1 Algebraische Strukturen

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Prof. Dr. Rolf Socher, FB Technik
Mathematik I B (für Informatiker)
Algebraische Strukturen: Gruppen, Ringe, Körper
1
1 Algebraische Strukturen
In der Mathematik beschäftigt man sich oft mit Mengen, auf denen
bestimmte Operationen definiert sind. Es kommt oft vor, dass diese Operationen auf ganz verschiedenen Mengen ganz ähnliche Eigenschaften haben.
Beispielsweise gelten für die Operationen ∪ , ∩ und der Mengenlehre
genau die gleichen Gesetze wie für die Operationen ∧, ∨ und ¬ der Aussagenlogik. In der Mathematik definiert man dann eine abstrakte Struktur
(in diesem Fall die Struktur boolesche Algebra), das heißt eine Menge, auf
der bestimmte Verknüpfungen definiert sind, und beschreibt diese Struktur
durch gewisse Axiome (in diesem Fall die Axiome der booleschen Algebra).
Die Sätze und Eigenschaften, die man dann aus den Axiomen ableiten
kann, gelten dann für alle konkreten Modelle der abstrakten Struktur (in
diesem Fall für die bekannten Modelle der booleschen Algebra, also die
Mengenlehre und die Aussagenlogik).
In diesem Text sollen drei grundlegende algebraische Strukturen vorgestellt werden. Diese lassen sich in folgendem Diagramm darstellen.
Gruppen
Ringe
Ringe ohne 1
Vektorräume
Ringe mit 1
Körper
Der Pfeil wird gelesen als „ist ein …“: Der Körper ist ein Ring mit 1; der
Ring ist ein Körper usw. Die Raute bezeichnet die Aggregation, er kann
gelesen werden als „hat ein …“ bzw. „verwendet ein …“. Ein Vektorraum ist
eine Gruppe, die zusätzlich einen Körper verwendet.
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2 Gruppen
Definition 1 (Die Gruppenaxiome)
Eine Gruppe (G, ∗) besteht aus einer Menge G und einer Verknüpfung ∗
auf G mit den folgenden Eigenschaften:
(G1) Es gibt ein Element e ∈ G mit der Eigenschaft e∗a = a∗e = a für alle
a ∈ G. e heißt neutrales Element von G.
(G2) Zu jedem a ∈ G gibt es ein inverses Element a–1 mit der Eigenschaft
a–1∗a = a∗a–1 = e.
(G3) Für alle a, b, c ∈ G gilt: (a∗b)∗c = (a∗b)∗c. (Assoziativgesetz)
Das Assoziativgesetz besagt, dass Klammern weggelassen werden können:
a∗b∗c = (a∗b)∗c = (a∗b)∗c.
Die Gruppe G heißt kommutative Gruppe oder abelsche Gruppe, falls
zusätzlich das Kommutativgesetz erfüllt ist:
(KG) Für alle a, b ∈ G gilt: a∗b = b∗a.
Aus den Gruppenaxiomen können weitere Rechengesetze für Gruppen hergeleitet werden. Als Beispiel zwei Eigenschaften:
Satz 2 Ist G eine Gruppe, so gilt für alle a, b ∈ G:
a) Es gibt genau ein x ∈ G mit a∗x = b und ein y ∈ G mit y∗a = b.
b) Es gilt (a∗b)–1 = b–1∗a–1.
Beweis: a) Es gibt ein solches x, nämlich x = a–1∗b. Dann gilt
a∗x = a∗a–1∗b = e∗b = b
Dieses x ist eindeutig, denn: Aus a∗x1 = b und a∗x2 = b folgt a∗x1 = a∗x2, also
a–1∗a∗x1 = a–1∗a∗x2, also e∗x1 = e∗x2, also x1 = x2.
Entsprechend der Beweis für y∗a = b.
b) Es ist (b–1∗a–1)∗(a∗b) = b–1∗a–1∗a∗b = b–1∗e∗b = b–1∗b = e, also ist b–1∗a–1
die Inverse von a∗b.
Beispiele von Gruppen:
a) ( IR, +) ist eine kommutative Gruppe mit neutralem Element e = 0 und
Inversem a–1 = –a.
b) ( IR–{0}, ⋅) ist eine kommutative Gruppe mit neutralem Element e = 1
und Inversem a–1 = 1/a.
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c) (ZZ , +) ist eine kommutative Gruppe mit neutralem Element e = 0 und
Inversem a–1 = –a.
d) ( IN, +) ist keine Gruppe. Warum nicht??
Definition 3 Ist U eine Teilmenge der Gruppe (G,∗), so heißt U Untergruppe
von U, falls (U,∗) selbst eine Gruppe ist.
