Kapitel 14 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie 14.1 Grundlegende Prozesse Wir betrachten die grundlegenden Prozesse, die stattfinden, wenn Teilchen Materie durchqueren. Unter Materie verstehen wir ein Gas, eine Flüssigkeit oder einen Festkörper. Die Materie wird durch 1. die Dichte ρ, 2. die Massenzahl A, 3. die Ordnungszahl Z, usw... charakterisiert. 4. Siehe Abb. 1, wo in einer Tabelle die atomaren und Kern-Eigenschaften wichtiger Materialien aufgeführt sind. Im Allgemeinen werden die einfallenden Teilchen die Bausteine der Materie (Atome) spüren, d.h. die Kerne (oder die Nukleonen) und die Elektronen. 377 Es folgt daraus, dass die Wechselwirkungen zwischen Teilchen und Materie elektromagnetischer und starker Natur sind. Teilchenphysik 378 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Teilchen und Materie ist wichtig, weil diese Prozesse die Basis für den Nachweis von Teilchen sind. Materie ρ,A,Z, ... Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) γ n p e± µ± π± α Wir unterscheiden die Wechselwirkungen von geladenen und neutralen Teilchen. geladene Teilchen ungeladene Teilchen Grundlegende Prozesse Eine Tabelle der atomaren und Kern-Eigenschaften wichtiger Materialien (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov) Figur 1. Teilchenphysik 379 380 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie 14.2 Photonen Wir unterscheiden “harte” (energiereicher als Röntgen-Strahlen) und “weiche” Photonen (energieärmer als Röntgen-Strahlen). Der Wirkungsquerschnitt in Materie als Funktion der Energie des einfallenden Photons ist in Abb. 2 zusammengefasst. 14.2.1 “Harte” Photonen (Eγ > keV) Eγ < ≈100 keV Wir betrachten verschiedene Prozesse als Funktion der Energiebereiche, bei denen der Prozess beherrschend ist. a) Der photoelektrische Effekt. Das Photon wird an einem atomaren Elektron absorbiert und ein Elektron aus einer bestimmten Schale wird emittiert: E e = Eγ − φ ≈100 keV< Eγ < ≈ 1 MeV wobei φ der Bindungs-Energie des Elektrons in dieser Schale entspricht. Der Wirkungsquerschnitt besitzt verschiedene Maxima für die verschiedenen Schalen. b) Streuung. Bei diesem Prozess findet eine inkohärente Streuung des Photons an einem Elektron des Atoms statt. Der Prozess kann als ComptonStreuung γe– → γe– an einem freien Elektron dargestellt werden. Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Photonen Der Wirkungsquerschnitt wird mit der QED berechnet und ist durch die sogenannte Klein-Nishina-Gleichung gegeben: 2 ⎛ dσ re2 γ 2 (1 − cosθ ) ⎞ 1 = 1 + cos2 θ + dΩ 2 [1 + γ (1 − cosθ )]2 ⎝⎜ 1 + γ (1 − cosθ ) ⎠⎟ Eγ > 2me ≈1,02 MeV Wechselwirkung von Teilchen mit Materie c) Paar-Erzeugung. Die Paar-Erzeugung dominiert, wenn die Energie des Photons über der Energieschwelle für die Erzeugung des Elektron-Positron-Paares ist. Das Photon wird in ein Elektron-Positron-Paar zerfallen. Um die Energie und den Impuls zu erhalten, muss die Reaktion in Anwesenheit eines rückstossenden Kerns stattfinden. e– wobei γ=Eγ/me , re der klassiche Elektronradius und θ der Streuwinkel des Photons ist. Es gilt, ⎛ e2 ⎞ −15 re = ⎜ ⎟ ≈ 2, 8 fm ≈ 2, 8 × 10 m ⎝ 4πε 0 mc 2 ⎠ rückstossender Kern e+ 2γ 1 + 2γ sehr