1.
2.
3.
ϕ i ∨ ϕj
ϕ 2 ∨ · · · ∨ ϕn
≡ ϕ2 ∨ ϕ
ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ ϕ
Voraussetzung
I.V.: 1 (lasse ϕ1 in Konklusion weg)
E: 2
Hiermit ist der Beweis der Zulässigkeit von (VE1 ) abgeschlossen.
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Zulässige Regeln für S: Verallgemeinerte Expansionsregel
Verallgemeinerte Expansion (VE):
ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
wobei m, n ≥ 1 und ϕi1 , . . . , ϕim ∈ {ϕ1 , . . . ϕn }
NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT DURCH Ind(m).
Wir unterscheiden dabei die folgenden Fälle:
1. Fall: m = 1 (Unterfälle: i1 = 1, 1 < i1 < n, 1 < i1 = n)
2. Fall: m = 2 (Unterfälle: i1 = i2 , i1 < i2 , i2 < i1 )
3. Fall: m ≥ 3
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Verallgemeinerte Expansionsregel: Zulässigkeit (1)
Fall 1.1: m = 1 und i1 = 1 Z.zg.: ϕ1 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
1.
2.
3.
ϕ1
(ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn ) ∨ ϕ1
ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
Voraussetzung
E: 1
Ko: 2
Fall 1.2: m = 1 und 1 < i1 < n Z.zg.: ϕi1 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 < i1 < n)
1.
2.
3.
4.
3 + (i1 − 1).
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ϕ i1
(ϕi1 +1 ∨ · · · ∨ ϕn ) ∨ ϕi1
ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕn
ϕi1 −1 ∨ ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕn
...
ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
Voraussetzung
E: 1
Ko: 2
E: 3
E: 3 + (i1 − 2)
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Verallgemeinerte Expansionsregel: Zulässigkeit (2)
Fall 1.3: m = 1 und 1 < i1 = n Z.zg.: ϕn ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 < n)
1.
2.
3.
ϕn
ϕn−1 ∨ ϕn
ϕn−2 ∨ ϕn−1 ∨ ϕn
...
ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
n.
Voraussetzung
E: 1
E: 2
E: n − 1
Fall 2.1: m = 2 und i1 = i2 Z.zg.: ϕi1 ∨ ϕi1 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 ≤ i1 ≤ n)
1.
2.
3.
ϕi1 ∨ ϕi1
ϕ i1
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
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Voraussetzung
Kü: 1
I.V.: 2 (m0 = 1 < 2)
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Verallgemeinerte Expansionsregel: Zulässigkeit (3)
Fall 2.2: m = 2 und i1 < i2 Z.zg.: ϕi1 ∨ ϕi2 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
(1 ≤ i1 < i2 ≤ n)
1.
2.
ϕi1 ∨ ϕi2
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
Voraussetzung
VE1: 2
Fall 2.3: m = 1 und i2 < i1 Z.zg.: ϕi1 ∨ ϕi2 ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
(1 ≤ i2 < i1 ≤ n)
1.
2.
3.
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ϕi1 ∨ ϕi2
ϕi2 ∨ ϕi1
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
Voraussetzung
Ko: 1
VE1: 2
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Verallgemeinerte Expansionsregel: Zulässigkeit (4)
Fall 3: m ≥ 3 Z.zg.: ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn (1 ≤ ij ≤ n)
Setze ϕ :≡ ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim
(ϕi1 ∨ ϕi2 ) ∨ (ϕi3 ∨ · · · ∨ ϕim )
(ϕi1 ∨ ϕi2 ) ∨ ϕ
ϕ ∨ (ϕi1 ∨ ϕi2 )
(ϕ ∨ ϕi1 ) ∨ ϕi2
(ϕ ∨ ϕi1 ) ∨ ϕ
ϕ ∨ (ϕ ∨ ϕi1 )
(ϕ ∨ ϕ) ∨ ϕi1
(ϕ ∨ ϕ) ∨ ϕ
ϕ∨ϕ∨ϕ
ϕ∨ϕ∨ϕ∨ϕ
(ϕ ∨ ϕ) ∨ (ϕ ∨ ϕ)
ϕ∨ϕ
ϕ
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Voraussetzung
A: 1
I.V.: 2 (m0 = m − 1 wobei
ϕ0i1 :≡ ϕi1 ∨ ϕi2 und ϕ0ij :≡ ϕij+1 (j ≥ 2))
Ko: 3
A: 4
I.V. : 5 (m0 = 2)
Ko: 6
A: 7
I.V. : 8 (m0 = 2)
Ko: 9
E: 10
A: 11
Kü: 12
Kü: 13
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Zulässige Regeln für S: Duales Assoziativgesetz
(Duale) Assoziativität (A2):
(ϕ ∨ ψ) ∨ δ
ϕ ∨ (ψ ∨ δ)
NACHWEIS DER ZULÄSSIGKEIT:
Z.zg.: (ϕ ∨ ψ) ∨ δ ` ϕ ∨ (ψ ∨ δ)
1.
