Einfluss von Schlaf und sozialer Unterstützung auf postpartale psychische Belastungen Masterarbeit vorgelegt von Benz-Hugentobler Karin an der Universität Konstanz Geisteswissenschaftliche Sektion Fachbereich Geschichte und Soziologie mit Sportwissenschaft und Empirische Bildungsforschung Pädagogische Hochschule Thurgau. Lehre Weiterbildung Forschung 1. Gutachter: Prof. Dr. Sonja Perren 2. Gutachter: Prof. Dr. Matthias Oliver Wagner Konstanz, 2013 Abstract Psychische Belastungen oder gar Störungen sind ein häufiges Problem bei Müttern in den ersten Monaten nach der Geburt. In der vorliegenden Arbeit wurde untersucht, inwiefern psychische Probleme im Leben vor der Geburt prädiktiv sind für die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Weiter wurde der Frage nachgegangen, ob genügend Schlaf oder soziale Unterstützung die möglichen Nachteile psychischer Probleme früher im Leben beeinflussen oder abmildern können und somit einen Moderator darstellen. Die Daten der vorliegenden Arbeit stammen aus einer Stichprobe von 53 Müttern, die alle ein Kind unter einem Jahr haben. Die Frauen haben sich auf einen Aufruf hin freiwillig für die Teilnahme an einem Interview zu Problemen und Ressourcen rund um die Geburt gemeldet. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich frühere psychische Probleme negativ auf die psychische Befindlichkeit nach der Geburt auswirken. Wichtigster Prädiktor in der Untersuchung stellt der Schlaf dar. Die Schlafzufriedenheit der Mutter hat einen starken Effekt auf ihre psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Verschiedene Bereiche der sozialen Unterstützung haben einen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der Frauen. Besonders Unterstützung im Haushalt reduziert ihre psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Die soziale Vernetzung der Mütter hat einen Einfluss auf die psychische Verfassung nach der Geburt und steht zudem in Interaktion mit den psychischen Problemen früher im Leben. Frauen mit kleiner Problembelastung vor der Geburt können ihre Belastung auch nach der Geburt verringern, wenn sie von einem breiten sozialen Netz getragen sind. Interessanterweise beeinflussen weder die Partnerunterstützung, noch die Zeit, die das Paar für sich ohne Kind zur Verfügung hat, die psychische Verfassung der Frauen nach der Geburt. Schlagwörter: Antenatale psychische Probleme, postpartale Störungen und Belastungen, Schlafzufriedenheit, soziale Unterstützung Abstract Mental disorders are a very common problem for women in the first few months following childbirth. This study investigated whether psychological problems prior to pregnancy are a significant predictor for the mother’s wellbeing in the first three months postpartum. Further this study wants to explain if sufficient sleep or social support, can decrease the negative impact of mental problems or disorders experienced earlier in life on the psychological situation of the young mother in the first few months after giving birth to a child. It is to be shown if the subjective sleep quality or social support can be a moderator in this model. The sample of this study (N = 53) was recruited by an advertisement and the women volunteered to take part in an interview about resources and problems around childbirth. All the partaking women have a child under one year old. The investigation has shown, that mental problems earlier in life has a negative influence on psychological health in the first three months postpartum. The main predictor for psychological health in this investigation is the subjective perception of the mother’s sleep. Sleep has a strong effect on the mental state of the women in the first few months after childbirth. Different aspects of social support also influence the mother’s psychological wellbeing. Practical assistance in the household contributes to a reduction of mental problems in the first few months postpartum. Social networks also have a positive impact on the women’s situation. Further, there could be found an interaction between social networks and mental problems earlier in life. Women with little impairment in the past can reduce their mental problems in the first months postpartum if they are supported by a large social network. It is striking that there couldn’t be found any influence of partner support or satisfaction with partnership on the psychological situation of the young mothers. Key words: Antenatal mental problems, postpartum psychological disorders, satisfaction with sleep, social support Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis .................................................................................8 Tabellenverzeichnis ......................................................................................9 Danksagung.................................................................................................10 1 2 Einleitung ...............................................................................................11 1.1 Thematischer Hintergrund ....................................................................... 