Kapitel 3 Ein adäquater Kalkül der Prädikatenlogik Teil 4 Folgerungen aus dem Vollständigkeitssatz Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 1 / 16 3.8 Folgerungen aus dem Vollständigkeitssatz Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 2 / 16 Vollständigkeitssatz In den vorangegangenen Abschnitten haben wir den Vollständigkeitssatz bewiesen: VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ. T � σ ⇒ T � σ Zusammen mit dem (einfach zu beweisenden Korrektheitssatz) zeigt dies, dass sich der semantische Folgerungsbegriff durch den Beweisbarkeitsbegriff (in einem geeignet gewählten Kalkül) beschreiben lässt. Insbesondere lassen sich also alle logisch wahren (= allgemeingültige) Sätze beweisen. In anderen Worten: der nach Definition in hohem Maße nichtkonstruktive Wahrheitsbegriff lässt sich durch den konstruktiven Beweisbegriff beschreiben und wird damit einer mathematischen Analyse zugänglich gemacht. Bewiesen wurde der Vollständigkeitssatz von Kurt Gödel (1929). Der von uns vorgestellte Beweis geht auf Henkin (1949) zurück. In diesem letzten Teil von Kapitel 3 stellen wir einige wichtige Folgerungen aus dem Vollständigkeitssatz (bzw. dessen Beweis) vor. Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 3 / 16 Adäquatheitssatz Aus dem Vollständigkeitssatz (VS) zusammen mit dem Korrektheitssatz erhält man unmittelbar den Adäquatheitssatz: ADÄQUATHEITSSATZ. T � σ ⇔ T � σ Der (semantische) Folgerungsbegriff und der (syntaktische) Beweisbarkeitsbegriff (im Shoenfield-Kalkül) fallen also zusammen. Entsprechend folgt aus dem Erfüllbarkeitslemma zusammen mit dem Konsistenzlemma, dass der (semantische) Erfüllbarkeitsbegriff mit dem (syntaktischen) Konsistenzbegriff zusammenfällt: SATZ ÜBER KONSISTENZ UND ERFÜLLBARKEIT. T erfüllbar ⇔ T konsistent Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 4 / 16 Kompaktheitssatz Eine wichtige Folgerung aus dem Adäquatheitssatz ist der Kompaktheitsatz: KOMPAKTHEITSSATZ (oder ENDLICHKEITSSATZ). (i) Eine Theorie T ist genau dann erfüllbar, wenn jede endliche Teiltheorie T0 von T erfüllbar ist. (ii) Ein Satz σ folgt genau dann aus einer Theorie T , wenn es eine endliche Teiltheorie T0 gibt, aus der σ folgt. Der Kompaktheitssatz spielt eine wichtige Rolle bei dem Nachweis der Nichtbeschreibbarkeit von Strukturen und Strukturklassen in der Prädikatenlogik erster Stufe, wie wir im folgenden Kapitel 4 zeigen werden. Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 5 / 16 Kompaktheitssatz: Beweisidee Zum Beweis des Kompaktheitssatzes genügt es zu beobachten, dass für die entsprechenden Aussagen auf der syntaktischen Ebene (i) Eine Theorie T ist genau dann konsistent, wenn jede endliche Teiltheorie T0 von T konsistent ist. (ii) Ein Satz σ ist aus einer Theorie T genau dann beweisbar, wenn es eine endliche Teiltheorie T0 von T gibt, aus der σ beweisbar ist. die nichttrivialen Implikationen direkt aus der Finitheit des Beweisbegriffs folgen. Da nach dem Adäquatheitssatz Konsistenz = Erfüllbarkeit und Folgerung = Beweisbarkeit gelten, ergibt sich dann der Kompaktheitssatz hieraus unmittelbar. Im Folgenden führen wir den Beweis im Detail aus. Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 6 / 16 Kompaktheitssatz: Beweis von (i) BEHAUPTUNG: (i) T erfüllbar ⇔ ∀ T0 ⊆ T endlich: T0 erfüllbar Da die Richtung ⇒ unmittelbar aus der Definition der Erfüllbarkeit folgt, genügt es die Richtung ⇐ zu beweisen. Wir zeigen diese Richtung durch Kontraposition: ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ T nicht erfüllbar T nicht konsistent ∃ σ : T � σ & T � ¬σ ∃ T0 ⊆ T endlich ∃ σ : T0 � σ & T0 � ¬σ ∃ T0 ⊆ T endlich: T0 nicht konsistent ∃ T0 ⊆ T endlich: T0 nicht erfüllbar (Erfüllbarkeitslemma) (Charakt. d. Konsistenz) (Endlichkeitssatz für �) (Charakt. d. Konsistenz) (Konsistenzlemma) (Wir benutzen zum Beweis von (i) also: (1) die Übereinstimmung von Erfüllbarkeit und Konsistenz und (2) die Tatsache, dass sich die (i) entsprechende Aussage für die Konsistenz leicht aus der Finitheit des Beweisbegriffs ergibt.) Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 7 / 16 Kompaktheitssatz: Beweis von (ii) BEHAUPTUNG: (ii) T � σ ⇔ ∃ T0 ⊆ T endlich: T0 � σ Da die Richtung ⇐ unmittelbar aus der Definition des Folgerungsbegriffs folgt, genügt es die Richtung ⇒ zu beweisen: T �σ ⇒ T �σ ⇒ ∃ T0 ⊆ T endlich: T0 � σ ⇒ ∃ T0 ⊆ T endlich: T0 � σ (Vollständigkeitsatz) (Endlichkeitssatz für �) (Korrektheitssatz) (Wir benutzen zum Beweis von (ii) also: (1) die Übereinstimmung von Folgerungsbegriff und Beweisbarkeit und (2) die Tatsache, dass sich die (ii) entsprechende Aussage für die Beweisbarkeit leicht aus der Finitheit des Beweisbegriffs ergibt.) Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 8 / 16 Satz von Löwenheim SATZ VON LÖWENHEIM. Sei T = (L, Σ) eine erfüllbare L-Theorie, wobei die Sprache L abzählbar sei. Dann besitzt T ein abzählbares Modell. BEWEIS. Wie wir im Beweis des Erfüllbarkeitslemmas gezeigt haben, ist die Einschränkung A(TH )V � L des Termmodells A(TH )V der Vervollständigung (TH )V der Henkin-Erweiterung TH = (LH , ΣH ) von T ein Modell von T . Es genügt also zu beobachten, dass der Individuenbereich von A(TH )V � L abzählbar ist. Dies sieht man wie folgt ein: Da L abzählbar ist, ist nach dem Satz über Henkin-Erweiterungen auch LH abzählbar. Da die Vervollständigung einer Theorie die Sprache nicht verändert, ist weiterhin LH die Sprache von (TH )V . Da eine abzählbare Sprache höchstens abzählbar unendlich viele konstante Terme besitzt, und da die Individuen einer Termstruktur Äquivalenzklassen konstanter Terme der zugehörigen Sprache sind, ist also die Termstruktur A(TH )V abzählbar. Hieraus folgt die Behauptung, da die Individuenbereiche von A(TH )V � L und A(TH )V übereinstimmen. Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 9 / 16 Satz von Löwenheim: Anwendungsbeispiel Die Sprache L = L(≤; +, ·; 0, 1) der Struktur R = (R; ≤; +, ·; 0, 1) der reellen Zahlen ist endlich (also insbesondere abzählbar). Die Theorie Th(R) der reellen Zahlen (Analysis) besitzt daher ein abzählbares Modell A. Da R überabzählbar ist, sind R und A trivialerweise nicht isomorph. (Den Begriff der Isomorphie werden wir formal im nächsten Kapitel einführen. Hier genügt es zu wissen, dass ein Isomorphismus zweier Strukturen eine Bijektion deren Träger ist.) Ein zu R nichtisomorphes Modell von Th(R) bezeichnet man als Nichtstandardmodell der Analysis. In der Nichtstandard-Analysis untersucht man Eigenschaften von R (d.h. beweist man Sätze von Th(R)) mit Hilfe von Nichtstandardmodellen. Literatur: Robinson, A.: Non-standard analysis. North-Holland Publishing Co., Amsterdam 1966. Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 10 / 16 Satz von Löwenheim: Anwendungsbeispiel (Fortseztung) Nichtstandardmodelle der Analysis besitzen “unendlich große” Zahlen x und daher auch “infinitesimal kleine” Zahlen (nämlich x1 für unendliches x), d.h. Zahlen �= 0, die näher an der 0 liegen als alle reelle Zahlen. Wir werden hier auf Nichtstandardmodelle der Analysis nicht weiter eingehen, aber im nächsten Kapitel die Existenz von Nichtstandardmodellen der Arithmetik (d.h. der Theorie Th(N ) der natürlichen Zahlen) betrachten. Die Nichtstandardmodelle der Arithmetik enthalten (wie wir zeigen werden) neben den natürlichen Zahlen (genauer: isomorphen Kopien der natürlichen Zahlen), die man asl die Standardzahlen bezeichnet, unendliche viele Nichtstandardzahlen, die alle größer als die Standardzahlen - also unendlich groß - sind. Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 11 / 16 Satz von Löwenheim: Anmerkungen Mit Hilfe des Kompaktheitssatzes kann man auch zeigen, dass jede Theorie, die ein unendliches Modell besitzt, auch ein überabzählbares Modell besitzt (→ Übungen). Der Satz von Löwenheim und die obige Aussage lassen sich im Rahmen der Kardinalzahltheorie der Mengenlehre auch auf andere unendliche Mächtigkeiten übertragen (→ Satz von Löwenheim-Skolem abwärts und Satz von LöwenheimSkolem aufwärts): Im Unendlichen erfüllbare Theorien T = (L, Σ) über einer Sprache der Kardinalität κ besitzen Modelle der Größe κ� für alle unendlichen Kardinalzahlen κ� ≥ κ. Modelle, die kleinere Kardinalität als die Sprache haben, gibt es dagegen i.a. nicht. So besitzt z.B. die Theorie T = (L, Σ) über der überabzählbaren Sprache mit Konstantenmenge (cr : r ∈ R) (ohne Relations- und Funktionszeichen) und Axiomenmenge Σ = {cr �= cr � : r , r � ∈ R & r �= r � } nur überabzählbare Modelle, da die überabzählbar vielen Konstanten durch paarweise verschiedene Individuen interpretiert werden müssen. Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 12 / 16 Äquivalenz von Theorien Wie wir schon gesehen haben, folgt aus dem Adäquatheitssatz direkt, dass eine Theorie T = (L, Σ) genau dann erfüllbar ist, wenn diese konsistent ist. Entsprechend folgt unmittelbar, dass der syntaktisch definierte deduktive Abschluss von T und der semantisch definierte Abschluss von T unter Folgerungen übereinstimmen: Es gilt C� (T ) = C� (T ) da wegen Σ � σ ⇔ Σ � σ {σ : σ L-Satz und Σ � σ} = {σ : σ L-Satz und Σ � σ}. Die von uns ursprünglich syntaktisch definierte Äquivalenz von L-Theorien lässt sich also auch semantisch beschreiben: T äquivalent zu T � ⇔ C� (T ) = C� (T � ) ⇔ C� (T ) = C� (T � ) Im Folgenden sagen wir auch dass die L-Theorien T und T � gleich sind, wenn diese äquivalent sind, und schreiben T = T � . (Aus T = T � folgt also i.a. nicht Σ = Σ� aber aus Σ = Σ� stets T = T � .) Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 13 / 16 Satz über vollständige und erfüllbare Theorien Ist A eine L-Struktur, so ist die Theorie Th(A) = {σ : A � σ} erfüllbar (da A � Th(A)) und vollständig (da A � σ oder A � ¬σ). Umgekehrt ist jede vollständige und erfüllbare L-Theorie T die Theorie einer L-Struktur A: SATZ ÜBER VOLLSTÄNDIGE ERFÜLLBARE THEORIEN. Sei T eine vollständige und erfüllbare L-Theorie. Dann gibt es eine L-Struktur A mit T = Th(A). BEWEISIDEE: Sei A = A(TH )V � L die Einschränkung des Termmodells A(TH )V der Vervollständigung (TH )V der Henkin-Erweiterung TH von T auf die Sprache L. Dann ist T = Th(A): Da T erfüllbar und damit konsistent ist, folgt aus dem Satz über HenkinErweiterungen und dem Satz von Lindenbaum, dass (TH )V eine konsistente Erweiterung von T ist. Da T aber auch vollständig, also maximal konsistent ist, folgt hieraus T = (TH )V � L. Da wegen des Satzes über Termmodelle jedoch (TH )V = Th(A(TH )V ) gilt, folgt hieraus T = Th(A(TH )V ) � L = Th(A). Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 14 / 16 Aufzählbarkeit der Menge der allgemeingültigen Sätze Zum Abschluss gehen wir noch kurz auf eine algorithmische Folgerung des Adäquatheitssatzes ein. Wie wir schon in Kapitel 1 gesehen haben, ist die Menge der in einem Kalkül beweisbaren Formeln aufzählbar. Vorausgesetzt wird hierbei, dass der Formelbegriff entscheidbar ist. Für die Sprachen L der Prädikatenlogik ist dies der Fall, wenn diese endlich sind (oder abzählbar und die nichtlogischen Zeichen effektiv gegeben sind). Wir erhalten also aus dem Adäquatheitssatz: SATZ. Sei L eine endliche Sprache. Dann ist die Menge der allgemeingültigen L-Formeln (und entsprechend die Menge der allgemeingültigen L-Sätze) aufzählbar. Ohne den Adäquatheitssatz ist es nicht leicht dies zu zeigen, da der Allgemeingültigkeitsbegriff nach seiner Definition in hohem Grade nicht-effektiv ist. Er spricht über alle L-Strukturen (von denen es überabzählbar viele gibt) und von der Wahrheit in einzelnen Strukturen A, wobei A beliebig kompliziert sein mag. Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 15 / 16 Aufzählbarkeit der Menge der allgemeingültigen Sätze In Kapitel 6 werden wir zeigen, dass die Menge der allgemeingültigen L-Formeln und -Sätze i.a. aber nicht entscheidbar ist und, dass die Gültigkeit in einzelnen Strukturen nicht aufzählbar sein muss. Dies gilt z.B. für die Struktur N der Arithmetik (→ 1. Gödelscher Unvollständigkeitssatz). Mathematische Logik (WS 2012/13) Kap. 3: Shoenfields Kalkül der PL (Teil 4) 16 / 16