seltener Prozess Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) In diesem Prozess, der sehr selten ist verglichen mit den anderen Photonreaktionen, die oben erwähnt sind, wird das Photon vom Kern absorbiert. Neutronen werden oft nach der Reaktion emittiert ((γ,n)Prozess). Der Wirkungsquerschnitt hat viele “Resonanz-Maxima”. d) Kern-Photoeffekt. wobei Z die Ordnungszahl des Targets (der durchquerten Materie), und re der klassiche Elektronradius ist. Bei höchsten Energien kann der Wirkungsquerschnitt des Prozesses durch den folgenden Ausdruck gegeben werden: 381 T Der differentielle Wirkungsquerschnitt als Funktion der Energie des Elektrons ist gleich (durch Ersetzen in der Klein-Nishina-Gleichung): Tmax ⎛ 7 183 ⎞ σ Paar ≈ ( 4αre2 ) Z 2 ⎜ ln 1/ 3 ⎟ ⎝9 Z ⎠ Tmax = Eγ Die maximale kinetische Energie des gestossenen Elektrons ist gleich 382 dσ πr 2 ⎡ s2 s ⎛ 2⎞ ⎤ = e ⎢2 + + ⎜s − ⎟ ⎥ dT meγ 2 ⎣ γ 2 (1 − s) 2 1 − s ⎝ γ ⎠ ⎦ wobei s=T/Eγ.. Der differentielle Wirkungsquerschnitt (d.h. die Verteilung der Energie des gestossenen Elektrons) hat ein Maximum bei T=Tmax. Teilchenphysik Photonen 14.2.2 Strahlungslänge Eine nützliche Grösse ist die Strahlungslänge X0: 1 183 ⎛ ρN ⎞ ≈ 4α ⎜ A ⎟ Z 2 re2 ln 1/ 3 ⎝ A ⎠ X0 Z wobei ρ die Dichte, NA die Avogadro-Zahl und A die Massenzahl ist. (Beachte, dass wie erwartet die Einheit der Strahlungslänge gleich der Einheit einer Länge ist). Mit dieser Definition ist die Wahrscheinlichkeit P, dass ein Photon ein e+e–-Paar in einer Strahlungslänge erzeugt, gleich 7 ⎛ ρN ⎞ P ≈ σ Paar ⎜ A ⎟ X 0 ≈ ⎝ A ⎠ 9 9 X 7 0 Damit ist der mittlere freie Weg eines Photons gleich λ Paar ≈ Die Strahlungslängen für verschiedene Materialien sind in Abb. 1 gezeigt. 716, 4 gcm −2 A Z ( Z + 1)ln( 287 Z ) Die experimentellen Resultate werden durch die folgende Beziehung gut gefittet: X0 ≈ 383 X0 hängt von ≈Z–2 ab ! Z.B. X0(H20)≈36cm, X0(Pb)≈0,56cm, X0(Fe)≈1,76cm, X0(Al)≈8,9cm Teilchenphysik 384 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Figur 2. Zusammenfassung des Wirkungsquerschnitts von Photonen in Kohlenstoff und Blei als Funktion der Energie des einfallenden Photons (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov). 14.2.3 Abschwächungslänge Wegen ihrer Wechselwirkungen werden die Photonen abgeschwächt. Wir nehmen an, dass die Photonen, die wechselwirken, absorbiert werden. Die Photonen, die nicht wechselwirken, bleiben unverändert. Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Photonen γ ) Als Funktion des durchquerten Weges x durch die Materie kann die Intensität der Photonen so ausgedrückt werden: I ( x ) ≡ I 0 e− x / λabs = I 0 e− µ x wobei µ der totale Absorptions-Koeffizient ist: ( ⎛ ρN ⎞ ⎛ ρN ⎞ µ ≈ σ tot ⎜ A ⎟ ≈ σ photoelektrisch + σ Compton + σ Paar ⎜ A ⎟ ⎝ A ⎠ ⎝ A ⎠ 14.2.4 “Weiche” Photonen (Eγ < keV) Die beherrschenden Streuprozesse sind kohärente Effekte mit allen Elektronen der Atome (Thomson- und Rayleigh-Streuung). Bei der kohärenten Streuung nehmen viele atomare Elektronen am Prozess teil. Wenn ein Prozess kohärent ist, kann der Wirkungsquerschnitt wegen konstruktiver Interferenz stark zunehmen. k 2c 2 =0 ε wobei E γ = ω Wenn die Energie des Photons kleiner als ≈10 eV ist, spricht