Quelle: DAK/Schläger von Angelika Bauer-Delto Veränderte Freizeitgewohnheiten gehen auch mit veränderten Gesundheitsrisiken einher. Die Folgen ihres Besuchs in einem „Erlebnisbad“ waren für die fünfjährige Lara G. alles andere als ein „Spaß“: Am nächsten Tag entwickelten sich an den Fußsohlen rötliche, juckende Effloreszenzen, die bei jedem Schritt schmerzten. Unwohlsein und leichtes Fieber kamen hinzu: typischer Fall eines Hot-FootSyndroms. Unangenehm waren auch die Folgen für die 13-jährige Jule M., als sie während eines Urlaubs in Tunesien endlich ihren größten Wunsch erfüllt bekam: drei kleine Ringe in der Ohrmuschel. Als unliebsames Souvenir entwickelte sich eine Perichondritis, die zu einer bleibenden Deformation der Ohrmuschel führte. Diese Beispiele machen deutlich: Moderne Freizeitaktivitäten bringen veränderte Gesundheitsrisiken mit sich. Während sich im 19. und 20. Jahrhundert die Arbeitsmedizin etablierte, um den Gefahren am Arbeitsplatz zu begegnen, stellt unsere „Freizeitgesellschaft“ heute ganz neue Anforderungen an die Medizin. „Brauchen wir im 21. Jahrhundert eine Freizeitmedizin?“, fragte deshalb Prof. Dr. Werner Handrick vom Institut für Medizinische Diagnostik in Frankfurt/Oder im vergangenen April im Rahmen der 14. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V. Unsere Freizeitgewohnheiten bringen die unterschiedlichsten gesundheitlichen Risiken mit sich: Hautkrebs durch zuviel Sonne, Verletzungen beim Sport, „Freizeitstress“ aufgrund zahlloser Termine schon für die Kleinsten. Auch Infektionen zählen zu den häufig unterschätzten Gefahren bei Freizeitaktivitäten. „Infektionsrisiken im Freizeitbereich wurden jedoch bislang kaum systematisch bearbeitet“, berichtete Handrick (siehe Kasten 1). Kasten 1: Freizeitbereiche mit Infektionsrisiken für Kinder und Jugendliche • Familie, Wohnung • Spielplätze • Schwimmen, Whirlpool-, SaunaBenutzung • Wandern, Jugendcamps • andere sportliche Aktivitäten • Reisen (z.B. Tropen) • sexuelle Kontakte • Körperkult • Tierkontakte • exotische Speisen Quelle: Prof. Werner Handrick, Frankfurt/Oder 19 „Sportliche“ Infektionsrisiken beachten In der modernen Freizeitgesellschaft nehmen sportliche Aktivitäten einen immer größeren Stellenwert ein. „Während das Verletzungsrisiko hinlänglich bekannt ist, wurden sportinduzierte Infektionen bislang zu wenig beachtet“, kritisierte Handrick. Beim Sport werden vor allem Erreger übertragen, die zu Haut- und Schleimhautinfektionen führen. Hauptübertragungsweg ist der direkte Körperkontakt. Aber auch durch gemeinsam benutzte Seife oder Handtücher sowie in Umkleideräumen und Duschen können sich die jungen Sportler eine Infektion holen. Übertragen werden so beispielsweise die bei Kindern häufigen Dellwarzen, verursacht durch das Molluscum-contagiosum-Virus. Eine Infektion mit Herpes-simplex-Viren ist ebenfalls möglich. Auch mit Bakterien wie Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes können sich Sportler infizieren; Impetigo, Furunkel oder Erysipel können die Folgen sein. Meningokokken zählen zu den besonders gefürchteten Erregern. Weit verbreitet sind Infektionen mit Dermatophyten; gerade in Sportschuhen findet der Fußpilz ideale Lebensbedingungen. Whirpool-Dermatitis trübt den Badespaß Nicht selten kommt es zu Infektionen bei Freizeitaktivitäten in natürlichen Gewässern ebenso wie in Spaßbad, Pool oder Sauna. Zu den typischen Badeinfektionen zählen das sogenannte Schwimmer-Ohr (Otitis externa) und Kasten 2: Dispositionsfaktoren für Freizeitinfektionen • Haut-, Schleimhautverletzungen - Piercing, Tätowierung - Sport (Abschürfungen) - Bisse (Tier, Mensch) - tätliche Auseinandersetzungen (z.B. zwischen Fußballfans) Freizeitinfektionen