Handout „SturzprophylaxeWas Sie aktiv gegen Stürze tun können“ Antje Hammes Mehr Stabilität und Sicherheit Älter werden ist ein normaler Prozess, den wir nicht aufhalten können. Physische und psychische Leistungen werden mehr und mehr reduziert. Auch unser „Körpergefühl“ ist davon betroffen: Das sensomotorische System. Sichtbar werden diese Veränderungen meist ab dem 60. Lebensjahr. Ältere Menschen verlieren an Gangsicherheit, die Sturzgefahr steigt. Regelmäßige körperliche Aktivität kann diesen Prozess zwar nicht aufhalten, aber verzögern. In den Übungsstunden können Übungsleiter gezielt das sensomotorische System der Teilnehmer fördern und somit die Sturzgefahr mindern. Was ist das sensomotorische System? Das sensomotorische System ermöglicht es uns, koordinierte Bewegungen durchzuführen und an die Umweltgegebenheiten anzupassen. In dem Begriff „Sensomotorik“ vereinen sich die beiden Begriffe Sensorik und Motorik. Die Sensorik bezieht sich auf die Sinnesmeldungen aus der Umwelt, die durch unsere Sensoren (Empfangsorgane) als Reiz aufgenommen werden. Sie sind die Basis einer Beziehung zwischen Umwelt und Körper. Für die Eigenwahrnehmung unseres Haltungs- und Bewegungsapparates spielen spezielle Sensoren, die Propriozeptoren eine wichtige Rolle. Sie sind hauptsächlich in Muskeln, Sehnen und Bändern zu finden. Sie geben die Informationen über Länge und Spannung unserer Muskulatur. Erst dadurch können wir die aktuelle Position unserer Körperteile einordnen. Sämtliche Reize aus dem sensorischen System werden vom Nervensystem gefiltert und weitergeleitet. Unter Motorik verstehen wir die koordinierte Tätigkeit des Bewegungsapparates, um eine Körperhaltung einzunehmen bzw. eine Bewegung durchzuführen. Sensomotorik ist somit die Wechselbeziehung der Aufnahme und Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen sowie die Reaktion der Muskulatur und des Bewegungsapparates auf diese Wahrnehmung. Trainieren können wir unser sensorisches System mit dem Ziel, die Koordination, Ausdauer und Kraft zu fördern. Unser Gehirn baut sich neue Pfade: Die Integration von sensomotorischen Informationen im zentralen Nervensystem ist eine wichtige Funktion des Gehirns. Unsere Haltungskontrolle erfolgt nicht nur auf der reflektorischen Ebene. Sie gehört auch der Willkürsensomotorik an. Das Gehirn muss für eine gute und erfolgreiche Gleichgewichtsregulation Vernetzungen und Verarbeitungswege bahnen. Je dichter die Vernetzung des Gehirns, um so besser kann das Gleichgewicht korrigiert bzw. gesichert werden. Daher ist es wichtig, im Training vielseitige Anforderungen zu stellen. Durch Koordination können wir die Vernetzung innerhalb des ZNS wirksam beeinflussen und somit die altersbedingten Veränderungen des ZNS verzögern. Hierzu gehört das Gleichgewichtstraining als Basisfunktion. Unser Gleichgewicht ist abhängig von folgenden drei wichtigen Faktoren: ►Gleichgewichtsorgan im Innenohr ►Visuelles System ►Propriozeptives System Es gibt keine Haltung und erst recht keine Bewegung, die unser Gleichgewicht nicht fordert. Gut geeignet sind Übungen, bei welchen die oben genannten drei Faktoren als Übungsbestandteil vorkommen. Neben dem Balancetraining und dem Ausschalten des visuellen Systems sollten also auch Kopfbewegungen, Bewegungen während der Balance, Abdunkeln der Sicht und Oberkörperbewegungen in Form von Dual- oder Mutitasking hinzukommen. Hierbei geht es Schritt für Schritt zu den schwierigsten Übungen, die die Teilnehmer noch bewältigen können. Vom festen Hallenboden über unterschiedliche Matten (fest, weich, dick, dünn) können wir in den Kursen viele Hilfsmittel einsetzen. In der Natur sollten die wechselnden Naturböden beim Spaziergang oder beim Walken genutzt werden. Die meisten Menschen, die auf einem wackligen Untergrund stehen haben das Gefühl, der Untergrund bewegt sich von alleine. Dabei ist es ganz anders. Es ist der eigene Körper, der auch im vermeintlich ruhigen Stand Bewegungen ausführt. Der Körper sollte lernen, die balancierenden Bewegungen so gering wie möglich zu halten. Die optischen Informationen haben im Alter eine sehr starke Gewichtung. Ihr Anteil beträgt ca. 50%. Alleine im aufrechten Sitz die Augen zu schließen ist für viele ältere Menschen eine schwierige