2.
3.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
(ϕ ∨ ψ) ∨ δ
δ∨ϕ∨ψ
ϕ∨ψ∨δ
Voraussetzung
Ko: 1
VE: 2
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Zulässige Regeln für S: Negationsregeln
1. Negationsregel (N1)
ϕ∨ψ
¬¬ϕ ∨ ψ
2. Negationsregel (N2)
¬¬ϕ ∨ ψ
ϕ∨ψ
3. Negationsregel (N3)
ϕ → δ, ψ → δ
(ϕ ∨ ψ) → δ
d.h.
¬ϕ ∨ δ, ¬ψ ∨ δ
¬(ϕ ∨ ψ) ∨ δ
Beweis der Zulässigkeit: siehe Übungen.
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Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
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Zulässige Regeln: Zusammenfassung
Kommutativität (Ko):
ϕ∨ψ
ψ∨ϕ
1. Negationsregel (N1):
ϕ∨ψ
¬¬ϕ ∨ ψ
Modus Ponens (M):
ϕ, ϕ → ψ
ϕ, ¬ϕ ∨ ψ
d.h.
ψ
ψ
2. Negationsregel (N2):
¬¬ϕ ∨ ψ
ϕ∨ψ
Verallgemeinerte Expansion (VE):
ϕi1 ∨ · · · ∨ ϕim
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
wobei ϕi1 , . . . , ϕim ∈ {ϕ1 , . . . ϕn }
3. Negationsregel (N3):
ϕ → δ, ψ → δ
¬ϕ ∨ δ, ¬ψ ∨ δ
d.h.
(ϕ ∨ ψ) → δ
¬(ϕ ∨ ψ) ∨ δ
(Duale) Assoziativität (A2):
(ϕ ∨ ψ) ∨ δ
ϕ ∨ (ψ ∨ δ)
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Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
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2. Schritt: Tautologiesatz
SCHRITT 2:
Der Tautologiesatz
Wir zeigen nun die folgenden Spezialfälle des Vollständigkeitssatzes
T ϕ ⇒ T `ϕ
1
T = ∅, d.h. die Vollständigkeit bzgl. der Allgemeingültigkeit
(Tautologiesatz)
2
T endlich
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Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
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Der Tautologiesatz
TAUTOLOGIESATZ:
ϕ ⇒`ϕ
Zum Beweis des Tautologiesatzes benutzen wir eine trickreiche Induktion:
Wir zeigen
(∗) ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ⇒ ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
durch Induktion nach
m :=
n
X
lz(ϕi )
i=1
NB: Der Tautologiesatz folgt aus (∗) für n = 1.
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Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
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Der Tautologiesatz: Beweis
Gegeben: ϕ1 , . . . , ϕn mit ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn und m :=
Pn
i=1 lz(ϕi ).
Zum Nachweis von ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn unterscheiden wir folgende Fälle,
wobei wir nach Induktionsvoraussetzung für beliebige ψ1 , . . . , ψn0
annehmen dürfen
Pn 0
I.V. ψ1 ∨ · · · ∨ ψn0 &
i=1 lz(ψi )
< m ⇒ ` ψ1 ∨ · · · ∨ ψn0
Fall 1: ϕ1 , . . . , ϕn sind Literale.
Wegen ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn gibt es dann eine Variable A und Indizes
i1 , i2 ∈ {1, . . . , n} mit ϕi1 ≡ ¬A und ϕi2 ≡ A.
Dann gilt aber ` ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn wegen:
1.
2.
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ϕi1 ∨ ϕi2
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
Axiom
VE: 1
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Der Tautologiesatz: Beweis (Fortsetzung)
Fall 2: Sonst.
