The Regulating Civil Society Project: Umfrage zur Organisation Politischer Parteien in Deutschland Bericht University of Exeter, Februar 2017 Dieses Forschungsprojekt wurde vom European Research Council als Teil des European Union's Seventh Framework Programme (FP7/2007-2013) finanziell gefördert / ERC Drittmittelprojekt 335890 STATORG. 1. Grundeigenschaften der Umfrage Umfrage: Die Organisation Politischer Parteien in Deutschland Abschlussdatum: November 2016 Verantwortliche: The Regulating Civil Society Project, Exeter, UK Partner: Universität zu Köln, Deutschland Population: 29 (nationale politische Parteien die bei der letzten Bundestagswahl in mehr als einem Wahlkreis angetreten sind) Antworten: 20 (69% Rücklaufquote) 2 2. Beschreibung der Daten Dieser Bericht präsentiert eine erste Auswertung der Umfragedaten. Der Struktur des Fragebogens folgend, präsentieren wir im ersten Teil die wichtigsten Charakteristika der hier untersuchten Parteiorganisationen und im zweiten Teil die Eigenschaften ihrer Mitglieder. In einem dritten Teil legen wir Informationen bezüglich Ressourcen und Personalpolitik dar. Zum Schluss beschreiben wir die Hauptaktivitäten der Organisationen und schildern die Herausforderungen, die von den hier untersuchten Parteiorganisationen benannt wurden. 2.a. Eigenschaften der Parteiorganisationen Unseren Ergebnissen zufolge verfolgen Parteien hauptsächlich Ziele, von denen deren Wähler profitieren. Sie sind im Durchschnitt 29.63 Jahre alt und wurden entweder von einer Gruppe von Bürgern neu gegründet oder sind aus einem Zusammenschluss bereits bestehender Organisationen entstanden. Mehrheitlich sind die teilnehmenden Parteien in regionalen und lokalen Untergruppen organisiert. Genauer gesagt, geben 80% der Parteien an, hauptsachlich Ziele zu verfolgen, von denen Wähler profitieren und 15% verfolgen Ziele, von den hauptsächlich Nichtmitglieder (über deren Mitglieder hinaus) profitieren. Nur 5% der Parteien, verfolgen Ziele, von denen hauptsächlich Mitglieder profitieren. Während das Durchschnittsalter der teilnehmenden Parteien 29.63 Jahre ist, finden wir große Unterschiede zwischen den Parteien: die jüngste Partei ist gerade mal ein Jahr alt, die älteste Partei 141 Jahre. - Zusammenfassung Typischer Charakteristika Orientierung: Ziele, von denen hauptsächlich Wähler profitieren Altersdurschnitt: 29.63 Jahre Art der Gründung : neu gegründet oder Zusammenschluss bereits bestehender Organisationen Gründer: bereits bestehende Organisation(en) Struktur: Nationale Organisation mit regionalen und lokalen Untergruppen Studien zu politischen Parteien haben festgestellt, dass der Ursprung einer Partei Einfluss auf deren zukünftige Entwicklung hat (Panebianco 1988). Aus diesem Grund fragten wir in unserer Umfrage nach der Art der Parteigründung und deren Hauptakteur(en). Hier geben 45% der Parteien an, dass sie neu gegründet worden sind. Genauso viele geben an, aus einem Zusammenschluss bereits bestehender Organisationen entstanden zu sein. Nur 10% entstanden aus einer Abspaltung einer/mehreren bereits bestehenden Organisation(en). Auf die Frage, durch wen die Organisation gegründet wurde, antworteten 30%, dass sie von einer Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern gegründet wurden. 50% gaben an, dass sie von einer/mehreren bereits bestehenden 3 Organisation(en) gegründet wurden. Nur 10% wurden von einer einzelnen Person gegründet. Bezüglich ihrer Organisationsstruktur gaben 80% der Parteien an, dass sie aus einer nationalen Organisation mit regionalen und lokalen Untergruppen bestehen, was das dominante Organisationsmodell darstellt. Nur jeweils 5% gaben an, eine nationale Organisation zu haben bestehend aus regionalen aber ohne lokale Untergruppen, oder aus einer nationalen Organisation mit individuellen Direktmitgliedern zu bestehen. 