Es gilt: U ist genau dann eine Untergruppe von (G,*), falls für alle a, b ∈ U
gilt:
a∗b ∈ U und a–1∈ U
Beispiele:
a) (ZZ , +) und ( Q,
I +) sind Untergruppen von ( IR, +).
b) ( IN, +) ist keine Untergruppe von ( IR, +).
c) Sei G die Menge der geraden ganzen Zahlen,
G = {2n | n ∈ ZZ }.
Dann ist (G, +) eine Untergruppe von (ZZ , +), denn die Summe zweier
gerader Zahlen ist wieder gerade, und das Negative einer ganzen Zahl
ist eine ganze Zahl.
Die Menge der ungeraden Zahlen ist dagegen keine Untergruppe von
(ZZ , +), denn sie enthält nicht das neutrale Elememnt 0 (0 ist keine
ungerade Zahl).
d) Verallgemeinerung des Beispiels aus c): Sei m > 1 irgendeine natürliche Zahl. Dann ist die Menge der (positiven und negativen) Vielfachen
von m, nämlich
{mn | n ∈ ZZ }
eine Untergruppe von (ZZ , +).
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3 Ringe
Definition 4 (Die Ringaxiome)
Ein Ring (R, +, ⋅ ) besteht aus einer Menge R und zwei Verknüpfungen +
und ⋅ auf R mit den folgenden Eigenschaften:
(R1) (R, +) ist eine kommutative Gruppe.
(R2) Für alle a, b, c ∈ R gilt: (a ⋅ b) ⋅ c = (a ⋅ b) ⋅ c. (Assoziativgesetz)
(R2) Für alle a, b, c ∈ R gilt:
a ⋅ (b+c) = a ⋅ b + a ⋅ c und
(b+c) ⋅ a = b ⋅ a + c ⋅ a (Distributivgesetze)
Der Ring R heißt kommutativer Ring, falls zusätzlich das Kommutativgesetz der Multiplikation erfüllt ist:
(KR) Für alle a, b ∈ R gilt: a ⋅ b = b ⋅ a.
Der Ring R heißt Ring mit Einselement, falls er zusätzlich ein neutrales
Element der Multiplikation hat:
(RE) Für alle a ∈ R gilt: a ⋅ 1 = 1 ⋅ a = a.
Ein Ring ist also eine kommutative additive Gruppe mit einer zusätzlichen
assoziativen und distributiven Multiplikation. Ein Ring hat immer eine 0
(neutrales Element der Addition), jedoch nicht immer eine 1 (neutrales Element der Multiplikation).
Beispiele von Ringen:
a) (ZZ , +, ⋅) , ( Q,
I +, ⋅) , ( IR, +, ⋅) sind Ringe.
b) Sei n>1 eine natürliche Zahl. Die Menge ZZ n der Restklassen modulo n
bildet einen Ring (ZZ n ,⊕, ⊗) mit 1. Beispiel für n = 4:
⊕
0
1
2
3
⊗
0
1
2
3
0
0
1
2
3
0
0
0
0
0
1
1
2
3
0
1
0
1
2
3
2
2
3
1
0
2
0
2
0
2
3
3
0
1
2
3
0
3
2
1
Das Nullelement (bzgl. Addition) ist die 0, das inverse Element –m zu m ist
n–m, denn m+n–m = n ≡ 0 (mod n).
c) Sei IR[x] die Menge der reellen Polynome über der Variablen x. Die
Verknüpfungen + und ⋅ sind definiert durch:
(p + q) (x) = p(x) + q(x) und
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(p ⋅ q) (x) = p(x) ⋅ q(x)
Beispiel: p(x) = 3x2 – 4x + 1 und q(x) = x3 + 4x. Dann gilt
p(x) + q(x) = x3 + 3x2 + 1 und
p(x) = 3x2 – 4x + 1 und q(x) = x3 + 4x.
p(x) ⋅ q(x) = 3x5 – 4x4 – 11x3 – 16x2 + 4x.
Dann ist ( IR[x], +, ⋅) ein Ring (der so genannte Polynomring über IR).
Aus den Ringaxiomen können weitere Rechengesetze für Ringe hergeleitet
werden. Als Beispiel eine Eigenschaft:
Satz 5 Ist R ein Ring, so gilt a ⋅ 0 = 0 für alle a ∈ R.