11 1.2 Ziel der Arbeit............................................................................................ 13 1.3 Aufbau der Arbeit...................................................................................... 13 Psychische Störungsbilder ..................................................................15 2.1 Depressive Störungen.............................................................................. 15 2.1.1 Postpartale Depression ........................................................................ 17 2.1.2 Depressive Symptome nach der Geburt .............................................. 20 2.1.3 „Baby-Blues“ ......................................................................................... 21 2.1.4 Postpartale Psychose ........................................................................... 21 2.2 Angststörungen ........................................................................................ 22 2.3 Komorbidität.............................................................................................. 23 2.4 Auswirkungen Psychischer Störungen auf die kindliche Entwicklung25 2.4.1 Psychischen Störungen und Mutter-Kind-Interaktion ........................... 25 2.4.2 Langzeitauswirkung auf die kindliche Entwicklung ............................... 26 3 Ressourcen nach der Geburt ...............................................................27 3.1 Schlaf als Ressource................................................................................ 27 3.1.1 Veränderungen im Schlafverhalten in der perinatalen Phase .............. 27 3.1.2 Erfassung von Schlaf............................................................................ 28 3.1.3 Bedeutung von Schlaf für die psychische Befindlichkeit ...................... 28 3.2 Soziale Unterstützung .............................................................................. 32 3.2.1 Definitionen........................................................................................... 32 3.2.2 Soziale Unterstützung und psychische Befindlichkeit nach der Geburt 33 3.2.2.1 Einzelne Komponenten sozialer Unterstützung und ihre Auswirkungen ...................................................................... 35 4 Fragestellungen.....................................................................................38 4.1 Herleitung der Fragestellungen............................................................... 38 5 5 4.2 Fragestellungen ........................................................................................ 39 4.3 Hypothesen ............................................................................................... 40 4.4 Arbeitsmodell ............................................................................................ 41 4.5 Operationalisierung der Fragestellungen............................................... 41 Methode..................................................................................................43 5.1 Hintergrund der Studie............................................................................. 43 5.2 Stichprobe ................................................................................................. 44 5.2.1 Rekrutierung der Stichprobe................................................................. 44 5.2.2 Beschreibung der Stichprobe ............................................................... 44 5.3 Studiendesign ........................................................................................... 46 5.3.1 Durchführung der Studie ...................................................................... 46 5.3.2 Messzeitpunkte..................................................................................... 47 5.4 Instrumente ............................................................................................... 47 5.4.1 Datengewinnung zu „Psychische Probleme vor der Geburt“................ 47 5.4.2 Datengewinnung zu „Psychische Belastung nach der Geburt“ ............ 48 5.4.3 Datengewinnung zu „Schlafzufriedenheit in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ .............................................................................................. 48 5.4.4 Datengewinnung zu „Soziale Unterstützung“ ....................................... 49 5.5 Skalenbildung ........................................................................................... 50 5.5.1 Skalenbildung der UV: „Psychische Probleme vor der Geburt“............ 50 5.5.2 Skalenbildung der AV: „Psychische Belastung nach der Geburt“ ........ 51 5.5.3 Skalenbildung der Variable „Schlafzufriedenheit in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ ............................................................ 