2.b. Eigenschaften der Mitglieder Parteimitglieder sind wichtig für Parteien, da sie nicht nur in Wahlkampfperioden, sondern auch im Parteitagesgeschäft in diversen Funktionen aktiv sind und mitarbeiten (Scarrow 1996, Van Haute and Gauja 2015). Die große Mehrheit der teilnehmenden Parteien (95%) bestehen aus Einzelmitgliedern, der Rest aus einer Mischung aus Einzelpersonen und Organisationen/Vereinigungen. Im Vergleich dazu, unterscheiden sich die Mitgliederzahlen der Parteien erheblich. Im Durchschnitt haben die teilnehmenden Parteien 37703 Mitglieder. Die kleinste Partei hat gerademal 400 Mitglieder im Vergleich zu den 500,000 Mitgliedern der größten Partei. Die meisten Parteien (40%) berichten von einem Anstieg ihrer Mitgliederzahlen in den letzten fünf Jahren, 35% geben an, dass ihre Mitgliederzahlen in den letzten fünf Jahren gesunken sind. In 25% waren die Mitgliederzahlen stabil. Wie aktiv sind Parteimitglieder? Die Ergebnisse zeigen, dass in der Mehrheit der Parteien (insgesamt 90 %) Mitglieder entweder stark oder voll involviert sind. Nur eine kleine Gruppe von Parteien (10%) gibt an, dass ihre Mitglieder nur mäßig involviert sind. Außerdem ist in den letzten fünf Jahren in 60% der Parteien die Involvierung der Mitglieder entweder stärker oder sehr viel stärker geworden. 4 Beteiligung von Mitgliedern(%) 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 45 45 10 0 0 Diese sind gar nicht involviert Diese sind schwach involviert Diese sind mäßig Diese sind stark involviert involviert Diese sind voll involviert Der Grad der Einbindung von Mitgliedern in innerparteiliche Entscheidungsfindungsprozesse variiert sehr stark, je nach Entscheidungsbereich. Zum Beispiel binden die meisten teilnehmenden Parteien ihre Mitgliedern in Entscheidungen über die Bestellung des Vorstandes, Wahl des/der Vorsitzenden, Auswahl von Wahlkandidaten, Änderung der Statuten/ Verfassung und Entscheidungen zur politischen Ausrichtung ein. In diesen Bereichen gibt die große Mehrheit der Parteien (zwischen 85%-95%) an, ihre Mitglieder durch Abstimmungen oder Wahlen Entscheidungen treffen zu lassen. Im Vergleich dazu, wird die Handhabung des Budgets, Anstellung von Personal und zu einem geringeren Ausmaß die Aufnahme und der Ausschluss zentralisiert entschieden (also durch Repräsentanten, Vorstand oder Personal). 5 Entscheidungsfindungsprozesse in verschiedenen Bereichen (%) 95 90 95 95 85 77.78 70 55.56 31.58 Zentralisierte Entscheidungen 10.53 5 5 Entscheidungen zur politischen / programmatischen Ausrichtung Ihrer Organisation 11.11 0 Änderung der Statuten/ Verfassung Bestellung des/der Vorsitzenden Bestellung des Vorstandes Anstellung von Personal 0 Ausschluss von Mitgliedern 10 Auswahl von Wahlkandidaten 11.11 Aufnahme neuer Mitglieder 20 Budget 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Mitgliederentscheidungen Die Art der Entscheidungsfindungsprozesse war (über alle Bereiche hinweg) in den letzten fünf Jahren sehr stabil. Nur 10% der Parteien gaben an, diese Prozesse verändert zu haben. In der Regel wurden Mitglieder durch solche Reformen stärker in die innerparteiliche Entscheidungsfindung eingebunden, was Trends in anderen westlichen Demokratien wiederspiegelt (Gauja 2017). 2.c. Ressourcen und Personalpolitik Der Zugriff auf Ressourcen ist wichtig für Parteien, um zentrale Aktivitäten aufrechtzuerhalten. Finanzielle Mittel sind notwendig, nicht nur um an Wahlen teilzunehmen, sondern auch für die tägliche Verwaltung und Aufrechterhaltung der Parteiorganisation. Generell gesprochen erlauben solche Ressourcen der Partei das Anstellen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Beraterinnen und Beratern, die wiederum Professionalisierung innerparteilicher Prozesse ermöglichen. 