So gibt es zur Inzidenz von Freizeitinfektionen wenig Daten. Allerdings wird laut Handrick in der Literatur immer wieder über Fallhäufungen berichtet, beispielsweise in Sportgruppen, in Feriencamps, bei Pool-Parties oder nach dem Besuch von Piercing-Studios. Die Erreger werden meist direkt von Mensch zu Mensch, aber auch von Tier zu Mensch übertragen. Darüber hinaus gibt es Patienten, die sich beim Kontakt mit Wasser, Sand oder Gartenerde Keime eingefangen haben, ebenso beim Verzehr von kontaminierten Speisen wie rohem Fisch und Fleisch oder nicht pasteurisierter Milch. Entsprechende Dispositionsfaktoren können dann das Auftreten einer Infektionskrankheit begünstigen (Kasten 2). • Hämatome • Schädelbasisfraktur - Inlineskating (Meningitis!) • Schwitzen, eng anliegende Kleidung (z.B. beim Sport) • Alkohol, Nikotin u. a. Drogen, Schlafmangel, Lärm (z.B. in der Disco) • fehlender Impfschutz - Hepatitis B- oder C-Infektionen - Mumps, Masern, Röteln - Tetanus • Verzicht auf Kondome - sexuell übertragbare Krankheiten (STD, sexually transmitted diseases) • exzessive UV-Bestrahlung • emotionaler Stress Quelle: Prof. Werner Handrick, Frankfurt/Oder die Whirlpool-Dermatitis. Wichtigster Erreger von Badeinfektionen ist Pseudomonas aeruginosa. Diese Bakterien sind in der Natur weit verbreitet. In inadäquat aufbereiteten Warmwasser- beziehungsweise Whirlpools können sich Pseudomonaden besonders gut vermehren. Die Keime widerstehen relativ hohen Temperaturen und Chlorkonzentrationen. Pseudomonas-Bakterien können eine sogenannte Whirlpool-Dermatitis verursachen, eine gramnegative Follikulitis. Vermutlich toxinbedingt, kommt es im Bereich der Follikularschicht der Haut zu ausgeprägten entzündlichen Reaktionen. „Diese Freizeitinfektion ist in Deutschland wenig bekannt“, berichtete Sportlich aktive Kinder und deren Eltern sollten über Infektionsrisiken und -prophylaxe informiert werden. Freizeitinfektionen 20 Zur Vorbeugung schlecht gewartete und überfüllte Badeanlagen meiden! Abb. 1: Fußsohlen oder die Handinnenflächen betroffen“, berichtete Handrick. Denn diese Areale sind noch nicht so stark verhornt und können beim Planschen im Wasser leichter traumatisiert werden. Diese für das Kindesalter typische Variante der Whirlpool-Dermatitis wird nach einer kanadischen Arbeitsgruppe um Fiorillo Hot-Foot-Syndrom genannt. Charakteristisch sind rötlich-livide Schwellungen an den Fußsohlen (Abb. 1 und 2), die Kinder klagen über Schmerzen beim Gehen oder Stehen. Laut Handrick „stimmt das Krankheitsbild weitgehend mit der idiopathischen palmoplantaren Hidradenitis überein“, als deren Ursache physikaliAbb. 1 und 2: sche Noxen, insbesondere feuchte Hot-Foot- Syndrom: schmerzhafte, rötlich-livide SchwelKälte, gelten. In so manchem Fall lungen an den Fußsohlen handelt es sich jedoch um eine Quelle: Prof. Dr. Werner Handrick Pseudomonas-Infektion: Es zeigen Handrick. Umso wichtiger sind fundierte In- sich kleine weiße Pusteln, in denen sich mittels formationen und eine Aufklärung der Patien- Abstrich Pseudomonas aeruginosa nachweisen ten. lässt. Unter einer Behandlung mit CiprofloxaDa das Bedürfnis nach warmem Wasser vor allem in der kalten Jahreszeit besteht, wird die Abb. 2: Whirlpool-Dermatitis in den Wintermonaten gehäuft beobachtet. Mehrere Stunden bis Tage nach der Kontamination tritt ein juckender Hautausschlag mit urtikariellen Papeln, Bläschen und Pusteln auf, manchmal entstehen bläulich-rote Knötchen. „Bei solchen Beschwerden sollte der Arzt immer auch an eine Pseudomonas-Infektion denken“, riet Handrick. Die Diagnose wird durch den direkten Erregernachweis im Hautabstrich bestätigt. Der Arzt kann die besorgten Eltern meist beruhigen: Innerhalb von 7 bis 14 Tagen heilen die Effloreszenzen spontan wieder ab. Es können allerdings postentzündliche Hyperpigmentierungen zurückbleiben. Bei ausgeprägten begleitenden Allgemeinsymptomen oder ausbleibender Spontanheilung empfahl Handrick die Gabe von Antibiotika wie Ciprofloxacin. Hot-Foot-Syndrom – typische Variante der Whirlpool-Dermatitis Die Whirlpool-Dermatitis manifestiert sich vor allem an der Haut des Rumpfes, wo die nasse Badekleidung eng anliegt, sowie an den Extremitäten. „Bei Kindern sind aber auch häufig die 21 Kasten 3: Mögliche Infektionen durch Piercen • Lokale Infektionen - Kutis, Subkutis: Phlegmone, Abszess, Mykose,Warzen, Mollusken - Ohr: Chondritis - Nase: Phlegmone - Zunge: Glossitis, Abszess, Angina Ludovici - Brustwarze: Mastitis, Abszess, Implantatinfektion - Nabel: Phlegmone - Genitalien: Warzen, Kondylome • Systemische Infektionen - HBV-, HCV-, HIV-Infektion - Tetanus Quelle: Prof. Werner Handrick, Frankfurt/Oder Risikoreicher Körperkult: Piercings und Tattoos Zu den modernen Lebensgewohnheiten zählen zunehmend auch Modetrends wie Piercen und Tätowieren. Und die „Trendigen“ werden immer jünger. Bei der Penetration der Haut beziehungsweise Schleimhaut durch Nadeln, Ringe oder andere Fremdkörper können Erreger der körpereigenen Flora (wie St. aureus, AStreptokokken oder Anaerobier) oder aus der Umgebung (wie Ps. aeruginosa, atypische Mykobakterien) leichter in die Haut eindringen. Es bestehe ein nicht zu unterschätzendes Infektionsrisiko, betonte der Pädiater Handrick. Hierzu gibt es bislang kaum exakte Daten. Das Risiko, sich bei Piercings eine Lokalinfektion zuzuziehen, wird laut Handrick in der Literatur mit vier bis 20 Prozent angegeben. Infektionen bei der Anlage eines Tattoos beziehungsweise Piercings gehen meist auf Hygienefehler zurück, später auftretende Infektionen sind eher Folge mangelhafter Pflege. „Der Betreiber eines Studios muss keine spezielle Qualifikation vorweisen – ein Gewerbeschein genügt“, kritisierte Handrick. Die Beratung, Durchführung und Nachsorge sind daher nicht immer zufriedenstellend. Viele Jugendliche nutzen auch Fernreisen, um sich ausgefallene Piercings oder Tattoos machen zu lassen. Dabei lassen oft nicht nur die hygienischen Bedingungen, sondern auch die verwendeten Materialien zu wünschen übrig. Dispositionsfaktoren des Kunden beeinflussen ebenfalls das Infektionsrisiko. So sind beispielsweise Atopiker besonders gefährdet, deren Haut vermehrt mit St. aureus besiedelt ist. Hinzu kommt ein großes Allergierisiko – beispielsweise aufgrund nickelhaltiger Piercings oder unverträglicher Farbstoffe. Freizeitinfektionen cin lassen die Beschwerden in der Regel rasch nach. Piercings an der Ohrmuschel besonders gefährlich Auch die Lokalisation spielt als Risikofaktor eine Rolle: Bei den üblichen Steckern am Ohrläppchen kommt es relativ selten zu Komplikationen. Eventuell auftretende Infektionen werden meist von den üblichen Eitererregern hervorgerufen und sprechen gut auf therapeutische Maßnahmen an. Gefährlicher sind Piercings an der Ohrmuschel. „Die relative Avaskularität des Ohrknorpels begünstigt Infektionen“, erklärte Handrick. Das Piercen kann zu einer Perichondritis führen, die sich klinisch als schmerzhaft gerötete Schwellung der Ohrmuschel manifestiert. Im Abb. 3: Das Risiko, Hautkrebs zu bekommen, ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Gerade Sonnenbrände in den ersten Lebensjahren erhöhen das Risiko um das Zwei- bis Dreifache. Quelle: DAK/Schläger Freizeitinfektionen 22 Beim Piercen können neben bakteriellen Infektionen auch Hepatitis- oder HIV-Infektionen übertragen werden. weiteren Verlauf können sich Abszesse und Nekrosen entwickeln; es kann