51 5.5.4 Skalenbildung der Variablen „Soziale Unterstützung in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ ................................................. 52 5.6 6 Statistische Verfahren .............................................................................. 54 Ergebnisse .............................................................................................56 6.1 Deskriptive Ergebnisse der Stichprobe.................................................. 56 6.2 Bivariate Korrelationen ............................................................................ 61 6.2.1 Korrelationen zwischen früheren psychischen Problemen und anderen beteiligten Variablen ............................................................... 62 6.2.2 Korrelationen zwischen der psychischen Belastung nach der Geburt und anderen beteiligten Variablen ............................................ 63 6.2.3 Korrelationen zwischen Schlafzufriedenheit und den anderen beteiligten Variablen .......................................................................................................... 63 6 6.2.4 Korrelation zwischen sozialer Unterstützung und anderen beteiligten Variablen .......................................................................................................... 63 6.2.5 Korrelationen zwischen den Kontrollvariablen und anderen beteiligten Variablen .......................................................................................................... 64 6.3 Unbedingte Haupteffekte im Modell........................................................ 64 6.3.1 Unbedingte Haupteffekte der Psychischen Probleme vor der Geburt auf die psychischen Probleme nach der Geburt .................................................... 64 6.3.2 Unbedingte Haupteffekte aller beteiligter Variablen ............................. 65 6.4 Interaktionen im Modell............................................................................ 66 6.4.1 Interaktion zwischen „Schlafzufriedenheit“ und „psychischen Problemen früher“................................................................................. 66 6.4.2 Interaktion zwischen Paaraktivität und psychischen Problemen früher 67 6.4.3 Interaktion zwischen Partnerunterstützung und psychischen Problemen früher .................................................................................. 68 6.4.4 Interaktion der sozialen Vernetzung mit den psychischen Problemen früher .................................................................................. 68 6.4.5 Interaktion der „Unterstützung im Haushalt“ mit den „psychischen Problemen früher im Leben“ ........................................... 70 6.5 7 Zusammenfassung der Ergebnisse ........................................................ 70 Diskussion .............................................................................................72 7.1 Diskussion der Resultate in Bezug auf die Hypothesen....................... 72 7.1.1 Einfluss der psychischen Probleme früher im Leben auf die psychische Belastung nach der Geburt .............................................................................. 72 7.1.2 Zusammenhang zwischen Schlafzufriedenheit und psychischer Belastung vor und nach der Geburt ................................................................. 73 7.1.3 Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und psychischer Belastung vor und nach der Geburt ................................................................. 73 7.2 Methodenkritik .......................................................................................... 75 7.2.1 Datenerfassung .................................................................................... 75 7.2.2 Erhobene Zeitpunkte und Zeitspannen ................................................ 76 7.2.3 Passung zwischen Datenerhebung und Auswertung ........................... 76 7.2.4 Skalenbildung ....................................................................................... 76 7.2.5 Störfaktoren .......................................................................................... 79 7.3 Generalisierbarkeit aufgrund der Stichprobe ........................................ 80 7.3.1 Rekrutierung der Stichprobe................................................................. 80 7.3.2 Generalisierbarkeit der Stichprobe ....................................................... 81 7 7.4 Interpretation der Ergebnisse.................................................................. 81 7.4.1 Problembelastung früher im Leben ...................................................... 81 7.4.2 Der Einfluss von Schlaf auf die psychische Verfassung....................... 82 7.4.3 Der Einfluss sozialer Unterstützung auf die psychische Verfassung.... 83 7.5 Erkenntnisse für die Praxis...................................................................... 85 7.6 Schlusswort............................................................................................... 