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EIN UNISONO VON KOMPOSITION
UND INTERPRETATION
DAS WET INK ENSEMBLE AUS NEW YORK
von Thomas Meyer
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Die Vokalistin spricht
und singt, ihre Töne werden von der Flötistin eingefärbt, aber auch manchmal mitgesungen und mitgesummt. Beide sind, so
parallel geführt und einander angenähert,
passagenweise kaum zu unterscheiden. Only
the Words Mean What They Say, so der Titel
dieses Stücks von Kate Soper, ist eine Monodie für zwei Stimmen – oder ein heterophones Unisono. Bei der Aufführung mit
der Komponistin und der Flötistin Erin
Lesser erlebt man auch auf unmittelbare
Weise, wie die Musikerinnen interagieren
und sich aufeinander abstimmen.
Kate Soper, geboren 1981 und aufgewachsen in Michigan, mittlerweile bekannt
auch für ihre Musiktheaterarbeiten, suchte
in diesem Stück eine neue Herausforderung; sie wollte ihre Stimmtechnik erweitern und wählte dafür die instrumentale
Konfrontation: «Die Flöte ist der Stimme
sehr ähnlich, punkto Druckkontrolle,Tonfall, Umfang, und ich wusste, was Erin alles
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an Mehrklängen oder Vierteltönen drauf
hat.» So traf sich Soper oft mit der Flötistin
des Ensembles; sie improvisierten, probierten Notiertes aus, Erin Lesser machte Vorschläge zur Vereinfachung der Technik, sie
entwickelten ein instrumentales Sprechen
im Unisono. Kate Soper sagt, sie habe zuvor noch nie etwas so Virtuoses komponiert, das ihr auch bei der Aufführung soviel abverlange. «Aber mit Erin zusammen
war es ein Vergnügen.»
Die Arbeit des Duos zeigt exemplarisch,
wie beim Wet Ink Ensemble aus New York
neue Stücke entstehen: im engen Dialog
von Komposition und Interpretation (aber
auch Improvisation) – in einem divergierenden Unisono, wie es für dieses Ensemble
bezeichnend ist. Die Werke für diese doch
recht heterogene Besetzung mit Flöte,
Geige, Stimme, Saxofon, Klavier, Schlagzeug und Elektronik enthalten oft einen
sozialen musikalischen Aspekt. Das Zusammenspiel, das Zusammenwachsen zweier
Stimmen wird erforscht. Und, so sagen alle
Ensemblemitglieder, es begünstige die Arbeit enorm, dass sie eng miteinander befreundet seien.
Ausprobiert wird, was gerade mal skizziert; aufgeführt, was gerade fertigkomponiert wurde: Die Tinte ist noch sehr sehr
nass, wenn die Interpreten mit der Partitur
in Berührung kommen. Aber nicht eigentlich das gab den Ausschlag für den Namen.
Der geht weiter zurück auf die allerersten
Anfänge im Jahr 1998. Damals kam Wet
Ink teilweise sogar ohne Tinte aus. Der
Ausgangspunkt, so sagt der Saxofonist Alex
Mincek, der Mitbegründer des Ensembles,
war «die Improvisation, aber gleichzeitig
der Wunsch, selber zu komponieren und
unsere Stücke aufzuführen. Dafür wollten
wir eine Plattform schaffen – und zudem
Komponisten spielen, die wir achteten.»
Mozarts Kompositionen wurden ja auch,
kaum waren sie fertig, sofort aufgeführt.
«Wir wünschten uns Komposition als et-
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© Alexander Perrelli
PORTRÄT
was Lebendiges, etwas Gegenwärtiges.» Und
damals am Konservatorium, wo die musikalische Vergangenheit im Zentrum steht,
war es sehr verlockend, sich auf das Neueste zu konzentrieren, auf das Allerfrischeste.
Aus diesem ersten Impuls entwickelte
sich das Wet Ink Ensemble. Erst einige Jahre
später jedoch fand es zu seiner eigentlichen
Form. 2004 lernte Mincek an der Columbia University die Vokalistin Kate Soper
und den Pianisten Eric Wubbels kennen.
2006 dann bei den Darmstädter Ferienkursen den Elektroniker Sam Pluta. Und
so formierte sich das Ensemble allmählich
zu einem festen Gefüge mit einer besonderen Eigenart:Von den sieben Mitgliedern
sind vier auch Komponisten. Da sind also
einerseits die Flötistin Erin Lesser, der Geiger Joshua Modney und der Schlagzeuger
Ian Antonio – und andererseits die Komponisten/Interpreten Mincek, Soper,Wubbels und Pluta. Und daraus ergibt sich die
enge Zusammenarbeit.
