Psychische Begleiterkrankungen bei Morbus Parkinson Dr. med. Michael Werner, Parkinson-Abteilung, Klinikzentrum Lindenallee Bad Schwalbach Martha-von-Opel-Weg 42 - 46, 65307 Bad Schwalbach Fon: 06124 / 701-270, Fax: 06124 / 701-230, E-Mail: [email protected] I. Einleitung Über viele Jahre wurde die Parkinson-Erkrankung, auch Morbus Parkinson oder Parkinson-Syndrom genannt, als eine rein motorische Erkrankung verstanden. Hierbei definierte man das Beschwerdebild als Ausdruck von Einschränkungen bezüglich Beweglichkeit, Geschicklichkeit (Feinmotorik), Stimmkraft und Sprechvermögen sowie mimischer Lebhaftigkeit. Zu den Haupt- bzw. Kardinalsymptomen der Erkrankung zählte man eine muskuläre Steifigkeit (Rigor), eine Bewegungsverlangsamung (Bradykinese) sowie ein Zittern (Tremor). In letzter Zeit fügte man auch die Stand- und Gangunsicherheit mit vermehrter Sturzneigung (posturale Instabilität) zu diesem Symptomenkomplex hinzu. Das neue Verständnis von Morbus Parkinson geht über diese Sichtweise weit hinaus und bezieht zum Beispiel auch psychische Begleiterscheinungen der Erkrankung in das Beschwerdebild mit ein. Hierbei werden drei große Formenkreise psychischer Störungen in Verbindung mit dem Parkinson-Syndrom beschrieben: Depression Psychose Impulskontrollstörungen Seite 1 von 6 II. Depressive Syndrome Depressive Veränderungen der Stimmungslage zählen bei Parkinson-Patienten zu den häufigsten psychischen Begleiterkrankungen ihrer Erkrankung. Auch bei depressiven Syndromen müssen verschiedene Erscheinungsformen differenziert werden. Darum kann man auch nicht von „der“ Depression sprechen. Zum einen kann eine Depression die Folge der Parkinson-Erkrankung sein, indem nämlich Betroffene auf das Eintreten dieser Erkrankung mit Bedrücktheit, Mutlosigkeit, Resignation und Antriebshemmung reagieren. Dieser sehr verständliche Vorgang einer erschwerten Krankheitsverarbeitung kann damit erklärt werden, dass das Auftreten der Parkinson-Krankheit im Leben eines Menschen zunächst ein Einschnitt bedeutet, der vieles zu verändern droht. Hier muss Krankheitsverarbeitung einsetzen, zumeist mit professioneller Unterstützung oder in stützenden sozialen Bezügen wie familiärem Umfeld oder auch Selbsthilfegruppen (Deutsche Parkinson-Vereinigung dPV). Andererseits können Depressionen bereits vor Einsetzen der Parkinson-Erkrankung auftreten. Hier besteht zumeist ein Zusammenhang mit den biochemischen Gegebenheiten unseres Gehirns, bei denen der Mangel an bestimmten Botenstoffen (Neurotransmittern) eine erhebliche krankheitsauslösende Rolle spielt. So ist zum Beispiel der Neurotransmitter Dopamin für unsere Bewegungsfähigkeit von maßgeblicher Bedeutung, hingegen Botenstoffe wie Serotonin und auch Noradrenalin wichtig für unsere Stimmungslage. Setzt nun zum Beispiel ein Serotoninmangel zuerst ein, dann können zunächst depressive Symptome unsere Stimmungslage und Gefühlswelt bestimmen. Folgt danach durch Zelluntergang auch eine Einschränkung der Dopamin-Produktion, werden die motorischen Einschränkungen des Parkinson-Syndroms mit Bewegungsstörungen wie Verlangsamung, Unbeweglichkeit und Bewegungsblockaden erkennbar. Um depressive Menschen in ihrem Leidensdruck besser verstehen zu können, hilft mitunter ein „Eintauchen“ in die Gefühlswelt der Betroffenen weiter. Ein ParkinsonBetroffener formulierte einmal in einem Gedicht: „Das Leben ist schwer, ich habe keine Freude mehr“. Daraus ergibt sich die Frage: Wie depressiv sind ParkinsonPatienten wirklich? Die Neuerkrankung an Morbus Parkinson stellt zweifelsohne einen tiefen Einschnitt im Leben dar. Mit fünf Herausforderungen müssen sich neu erkrankte ParkinsonPatienten auseinandersetzen, Herausforderungen, die man als die fünf