Stegreifaufgabe Architekturtheorie - Textvergleich - Prof.Dr. Lehmann - SS2015 Aufgabe: So muss Architektur!!! Vergleich zweier Manifeste über das Bauen Architektinnen und Architekten überlassen es nie ihren Skizzen, Plänen, Modellen und Bauwerken allein, etwas darüber zu vermitteln, wie der Entwurf und die Umsetzung zustande gekommen sind. Der Austausch mit Bauherren, Erläuterungstexte in Wettbewerben und ganze Bücher über die eigenen Architekturvorstellungen gehören seit jeher zum Repertoire der Büros. Eine Besonderheit stellen die Architektur-Manifeste dar. Sie dienen nicht nur der Erläuterung der eigenen Haltung, sondern verfolgen oft viel weitergehende Absichten: Sie sollen wachrütteln, verstehen sich als gesellschaftliche und politische Weckrufe, wollen provozieren und dabei für neue Sichtweisen werben. Oftmals begründen sie anhand plakativer Begriffe (wie im obigen Beispiel die Wortschöpfung „ADHOCISM“) neue Strömungen oder Epochen. Nicht zuletzt dien(t)en sie immer auch dazu, Aufmerksamkeit für die eigenen Positionen und Arbeiten zu erzeugen und den Erfolg der eigenen Tätigkeit zu erhöhen. Zwei ausgewählte Manifeste sollen dies zeigen. Sie sind zu einer ähnlichen Zeit entstanden, verdeutlichen dabei die Eigenständigkeit ihrer Verfasser, bilden aber gleichermaßen das geistige Fundament einer neuen Zeit - der Moderne. Aufgabe: Lesen Sie zur Übung am 21. April die beiden zugehörigen Texte und setzen Sie sich in Ihren Gruppen mit den folgenden Fragen auseinander: 1. 2. 3. 4. 5. Welchen neuen amerikanischen Architektur-Gedanken beschwört F.L. Wright? Auf welche Lebensbereiche und Architekturtypologien bezieht er sie? Welche Kriterien hat ein Grundriss konkret zu erfüllen, damit er als "organisch" verstanden werden kann? Welche die Einrichtung / das Mobiliar? Sowohl Frank Lloyd Wright als auch Mies van der Rohe formulieren wesentliche Gedanken der Moderne. Worin sehen sie Gemeinsamkeiten und Gegensätze beider Ansätze? Die Bandbreite der organischen Architektur reicht vom Funktionalismus (Louis H. Sullivan: "form follows function") über Antoní Gaudi (Natur als Entwurfsvorbild) bis hin zur anthroposophischen Architektur Rudolf Steiners (nach deren Prinzipien etwa das Verwaltungsgebäude der Gasunie in Groningen entworfen worden ist). Sind Sie der Auffassung, dass zum Beispiel der Commerzbank-Tower in Frankfurt (Norman Foster) mit den innenliegenden Gärten eine zeitgemäße Verwirklichung der Ideale organischer Architektur in einem Bürohaus ist? Welches sind bessere Beispiele für heutige organische Architektur? Oder halten sie dieses Prinzip für überholt? Semesteraufgabe Architekturtheorie - Der Architekt als Designer - Prof.Dr. Lehmann - SS2015 Stegreifaufgabe Architekturtheorie - Textvergleich - Prof.Dr. Lehmann - SS2015 Frank Lloyd Wright Organische Architektur (Auszug) 1910 kommt Frank Lloyd Wright (* 1867 oder 1869 in Richland Center / Wisconsin, † 1959 in Taliesin West/Arizona) auf Einladung des Yerlegers Ernst Wasmuth nach Deutschland, um die erste Veröffentlichung seiner gesamten Arbeiten (1895-1910) zu übenwachen. Kuno Francke, einige Zeit Austausch-Professor in Harvard, hatte in Berlin auf Wright aufmerksam gemacht. Mit dieser Publikation, die Wright selbst einleitet, hat der Baugedanke eines freien Raumflusses zwischen den verschiedenen Wohnbereichen, hat die organische Entwicklung eines Baus auf L-, X- und T-förmigen Grundrissen festen Fuß gefasst in Europa. In der organischen Architektur ist es völlig unmöglich, das Gebäude als eine Sache zu betrachten, die Errichtung als eine andere und Standort und Umgebung als wieder eine andere. Der Geist, in dem diese Bauten konzipiert sind, sieht all dies gemeinsam als ein Ding. Alle müssen