Als Alex Mincek zum Beispiel sein Stück
Color, Form, Line schrieb, hatte er die Eigenschaften und die Klanglichkeit seiner Mitmusiker sehr genau im Ohr, und gemeinsam
entwickelten sie dafür besondere Klangfarben, Spieltechniken und Stimmungen. Die
Überlegungen mit den Interpreten flossen
in die Komposition ein. Nach der Aufführung jedoch revidierte Alex Mincek das
Stück nochmals aufgrund der Erfahrun-
gen, sodass es sich weiterentwickeln konnte
– in neuerlichen Aufführungen. Er griff
dabei die Hinweise seiner Kollegen auf.
«Das ist nur möglich, weil ein Vertrauensverhältnis zwischen allen besteht.»
Die «bloßen» Interpreten haben ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, sowohl in
der Gestaltung der Programme als auch bei
den neuen Stücken selber. Auf kollegialer Ebene, so der Geiger Joshua Modney,
entwickle man eine Aufführungspraxis. In
einer Werkstatt, ja einem ständigen Forschungslabor. «Die Komponisten haben
zwar viel Erfahrung mit den Instrumenten,
aber manchmal bringen sie auch Ideen
mit, die nicht funktionieren; dann suchen
wir gemeinsam nach einer Lösung, wie
sich die ursprüngliche Idee umsetzen lässt.»
Andererseits führe dieser Austausch dazu,
dass er manchmal etwas entdecke, das er
auf seinem Instrument nicht für möglich
gehalten hätte, sagt Modney. Der Interpret
wird also Teil des neuen Stücks und das
Stück ein Teil von ihm. Schließlich habe er
im Wet Ink Ensemble auch gelernt zu improvisieren, womit er zuvor wenig Erfahrung hatte. Er bringe sie mittlerweile auch
in sein anderes Ensemble ein, das Mivos
Quartet, mit dem er ebenfalls häufig unterwegs ist und zum Teil Wet-Ink-Komponisten aufführt.
KOMMUNIKATION UNTER
GLEICHGESINNTEN
Das Außerordentliche an der Besetzung ist
die als Instrument integrierte Elektronik.
Sam Pluta, der 35 Jahre junge Elektroniker
der Gruppe, setzt seinen Laptop nicht nur
bei Kompositionen ein, sondern auch frei
improvisierend – woraus wiederum neue
Kompositionen entstehen. Aus Improvisationen mit dem Musiker Jim Altieri, der
auf seiner Geige feinste Mikrotöne hervorbringt, entwickelte Pluta das Stück Portraits/Self Portrait, nun mit einem größeren
Ensemble: eine Reflexion über den musikalischen Prozess, eine Rekomposition dieser Energie und des improvisierten Klangs.
Der Violinpart gibt sehr genau wieder, was
Altieri zuvor spielte. Sam Pluta transkribierte ihn, der Ensemble-Geiger Modney
nahm ihn neu auf, Pluta seinerseits improvisierte dazu mit dem Computer und
schrieb das dann neuerlich aus. So entstand
ein neues Stück.
Das als weiteres Beispiel für diese Kommunikation unter Gleichgesinnten. «Für einen Komponisten ist es unbezahlbar, wenn
er weiß, dass seine Musik auf dem absolut
höchsten Niveau aufgeführt wird», sagt
Pluta. «Es ist ja schön, wenn ein neues Stück
interpretiert wird, aber noch schöner wohl,
wenn seine ganze Persönlichkeit von den
Interpreten erfasst wird. Bei Wet Ink bringt
jeder Musiker seine Persönlichkeit ein, und
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© Edgar Hartung
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Gemeinsames Interesse an Klang und Textur: Mitglieder von Wet Ink während ihres Auftritts beim Magdeburger SinusTon-Festival im vergangenen Oktober
dadurch entsteht ein einzigartiger Dialog.»
Dieser Austausch über den Klang und über
die Art, Musik zu schreiben, sei außerordentlich: «Darüber bin ich sehr glücklich.»