Nach Fallannahme gibt es zumindest ein i, sodass ϕi kein Literal ist.
Da es wegen der Verallgemeinerten Expansionsregel bei dem Beweis
von ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn nicht auf die Reihenfolge der Disjunktionsglieder
ankommt, können wir o.B.d.A. annehmen, dass ϕ1 kein Literal ist.
Die Formel ϕ1 muss daher eine der folgenden Gestalten haben:
I
I
I
ϕ1 ≡ ψ ∨ δ
ϕ1 ≡ ¬¬ψ
ϕ1 ≡ ¬(ψ ∨ δ)
Wir betrachten im Folgenden diese 3 Unterfälle getrennt.
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Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
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Der Tautologiesatz: Beweis (Fortsetzung)
Fall 2.1: ϕ1 ≡ ψ ∨ δ.
Wegen ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn folgt aus
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ≡ (ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
äq ψ ∨ δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn ,
dass auch ψ ∨ δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn gilt.
Da lz(ψ) + lz(δ) + lz(ϕ2 ) + · · · + lz(ϕn ) = m − 1 folgt mit I.V.
` ψ ∨ δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
und hieraus mit (A)
` (ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
d.h.
` ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
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Der Tautologiesatz: Beweis (Fortsetzung)
Fall 2.2: ϕ1 ≡ ¬¬ψ.
Wegen ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn folgt aus
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn ≡ ¬¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
äq ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn ,
dass auch ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn gilt.
Da lz(ψ) + lz(ϕ2 ) + · · · + lz(ϕn ) = m − 2 folgt mit I.V.
` ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
und hieraus mit (N1)
` ¬¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
d.h.
` ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
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Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
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Der Tautologiesatz: Beweis (Ende)
Fall 2.3: ϕ1 ≡ ¬(ψ ∨ δ).
Wegen ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn folgt aus
ϕ1 ∨ · · · ∨ ϕn
≡
¬(ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn mit
¬(ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn und
¬(ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
¬δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn ,
dass auch ¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn und ¬δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn gelten.
Da lz(¬ψ), lz(¬δ) < lz(¬(ψ ∨ δ)) = lz(ϕ1 ) folgt mit I.V.
` ¬ψ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
und ` ¬δ ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
und hieraus mit (N3)
` ¬(ψ ∨ δ) ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn
d.h. ` ϕ1 ∨ ϕ2 ∨ · · · ∨ ϕn .
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(Damit ist der Satz bewiesen.)
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Der Vollständigkeitssatz für endliches T
VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ FÜR ENDLICHES T . Für endliches T gilt:
T ϕ ⇒ T `ϕ
BEWEIS durch Ind(|T |):
|T | = 0. Dann ist T = ∅ und die Behauptung gilt nach dem Tautologiesatz.
|T | = n + 1. Dann gibt es eine Formel ψ und eine Formelmenge T 0 mit
|T 0 | = n und T = T 0 ∪ {ψ}. Es folgt:
T 0, ψ ϕ
T0 ψ → ϕ
T0 ` ψ → ϕ
T ` ψ → ϕ und T ` ψ
T `ϕ
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(nach Annahme)
(Verträglichkeit von und →)
(nach I.V.)
(wegen T 0 ⊆ T bzw. ψ ∈ T )
(Modus Ponens)
Kapitel 1.5 und 1.6: Kalküle
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3. Schritt: Deduktionstheorem
SCHRITT 3:
Das Deduktionstheorem
Wie wir bereits gesehen haben, ist der semantische Folgerungsbegriff mit
dem Junktor der Implikation verträglich:
T ϕ → ψ ⇔ T ∪ {ψ} ϕ
Wir zeigen als nächstes die entsprechende Aussage für den syntaktischen
Folgerungsbegriff, die Beweisbarkeit:
DEDUKTIONSTHEOREM: T ` ϕ → ψ ⇔ T ∪ {ϕ} ` ψ
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Deduktionstheorem: Beweis
T ` ϕ → ψ ⇒ T ∪ {ϕ} ` ψ:
Einen Beweis von ψ aus T ∪ {ϕ} erhält man wie folgt:
1. ϕ → ψ Annahme: T ` ϕ → ψ
2. ϕ
ϕ ∈ T ∪ {ϕ}
3. ψ
M: 1,2
T ∪ {ϕ} ` ψ ⇒ T ` ϕ → ψ:
T ∪ {ϕ} ` ψ nach Annahme. (Z.zg.: T ` ϕ → ψ)
Wegen der Endlichkeit von ` gibt es T0 ⊆ T endlich mit
T0 ∪ {ϕ} ` ψ.