man vom optischen Bereich und verwendet eine Wellengleichung. Es folgt die Dispersions-Beziehung: ω2 − 385 Die Materie (das Medium) wird durch die dielektrische Konstante charakterisiert, die von der Frequenz des Photons abhängt. Wenn ε(ω) Teilchenphysik 386 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie reell ist, werden die Photonen ein “durchsichtiges” Medium durchqueren. Ein komplexwertiges ε(ω) entspricht Absorption. c c = n ε Die Lichtgeschwindigkeit ist gleich v= 14.3 Geladene Teilchen Wir betrachten z.B. die Ausbreitung von e±, µ±, π±, Protonen, α-Teilchen, usw... in Materie. Geladene Teilchen: elektromagnetische Wechselwirkungen mit Elektronen und Kernen (Coulombsche-Streuung). E ′ = E − ∆E p′ = p + ∆p ∆E = Energieverlust ∆p ≈ Ablenkung E’, p’ Wir definieren die Eintritts- (Austritts-)Energie E(E’) und den Eintritts- (Austritts-)Impuls p(p’) des Teilchens: E, p Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Geladene Teilchen Viele Wechselwirkungen (Zusammenstösse) zwischen dem Teilchen und der Materie sind für den Energieverlust und die Ablenkung des Teilchens verantwortlich. Man spricht deshalb oft von statistischen Effekten. π– π– primäres Teilchen e– Freies Elektron Ionisiertes Atom elastische Streuung an Kernen δ-rays 387 δ-rays: falls ein Stoss heftig ist (“hard knock-on”), kann das freie Elektron als sekundäres Teilchen mit seiner eigenen “Spur” beobachtet werden. Man spricht von δ-rays. Die notwendige Energie, um ein Elektron-Ion-Paar zu ergeugen, wird als Wi bezeichnet Z.B. für Argon ist Wi≈25 eV, d.h. 40’000 freie Elektronen werden erzeugt,wenn der Energieverlust des einfallenden Teilchen gleich 1 MeV ist. Kern inelastischer Stoss mit atomaren Elektronen (Ionisierung oder Anregung) π– Die grundlegenden Prozesse können so klassifiziert werden: 1. 2. Teilchenphysik 388 Inelastische starke Kernprozesse Aufbrechen des Kerns: π± mit Produktion von sekundären Teilchen. Bremsstrahlung Kern Strahlungsemission (Cerenkov- oder Übergangs1-Strahlung) Wechselwirkung von Teilchen mit Materie 3. 4. 5. e± 14.3.1 Mittlerer Energieverlust γ π± π0 p n e± Wir betrachten die Ausbreitung von schweren geladenen Teilchen der Masse M >> me. Bethe (1930): Bethe-Bloch-Formel 1. “Transition-Radiation” Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Geladene Teilchen Z 1 ⎡ 1 2 me c 2β 2γ 2Tmax dE δ⎤ = ( 4πN A re2 me c 2 ) zρ ln − β2 − ⎥ A β 2 ⎣⎢ 2 I2 dx 2⎦ der Faktor (4πNAre2mec2) ist gleich 0,307 MeV cm2/g. δ entspricht einer Korrektur der Ionisierungsenergie wegen Dichteeffekten. I ist die mittlere Anregungsenergie; β ist die Geschwindigkeit des Teilchens und γ sein Lorentz-Faktor; NA ist die Avogadrozahl, Z die Ordnungszahl, A die Massenzahl, ρ die Dichte der durchquerten Matiere (des Targets); der Faktor ρNAZ/A entspricht der Dichte der atomaren Elektronen. Tmax ≈ 2 me c 2β 2γ 2 Tmax ist die maximale kinetische Energie, die in einem Stoss an ein atomares Elektron abgegeben werden kann; − Die Bethe-Bloch-Gleichung beschreibt den mittleren Energieverlust eines Teilchens der Ladung z in einem Materiestück der Dicke dx (gilt für β>≈0.01) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 389 Wir bemerken, dass der