Das bewegte Gehirn Bestandsaufnahme: Anmerkung der • aktuelle Untersuchungen vor der Einschulung haben ergeben, dass bereits 1/3 aller Sechsjährigen unter Muskel- und Haltungsschwächen, Wahrnehmungs- und Koordinationsstörungen, Übergewicht, Kreislaufschwäche oder emotional-sozialen Störungen leidet. • So konnten über 1/3 der getesteten Kinder und Jugendlichen nicht rückwärts zwei oder drei Schritte auf einem drei Zentimeter breitem Balken balancieren und bei einer Rumpfbeuge kamen nur 43% der Kinder mit beiden Händen bis zum Boden; sogar die Kraftfähigkeit hat seit 1976 um 14% abgenommen (Standweitsprünge). Der Grund: Bewegt sich ein Kind konsequent zu wenig, sammelt es im Laufe seiner Entwicklung nicht n cht genügend Erfahrungen mit m t seinem se nem eigenen e genen Körper. Diese D ese benötigt benöt gt es aber nicht nur, um physische Fertigkeiten zu entwickeln, sondern auch für eine gute räumliche Vorstellungskraft. • Bewegung ist darüber hinaus ein wachstumstimulator für das erwachsende Gehirn Hirnforschung zu Bewegung, Bewegung, Denken und Lernen Prof. Dr. Martin Korte TU Braunschweig Fahrplan: • Bestandsaufnahme • Intelligenz und Evolution • Sport und Kindesentwicklung • Sport und Erwachsene • Lernen und Sport Zusammenspiel von Bewegung und Gedächtnisvermögen (Sportmediziner Prof. Hollmann) Erklärung: • Vermutlich werden die Lerninhalte auf diese Weise doppelt codiert – motorisch und kognitiv – und können danach schneller und sicherer • Studenten wurden sinnfreie Silben – wie tra, fro, mi – zugerufen, nach einer g gewissen Zeitspanne p wurden sie aufgefordert, g das Gehörte wiederzugeben, was nur unter grossen Schwierigkeiten gelang. • Hollmann wiederholte den Test mit einer weiteren Gruppe. Einziger Unterschied: Diese Personen befanden sich auf einem Laufrad. • jetzt behielten die Probanden das Gehörte viel besser! • unser Gehirn verknüpft Lerninhalte mit gleichzeitig eintreffenden Körpersignalen, wordurch sie dauerhafter abspeichert werden können • andere nd gedächtnispsychologische dä htnisps h l is h St Studien di n untermauern nt m n di dieses s sR Resultat: s lt t: Wortlisten können besser erinert werden, wenn man dabei gestikuliert oder diese mit eigener Hand aufgeschrieben hat – man merkt sich also nicht nur, wie das Wort aussah, sondern auch die motorischen Abläufe des Schreibens selbst und kann dies für den Abruf benutzen. wieder aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. • Th Therapeutische p tis h Fö Förderprogramme d p mm setzen s t n daher d h auch h körperliche kö p li h Bewegung gezielt zur Überwindung von Sprach- und Lernschwierigkeiten ein (Stichwort Ergotherapie) • CHILT-Studie mit 668 Kindern: Schüler mit guter Bewegungskoordination schnitten in Konzentrationstests am besten ab! • um so bedauerlicher ist die Feststellung, dass es bei heutigen Kindern schlecht um die körperliche Aktivität bestellt ist. Im Durchschnitt bewegen sich Heranwachsende heute nur noch halb so viel wie vor zwanzig Jahren! 1 Intelligenz Was haben Sport, Intelligenz und Gehirn miteinander zu tun? Intelligenz: solange man nicht darüber redet, weiss man was es ist Intelligenz: "open ended word", genau wie Bewußtsein Intelligenz Versuch einer Umschreibung: Intelligenz ist..... Intelligenz ist eine richtige Annahme in einer neuen Situation machen (H. Barlow) • neuartige Probleme lösen können • Einsicht in eine Situation - eine Vermutung aufstellen, die eine neue, zugrundeliegende Ordnung enthüllt • richtiges anwenden von "Versuch und Irrtum" (Nachdenken und 'trial and error' werden oft als falsche verstandene Gegensätze verwendet) • Voraussicht, mehrstufiges planen in neuen Situationen • Vielseitigkeit • daneben hat Intelligenz noch einen kreativen Aspekt: etwas neues erfinden, aus vorhandenen Bestandteilen/Elementen etwas neues kreieren z.B. die Kunst eines Chefkoches Die sechs „Intelligenzen“ nach Howard Gardner 1. die sprachliche Intelligenz 2. die logisch-mathematische g Intelligenz g 3. die räumliche Intelligenz 4. die musikalische Intelligenz Intelligenz ist, was man benutzt, wenn man nicht weiter weiß. (J. Piaget) ABER ABER: “Die” Intelligenz gibt es nicht! 