Mit dem Korrektheitssatz folgt: T0 ∪ {ϕ} ψ.
Mit der Verträglichkeit von und → folgt: T0 ϕ → ψ.
Mit der bereits gezeigten Vollständigkeit für endliches T folgt:
T0 ` ϕ → ψ.
Mit T0 ⊆ T und der Monotonie von ` folgt schließlich: T ` ϕ → ψ.
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4. Schritt: Erfüllbarkeitslemma
SCHRITT 4:
Das Erfüllbarkeitslemma
Wir führen zunächst das syntaktische Gegenstück der Erfüllbarkeit,
nämlich die Konsistenz ein, definieren vollständige Formelmengen
und machen einige einfache Beobachtungen zu diesen Konzepten.
Wir zeigen dann, dass jede konsistente Menge erfüllbar ist
(Erfüllbarkeitslemma).
Der Vollständigkeitssatz ergibt sich dann unmittelbar aus diesem
Lemma.
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Konsistente und vollständige Formelmengen
DEFINITION. Eine Formelmenge T ist konsistent, falls es eine Formel ϕ
gibt, mit T 6` ϕ. Andernfalls ist T inkonsistent.
NB: Wie wir gesehen haben, ist eine Formelmenge T genau dann erfüllbar, wenn
es eine Formel ϕ mit T 6 ϕ gibt. Konsistenz ist daher das syntaktische
Gegenstück zur Erfüllbarkeit.
DEFINITION. Eine Formelmenge T ist vollständig, falls für jede Formel ϕ
gilt: T ` ϕ oder T ` ¬ϕ.
NB: Vollständigkeit im Sinne dieser Definition und Vollständigkeit im Sinne des
Vollständigkeitssatzes sind unterschiedliche Konzepte, zwischen denen kein
direkter Zusammenhang besteht!
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Alternative Charakterisierung der Konsistenz
Die Konsistenz einer Formelmenge T lässt sich alternativ wie folgt beschreiben:
LEMMA (CHARAKTERISIERUNGSLEMMA, CKL).
T konsistent ⇔ Es gibt kein ϕ mit T ` ϕ und T ` ¬ϕ.
BEWEIS. Die nichttriviale Richtung ⇒ zeigen wir durch Kontraposition: aus der
Annahme, dass T ` ϕ und T ` ¬ϕ gelte, leiten wir T ` ψ für ψ beliebig wie
folgt ab:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
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ϕ
¬ϕ
ϕ∨ψ
¬ϕ ∨ ψ
ψ∨ψ
ψ
Annahme
Annahme
VE: 1
VE: 2
S: 3,4
Kü: 5
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Das Endlichkeitslemma für die Konsistenz
Offensichtlich ist jede Teilmenge einer konsistenten Menge wiederum konsistent.
Aus der Endlichkeit des Beweisbegriffs ergibt sich umgekehrt, dass eine
Formelmenge bereits konsistent ist, wenn alle ihre endlichen Teilmengen
konsistent sind:
LEMMA (ENDLICHKEITSLEMMA FÜR KONSISTENZ (EK)). Eine
Formelmenge T ist genau dann konsistent, wenn jede endliche Teilmenge T0 von
T konsistent ist.
BEWEIS. Die nichttriviale Richtung zeigt man durch Kontraposition:
Sei T inkonsistent.
Nach dem CKL-Lemma gibt es dann ϕ mit T ` ϕ und T ` ¬ϕ.
Wegen des Endlichkeitssatzes für ` gibt es dann aber T0 ⊆ T endlich mit
T0 ` ϕ und T0 ` ¬ϕ.
Nach dem CKL-Lemma ist dann aber T0 inkonsistent.
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Konsistenz vs. Beweisbarkeit
Bei der Analyse des Folgerungsbegriffs haben wir den folgenden
Zusammenhang zwischen Folgerungs- und Erfüllbarkeitsbegriff beobachtet:
T ϕ ⇔ T ∪ {¬ϕ} nicht erfüllbar
(LFE)
Auf der syntaktischen Ebene ist das entsprechende Ergebnis:
LEMMA ÜBER BEWEISBARKEIT UND KONSISTENZ (LBK).