Energieverlust nicht von der Masse des einfallenden Teilchens abhängt. Er hängt nur von der Geschwindigkeit des Teilchens ab mit charakteristischer Abhängigkeit: Wenn β→0 (nicht relativistisch), ist dE/dx zu β–2 proportional. Teilchenphysik 390 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie ρ ≈ (1 ÷ 2) MeV / ( g / cm 2 ) Wenn βγ≈4, hat dE/dx ein Minimum, den sogenannten MIP-Wert (MIP=Minimum Ionizing Particle). Numerisch gilt für eine Dichte ρ (in g/cm3) ⎛ dE ⎞ ⎜ ⎟ ⎝ dx ⎠ mip Wenn βγ>4, nimmt dE/dx langsam zu (der relativistische Anstieg). Der Energieverlust von positiven Myonen in Kupfer wird in Abb. 3 gezeigt. Figur 3. “Stopping-Power” (mittleres dE/dx) als Funktion des Parameters βγ des Teilchens (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov). Die Bethe-Bloch-Gleichung beschreibt den Energieverlust mit guter Genauigkeit, wenn β>≈0.02. Der Energieverlust von Pionen mit Energie zwischen 6 MeV und 6 GeV wird mit einer Genauigkeit von 1% vorausgesagt. Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Geladene Teilchen Wenn die Geschwindigkeit des Teilchens klein relativ zur Geschwindigkeit der atomaren Elektonen ist, ist die Bethe-Bloch-Gleichung nicht mehr verwendbar. Wenn βγ>≈1000, werden Strahlungsprozesse wichtig und der Energieverlust wird von der Bethe-Bloch-Gleichung unterschätzt. weil Z ≈ 0, 5 A Man wird oft die Dicke X=ρx (g/cm2) verwenden, so dass ⎛ dE ⎞ 1 ⎛ dE ⎞ 1 ⎛ N Z ⎞ ⎜ ⎟ ≡ ⎜ ⎟ ∝ ρ⎜ A ⎟ ≈ Konst ⎝ dX ⎠ ρ ⎝ dx ⎠ ρ ⎝ A ⎠ 391 Mittlere Anregungsenergie I. Dieser Energie-Parameter kann aus den experimentellen Daten gefittet werden. Er hängt von der Ordnungszahl ab. Die gemessene mittlere Anregungsenergie als Funktion der Ordnungszahl wird in Abb. 4 gezeigt. Es gilt, ⎧19.2 für H 2 − Gas I (Z ) ≈ ⎨ ⎩(10 ± 1) Z für Z > 15 Figur 4. Die gemessene mittlere Anregungsenergie als Funktion der Ordnungszahl Z (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov). Teilchenphysik 392 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Korrektur zum relativistischen Anstieg. Diese durch den δ-Faktor eingeführt. Korrektur wird ⎛ dE ⎞ ⎛ dE ⎞ ≈ (1, 05 ÷ 110 , )×⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎝ dx ⎠ β →∞ ⎝ dx ⎠ mip ⎛ dE ⎞ ⎛ dE ⎞ ≈ 1, 5 × ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎝ dx ⎠ β →∞ ⎝ dx ⎠ mip In Materialien mit hoher Dichte wird das Medium wegen des elektrischen Feldes des einfallenden Teilchens polarisiert. Diese Polarisation wird das E-Feld teilweise abschirmen. Als Folge erwarten wir weniger Stösse mit Elektronen, die weit “entfernt” sind. Der Energieverlust im relativistischen Bereich wird unterdrückt. Tatsächlich, Gase: Festkörper, Flüssigkeit: Der genaue Betrag der Korrektur hängt von Materialeigenschaften (Leiter, nicht Leiter, usw...) ab. 14.3.2 Mittlerer Energieverlust der Elektronen Wenn wir die Ausbreitung von Elektron in Materie betrachten, müssen wir immer zwei Prozesse beachten (Siehe Abb. 5): ⎛ dE ⎞ ⎛ dE ⎞ ⎛ dE ⎞ +⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ≈⎜ ⎟ ⎝ dx ⎠ e ± ⎝ dx ⎠ Bremsstrahlung ⎝ dx ⎠ Ionisierung Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Geladene Teilchen Figur 5. Energieverlust geteilt durch die Energie der