Magnetismus nimmt Elektronen den Widerstand

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MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
Presseinformation
C / 2010 (286)
12. Dezember 2010
Sperrfrist: 12. Dezember 2010, 19:00 Uhr
Magnetismus nimmt Elektronen den Widerstand
Magnetische Wechselwirkungen bewirken die Bildung von Cooper-Paaren
und ermöglichen die unkonventionelle Supraleitung
Manchmal gleicht Physik einem Kriminalfall. Indiz für Indiz tragen
Forscher zusammen, um ein Rätsel zu lösen. Zum Beispiel die Frage, wie die
unkonventionelle Supraleitung entsteht, die auch für technische
Anwendungen besonders interessant ist. Ein internationales Team um
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester
Stoffe liefert nun den bislang stärksten Beleg, dass magnetische
Wechselwirkungen diese Form des widerstandslosen Stromtransports
bewirken können. Hinweise darauf tragen Physiker bereits seit einiger Zeit
zusammen. So wird immer klarer, dass ein notorischer Störenfried sich auch
kooperativ verhalten kann: klassische Supraleitung in gewöhnlichen
Metallen wird von magnetischen Feldern nämlich leicht zerstört. Dass
Magnetismus die unkonventionelle Supraleitung dagegen möglich macht,
könnte auch Anhaltspunkte für die Suche nach neuen Stoffen liefern, die in
alltäglichen Anwendungen verlustfrei Strom transportieren. (Nature
Physics, Online-Veröffentlichung, 12. Dezember 2010)
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ISSN 0170-4656
Auf der Suche der magnetischen Wechselwirkungen: Ein
Wissenschaftler justiert das Spektrometer IN12, mit dem ein
Physikerteam um Oliver Stockert am Institut Laue-Langevin in
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Grenoble die Neutronenstreuung in einer Verbindung aus Cer, Kupfer und Silizium gemessen hat.
Diese Experimente enthüllen die magnetischen Fluktuationen eines Materials. Demnach entsteht
die Supraleitung in CeCu2Si2 aufgrund magnetischer Wechselwirkungen.
Bild: P. Avavian für das CEA Grenoble
Allmählich gewinnt die Vorstellung, die sich Physiker von den unkonventionellen Supraleitern machen, an
Schärfe. Zu diesen Materialien zählen auch die kompliziert gebauten keramischen Stoffe, die Strom bereits
bei vergleichsweise hohen Temperaturen ohne Verluste leiten. Allerdings liegen diese Temperaturen immer
noch bei unter minus 135 Grad Celsius - zu kalt für eine breite Anwendung im Alltag. Um diese Grenze
systematisch weiter nach oben zu schieben, müssen die Physiker erst verstehen, wie die Supraleitung in
diesen Materialien entsteht. "Dazu leisten unsere Erkenntnisse einen wichtigen Beitrag", sagt Frank Steglich,
Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden und Leiter der
Untersuchung. Unter anderem haben die Wissenschaftler festgestellt, dass die magnetischen
Wechselwirkungen in dem Material genügend Energie bereit stellen, um das Material in den supraleitenden
Zustand zu versetzen.
Gemeinsam mit Kollegen des Jülich Centre for Neutron Science am Institut Laue-Langevin in Grenoble,
der Technischen Universität Dresden, der Rice University in Houston, Texas sowie des Dresdner MaxPlanck-Instituts für Physik komplexer Systeme haben die Wissenschaftler um Frank Steglich CeCu2Si2 eine chemische Verbindung aus Cer, Kupfer und Silizium - untersucht. Diese Verbindung wurde vor über
drei Jahrzehnten als erster unkonventioneller Supraleiter identifiziert und hat damit die Suche nach neuen
Mechanismen der Supraleitung in Gang gesetzt. Mittlerweile verstehen die Forscher, wie sie den
elektronischen Zustand des Materials verändern können: Ein kleines Kupfer-Defizit macht den Stoff
antiferromagnetisch, mit einem winzigen Überschuss wird es zum Supraleiter. Dabei müssen die Forscher
immer nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur operieren - für praktische Anwendungen eignet sich
der Stoff also nicht: "Uns geht es aber um das prinzipielle Verständnis", sagt Oliver Stockert, der am
Dresdener Max-Planck-Institut maßgeblich an den Untersuchungen mitgewirkt hat. Dafür wiederum eignet
sich CeCu2Si2 besonders gut, weil darin Elektronen einer bestimmten Sorte, die sogenannten 4f-Elektronen
der Cer-Atome, sowohl bei der Supraleitung als auch beim Magnetismus mitmischen.