Beweis: Es gilt
a ⋅ 0 = a ⋅ (0 + 0) = a ⋅ 0 + a ⋅ 0
Zieht man nun von beiden Seiten der Gleichung a ⋅ 0 ab (genauer: addiert
man auf beiden Seiten das Inverse von a ⋅ 0), so erhält man:
0=a⋅0
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4 Körper
Definition 6 (Die Körperaxiome)
Ein Körper (K, +, ⋅) besteht aus einer Menge K und zwei Verknüpfungen +
und ⋅ auf K mit den folgenden Eigenschaften:
(K1) (K, +, ⋅) ist ein kommutativer Ring mit Einselement 1.
(R2) Für alle a ∈ K mit a ≠ 0 gibt es ein Element a–1 ∈ K mit
a⋅a–1 = a–1⋅a = 1.
Ein Körper ist also ein Ring mit 1, bei dem jedes Element außer der 0 ein
multiplikatives Inverses hat. Mit anderen Worten, die Struktur (K–{0}, ⋅)
bildet eine multiplikative Gruppe.
Die bekanntesten Körper sind der Körper der ratinalen Zahlen, ( Q,
I +, ⋅) und
der Körper der reellen Zahlen, ( IR, +, ⋅). Dagegen ist (ZZ , +, ⋅) kein Körper,
denn außer 1 und –1 hat keine ganze Zahl eine multiplikative Inverse.
Ebenso ist auch der Polynomring IR[x] kein Körper, denn beispielsweise das
Polynom p(x) = x – 1 hat kein multiplikatives Inverses.
Aus den Körperaxiomen können weitere Rechengesetze für Körper hergeleitet werden. Als Beispiel eine Eigenschaft:
Satz 7 Ist K ein Körper, und sind a, b ∈ K mit a, b ≠ 0, so ist auch a ⋅ b ≠ 0.
Beweis: Angenommen, es wäre a ⋅ b = 0. Dann existieren a–1 und b–1 und es
gilt
b = (a–1 ⋅ a) ⋅ b = a–1 ⋅ (a ⋅ b) = a–1 ⋅ 0 = 0
Dies ist ein Widerspruch zur Vorraussetzung, also ist a ⋅ b ≠ 0.
Weitere Beispiele:
a) Die Menge ZZ 4 der Restklassen modulo 4 bildet einen Ring (ZZ n ,⊕, ⊗)
mit 1, jedoch keinen Körper, denn es gilt 2 ≠ 0, aber 2 ⋅ 2 = 0, imWiderspruch zu Satz 7. Es ist auch leicht zu sehen, dass 2 kein multiplikatives Inverses hat (d.h., es gibt kein n mit 2 ⋅ n = 1).
⊕
0
1
2
3
⊗
0
1
2
3
0
0
1
2
3
0
0
0
0
0
1
1
2
3
0
1
0
1
2
3
2
2
3
1
0
2
0
2
0
2
3
3
0
1
2
3
0
3
2
1
Prof. Dr. Rolf Socher, FB Technik
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b) Die Menge ZZ 5 der Restklassen modulo 5 bildet einen Körper (ZZ 5 ,⊕,
⊗). Aus der Multiplikationstabelle lässt sich entnehmen, dass jedes
⊗
0
1
2
3
4
0
0
0
0
0
0
1
0
1
2
3
4
2
0
2
4
1
3
3
0
3
1
4
2
4
0
4
3
2
1
Element außer 0 ein multiplikatives Inverses hat:
1–1 = 1, 2–1 = 3, 3–1 = 2, 4–1 = 4.
Was ist der Unterschied zwischen 4 und 5? Warum ist ZZ 5 ein Körper, ZZ 4
jedoch nicht? Die Antwort lautet: 5 ist eine Primzahl, 4 jedoch nicht. Allgemein gilt:
Satz 8 ZZ n ist genau dann ein Körper, wenn n eine Primzahl ist.
Dieser Satz lässt sich mit elementaren Mitteln beweisen.
a) Sei n = p eine Primzahl. Da schon ein Ring mit Einselement ist, müssen wir nur noch beweisen, dass jedes Element a ∈ {1, 2, …, p–1} ein
multiplikatives Inverses hat. p ist eine Primzahl, also gilt ggt(a,p) = 1.
Nach dem Euklidschen Algorithmus gibt es ganze Zahlen α und β mit
αp + βa = 1, also:
1 ≡ βa mod p ≡ (β mod p) (a mod p) = (β mod p) a
Dies heißt aber nichts anderes, als dass (β mod p) das Inverse zu a ist.
b) Ist jedoch n keine Primzahl, dann ist es teilbar, es gibt also m und k
mit m ⋅ k = n, also ist m ⋅ k ≡ 0 mod n, also m ⋅ k = 0 in ZZ n im Widerspruch zu Satz 7.
Die (endlichen) Körper ZZ p spielen eine wichtige Rolle in der Kryptographie
und in der Datensicherung.
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