5. die körperlich-kinästhetische (Bewegungsintelligenz) 6. die personale Intelligenz • intrapersonale Intelligenz • interpersonale Intelligenz } EQ 2 Ausflug in die Evolution der Intelligenz des Menschen Schimpanse Bonobo Schimpansen haben Welche Faktoren führten dazu, dass einen gemeinsamen die menschliche Spezies in ihrer Vorfahren mit dem Menschen (vor 7 Intelligenz alle anderen Tierarten Millionen Jahren) überflügelte? Zweifüssigkeit – Werkzeuge Sprache – große Gehirne Können hundert Worte lernen, zwei-Wort Sätze bilden, haben keine Syntax Geologische Temperaturschwankungen Vor 2.5 Millionen Jahren begannen die Klimaschwankungen zuzunehmen. Warum brauchen wir ein so großes und teures Gehirn? • ein menschliches Gehirn wiegt etwa 2% des Körpergewichtes • es verbraucht aber 20% des gesamten Körpersauerstoffs und 20% der gesamten Stoffwechselenergie! Homo sp. Spezialisten gegen Alleskönner: 2º brain • Flugzeugpassagiere, die nur mit Handgepäck reisen, bekommen am Flughafen alle Taxis, während die Reisenden mit den drei Koffern g g erst zur Gepäckausgabe p g müssen für alle Wetterbedingungen • Wenn aber das Wetter am Reiseziel stark schwankend ist, hat der Reisende, der für alle Wetterbedingungen etwas dabei hat, einen Selektionsvorteil 3 Zunahme der Gehirngröße Vergleich der Großhirngröße Vorläufer des Menschen (Australopithicus) spaltete sich von der Eiszeiten Homolinie vor etwa 2.5 Mio. Jahren ab Eiszeiten als auch die Zunahme der Hirngröße begannen vor 2.5 Mio. Jahren 1600g • begleitet wurde die Zunahme in der Hirngröße von der Werkzeugherstellung g 400g 4x Cortex Vergrößerung in 2.5 Mio.Jahren Gehirngewicht • Sowohl die sich schnell abwechselnden Homo sapiens Homo erectus Primaten Australopithicus Primaten 5 4 3 2 Ratte Affen Mensch 1 heute Millionen Jahre man sollte aber die Vergleiche von Affen und Menschen nicht überbewerten..... ... und auch Größe ist eben nicht alles! .... und Männer sind auch nicht klüger als Frauen, auch wenn sie im Durchschnitt größere Gehirne haben! 4 und hier kommt dann die folgende Frage ins Spiel: Sport und Gehirn Menschliche Proportionen aus Sicht des Gehirns Was haben Sport, Intellingenz und Gehirn miteinander zu tun? Übung hinterlässt seine Spuren im Gehirn Intelligenz und Sport Bewegungen planen – Handlungen planen • Einen Stein zu werfen, dauert etwa 125ms. • Korrekturschleifen im Gehirn sind nicht schnell genug, genug um eine einmal angefangene Wurfbewegung zu korrigieren, wenn man die Bewegung einmal falsch angefangen hat 5 Ballistische Wurfbewegungen als Wegbereiter der menschlichen Intelligenz Wenn man zu früh los lässt, fliegt der Stein zu weit • Bei ballistischen Wurfbewegungen muß das Gehirn die letzten 1/8 Sekunden im voraus planen p Bei Verdoppelung der Distanz, Distanz • dies könnte die Voraussetzung für ist das genaue Treffen 8x schwerer Wenn man zu spät los lässt, und man braucht viele Nervenzellen fliegt der Ball nicht weit genug das sequentielle Planen von Abläufen genereller Natur sein (z.B. Sprache) um die Bewegung zu planen. • Für das akkurate Werfen muss man jjedes kleinste Detail der Muskelbewegungen im Voraus planen – also bereits bevor die Bewegung beginnt (das gleiche gilt für einen Tennisaufschlag). Das Gehirn und die Bildung von Bewegungssequenzen Sprache als Sequenzplanung und -analyse Die Teile des Stirnlappens Die gleichen Areale sind involviert, der Großhirnrinde, die Hand- wenn es um die Erzeugung und und Armbewegungen planen Verarbeitung von Sprache geht. sind auch geeignet Mund und Die Planung einer Sequenz von Gesichtsbewegungen zu Bewegungen (ballistische planen Wurfbewegungen) waren die Voraussetztung für Sprache und für vorausschauendes Handeln, z.B. ein vierwöchiger Trainingsplan. 