Aufgabe. Sie erschwert sich im Stand und im Gehen. Jungen Menschen gelingt es meist, leichten Körperschwankungen (im freien Stand) über das Fußgelenk zu stabilisieren. Ältere Menschen müssen hierzu schon die Hüfte mit einsetzen. Junge Menschen reagieren bei drohender Instabilität schneller bzw. besitzen mehr Kraft, um einen Sturz zu vermeiden. Ältere Menschen verlieren diese Fähigkeiten sehr schnell. Mit verantwortlich ist der passive Lebensstil. So spielen viele Faktoren eine entscheidende Rolle. Schlechte Sehfähigkeit, verzögerte Reaktion und schwache Muskeln sind der ausschlaggebende Faktor für ein schlechtes Gleichgewicht. Auch wer noch nichts von all diesen Schwächen spürt, sollte regelmäßig ein vorbeugendes Gleichgewichtstraining durchführen. Auch im Alter kann die Gleichgewichtsfähigkeit durch regelmäßiges Training deutlich verbessert werden. Da im Liegen und Sitzen unser Gleichgewicht kaum gefordert wird, eignen sich in erster Linie Übungen im Stand und Gehen. Wichtig: Auch Übungen zur Reaktivität, zum schnellen Handeln sollten nach einer Aufbauphase integriert werden!! Beachten Sie: Übungen sollten..... vom Übenden als schwierig empfunden werden variantenreich und vielfältig sein unterschiedliche Herausforderungen beinhalten insgesamt maximal ca. 20 Minuten andauern Jede Übung wird nach Möglichkeit 10 – 30 Sekunden ausgeführt. Ausgangspositionen im Gleichgewichtstraining: 1. 2. 3. 4. „Stabiler Stand“ Stand in Verbindung mit verstärkter Oberkörperaktivität und Kopfaktivität In räumlicher Fortbewegung Schnelle Bewegungen, leichte Sprungbewegungen Stufen des Balancetrainings: Reduktion der Standfläche (Füße geschlossen, Tandem-Stand, Einbeinstand) Einschränkung oder Irritation der sensorischen Informationen (Augen geschlossen, Kopfdrehung, labile Unterlage) Weitere Zusatzaufgaben wie z.B. ein Sandsäckchen werfen und fangen, dabei auf einem Bein stehen usw. Praxisbeispiele: Übungen im stabilen Stand Methodische Reihe, um den Stand zu erschweren: Stabiler Bärenstand Enger Stand Semitandem Stand, bei welchem die Ferse des vorderen Fußes versetzt auf Höhe des Ballens des hinteren Fußes steht. Tandem Stand, bei welchem die Füße voreinander stehen Einbeinstand mit Zehenspitzenaufsatz des Spielbeins Einbeinstand ●Bownse- oder Wippbewegungen wie eine Marionette im stabilen Bärenstand. ●Baum im Wind: Im stabilen Stand wird das Gewicht einmal mehr auf den rechten und linken Fuß, auf den Ballen und auf den Fersenbereich verlagert. Der Körper schwankt so weit, dass die Füße gerade noch Bodenkontakt haben. Das Ganze kann dann im Kreis ausgeführt werden. Gedankenbild: Pinsel am Kopf, welcher immer größere Kreise an die Decke zeichnet. Übungen in der räumlichen Fortbewegung Methodische Reihe zum Drehen Augenbewegungen Kopfbewegungen Oberkörperdrehungen Oberkörperdrehung mit Kopfdrehung und Armpendel Beckendrehung ergänzen Ganzkörperdrehung im größeren Kreis Ganzkörperdrehung eng Geschwindikeitsvariationen ●Aufgaben wie Hände kreisen, Finger berühren, Finger berühren sich rechts anders wie links, Blick malt während des Gehens Buchstaben oder Formen in den Raum, schnell und langsam machen lassen. ●Mögliche Wege verkleinern in der Breite Muskelaufbau – Hypertrophie Krafttraining spielt im Alter eine ganz wesentliche Rolle. Es ist ein Schwerpunkt im Trainingsprogramm mit Älteren, um den typischen physiologischen Veränderungen im Alter entgegen zu wirken. Bereits ab dem 2. – 3. Lebensjahrzehnt zeigt sich ein Muskelmassenverlust von etwa 20% - 40%, der sich überwiegend in Fett umwandelt. Durch ein Muskelaufbautraining wird der Körper veranlasst, die Anzahl der Muskelfasern zu erhöhen und somit den Querschnitt der Muskulatur zu vergrößern. Dadurch kann ganz gezielt Muskulatur aufgebaut werden. Das Hypertrophietraining dient in diesem Zusammenhang vor allem der Sturzprophylaxe und der Erleichterung bzw. dem Erhalt der Alltagsfähigkeit. Daneben ist es ein sehr effektives Training mit vielen weiteren positiven Effekten: Verbesserung der Körperhaltung Verbesserung der Körperwahrnehmung Entlastung der Bandscheiben durch kräftige Rückenmuskulatur Gelenkentlastung Vorbeugung von Osteoporose Fettverbrennung durch gesteigerten Grund- und Leistungsumsatz Muskelhypertrophie findet