Epilepsie: Wenn der Türsteher in Nervenzellen zu viel durchlässt

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Psychologie aktuell: Epilepsie: Wenn der Türsteher in Nervenzellen zu viel durchlässt
20-11-15
Epilepsie: Wenn der Türsteher in Nervenzellen zu viel durchlässt
Bei einer Epilepsie geraten die Nervenzellen aus ihrem gewohnten Takt. Daran sind auch
Ionenkanäle beteiligt, die die Erregbarkeit von Nervenzellen entscheidend bestimmen. Ein
Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn hat nun einen neuen Mechanismus für
die Beeinflussung von Ionenkanälen entdeckt, der möglicherweise für den Ausbruch des
Krampfleidens mitverantwortlich ist: Wenn zu wenig Spermin vorhanden ist, kommt es zur
einer Übererregbarkeit der Nervenzellen. Die Forscher hoffen, einen Ansatzpunkt für neue
Therapien gefunden zu haben. Sie berichten im The Journal of Neuroscience .
In Deutschland leidet etwa jeder hundertste Mensch unter einer Epilepsie - immerhin jeder zwanzigste
ist zumindest einmal im Leben von einem solchen Krampfanfall betroffen. Dazu kommt es, wenn viele
Nervenzellen im Gehirn gleichzeitig feuern. Die Wissenschaft fahndet nach den Ursachen, die zu
dieser gleichzeitigen Übererregung der Gehirnzellen führen. Forscher der Klinik für Epileptologie, des
Instituts für Neuropathologie und des Instituts für Molekulare Psychiatrie haben nun zusammen mit
dem Forschungszentrum Caesar und der Hebrew University (Israel) einen bislang unbekannten
Mechanismus entschlüsselt, der an der Entwicklung einer Epilepsie beteiligt ist.
Türsteher bestimmen, wie viele Natriumionen hereindürfen
Bei diesem Mechanismus spielen Natriumkanäle eine Schlüsselrolle. Sie übernehmen bei der
Erregung von Nervenzellfortsätzen und der Signalübertragung zwischen verschiedenen Zellen eine
wichtige Rolle , sagt Prof. Dr. Heinz Beck, der in der Experimentellen Epileptologie der Klinik für
Epileptologie, am Life & Brain Zentrum und am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative
Erkrankungen (DZNE) forscht. Natriumkanäle sind Schleusen, die Natriumionen durch winzige Poren
durchlassen. Sie bestehen aus großen Eiweißkomplexen (Proteinen), die in den Membranen von
Nervenzellen eingelagert sind. Wie eine Art Türsteher bestimmen sie, wie viele dieser Ionen
hereindürfen und wie sich damit auch die Informationsübertragung zwischen den verschiedenen
Zellen ändert. Die Wissenschaftler fanden eine starke Erhöhung eines bestimmten
Natriumeinwärtsstroms, der die Erregbarkeit von Zellen im epileptischen Tier deutlich steigerte.
Deshalb verglichen Forscher um Prof. Beck zunächst die Natriumkanalproteine aus epileptischen
Gehirnen mit denen aus gesunden. Dabei zeigte sich aber keinerlei vermehrte Bildung von
Natriumkanalproteinen, die hätte erklären können, wie es zu einer Übererregung von Nervenzellen
kommt , berichtet der Epileptologe. Das Forscherteam wurde nach langer Suche bei einer ganz
anderen Stoffgruppe fündig: den Polyaminen. Dazu gehört auch das Spermin, das in Zellen gebildet
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wird und sich von innen in die Poren der Natriumkanäle einlagern kann. In diesem Fall wird der
Einstrom an Natriumionen gebremst und die Erregung der Nervenzelle wird gedämpft.
Durch Spermingaben wurde die Übererregung gedämpft
Die Wissenschaftler untersuchten, wieviel von der anfalldämpfenden Substanz in Nervenzellen von
Ratten vorkommt, die unter einer Epilepsie litten, und verglichen die Werte mit gesunden Tieren. Die
Menge an Spermin in den Zellen des Hippocampus war bei den kranken Tieren gegenüber den
gesunden deutlich reduziert , berichten die Erstautoren Dr. Michel Royeck, Dr. Tony Kelly und Dr.
Thoralf Opitz aus Prof. Becks Team. Diesen wichtigen Befund prüften die Forscher, indem sie den
Mangel in den Nervenzellen epileptischer Ratten durch Gabe von Spermin kompensierten. Daraufhin
wurde die Erhöhung von Natriumströmen rückgängig gemacht.
Offenbar wird der geringere Gehalt an Spermin in den epileptischen Rattengehirnen durch
Hochregelung der Spermidine/spermine-N(1)-acetyltransferase verursacht. Das Enzym baut das für
die Steuerung der Natriumkanäle wichtige Spermin verstärkt ab. Dieses Ergebnis könnte nach den
Einschätzungen der Wissenschaftler ein potenzieller Ansatzpunkt für neuartige Epilepsietherapien
sein. Wenn es gelingen würde, die Acetyltransferase mit einem Wirkstoff in ihrer Aktivität etwas zu
bremsen, könnten der Sperminmangel und damit die Symptome der Epilepsie gemildert werden ,
blickt Prof. Beck in die Zukunft. Von konkreten therapeutischen Anwendungen sei man jedoch noch
weit entfernt.
Publikation: Downregulation of Spermine Augments Dendritic Persistent Sodium Currents and Synaptic Integration after Status Epilepticus,
The Journal of Neuroscience, DOI: 10.1523/JNEUROSCI.0493-15.2015
https://idw-online.de/de/news641786
Heinen, Gerd: Selbst-Handeln bei Epilepsie: Eine subjektwissenschaftliche Grundlegung einer
psychosomatischen Epileptologie
Pabst, 296 Seiten, ISBN 978-3-89967-892-5
Heinen, Gerd; Schmid-Schönbein, Christiane: Selbstkontrolle Epileptischer Anfälle Ein
verhaltensmedizinischer Ansatz zur Selbstkontrolle epileptischer Anfälle bei Jugendlichen und
Erwachsenen
Pabst, 180 Seiten, ISBN 978-3-933151-86-5 (2. Aufl. 2013)
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