6 Sprache, Sport und Musik Sprachsequenzen ... dadurch sind wir, gerade in der deutschen Sprache, in der Lage, verschachtelte Sätze wie russischen Puppen zu bauen: “Als ich nach einem aggressiven Angriff des Gegners versuchte den nassen Ball longline zu spielen, fiel mein Auge auf eine Linienrichterin,, welche in einem tranceähnlichen Zustand ihre Antipathie gegen meine Spielweise durch ein midleidiges Lächeln zum Ausdruck brachte........” Rhythmik, Sequenzen und IQ Neues erfordert eine ernome Flexibilität • Sprache, Musik und sportliche Betätigung haben die Planung und Analyse einer Sequenz von Elementen als Grundlage – rhythmische h thmis h B Bewegungen n n verbessern b ss n di die K Kreativität ti ität und nd di die Denkfähigkeit (IQ kann bis zu 10% steigen) – gleiches gilt auch für das Hören von Musik (kurzfristig) oder wenn man selbst Musik macht (langfristiger Effekt auf den IQ) • Die meisten Wurfziele sind neu, so dass die neuronalen Schaltkreise für die Planung von Sequenzen von Bewegungsabläufen, die nur 125ms dauern, über die letzten paar Millionen Jahren verbessert wurde. Bewegungslernen: Anweisungen, welche sich auf den Effekt/das Ziel einer Bewegung richten, statt auf die Bewegung selbst, sind erfolgreicher 7 Das Ziel ist der Weg Bewegte Momente: Planen ist manchmal besser als Üben • Parkinson Patienten: Defizit im Dopamin-System des Gehirns • können oft nur sehr schwer laufen, aber manchmal noch gut tanzen • Menschen können sich Ziele und Endpositionen von Bewegungen besser merken, als die Bewegung selbst • Experimente am Münchner MPI für Psychologische Forschung haben • Wie kann das sein? gezeigt, dass Kinder beim Imitieren eher das Ziel und den Sinn einer • Es kommt eben nicht nur darauf an, wie wir eine Bewegung ausführen, welche Muskeln wir wann anspannen oder entspannen, sondern es kommt darauf an, wie wir uns eine Bewegung vorstellen, also wie wir sie mental planen • z.B. z B Glen Gould Bewegung beachten als die Bewegung selbst • Alle diese Versuche deuten darauf hin, dass wir Bewegungen über ihre vorgestellten Effekte planen, steuern und im Gedächtnis speichern. • Oder anders ausgedrückt: Der vorweggenommene Effekt steht gewissermaßen für die ganze Bewegung. • Moshe Feldenkrais: „Durch Vorstellung wird ein größere Besserung erzielt als durch die Handlung.“ Rotation leicht gemacht Sport fördert IQ • Übung für Sprachen lernen, langfristige Planungen aufstellen und Schlußfolgerung: kreatives Denken Menschen können selbst komplizierte Bewegungen ausführen, wenn sie vor allem • auf die angestrebten Effekte achten (nicht aber so sehr auf genaue Körperstellung!) Wahrnehmung und Vorstellung beeinflussen Bewegungssequenzen lernen ist ebenso wie musizieren ein gute Bewegungsreize sind für das Gehirn Wachstumsreize (Nervenwachstumsfaktoren wirken hierbei wie „Gehirndünger“) • sportliche Betätigung, ja jede Art von Bewegung, fördert die Gehirnreifung (Synapsen- und Nervenzellbildung) die Koordinationsprozesse des motorischen Systems. Es ist "leichter" "l i ht " si sich h komplexe k mpl x Handlungen über das Ziel statt über Bewegungsdetails zu merken! • d h einen durch i erhöhten h h Vernetztheitsgrad der Nervenzellen des Gehirns wird auch die Intelligenz gefördert 8 Gehirnbotenstoffe und Sport Sport, Dopamin und Motivation Sport führt zu einer Ausschüttung von spezifischen Botenstoffen im Gehirn: • Sport verbessert zudem die Konzentrationsfähigkeit (bessere Durchblutung und Sauerstoffversorgung) • sportliche Betätigung führt zu einem Anstieg des Gehirnbotenstoffes Dopamin • Dopamin ist ein Neurotransmitter, Neurotransmitter der die Kommunikation zwischen • die das Wohlbefinden steigern (körpereigene Opiate – ganz legal) • die Motivation erhöhen (über Dopamin) • die die Aufmerksamkeit und die mentale Aktivierung steigern (Noradrenalin) • in motorischen Schaltkreisen • Selbstvertrauen steigern und Angstzustände mindern (Serotonin) • in Motivations-Schaltkreisen spezifischen Nervenzellen ermöglicht • Dopamin wird nur an speziellen Synapsen benutzt • beim Arbeitsgedächtnis • wenn es so etwas wie einen Motor des Gehirns gäbe, wäre es das d Dopamin Dopamin Wie erzeugt das Gehirn Lust auf eine Tätigkeit? Dopamin: Die Antriebskraft unserer Aktivitäten Stirnlappen Alternative: Basalganglien Stirnlappen Dopamin System Belohnungen zu variieren aktiviert das Dopaminsystem am Besten. sportliche Betätigung führt zur Ausschüttung von körpereigenen Drogen, endogenen Opiaten (Opiniode, Endorphine), der Körper belohnt sich selbst! 