In der magnetischen Variante des Stoffes bewirken die Spins der 4f-Elektronen, die diese zu winzigen
Stabmagneten machen, die antiferromagnetische Ordnung des Materials: In einem einfachen Bild lässt sich
das so vorstellen, dass die kleinen Magnete abwechselnd mit Nord- und Südpolen nebeneinander liegen. In
der supraleitenden Version des CeCu2Si2 fließen die 4f-Elektronen in das Reservoir, aus dem sich CooperPaare bilden - Elektronenpärchen, die aufgrund ihrer Quanteneigenschaften unsichtbar für das Kristallgitter
sind und daher ungehindert durch es hindurch sausen. Gleichzeitig verschwindet die antiferromagnetische
Ordnung, und die einzelnen magnetischen Momente der 4f-Elektronen lassen sich nach außen nicht mehr
wahrnehmen. "Insofern verhält sich unsere Cer-Verbindung im Prinzip so, wie wir es auch für klassische
Supraleiter erwarten", sagt Oliver Stockert.
Der Physiker hat sich die magnetischen Momente in der supraleitenden Variante gemeinsam mit seinen
Kollegen aber noch genau angesehen. Zu diesem Zweck haben sie am Spektrometer IN12 des Jülich Centre
for Neutron Science am Institut Laue-Langevin in Grenoble eine Probe des supraleitenden Materials mit
Neutronen beschossen, die ebenfalls einen Spin und damit ein magnetisches Moment besitzen. Auf diese
Weise regten sie die magnetischen Momente im CeCu2Si2 an, versetzten sie also vereinfacht gesprochen
in eine Kreiselbewegung. Das funktionierte aber nur, wenn die Energie der Neutronen eine bestimmte
Schwelle überschritt. Genau dieses Mindestmaß an Energie ist nötig, um die supraleitenden ElektronenPaare aufzubrechen.
Damit alleine können die Forscher noch nicht belegen, dass der magnetische Austausch die Cooper-Paare
in den unkonventionellen Supraleitern zusammenbindet. "Die magnetischen Wechselwirkungen in dem
supraleitenden Material setzen aber zehn Mal mehr Energie frei als die Bildung der Cooper-Paare", sagt
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Oliver Stockert: "Offenbar ermöglichen die magnetischen Wechselwirkungen also die unkonventionelle
Supraleitung." Denn in der Natur wird alles gemacht, was Energie spart. Und offenbar lohnt sich der
magnetische Austausch gerade in dem Supraleiter in dieser Hinsicht besonders.
Diese Erkenntnis hat das Team aus den umfangreichen Messdaten der Neutronenstreuung gewonnen. Die
verrieten den Forschern nämlich nicht nur, wie sich die Stärke der magnetischen Anregungen mit ihrer
Energie ändert, sondern auch von der Richtung abhängt, in der sie sich im Kristall ausbreiten. Daraus haben
die Theoretiker des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme und der Rice University die
Energieersparnis für den magnetischen Austausch berechnet.
Und noch einen Hinweis auf die magnetische Vermittlerrolle bei der unkonventionellen Supraleitung hat
das Team gefunden: Sie wiederholten ihre Versuche bei unterschiedlichen Temperaturen in der Nähe des
absoluten Nullpunkts. Je mehr sie sich diesem Punkt annäherten, desto deutlicher kündigte sich darin die
antiferromagnetische Ordnung an - Physiker sprechen davon, dass die Spinfluktuationen in der Nähe der
magnetischen Ordnung langlebiger werden.
CeCu2Si2 sei also nicht nur der erste unkonventionelle Supraleiter, den Frank Steglich vor mehr als 30
Jahren entdeckte, wie Qimiao Si, beteiligter Theoretiker von der Rice University, betont: "Die Verbindung
zeichnet sich auch dadurch aus, dass wir die beobachteten Spinfluktuationen zweifelsfrei als
quantenkritische Fluktuationen identifizieren können." Diese Fluktuationen beruhen auf einem
Quanteneffekt, weshalb der Punkt, in dessen Nähe sie auftreten, quantenkritischer Punkt heißt. "Die
Tatsache, dass wir Supraleitung um diesen Punkt herum beobachten, spricht ebenfalls dafür, dass
magnetische Wechselwirkungen die Bildung der Cooper-Paare bewirken", sagt Oliver Stockert.
Offen bleibt, warum der magnetische Austausch in dem Supraleiter einen so großen Energiegewinn bringt.
Außerdem werden die Physiker noch klären müssen, inwieweit sich ihre Erkenntnisse auf die Materialien
übertragen lassen, die bei relativ hohen Temperaturen supraleitend werden. "Wir sind aber sicher, dass wir
mit unseren Untersuchungen auf der richtigen Spur sind", sagt Frank Steglich. Daher werden er und seine
Kollegen weiter Belege sammeln, um die Rätsel um die unkonventionelle Supraleitung zu lösen.
[PH]
Originalveröffentlichung:
O. Stockert, J. Arndt, E. Faulhaber, C. Geibel, H. S. Jeevan, S. Kirchner, M. Loewenhaupt, K. Schmalzl,W. Schmidt, Q. Si and
F. Steglich
Magnetically driven superconductivity in CeCu2Si2
Nature physics, pubished online, 12. Dezember 2010, 2010, DOI: 10.1038/NPHYS1852
Kontakt:
Dr. Oliver Stockert
Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe, Dresden
Tel.: +49 351 4646 2207
E-mail: [email protected]
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