zu einer Defektheilung kommen. Eine Perichondritis wird meist von Ps. aeruginosa hervorgerufen. Aber auch Erreger wie St. aureus und Streptokokken, seltener Anaerobier oder atypische Mykobakterien sind möglich. Bei der mikrobiologischen Diagnostik sollte nicht nur ein Abstrich genommen, sondern insbesondere bei Verdacht auf eine Bakteriämie beziehungsweise Sepsis auch eine Blutkultur angelegt werden, riet Handrick. Bei ausgeprägten Lokal- oder disseminierten Infektionen sind die Entfernung des Fremdkörpers und die Behandlung mit Antiseptika wie Povidonjod als Therapiemaßnahmen meist nicht ausreichend. Hier sollten systemische Antibiotika wie Ampicillin plus Sulbactam, Amoxicillin plus Clavulansäure, Clindamycin, Ceftadizim, Piperacillin plus Tazobactum verordnet werden. Bei Infektionen der Ohrmuschel empfahl Handrick von Beginn an ein gegen Pseudomonas wirksames Antibiotikum. „Infektionen im Bereich der Ohrmuschel sind sehr schwierig zu behandeln“, erklärte er. Bei Abszedierung werden Inzision und Drainage und eventuell eine Entfernung von Ohrknorpel erforderlich, nach einer Defektheilung manchmal aufwendige plastische Korrekturoperationen. Neben Lokalinfektionen können sich auch systemische Komplikationen wie beispielsweise Sepsis, Meningitis, Endokarditis oder Pneumonie entwickeln. „Wer an einem angeborenen Herzfehler leidet, sollte ganz auf Tattoos und Piercings verzichten“, riet Handrick. Denn wie seine Literaturrecherchen ergaben, besteht für Herzkranke ein erhöhtes Risiko einer Endokarditis. Piercen und Tätowieren sind auch mit einem erhöhten Hepatitisrisiko assoziiert: Neben Hepatitis-B-Virus-Infektionen traten in den letzten Jahren zunehmend Hepatitis-C-Infektionen in den Vordergrund, berichtete Handrick. „Möglicherweise sind sogar HIV und Papilloma-Viren auf diese Weise übertragbar“, warnte der Experte. Literatur • Dähnert I et al.: Piercing and tattoos in patients with congenital heart disease – is it a problem? Z. Kardiol. 2004; 93(8): 618-623 • Fiorillo I et al.: The pseudomonas hot-foot syndrome. N Engl J Med. 2001; 345(5): 335-338 • Handrick W et al.: Sportassoziierte Infektionen – eine Übersicht. Mikrobiologe. 2003; 13: 11-14 • Handrick W et al.: Infektionen durch Piercings und Tattoos – eine Übersicht. WMW. 2003; 153: 194-197 • Handrick W et al.: Das „Hot-Foot-Syndrom“. Derm. 2006; 12: 50-54 Kasten 4: Zur Diskussion gestellt Piercen als ärztliche Tätigkeit? „Tattoos und Piercing sind gesellschaftsfähig geworden“, konstatiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, warnt jedoch gleichzeitig vor den Risiken. Die BZgA empfiehlt, ein Studio auszuwählen, bei dem „Hygiene und Technik stimmen“ oder als „sinnvolle Alternative ... sich Piercings von einem Allgemeinarzt stechen zu lassen“ (Quelle: Broschüre „Gut drauf – Gefährliches Ziel: Traumbody“. Kostenlos erhältlich unter www.bzga.de). Um insbesondere den Infektionsrisiken vorzubeugen, fordert der Arbeitskreis „Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF“ beim Piercen und Tätowieren die gleichen hygienischen Bedingungen wie bei vergleichbaren, aber medizinisch indizierten Eingriffen (Leitlinie „Anforderungen der Hygiene beim Tätowieren und Piercen“ unter www.leitlinien.net, Button “Leitlinien nach Fächern“, AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 029/024). Der Piercer sollte demnach über ausreichendes medizinisches Wissen verfügen. Nach Ansicht der Rechtsabteilung der Bundesärztekammer ist Piercen allerdings keine ärztliche Tätigkeit. Die American Academy of Dermatology hat eindeutig Position gegen jede Form des Piercings bezogen (ausgenommen Ohrläppchen). Stellungnahmen deutscher Fachgesellschaften zum Piercing stehen noch aus.