9 Motorisches Lernen und Gehirn Kleinhirn: Der miniaturisierte Gigant • 3x soviel Nervenzellen wie das Basalganglien Großhirn • Bewegungskordination Kl i hi Kleinhirn • Bewegungslernen • motorisches Gedächtnis Kleinhirn Fingerübungen: Der Sinn für Symmetrie Nervenzellen im Gehirn Großhirn leicht schwer Kontrolle HIPPOCAMPUS Einfache Fingerübung: Zeigefinger beider Hände parallel nach links und rechts wippen, mit Beschleunigung anfänglich paralleler Rhythmus geht unwillkürlich über in ein Synapse mit Vesikeln symmetrisches Muster: die Zeigefinger fangen an, rhythmisch gegeneinander zu schwingen (Tendenz zur Spiegelsymmetrie), unabhängig von der Stellung der Hände. ein menschliches Gehirn hat bereits bei der Geburt seine gesamten 100 Milliarden Nervenzellen! 10 Mechanismen der Hirnentwicklung Neuronale Schaltkreise • 1mm Gehirn 2m 0.01mm Gehirn 200m Es gibt zwei entscheidende Mechanismen, die dem Gehirn während der frühen Kindheit den richtigen Feinschliff verpassen: 1. Selektion von überschüssigen Nervenzellen und Synapsen: In fast allen Hirnregionen entstehen mehr Nervenzellen und mehr Synapsen als für ein gut funktionierendes Gehirn gebraucht werden werden. Nur die erfolgreichen und richtig eingebundenen Nervenzellen - gleiches gilt für die Synapsen - werden erfolgreich gefestigt. Die übrigen bauen sich ab und verschwinden. Dieser Prozess ähnelt dem Vorgehen eines Künstlers, der aus einem großen Marmorblock eine Statue schafft. Nur das im Falle des Gehirns Umwelterfahrungen und genetische festgelegte Reifungsprozesse eine Statue meißeln. Und zwar ein Unikat! Auch die Gehirne von eineiigen Zwillingen sind nicht gleich, gleich keine zwei Menschen auf der Welt haben die gleichen Sinneserfahrungen oder fühlen und denken gleich. Synapsen-Selektion bei Kindern Synapsenzahl (1011/qc S cm) Nervenzelldichte im Gehirn eines Kindes 6 4 2 Vo rg eb ur t Neugeborenes 3 Monate alt 2 Jahre alt 18 11 5 3 20 4 Monate 12 3 2 1 lic h G eb ur t 0 Jahre 10 Jahre alt aus: Kläsener/Korte: Gute Noten, Wie Eltern den Schulerfolg ihrer Kinder fördern können, Argon-Verlag, 2004 11 Welche Synapsen bleiben erhalten? 2. Erhalten bleiben die Synapsen die synchron aktiv sind. „Wire together, if you fire together” (was zusammen feuert, soll auch verschaltet warden), lautet die knappe Formel. Diese Regel bestimmt, wie das Gehirn seine Auswahl trifft: Werden Nervenzellen gleichzeitig aktiviert, bleiben die Verbindungen zwischen ihnen erhalten, ja sie verstärken sich sogar. Menschliche Gedächtnissysteme • um etwas zu lernen, müssen wir es in unserem Gehirn in dafür • “das” das Gedächtnis gibt es hierbei nicht • es gibt verschiedene Gedächtnisstrukturen in menschlichen Gehirnen • dabei werden explizite und implizite spezialisierten Arealen abspeichern Gedächtnissysteme unterschieden, je nachdem, ob sich Gedächtnisinhalte fassen lassen oder nicht. in Worte f Sport, Denken/Intelligenz, Gehirn „Das“ Gedächtnis gibt es nicht! nichtnicht -sprachlich sprachlich Bewußtes Gedächtnis (explizit) Autobiografisches Gedächtnis Unbewußtes Gedächtnis (implizit) Fakten- motorisches gedächtnis G d h Gedächtnis Spass, Emotion, soziale Intelligenz Evolution Priming Konzentration Motivation bestimmte Botenstoffe werden beim Sport vermehrt gebildet Limbisches System (Hippocampus) Großhirnrinde Limbisches System (Hippocampus) Großhirnrinde Kleinhirn Basalganglien Großhirnrinde Rhythmus Sequenzen 12