sorgsam vorhergeplant und der Natur des Gebäudes entsprechend beschafft werden. All diese Dinge sollten lediglich zu Einzelheilen des Charakters und der Vollständigkeit des Gebäudes werden. Eingebaut (oder weggelassen) werden Beleuchtung, Heizung und Ventilation. Selbst die Stühle und Tische, Schränke und sogar die Musikinstrumente - wo es sich durchführen läßt - gehören zu dem Gebäude selber, sie sind niemals Einrichtungsstücke, die nur hineingestellt werden. . . So einen menschlichen Wohnplatz zu einem vollendeten Kunstwerk zu machen, in sich selber ausdrucksvoll und schön, innig auf das moderne Leben bezogen und geeignet, bewohnt zu werden, zu einem Kunstwerk, das sich freier und angemessener den individuellen Bedürfnissen der darin Lebenden hingibt und selbst eine harmonische Wesenheit ist, das in Farbe, Bild und Natur mit den notwendigen Forderungen übereinstimmt und seinem Charakter nach wirklich ihr Ausdruck ist - das ist die große, moderne amerikanische Chance in der Architektur. Echte Grundlage einer echten Kultur. Ist das eine exaltierte Ansicht vom »Besitzinstinkt« unserer Zeit? Doch wenn dieses Ideal erst einmal begründet und zu besichtigen ist, wird es, davon bin ich überzeugt, eine neue Tradition werden: ein großer Schritt voraus und fort von der vorgeschriebenen Mode einer Zeit, als eine Wohnung ein Komposition von Zellen war, voneinander getrennte Zimmer,die Ansammlungen von Möbelstücken, wie gut diese auch sein mochten, enthielten, während es an nützlichem Komfort fehlte: das war überwiegend Besitzinteresse. Das moderne Gebäude jedoch ist im Gegensatz zu jener früheren unvernünftigen Anhäufung von Teilen ein organisches Wesen. Bestimmt haben wir hier das höhere Ideal der Einheitlichkeit als innigere Verwirklichung des Ausdrucks des eigenen Lebens in der eigenen Umgebung. Eine einzige große Sache statt einer widersprüchlichen Kollektion so vieler kleiner Dinge. Semesteraufgabe Architekturtheorie - Der Architekt als Designer - Prof.Dr. Lehmann - SS2015 Stegreifaufgabe Architekturtheorie - Textvergleich - Prof.Dr. Lehmann - SS2015 LUDWIG MIES VAN DER ROHE ARBEITSTHESEN 1923 Mies van der Rohes Thesen, geschrieben im Mai 1923, erscheinen zusammen mit seinem Entwurf für ein Bürogebäude aus Stahlbeton (1922) in der ersten Nummer von »G«, zu deren Mitgründern Mies zählt. Außer Mies (* 1886 in Aachen, lebt in Chicago) und Graeff und Richter arbeiten mit: Gabo, Pevsner, Haussmann - sie alle wohnen in Berlin zu dieser Zeit - und van Doesburg, Paris. Das ist eine überraschende Konzentration und Begegnung der Kräfte: der Stijl und der russische Konstruktivismus treffen sich an einem Ort, an dem gerade ein halbes Jahr zuvor, im Winter 1922/23 anläßlich der Architektur-Ausstellung in der Berliner Sezession, die Kritik einhellig konstatiert hat: das ist die »Neue Architektur«. Jede ästhetische Spekulation, jede Doktrin und jeden Formalismus ... lehnen wir ob. Baukunst ist raumgefaßter Zeitwille. Lebendig. Wechselnd. Neu. Nicht das Gestern, nicht dos Morgen, nur das Heute ist formbar. Nur dieses Bauen gestaltet. Gestaltet die Form ous dem Wesen der Aufgabe mit den Mitteln unserer Zeit. Dos ist unsere Arbeit. BÜROHAUS Das Bürohaus ist ein Haus der Arbeit der Organisation der Klarheit der Ökonomie. Helle weite Arbeitsräume, übersichtlich, ungeteilt, nur gegliedert wie der Organismus des Betriebes. Größter Effekt mit geringstem Aufwand an Mitteln. Die Materialien sind Beton Eisen Glas. Eisenbetonbauten sind ihrem Wesen noch Skelettbauten. Keine Teigwaren noch Panzertürme. Bei tragender Binderkonstruktion eine nichttragende Wand. Also Haut- und Knochenbauten. Semesteraufgabe Architekturtheorie - Der Architekt als Designer - Prof.Dr. Lehmann - SS2015