großen „U“ bezeichnen könnte: Unerwartet Unvorbereitet Unsicherheit Unerfahrenheit Unkenntnis Seite 2 von 6 Da kein Mensch in seiner Lebensplanung chronische Erkrankungen vorgesehen hat, trifft die Diagnose „Parkinson“ völlig unerwartet auf den Patienten. Und was ich nicht erwartet habe, auf das konnte ich mich auch nicht vorbereiten, und das wiederum löst Unsicherheit aus. Unerfahrenheit und Unkenntnis resultieren aus den ersten drei genannten „Us“, welche die Krankheitsverarbeitung erheblich erschweren. Die depressive Reaktion von Menschen auf diese tief einschneidenden Lebensveränderungen verändert auch den Menschen selbst, die Erfahrung von Ausgeliefertsein und Ohnmachtsgefühle ruft Ängste hervor und wirkt sich auch auf das unmittelbare Umfeld des Erkrankten aus. Wichtig ist hierbei, sich immer wieder bewusst zu machen, dass Depressionen, so sehr sie auch den Umgang mit den Betroffenen erschweren mögen, kein „böser Wille“ sind. Auch die mit einer Depression immer wieder in Verbindung gebrachte „Traurigkeit“ kann mitunter nicht erkennbar sein, weil andere Ausdrucksformen der Depression das Krankheitsbild dominieren: Antriebshemmung Verlust an Interesse Reizbarkeit Stimmungstief Gefühle von „Leere“ Schlafstörungen Appetitlosigkeit Libidoverlust (Verlust sexuellen Verlangens) Von der Depression zur Lebensfreude – und was Angehörige dazu beitragen können: Aufmuntern ja, Antreiben nein Vergleiche helfen nicht weiter „Schönreden“ auch nicht Schneller mit dem Zuhören als mit dem Reden sein Psychotherapie – warum eigentlich nicht? Auch „Chemie“ kann helfen – keine falsche Scheu vor Tabletten Grundsätzlich lässt sich sagen, dass es für leidende Betroffene nicht hilfreich ist, wenn sie mit anderen verglichen werden, denen es angeblich oder offensichtlich noch schlechter geht. Ebenfalls wenig zielführend ist das „Schönreden“, denn Bagatellisieren lässt den Betroffenen mit dem Gefühl zurück, in seinem ja auch vorhandenen Leidensdruck nicht angemessen wahrgenommen zu werden. Hilfe für depressive Menschen kann schon bedeuten, sich Zeit zu nehmen und zuzuhören. Auch helfende Angehörige z.B. müssen nicht auf alle Fragen und Lebensprobleme sofortige Antworten wissen, schon das alleinige Zuhören kann zur Entlastung depressiver Menschen beitragen. Bei schwerer Betroffenen wird man aber in der Regel nicht umhin können, professionelle Hilfe in Form von Psychotherapie und auch Medikamentenbehandlung zu akzeptieren. Seite 3 von 6 Psychosen Die „Kehrseite“ von Morbus Parkinson: Auch hier ist wieder Dopamin im Spiel III. Auch das kann es geben: Nicht depressiv, und dennoch unglücklich Wenn Wahrnehmung nicht mehr zur Wirklichkeit passt Wenn uns Augen und Ohren täuschen Wenn Krankheit und bestimmte Medikamente eine unheilige Allianz eingehen …dann haben wir es mit einer Psychose zu tun. Die Symptome einer Psychose: Denkstörungen (paranoide Ideen wie Eifersuchtswahn, Verfolgungswahn, Versündigungswahn, Verarmungswahn) Wahrnehmungsstörungen (optische Halluzinationen, akustische Halluzinationen, illusionäre Verkennungen) Wenn aus Mangel Überfluss wird…die L-Dopa-Psychose. Haben Unbeweglichkeit, Steifigkeit und Verlangsamung als Ursache einen Mangel an Dopamin zur Grundlage, kann andererseits ein Überschuss an Dopamin genau das Gegenteil bewirken, es kann zu einer Überbeweglichkeit kommen mit überschießenden Bewegungsimpulsen, aber im psychischen Bereich auch zu veränderten Wahrnehmungen mit Einsetzen von Trugbildern, wahnhaften Vorstellungen und auch wesensfremden Verhaltensmustern. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich eine therapeutische Konsequenz: Psychosen kann man behandeln – auf der „Gegenfahrbahn“ von Morbus Parkinson. Wenn also zur Besserung der Parkinson-Symptome Dopamin in der Vorstufe L-Dopa zugeführt wird, muss andererseits im Gegenzug bei Auftreten von Nebenwirkungen wie Psychosen auf die „Dopamin-Bremse“ getreten werden, wenn nötig auch mit Gegenmitteln gegen die Dopamin-Wirkung. In der Behandlung von Psychosen bei Parkinson-Patienten haben sich hierbei zwei Wirkstoffgruppen bewährt (Quetiapin, Clozapin), welche z.B. Trugbilder bekämpfen können ohne nachteiligen Einfluss auf die Beweglichkeit. Vor Einsetzen dieser sogenannten "atypischen“ Neuroleptika wird man jedoch zunächst versuchen, durch Dosisreduktion der Parkinson-Medikamente bereits eine Entspannung der Situation herbeizuführen. Hierzu kann zählen: MAO-B-Hemmer absetzen Amantadin ausschleichen Dopaminagonisten reduzieren oder auch ausschleichen Ggf. durch behutsame L-Dopa-Dosis-Anpassung die Reduktion der anderen Parkinson-Medikation soweit möglich kompensieren Seite 4 von 6 IV. Impulskontrollstörungen: Wenn Aktivitäten aus dem Ruder laufen und Medikamente anders als erwartet wirken… Dopaminagonisten produzieren nicht nur Beweglichkeit: Spielsucht Kaufsucht Gesteigerte Libido (Sexsucht) Wenn diese bislang bei einem Menschen ungewohnten Verhaltensmuster auftreten, sollte gehandelt werden, da nicht nur die hiervon Betroffenen selbst, sondern auch deren Umfeld wie Familie, Freundeskreis, etc. in Mitleidenschaft gezogen werden. Da für diese Auffälligkeiten im Verhalten vor allem die Dopaminagonisten der neueren Generation verantwortlich sind, welche nicht von den Mutterkornalkaloiden abstammen (sogenannte „non ergoline“ Dopaminagonisten), kann man in der Regel nur über eine Dosisreduktion oder gar einen Verzicht auf Dopaminagonisten eine Entspannung der Situation herbeiführen. Wenn dies jedoch zu Lasten der Beweglichkeit geht, bedarf es einer neuen Medikamentenkombination ohne die besagten Dopaminagonisten. Nicht nur bestimmte Medikamente wie Dopaminagonisten, auch die Krankheit selbst kann noch mit Besonderheiten überraschen. Hierzu zählen: Punding Rhyming Unter Punding versteht man das zwanghafte, leider auch ziellose und planlose Umherräumen, welches bei bestimmten Parkinson-Patienten zu beobachten ist. Hier handelt es sich um ungesteuerte Aktivitätsimpulse, welche weder strukturiert sind noch einem bestimmten Zwecke dienen. Das Räumen und Kramen in Schubladen, das diffuse Verteilen von Gegenständen im ganzen Raum oder in mehreren Zimmern zählen zu den mehr die Angehörigen als die Betroffenen selbst belastenden Veränderungen. Therapeutisch können bei extremen Ausmaßen dieser Veränderungen strukturierende Maßnahmen im Rahmen eines neuropsychologischen Trainings oder gar eine Verhaltenstherapie eingesetzt werden. Mit dem „Rhyming“ wird eine bei vielen Parkinson-Betroffenen zu beobachtende Neigung verstanden, möglichst viel in Versform auszudrücken. Ob Weihnachtsgrüße, Geburtstagsgrüße, Einladungen zu Veranstaltungen, etc.: hier kennt die Phantasie der Betroffenen kaum Grenzen, Möglichkeiten zum Reimen zu entdecken und zu nutzen. Da diese eher charmante Neigung keinen Krankheitswert besitzt, sondern allenfalls eine mit der Krankheit zu assoziierende Vorliebe darstellt wie auch der vielfach zu beobachtende Heißhunger auf Süßigkeiten (Schokolade), bedarf es keiner therapeutischen Anstrengungen, sondern allenfalls einer wohlwollenden Toleranz der hiervon nicht Betroffenen. Seite 5 von 6 V. Wenn die Psyche leidet Womit fängt Hilfe an? Verständnis erfahren Gemeinschaft erleben Ängste abbauen Schuldgefühle beseitigen Hoffnung wecken Zuversicht stärken Kräfte mobilisieren Selbstvertrauen fördern Aufgaben und Herausforderungen, die am ehesten in sozialen Bezügen wie Familie oder Selbsthilfegruppen (dPV) zu bewältigen sind. Seite 6 von 6