87 8 Literaturverzeichnis ..............................................................................89 9 Anhang ...................................................................................................93 Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1. Prävalenzen und Komorbidität von depressiven Störungen und Angststörungen (Reck et al., 2008, S. 464). .......................................................................................25 Abbildung 2. Risikofaktoren für eine PPD bei Erstgebärenden. (Goyal et al, 2009, S. 230) .30 Abbildung 3. Mittelwerte der z-Scores der einzelnen Cluster in Bezug auf die mütterliche Selbstwirksamkeit und ihren Erziehungsstil (Wade et al., 2012, S. 286). .................32 Abbildung 4. Dimensionen sozialer Unterstützung und mütterliche Selbstwirksamkeit in Bezug auf postpartale Depressionen (Leahy-Warren et al., 2011, S. 391)...............34 Abbildung 5. Arbeitsmodell ....................................................................................................41 Abbildung 6. Alter der Mütter .................................................................................................45 Abbildung 7. Bildungsniveau der Mütter ................................................................................46 Abbildung 8. Psychische Probleme der Mütter früher im Leben (Anzahl Probleme) .............57 Abbildung 9. Psychische Belastung in den ersten 3 Monaten nach der Geburt ....................57 Abbildung 10. Schlafzufriedenheit der Mütter 3 Monate nach der Geburt .............................58 Abbildung 11. Partnerunterstützung in den ersten 3 Monaten nach der Geburt....................59 Abbildung 12. Häufigkeit der Paaraktivität ohne Baby...........................................................60 Abbildung 13. Soziale Vernetzung .........................................................................................60 Abbildung 14. Unterstützung im Haushalt in den ersten 3 Monaten nach der Geburt...........61 Abbildung 15. Interaktionsmodell mit sozialer Vernetzung ....................................................69 8 Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Interkorrelationen aller im Modell beteiligter Variablen .........................................62 Tabelle 2: Parameter der Haupteffekte der Probleme früher im Leben auf die Belastung nach der Geburt .................................................................................................................65 Tabelle 3: Parameter der Haupteffekte auf die psychische Belastung nach der Geburt .......66 Tabelle 4: Parameter zur Interaktion mit dem Schlaf in Bezug auf die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt ............................................................66 Tabelle 5: Parameter zur Interaktion mit der Paaraktivität in Bezug auf die psychischen Probleme in den ersten drei Monaten nach der Geburt ............................................67 Tabelle 6: Parameter zur Interaktion mit der Partnerunterstützung in Bezug auf die psychischen Probleme in den ersten 3 Monaten nach der Geburt ...........................68 Tabelle 7: Parameter zur Interaktion mit der sozialen Vernetzung in Bezug auf die psychischen Probleme in den ersten drei Monaten nach der Geburt .......................68 Tabelle 8: Parameter zur Interaktion mit der Unterstützung im Haushalt in Bezug auf die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt.........................70 9 Danksagung Danksagung An der Stelle möchte ich den Psychologinnen des Verbandes Aargauischer Psychologinnen und Psychologen herzlich für die zur Verfügung gestellten Daten danken. Diese Daten bilden die Grundlage der vorliegenden Masterarbeit. Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Sonja Perren für ihre Unterstützung, Beratung und Ermunterung beim Verfassen der Arbeit. Ausserdem möchte Herrn Prof. Dr. Matthias Wagner herzlich danken für sein Engagement als Zweitgutachter. Ein herzliches Dankeschön gilt meiner Mutter für ihre vielfältige Unterstützung, sowie der gesamten Familie für alle ihre Hilfe. Bei meinen Mitstudentinnen möchte ich mich ebenfalls herzlich bedanken. Sie haben mir durch Babysitting immer wieder den Rücken frei gehalten und mir die Arbeit dadurch sehr erleichtert. Auch mein Freundeskreis hat auf vielfältige Weise Anteil an der Entstehung dieser Arbeit. Vor allem den eifrigen Korrekturlesern, die mit Lob und Tadel nicht gespart haben, gebührt ein herzliches Dankeschön. Ganz besonders aber möchte ich meinen Kindern danken, dass sie mir mit ihrer unkomplizierten und geduldigen Art Raum gelassen haben, diese Masterarbeit verfassen zu können. 