6 Wie finanzieren sich Parteien in Deutschland? Im Vergleich zu andern europäischen Ländern sind staatliche Subventionen für Parteien in Deutschland relativ großzügig (Biezen and Kopecký 2015). Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass staatliche Subventionen für die meisten teilnehmenden Parteien (mehrheitlich kleine Parteien ohne Parlamentssitze) keine wichtige Einnahmequelle darstellen. Mitgliederbeiträge von Organisationen oder Einzelpersonen (42%) und Spenden oder Geschenke von Einzelpersonen (ca. 37%) werden jeweils von den meisten Parteien als sehr wichtige Einnahmequelle angeführt. Die meisten Parteien heben also die Wichtigkeit von Privatmitteln über staatlichen Mitteln hervor. Gleichzeitig sind für 42% der Parteien Steuererleichterungen für Spender eine sehr wichtige Form der staatlichen Unterstützung, weil sie Anreize für Privatspenden schaffen. In diesem Sinne geben 47% an, dass staatliche Mittel von nationaler Ebene, und weitere 72% Parteien, dass staatliche Mittel von anderen Ebenen (lokal, regional, EU, international) keine wichtigen Einnahmequellen sind. Es ist daher wenig verwunderlich, dass nur eine Minderheit der Parteien die administrativen Kosten, die aus der Bewerbung um und aus dem Erhalt von staatlicher Unterstützung resultieren, als sehr belastend empfinden (ca. 12%). Die Mehrheit der Parteien (35%) stufen diese Kosten als nur mäßig belastend ein. Für die Mehrheit der Parteien (63%) hat sich die relative Wichtigkeit der Einnahmequellen in den letzten fünf Jahren nicht verändert. Im Vergleich dazu geben 37% an, dass staatliche Subventionen an Wichtigkeit verloren haben. Was die Personalstrukturen angeht, haben 80% aller Parteien bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Durchschnitt haben Parteien 35 bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit einem Maximum von 210. Etwa 10 bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten im Schnitt an strategischen/politischen Aufgaben, während im Schnitt 12 für administrative Aufgaben zuständig sind. Insgesamt gab die Hälfte der Parteien an, dass über die letzten fünf Jahre die Anzahl ihrer bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stabil geblieben ist. Im Gegensatz dazu geben 25% der Parteien an, dass die Anzahl von bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesunken ist, während in 25% neue bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt wurden. 7 Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (%) 25 20 21.43 20 20 14.29 15 10 10 10 10 7.14 10 10 7.14 7.14 7.14 7.14 10 7.14 7.14 7.14 7.14 5 0 0 1 2 5 6 7 8 21 30 bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 35 40 50 98 100 200 210 238 500 freiwillige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Die meisten Parteien profitieren zudem von der Unterstützung freiwilliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (93%). Im Durchschnitt haben Parteien 93 freiwillige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Zahl variiert zwischen 0 und 500. In der Hälfte der Parteien ist deren Anzahl in den letzten fünf Jahren stabil geblieben, während 35% einen Anstieg zu vermelden hatten. 2.d. Hauptaktivitäten und Herausforderungen Politische Parteien sind zentrale demokratische Akteure, sowohl innerhalb als auch außerhalb öffentlicher Institutionen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu durchleuchten, welchen Aktivitäten sich Parteien primär widmen. Die Mehrheit der Parteien widmen sich „oft“ oder „immer“ den folgenden Aktivitäten, um politischen Einfluss zu nehmen: Sie kontaktieren Reporter, schreiben Leserbriefe und geben Pressemitteilungen heraus (63%) und nehmen an öffentlichen Diskussionen teil (63%). Des Weiteren nutzen Parteien natürlich Wahl- und/ oder Abstimmungskampagnen zur politischen Einflussnahme (68%). Im Vergleich dazu nutzen Parteien bezahlte Werbung in den Medien, die