Elektronen und Positronen im Blei als Funktion der Energie (Particle Data Group, http:// pdg.lbl.gov). Der Energieverlust durch Ionisierung kann mit Hilfe der BetheBloch-Gleichung berechnet werden. = 4αN A ρ Z2 2 ⎛ 183 ⎞ E r E ln⎜ 1/ 3 ⎟ ≡ ⎝Z ⎠ X A e 0 Der Bremsstrahlungsprozess von Elektronen und Positronen (Siehe Abb. 6) kann mit der QED berechnet werden: ⎛ dE ⎞ −⎜ ⎟ ⎝ dx ⎠ Bremsstrahlung 393 wobei X0 die schon definierte Strahlungslänge ist. Bei zunehmender Energie, wird er den Energieverlust schnell dominieren, z.B. im Blei schon für Ee±>≈10 MeV. Teilchenphysik 394 γ Wechselwirkung von Teilchen mit Materie e± γ γ γ γ Figur 6. Skizze des Bremsstrahlungsprozesses von Elektronen und Positronen in Materie. ⇒ E ( x ) = E 0e − x / x 0 e± Wenn wir den Ionisationsenergieverlust vernachlässigen, erhalten wir ⎛ dE ⎞ dx −⎜ ⎟ ≈ ⎝ E ⎠ X0 und damit ist die Strahlungslänge gleich der Dicke, bei der die Energie des Elektrons um einen Faktor e reduziert wird. ⎛ dE ⎞ ⎜ ⎟ ⎝ dx ⎠ Bremstrahlung ≈1 Kritische Energie Kritische Energie Ec: die kritische Energie wird so definiert: R( E c ) ≡ ⎛ dE ⎞ ⎜ ⎟ ⎝ dx ⎠ Ionisierung )≈47 MeV, d.h. wenn Ee±> Ec, wird der Bremsstrahlungsprozess vorherrschen. wenn Ee±< Ec, wird der Ionisationsenergieverlust dominieren. Numerisch: Ec(Kohlenstoff )≈100 MeV, Ec(Al Ec(Fe)≈24 MeV, Ec(Pb )≈6,9 MeV (Siehe Abb. 7). Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Geladene Teilchen Figur 7. Kritische Energie als Funktion der Ordnungszahl Z für Festkörper und Gase (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov). 14.3.3 Mittlerer Energieverlust der Myonen 2 Bremsstrahlung von Myonen: Im Bremsstrahlungsprozess ist die Wahrscheinlichkeit, ein Photon zu emittieren, zum Faktor ⎛ e2 ⎞ ⎜ ⎟ ⎝ mc 2 ⎠ 2 ⎛m ⎞ 1 ! ∝⎜ e⎟ ≈ 40000 ⎝ mµ ⎠ 395 proportional. Damit ist z.B. die Wahrscheinlichkeit der Bremsstrahlung für Myonen viel kleiner als für Elektronen: Teilchenphysik 396 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Für Myonen ist Bremsstrahlung für Eµ > ≈1000 GeV nicht mehr vernachlässigbar. Siehe Abb. 8. Figur 8. Mittlerer Energieverlust eines Myons als Funktion der Myonenergie. 14.3.4 “Straggling” des Energieverlusts Die Bethe-Bloch-Gleichung liefert den mittleren Energieverlust. Der Energieverlust eines gegebenen Teilchens wird tatsächlich von statistischen Fluktuationen abhängen. Wenn die Dicke der durchquerten Materie so gross ist, dass die Anzahl von Stössen zwischen dem Teilchen und den atomaren Elektronen sehr gross ist, wird der Energieverlust eine Gauss-Verteilung besitzen. Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Geladene Teilchen Für dünne Absorber wird der Energieverlust eine Landau-VavilovVerteilung besitzen. Eine Landau-Vavilov Verteilung wird in Abb. 9 geplottet. Man beobachtet ein klares Maximum und das asymmetrische Verhalten der Verteilung mit einem langen “Landau-tail”. Der “Landau-tail” entspricht seltenen Stössen, bei denen ein grosser Energie-Impuls-Austausch zwischen dem einfallenden Teilchen und der Materie stattgefunden hat. Solche Stössen sind oft von δ-Rays begleitet. 