Gemeinsam sind diese Musikerinnen und
Musiker also ständig daran, Neues auszuprobieren. Die Kehrseite: Es sei manchmal
etwas frustrierend, wenn man für ein anderes Ensemble komponieren müsse, meint
Eric Wubbels, denn dort könne man diesen
Prozess nicht realisieren. Allen Ensemblemitgliedern bietet Wet Ink also eine ideale
Werkstatt, um Neues zu entwickeln. Seit
2005/06 ist die Gruppe endgültig zusammengewachsen – nach einem längeren Umwandlungsprozess. Durch Kate Soper kamen
auch musiktheatrale Aspekte herein.
Wet Ink spielt fast nur neueste Musik.
Einige Werke von Luigi Nono, Morton
Feldman oder Mathias Spahlinger sind das
älteste im Repertoire, was das Ensemble je
aufgeführt hat, sowie einige improvisationsnahe Stücke von Komponisten der Chicagoer Association for the Advancement of
Creative Musicians (AACM), die einst aus
dem Free Jazz kamen.Wet Ink ist unter den
New Yorker Ensembles aber nicht nur etwas Besonderes, weil es die Komponisten
aus der eigenen Gruppe häufig aufführt,
sondern auch, weil es Musik von außerhalb
der USA kennt und spielt. So besteht ein
enger Kontakt zum Österreicher Peter Ablinger, zum englischen Saxofonisten Evan
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Parker oder zur Schweizerin Katharina
Rosenberger, die in San Diego lehrt.
Welcher Tradition der Avantgarde fühlt
sich Wet Ink also verpflichtet? «Früher», so
Alex Mincek, «standen wir eher in der Tradition der experimentellen US-Musik, also
der New York School um Cage, heute jedoch bin ich mir da nicht mehr so sicher
und weiß nicht, ob man die Gruppe so festlegen kann. Die Einflüsse sind heterogen.»
So hört man zuweilen die Minimal Music
heraus, die aber eigenständig weiterentwickelt wurde. In seinem Stück Shiverer zum
Beispiel arbeitet Eric Wubbels stark mit
Unisoni und Rhythmen, die sich in der
Wiederholung gegeneinander verschieben. Und bewusst verfolgt er weiter, was
die US-amerikanischen Minimalisten entdeckten, was aber danach von vielen nur
imitiert wurde. «Die frühe Minimal Music,
aber auch die Minimal Art hatten einen
großen Einfluss auf Wet Ink», so Wubbels,
«vor allem, weil diese Musik zu einer Klarheit strebt. Diese Einfachheit ist nicht ein
Mangel, sondern eine Konzentration aufs
Wesentliche.» So intrikat die Stücke von
Wet Ink zuweilen klingen, so versuchen sie
sich doch auf möglichst klare Weise mitzuteilen. Das macht eine hohe Qualität aus.
Steckt dahinter denn eine EnsembleÄsthetik? Es sei schwierig zu beschreiben,
was die Gemeinsamkeit ausmache, sagt Alex
Mincek. Vielleicht sei es das gemeinsame
Interesse an Klang und Textur und an der
Lebendigkeit ihrer Musik, auch an Virtuosität, einer Ensemblevirtuosität. Man verwende ganz selbstverständlich das ganze
Klang- und Geräuschspektrum vom reinen
Ton bis zum weißen Rauschen – was vor
allem in der Improvisation als gemeinsame
Tonsprache zutage tritt. Aber im Grunde
fällt es allen schwer zu sagen, was davon in
der Musik erkennbar wird. Nur Eric Wubbels meint, ein Indiz sei die Art des Orchestrierens und der Umgang mit den Unisoni,
die sonst in der Neuen Musik häufig tabu
seien … Ist es das? Jedenfalls scheint das
Unisono zur Metapher für dieses Ensemble
geeignet: eine gemeinsame Stoßrichtung
und der Mut zum Risiko. Man wolle auf
keinen Fall langweilen, sondern etwas Aufregendes bieten. Tatsächlich sind die Konzerte des Wet Ink Ensembles von einer außerordentlichen Vitalität. n
n
INFO
CDs mit und von Mitgliedern des Wet Ink Ensembles
n
Wet Ink: Relay (Werke von Eric Wubbels, Sam Pluta,
Rick Burckhardt, Alex Mincek, Kate Soper und George
Lewis) | Carrier 017
n Evans / Altieri / Pluta: Sum and Difference | Carrier 008
n Sam Pluta: Machine Language; Lyra, Standing Waves
u. a. | Carrier 006
n Katharina Rosenberger: Texturen | hat [now]ART 164
n Kate Soper: Voices of the Killing Jar | Carrier Records
021
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