Veranstaltung von Debatten und Pressekonferenzen, Kooperation mit Interessenvertretern, Lobbygruppen oder anderen politischen Parteien nur „gelegentlich“. „Nie“ oder „nur selten“ involvieren sie sich in zivilen Ungehorsam und illegale Aktivitäten, machen Spenden an (andere) politische Parteien oder veröffentlichen Analysen und Forschungsberichte zur 8 politischen Einflussnahme. In der großen Mehrheit der Parteien (84%) haben sich die Aktivitäten, die zur politischen Einflussnahme genutzt werden, in den letzten fünf Jahren kaum verändert. Zum Schluss präsentieren wir nun, welche Herausforderungen die teilnehmenden Parteien wahrnehmen und wie sie damit umgehen. Die meisten Parteien (84%) berichten, mit einer anderen Organisation mit ähnlichen Zielen in direktem Wettbewerb um Mitglieder, Gelder und anderen Ressourcen zustehen. Zudem sehen Parteien ziemlich wichtige oder sehr wichtige Herausforderungen für die Aufrechterhaltung ihrer Organisation in den folgenden Bereichen: beim Mitglieder anwerben und Mitgliedschaften aufrechterhalten (ca. 95%), bezüglich Zugang zu Medien (84.21%) und dem Wandel der öffentlichen Meinung bezüglich zentraler Parteianliegen (ca. 78%). Herausforderungen bezüglich der Aufrechterhaltung von Parteien 94.74 100 90 77.78 80 84.21 70 42.11 36.84 36.84 36.84 Europäisierung/ Globalisierung 42.1 40 Individualisierung/wachsende gesellschaftliche Diversität 50 Alternde gesellschaftliche Klientel 60 26.31 30 20 10 Zugang zu den Medien Wandel der öffentlichen Meinung über die zentralen Anliegen Ihrer Organisation Mitglieder anwerben und Mitgliedschaft aufrechterhalten Stärkere Kontrolle und Transparenzanforderungen in Bezug auf staatliche Förderung Veränderte staatliche Anforderungen zum Erhalt von staatlicher Förderung Sinkende staatliche Förderung 0 9 Als Reaktion auf diese Herausforderungen verfolgen Parteien mehrheitlich zwei Strategien: Erweiterung der Einbindung und der Partizipationsmöglichkeiten von Mitgliedern und Erweiterung ihrer thematischen Ausrichtung sowie Klientel. In Bezug auf die erste Strategie geben etwa 74% an, neue lokale und/oder regionale Strukturen zu ihrer Organisation hinzugefügt zu haben und fast 90% berichten, dass sie die Möglichkeiten für ihre Mitglieder an organisatorischen Aktivitäten teilzunehmen ausgeweitet haben. Hinsichtlich der zweiten Strategie haben 63% ihre thematische Ausrichtung erweitert und ca. 74% das von ihnen repräsentierte gesellschaftliche Klientel erweitert. Bezüglich der Frage, ob über die nächsten fünf Jahre die Überlebenschancen ihrer Organisation gefährdet sein könnten, sind die Parteien gespalten: die meisten Parteien (63%) antworteten entweder mit „mäßig wahrscheinlich“ oder „ziemlich wahrscheinlich“, während fast 37% eine Gefährdung für „sehr unwahrscheinlich“ halten. Infragestellung der Existenz der Partei 45 40 42.11 36.84 35 30 25 21.05 20 15 10 5 0 0 0 Sehr Ziemlich unwahrscheinlich unwahrscheinlich Mäßig wahrscheinlich Ziemlich wahrscheinlich Sehr wahrscheinlich 10 2.e. References Gauja, A. 2017. Party Reform: The Causes, Challenges, and Consequences of Organizational Change, Oxford: Oxford University Press. Panebianco, A. 1988. Political Parties: Organization and Power. Cambridge: Cambridge University Press. Scarrow, S. 1996. Parties and Their Members: Organizing for Victory in Britain and Germany. Oxford: Oxford University Press. van Biezen, I. and P. Kopecký. 2015. Patterns of Party Funding in European Democracies: State Subsidies and the Party Organization, Paper prepared for presentation at the ECPR General Conference, Montreal, 26-29 August. van Haute, E. and A. Gauja. 2015. Party Members and Activists. London: Routledge. Whiteley, P.F. 2011. Is the Party Over? The Decline of Party Activism and Membership across the Democratic World. Party Politics. 17(1): 21-44. 11