Forschung und Technik Front 17.04.13 / Nr. 133 88 //Seite 11.06.12 Seite55 1 / Teil 01 # ! NZZ AG Schlucht aus der Saurier-Zeit? BÖRSEN UND MÄRKTE Investoren wetten auf Lockerungen Investoren in den USA bringen sich zurzeit in Position, um von einer weiteren quantitativen geldpolitischen Lockerung zu profitieren. Seite 21 Anhaltende Kontroverse um das Alter des Grand Canyons Möglicherweise ist der Grand Canyon viel älter als bisher angenommen – das jedenfalls behaupten Rebecca Flowers und Kenneth Farley. Dafür ernten sie nun reichlich Widerspruch. Simone Ulmer Der Grand Canyon gleicht einem aufgeschlagenen Buch: Gesteinsschichten von weit über einer Milliarde Jahre Erdgeschichte sind darin sichtbar. Wie lange es dauerte, die Schichten auf einer Länge von 446 Kilometern und bis in 1800 Meter Tiefe freizulegen, ist daraus jedoch nur schwer zu lesen. Die üblicherweise zur Datierung herangezogenen Gesteine decken im Fall des Grand Canyons nicht die ganze Entstehungsgeschichte ab oder sind unzuverlässig. Die gängige Annahme, dass die gewaltige Schlucht 5 bis 6 Millionen Jahre alt ist, basiert daher auf dem Alter der vom Colorado transportierten Gerölle sowie der Sedimentablagerungen nahe der Stelle, an der der Colorado im Westen aus dem Colorado-Plateau heraustritt. Verräterisches Helium Rebecca Flowers von der University of Colorado und Kenneth Farley vom California Institute of Technology nutzten Kristalle des Minerals Apatit für eine sogenannte thermochronologische Datierung der Canyon-Entwicklung. Apatit enthält radioaktives Uran und Thorium, das beim Zerfall Helium freisetzt. Bei den erhöhten Temperaturen im tiefen Erdinneren entweicht das Gas aus dem Mineral. Kühlt das Gestein jedoch ab – etwa weil es durch Erosion näher an die Oberfläche gelangt –, wird Helium im Kristall eingeschlossen. Aus den Mengenverhältnissen der Elemente können die Forscher deshalb schliessen, wie lange sich das Mineral schon an der Oberfläche befindet – und damit Rückschlüsse ziehen auf das Alter der Schlucht. 2008 hatten Flowers und Farley mit dieser Methode obere Bereiche des östlichen Grand Canyons auf ein Alter von 55 Millionen Jahren datiert; mit verfeinerten Verfahren untersuchten sie später den westlichen Grand Canyon. Die Ergebnisse liessen vermuten, dass dieser westliche Abschnitt der Schlucht bereits vor rund 70 Millionen Jahren ausgehöhlt worden sei, schrieben die Geologen vergangenen November.1 Die Forscher gehen deshalb von einer unabhängigen Entwicklung beider Bereiche aus. In der jüngsten Ausgabe des Fachblatts «Science» bezweifeln nun mehrere Forschungsgruppen diese Theorie und das hohe Alter des Canyons:2 Der Geologe Ivo Lucchitta vom US Geological Service hält fest, dass die Schlucht aufgrund der geologischen Gegebenheiten nicht so alt sein könne. Gegen ein hohes Alter spreche zudem deren enge und steile Morphologie. Im Gegenzug verweisen Flowers und Farley darauf, dass benachbarte Schluchten im Westen der USA ähnlich steil sind und dennoch als 50 bis 90 Millionen Jahre alt gelten. Die 5 bis 6 Millionen Jahre alten Sedimente des Grand Canyons zeigten nicht die Entstehungszeit des Canyons, sondern vielmehr den Zeitpunkt der Integration des heutigen Flusses Colorado in die Schlucht. Noch ältere Sedimente könnten inzwischen vom Fluss abgetragen worden sein. Zweifel an Flowers’ Methodik Karl Karlstrom von der University of New Mexico und seine Mitautoren zweifeln vor allem die thermochronologischen Ergebnisse und die Methodik an.2 Auch auf diese Kritik antworten Flowers und Farley – und weisen dabei Karlstrom gleich mehrfach selektives und irreführendes Argumentieren nach. Beispielsweise stützten die Geologen um Karlstrom ihre Aussagen lediglich auf die Zusammenfassung einer Forschungsarbeit, so Flowers und Farley. Die zugehörige Studie liefere in ihrer Gesamtheit jedoch durchaus Ergebnisse, welche die These eines alten Canyons stützten. Die Kontroverse um das Alter des Grand Canyons geht damit in die nächste Runde. ScienceExpress, 29. November 2012, 2 Science 340, 143-a,-b,-c (2013) 1