nur statt, wenn die Muskulatur über ihr normales Leistungsniveau hinaus beansprucht wird. Nur so wird ein Wachstumsreiz ausgelöst. Die Trainingsbelastung liegt bei 65% - 85% der maximalen Belastbarkeit. Diese Belastbarkeit wird vor dem Training, am besten zum Ende der Aufwärmphase, festgestellt. Beispiel: Mit einem Thera-Band wird eine Abduktion (Bewegung nach außen) mit dem rechten Bein durchgeführt. Der TN wählt eine Bandstärke, mit der er diese Übung ca. 8 - 10x wiederholen kann, danach ein Ermüdungsgefühl, aber keine völlige Erschöpfung spürt. Somit findet jeder TN seine individuelle Belastung. Wiederholungen, die darüber oder darunter liegen, haben nur einen geringeren Effekt. Das Belastungsempfinden kann nach Borg – Skala entschieden werden. Es sollte bei Mittel bis Schwer liegen. Borg-Skala Ein weiteres „Messverfahren“ für das Krafttraining ist die „Borg-Skala“, bei der man sich anhand von Zahlen einem Belastungsgrad zuordnet. 0 0,5 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 = = = = = = = = = = = = überhaupt keine Belastung sehr, sehr leichte Belastung (knapp wahrnehmbar) sehr leichte Belastung leicht mäßig recht mäßig schwer recht schwer sehr schwer sehr, sehr schwer kurz vor der maximalen Belastung maximale Belastung Die Bereiche 3-5 der „Borg-Skala“ gelten als optimale Trainingsbereiche für unsere Zielgruppe. Aufbau einer Übungsstunde mit dem Schwerpunkt „Muskelaufbau- Training“: Aufwärmen Es wird immer ein kurzes Aufwärmprogramm durchgeführt. Möglich wären Übungen für die Koordination oder Alltagsbewegungen mit Musik, um den ganzen Körper durch zu bewegen. Hauptteil Hier gibt es nun verschiedene Trainingsmöglichkeiten. Zum einen kann mit dem Eigengewicht trainiert werden. Es können aber auch frei Gewichte, Thera-Bänder bzw. Rölke-Manschetten zum Einsatz kommen. Die Übungsauswahl orientiert sich zum einen an den für die Alltagsfähigkeit relevanten Muskelgruppen sowie an dem im Alter häufig anzutreffenden defizitären Veränderungen der Muskulatur bzw. Muskelgruppen. Mehrgelenkige Übungen beinhalten jedoch eine höhere Anforderung an die Ausführung in Bezug auf Koordination, Herz-Kreislauf und Stoffwechsel-System. Sinnvoll ist es, im Wechsel eine Übung für die unteren Extremitäten und eine Übung für die oberen Extremitäten durch zu führen. Trainingshäufigkeit Trainingswirksam ist es, wenigstens 2x, höchstens jedoch 3x pro Woche zu trainieren. In den ersten vier Wochen reicht es jedoch aus, 1x pro Woche zu trainieren. Trainingsdauer Sie hängt von vielen Faktoren ab wie z.B. der Intensität, der Anzahl der Sätze, der Pausengestaltung u.a. Je nach Gewichtsbelastung liegt die Wiederholungszahl einer Übung zwischen 8 – 10 (= 1 Satz oder Serie). Die Pause zwischen den Sätzen beträgt 2-3 Minuten. Trainingsmethode für ein Muskelaufbautraining Wiederholungen 8 – 10 Serien 2 Pausen 2 – 3 Minuten Rhythmus 2 Sek. In jede Bewegungsrichtung – 0 Sek. Pause Danach kann eine Pause von 1-3 Min. eintreten. Wichtig ist eine fließende Atmung (vermeide Pressatmung) und ein lockerer Griff bei den Handgeräten. Bei auftretenden Schmerzen ist die Übung abzubrechen. Die Pausen sollten/können als lohnende Pausen durchgeführt werden. Die Zeiten sollten auf jeden Fall eingehalten werden. Zu kurze Erholungspausen zwischen den Serien verhindern eine vollständige Regeneration und führen zu einer massiven Übersäuerung. Hierdurch kann der trainierte Muskel sogar geschädigt werden. Zu beachten ist auch die Eingewöhnungszeit für Menschen, die schon lange nicht mehr sportlich aktiv waren. Sie benötigen einige Wochen, um wieder mit größeren Widerständen zu arbeiten. Hier genügt es in der Regel, 1x die Woche zu trainieren. Ist die Basis aufgebaut wäre ein Training 2- 3x wöchentlich sinnvoll. Viele Informationen bekommst Sie auch über die DTB Broschüre „Sturzprophylaxe – Training im Turn- und Sportverein“ oder das Buch „Sturzprophylaxe“ erschienen über den Meyer & Meyer Verlag 2010 Kontakt Privat: Antje Hammes, Sportwiss./ Sporttherapeutin, Langstr.42a, 63486 Bruchköbel, Mobil:0179/3842232, E-Mail: [email protected] Beruflich: Gesundheits- und Rehastudio Healthy-Die gesundes Art des Trainings, Eugen-Kaiser-Str. 54, 61130 Nidderau, Tel. 06187/906837; www.healthy-sporttherapie.de