T ` ϕ ⇔ T ∪ {¬ϕ} inkonsistent
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Konsistenz vs. Beweisbarkeit: Beweis von LBK
T ` ϕ ⇒ T ∪ {¬ϕ} inkonsistent:
Annahme: T ` ϕ. Dann:
T ∪ {¬ϕ} ` ϕ
Annahme und Monotonie von `
T ∪ {¬ϕ} ` ¬ϕ Trivialerweise
Also: T ∪ {¬ϕ} inkonsistent nach dem CKL-Lemma.
T ` ϕ ⇐ T ∪ {¬ϕ} inkonsistent:
Annahme: T ∪ {¬ϕ} inkonsistent. Dann:
⇒
⇒
⇒
T
T
T
T
∪ {¬ϕ} ` ϕ
` ¬ϕ → ϕ
`ϕ∨ϕ
`ϕ
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wegen Inkonsistenz von T ∪ {¬ϕ}
Deduktionstheorem
mit N2 (NB: ¬ϕ → ϕ ≡ ¬¬ϕ ∨ ϕ)
mit Kü
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Konsistenz vs. Erfüllbarkeit: Korrektheitssatz und
Konsistenzlemma
Die Übereinstimmung des (semantischen) Folgerungsbegriffs und des
(syntaktischen) Beweisbarkeitsbegriffs ist äquivalent zur Übereinstimmung des
(semantischen) Erfüllbarkeitsbegriffs und des (syntaktischen) Konsistenzbegriffs.
So erhalten wir aus dem Korrektheitssatz das folgende
KONSISTENZLEMMA. Jede erfüllbare Formelmenge T ist konsistent.
BEWEIS (durch Kontraposition): Sei T inkonsistent. Dann gibt es nach dem
CKL-Lemma eine Formel ϕ mit T ` ϕ und T ` ¬ϕ. Mit dem Korrektheitssatz
folgt: T ϕ und T ¬ϕ. Da es keine Belegung B mit B(ϕ) = B(¬ϕ) = 1 gibt,
gibt es also keine Belegung B mit B T . D.h. T ist nicht erfüllbar.
Entsprechend folgt aus der Umkehrung des Konsistenzlemmas (dem
Erfüllbarkeitslemma) der Vollständigkeitssatz:
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Konsistenz vs. Erfüllbarkeit: Erfüllbarkeitslemma und
Vollständigkeitssatz
ERFÜLLBARKEITSLEMMA (EL). Jede konsistente Formelmenge T ist erfüllbar.
Das Erfüllbarkeitslemma impliziert den Vollständigkeitssatz:
VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ (VS). T ϕ ⇒ T ` ϕ.
Beweis des Vollständigkeitssatzes mit Hilfe von EL:
⇒
⇒
⇒
T ϕ
Annahme
nicht erfb[T ∪ {¬ϕ}]
LFE
T ∪ {¬ϕ} inkonsistent EL (Kontraposition)
T `ϕ
LBK
Um den Beweis des Vollständigkeitssatzes abzuschließen, müssen wir also nur
noch das Erfüllbarkeitslemma beweisen!
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Beweis von EL: Übersicht
Gegeben: eine konsistente Formelmenge T .
Zu zeigen: T ist erfüllbar.
Der Beweis erfolgt in 2 Schritten:
Schritt 1: Erweitere T zu einer vollständigen konsistenten Menge TV .
Schritt 2: Zeige, dass jede vollständige konsistente Menge TV
erfüllbar ist.
Da jede Teilmenge einer erfüllbaren Menge ebenfalls erfüllbar ist, folgt
hieraus die Erfüllbarkeit von T .
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Bew. von EL: eine vollst. kons. Erweiterung TV von T :
Definition von TV
Sei ϕ0 , ϕ1 , ϕ2 , . . . eine Aufzählung aller Formeln.
Definiere T ⊆ T0 ⊆ T1 ⊆ T2 ⊆ . . . induktiv durch
(
Tn
falls Tn ` ϕn
T0 := T und Tn+1 :=
Tn ∪ {¬ϕn } sonst
und setze
TV :=
[
Tn .
n≥0
Nach Definition ist TV eine Obermenge von T .