397 Der wahrscheinlichste Energieverlust und der mittlere Energieverlust sind auch gezeigt. Der mittlere Energieverlust entspricht dem Wert, der mit der Bethe-Bloch-Gleichung erhalten wird. Teilchenphysik 398 wahrscheinlichster Energieverlust Landau-Vavilov-Verteilung. mittlerer Energieverlust Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Figur 9. δ-rays 14.3.5 Vielfach-Streuung (“Multiple scattering”) Wenn ein geladenes Teilchen Materie durchquert, wird es in vielen kleinen Winkeln abgelenkt (Siehe Abb. 10). Coulombsche Streuung an Kernen ist für diesen Effekt verantwortlich und deshalb wird diese resultierende Ablenkung als CoulombscheVielfach-Streuung bezeichnet. Die Molière-Theorie beschreibt den Effekt gut. Für kleine Ablenkungen verhält sich die Winkelverteilung wie eine Gauss-Verteilung. Für Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Geladene Teilchen grosse Ablenkungen wird sich der Effekt wie die Rutherford-Streuung verhalten. Als Folge ist die Verteilung des Streuwinkels wie eine Gauss-Verteilung (98% der Fälle) mit längeren Schwänzen (in 2% der Fälle) verteilt. Figur 10. Ablenkung eines Teilchens in Materie (Particle Data Group, http:// pdg.lbl.gov). 1 RMS θ Raum ≡ θ 0 2 In der Praxis wird die Gauss-Näherung verwendet und man definiert die Standardabweichung (“Root-Mean-Square”,RMS) der Winkelverteilung als RMS θ Ebene = und 2 2 1 e −θ Ebene / 2θ 0 dθ Ebene 2πθ 0 399 wobei θEbene der auf eine Ebene projizierte Winkel und θRaum der 3dimensionale Streuwinkel ist (Siehe Abb. 10). Es folgt daraus, dass die Verteilung des projizierten Winkels (θEbene) und des nicht-projizierten Winkels (θRaum) ungefähr die folgenden sind: 1 −(θ x2 +θ y2 ) / 2θ 02 e dθ x dθ y 2πθ 02 Teilchenphysik 400 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie wobei x,y zwei zur Bewegungsrichtung des Teilchens senkrechte Achsen sind und. 2 θ Raum ≈ θ x2 + θ y2 x 13, 6 MeV z X0 βcp Die Breite der Streuwinkelverteilung nach einer Strecke x in Materie ist gleich θ0 ≈ wobei z die Ladung des Teilchens, β die Geschwindigkeit, p der Impuls und X0 die Strahlungslänge ist. Die Vielfachstreuung hängt vom inversen Impuls ab. Bei höheren Impulsen ist die Streuung weniger stark. Für eine Dicke gleich 1 X0 und p=1 GeV/c ist der Streuwinkel θ0 ≈14 mrad ≈ 1 Grad. 14.3.6 Strahlungsemission 1 1 = n ε Ein Teilchen wird Cerenkov-Strahlung emittieren, wenn seine Geschwindigkeit β im Medium, durch welches es sich ausbreitet, grösser als die Lichtgeschwindigkeit βC in diesem Medium ist. Cerenkov-Schwelle: βC = wobei n die Brechzahl des Mediums ist. Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ) Geladene Teilchen 1 βn Wenn das Teilchen eine Geschwindigkeit β>βC hat, wird die Cerenkov-Strahlung in einen Cerenkov-Kegel der Öffnung θC emittiert, wobei cosθC = Im Allgemeinen wird ein kontinuierliches Spektrum von Photonen im optischen Bereich emittiert (ein durchsichtiges Medium wird verwendet). Der Energieverlust ist klein relativ zum Ionisationsverlust: ⎛ dE ⎞ −⎜ ⎟ ≈ 10 −3 MeVg −1cm 2 ⎝ dx ⎠ C 401 Der Prozess trägt zum Energieverlust eines Teilchens in Materie nicht sehr viel bei, wird aber in Detektoren verwendet. Teilchenphysik 402 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Teilchenphysik II&III, WS 05/06-SS06, Prof. André Rubbia (ETHZ)