Zu zeigen bleibt, dass TV vollständig und konsistent ist.
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Bew. von EL: eine vollst. kons. Erweiterung TV von T :
Vollständigkeit von TV
Sei ϕ eine beliebige Formel. Z.zg.: TV ` ϕ oder TV ` ¬ϕ.
Wähle n mit ϕn ≡ ϕ.
Dann gilt nach Definition der Erweiterungen Tn von T : Tn ` ϕ oder
¬ϕ ∈ Tn+1 und daher Tn+1 ` ¬ϕ.
Da TV eine Obermenge von Tn und Tn+1 ist, folgt mit der Monotonie von
`, dass TV ` ϕ oder TV ` ¬ϕ gilt.
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Bew. von EL: eine vollst. kons. Erweiterung TV von T :
Konsistenz von TV
Wir zeigen zunächst durch Ind(n), dass die Mengen Tn konsistent sind:
I
I
n = 0: Wegen T0 = T folgt dies aus der Annahme, dass T konsistent
ist.
n + 1: Da nach I.V. Tn konsistent ist, ist die Behauptung trivial, falls
Tn+1 = Tn . Andernfalls gilt Tn+1 = Tn ∪ {¬ϕn } und Tn 6` ϕn . Aus
Letzterem folgt aber mit LBK die Konsistenz von Tn ∪ {¬ϕn } also von
Tn+1 .
Die Konsistenz von TV ergibt sich hieraus wie folgt:
Widerspruchsannahme: TV inkonsistent.
Dann gibt es (nach EK) eine endliche Teilmenge T 0 von TV , die inkonsistent
ist. Da TV die Vereinigung der aufsteigenden Kette Tn (n ≥ 0) ist, ist die
endliche Teilmenge T 0 von TV aber in einem Tn enthalten, das dann
ebenfalls inkonsistent ist (triviale Richtung von EK). Widerspruch!
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Bew. von EL: Erfüllbarkeit der vollst. und kons. Menge TV :
Definition einer Belegung B
Definiere eine Belegung B aller Variablen durch
(
1 falls TV ` An
B(An ) =
0 falls TV ` ¬An .
NB: Die Abbildung B : {An : n ≥ 0} → {0, 1} ist
wohldefiniert, da wegen der Konsistenz von TV für kein n TV ` An und
TV ` ¬An gilt, und
total, da wegen der Vollständigkeit von TV für jedes n TV ` An oder
TV ` ¬An gilt.
BEHAUPTUNG: B TV .
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Bew. von EL: Erfüllbarkeit der vollst. und kons. Menge TV :
Nachweis von B TV
Zum Nachweis von B TV genügt es
(∗) B ϕ ⇔ TV ` ϕ
durch Ind(ϕ) zu zeigen.
ϕ ≡ A: Dann gilt (∗) gerade nach Definition von B.
ϕ ≡ ¬ψ: Dann gilt
Bϕ ⇔
⇔
⇔
⇔
⇔
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B ¬ψ
B 6 ψ
TV 6` ψ
TV ` ¬ψ
TV ` ϕ
(da ϕ ≡ ¬ψ)
(da B Belegung)
(nach I.V.)
(da TV vollständig und konsistent)
(da ϕ ≡ ¬ψ)
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Bew. von EL: Erfüllbarkeit der vollst. und kons. Menge TV :
Nachweis von B TV (Fortsetzg.)
ϕ ≡ ψ ∨ δ: Wegen
B ψ∨δ
⇔ B ψ oder B δ
⇔ TV ` ψ oder TV ` δ
(da B Belegung)
(nach I.V.)
genügt es TV ` ψ oder TV ` δ ⇔ TV ` ψ ∨ δ zu zeigen.
I
⇒: Wende die Regel (VE) an.
I
⇐: Der Beweis ist durch Kontraposition:
TV 6` ψ und TV 6` δ
⇒ TV ` ¬ψ und TV ` ¬δ
⇒ TV ` ¬ψ ∨ ¬(ψ ∨ δ) und
TV ` ¬δ ∨ ¬(ψ ∨ δ)
⇒ TV ` ¬(ψ ∨ δ) ∨ ¬(ψ ∨ δ)
⇒ TV ` ¬(ψ ∨ δ)
⇒ TV 6` ψ ∨ δ
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(nach Annahme)
(da TV vollständig)
(mit (VE))
(mit (N3))
(mit (Kü))
(da TV konsistent)
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Folgerungen aus dem Vollsändigkeitssatz
Hiermit ist der Beweis des Erfüllbarkeitslemma abgeschlossen.
Da wir bereits gezeigt haben, dass der Vollständigkeitssatz aus dem
Erfüllbarkeitslemma folgt, ist damit auch der Vollständigkeitssatz bewiesen.
Im Folgenden betrachten wir noch einige Folgerungen aus dem
Vollständigkeitssatz.
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Der Adäquatheitssatz
Vollständigkeits- und Korrektheitsatz lassen sich zusammenfassen zu:
ADÄQUATHEITSSATZ (für den Folgerungsbegriff). Für jede Formelmenge T
und jede Formel ϕ gilt: T ϕ ⇔ T ` ϕ
BEWEIS: ⇒: Vollständigkeitssatz ⇐: Korrektheitssatz
Entsprechend folgt aus dem Erfüllbarkeits- und Konsistenzlemma:
ADÄQUATHEITSSATZ (für den Erfüllbarkeitsbegriff). Für jede Formelmenge T
gilt: T erfüllbar ⇔ T konsistent
BEWEIS: ⇒: Konsistenzlemma ⇐: Erfüllbarkeitslemma
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Der Kompaktheitssatz (1)
Mit Hilfe des Adäquatheitssatzes überträgt sich die Endlichkeit des
Beweisbarkeitsbegriffs auf den semantischen Folgerungsbegriff:
KOMPAKTHEITSSATZ oder ENDLICHKEITSSATZ (für den Folgerungsbegriff).
Eine Formel ϕ folgt genau dann aus einer Formelmenge T , wenn es eine endliche
Teilmenge T0 von T gibt, aus der ϕ folgt:
T ϕ ⇔ Es gibt T0 ⊆ T endlich: T0 ϕ
BEWEIS:
T ϕ ⇔
⇔
⇔
T `ϕ
Adäquatheitssatz
Es gibt T0 ⊆ T endlich: T0 ` ϕ Endlichkeitssatz für `
Es gibt T0 ⊆ T endlich: T0 ϕ Adäquatheitssatz
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Der Kompaktheitssatz (2)
Alternativ lässt sich der Endlichkeitssatz auch für die Erfüllbarkeit formulieren:
KOMPAKTHEITSSATZ oder ENDLICHKEITSSATZ (für den Erfüllbarkeitsbegriff).
Eine Formelmenge T ist genau dann erfüllbar, wenn jede endliche Teilmenge T0
von T erfüllbar ist:
erfb[T ] ⇔ Für alle T0 ⊆ T endlich: erfb[T0 ]
BEWEIS:
erfb[T ] ⇔
⇔
⇔
T konsistent
Adäquatheitssatz f. Erfb.
Für alle T0 ⊆ T endlich: T0 konsistent EK
Für alle T0 ⊆ T endlich: erfb[T0 ]
Adäquatheitssatz f. Erfb.
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Entscheidbarkeit der Beweisbarkeit
Abschliessend bemerken wir, dass die Menge der (im Shoenfield-Kalkül)
beweisbaren Formeln {ϕ : ` ϕ} entscheidbar ist, da wegen des
Adäquatheitssatzes {ϕ : ` ϕ} = {ϕ : ϕ} gilt und da wir bereits gesehen
haben, dass die Menge der allgemeingültigen Formeln entscheidbar ist.
Für einen beliebigen Kalkül K gilt, dass wegen der Entscheidbarkeit der
Axiome und Regeln die Menge der Beweise {~
ϕ: ϕ
~ K-Beweis} ebenfalls
entscheidbar ist.
Es folgt, dass die Menge der beweisbaren Formeln aufzählbar ist.
(Nämlich: Da die Menge der Beweise entscheidbar ist, ist diese Menge
insbesondere aufzählbar. Ein Aufzählungsverfahren für die Beweise lässt sich
aber in ein Aufzählungsverfahren der beweisbaren Formeln umformen: Es
genügt statt der einzelnen Beweise jeweils nur die letzte Formel des Beweises
auszugeben!)
Es gibt aber Kalküle deren Beweisbarkeitsbegriff unentscheidbar ist. Dies gilt
z.B. für adäquate Kalküle der Prädikatenlogik, wie wir noch sehen werden.
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