10 1 Einleitung 1 Einleitung 1.1 Thematischer Hintergrund Die Geburt eines Kindes ist ein Wendepunkt im Leben aller Eltern. Oft geht für das Paar ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung und die Freude über den neuen Erdenbürger ist entsprechend gross. Das gesellschaftliche Umfeld empfindet die Geburt als „freudiges Ereignis“ und erwartet besonders von den Müttern ungetrübte Freude und Dankbarkeit, besonders, wenn sie einem gesunden Kind das Leben geschenkt haben. Allerdings ist die Geburt eines Kindes für Eltern ein einschneidendes Erlebnis mit weitreichenden Konsequenzen für ihr gesamtes weiteres Leben. Es stellt vor allem für die Frauen ein kritisches Lebensereignis dar, welches grosse Anpassungsleistungen an die neue Lebenssituation fordert (Reck, 2004). Gelingt diese Anpassung nicht oder nur in ungenügendem Masse, birgt die Geburt eines Kindes für die Mutter das Risiko, eine psychischen Störung oder Beeinträchtigung zu entwickeln (Reck, 2007). Verschiedene Zahlen belegen dies: so sollen bis zu 80% der Frauen an einem „Baby-Blues“ kurz nach der Geburt leiden und nicht wenige davon daraus eine ernsthaftere psychische Störung entwickeln (O’Hara & Swain, 1996). Die meisten dieser Störungen treten nicht völlig unvermittelt zu Tage, vielmehr ist dies ein schleichender Prozess, der nicht selten seinen Anfang bereits während der Schwangerschaft nimmt (Sword, Clark, Hegadoren, Brooks & Kingston, 2012). Betroffene Frauen zögern, bei Fachkräften Hilfe suchen, zumal das gesellschaftliche Bewusstsein und die Akzeptanz psychischer Beeinträchtigungen nach der Geburt eher klein sind. Dies erschwert die rasche Erkennung und die adäquate Behandlung der Störung, was allerdings für Mutter, Kind und deren Umfeld bedeutsam wäre. Psychische Störungen der Mütter können sich nämlich negativ auf die Mutter-Kind-Interaktion auswirken, was wieder- 11 1 Einleitung um das Bindungsverhalten der Kleinkinder negativ beeinflusst und so ihre Entwicklung in verschiedenen Bereichen beeinträchtigt (Hay, Pawlby, Waters, & Sharp, 2008). Um gefährdete Mütter auszumachen und gegebenenfalls entsprechende präventive Massnahmen zu ergreifen, müssen Risikofaktoren, die eine psychische Störung begünstigen, erkannt werden (Boyd, Le, & Somberg, 2005). Psychische Probleme vor der Geburt werden häufig als einer der wichtigsten Risikofaktoren genannt. Reck (2007) beschreibt depressive Episoden im Leben der Mutter vor der Geburt als den wichtigsten Prädiktor für die Entstehung einer postpartalen Depression (PPD). Giardinelli und Kollegen (2012) hingegen nennen Angststörungen während der Schwangerschaft als zentralen Risikofaktor für eine spätere PPD. Trägt eine werdende Mutter ein erhöhtes Risiko, an einer postpartalen psychischen Störung zu erkranken, gilt es, mögliche Ressourcen bei der Frau selber oder in deren Umfeld zu suchen, damit die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Erkrankung vermindert werden kann (Misri et al., 2010). Unter anderem scheint Schlaf, in besonderem Masse die subjektiv erlebte Zufriedenheit mit dem Schlaf, die psychische Verfassung der Mutter zu beeinflussen (Skouteris, Germano, Wertheim, Paxton, & Milgrom, 2008). Neben zahlreichen anderen Autoren nennen Stapleton und Kollegen (2012a) soziale Unterstützung in all ihren möglichen Facetten die entscheidende Voraussetzung für eine stabile psychische Verfassung während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass psychische Störungen nach der Geburt häufig vorkommen. Daher ist es bedeutsam, dass Fachkräfte diesbezüglich wachsam sind und Risiken sowie Ressourcen der jungen Mütter gegeneinander abwägen. Es ist einerseits der psychischen Verfassung der Frauen in der Vergangenheit Rechnung zu tragen, andererseits muss ihre aktuelle Situation bezüglich sozialer Unterstützung beachtet werden. Bei allen Müttern ist der Schlaf zu beachten, denn Unzufriedenheit mit dem Schlaf kann über längere Zeit zu psychischen Problemen führen. 12 1 Einleitung 1.2 Ziel der Arbeit Die vorliegende Arbeit befasst sich mit perinatalen psychischen Störungen und Belastungen. Es soll auf verschiedenen Faktoren eingegangen werden, welche das Auftreten psychischer Belastungen nach der Geburt begünstigen oder verhindern können. Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern die subjektiv empfundene Zufriedenheit mit dem Schlaf die Entstehung einer psychischen Beeinträchtigung oder Störung nach der Geburt beeinflussen kann. Weiter ist von Interesse, ob und in welcher Form soziale Unterstützung dazu beitragen kann, das Risiko der Entstehung einer psychischen Störung nach der Geburt zu verringern. Es handelt sich dabei um eine Arbeit, deren empirischer Teil auf Daten basiert, die von in der Praxis tätigen Psychologinnen erhoben worden sind. Um diesem praktischen Hintergrund der ursprünglichen Datenerhebung Rechnung zu tragen, sollen die Resultate so dargelegt und interpretiert werden, dass sie für Fachleute in ihrer Tätigkeit mit jungen Müttern, von Nutzen sein können. 1.3 Aufbau der Arbeit In einem ersten Abschnitt soll auf psychische Störungen in der gesamten Lebensspanne und im Besonderen nach der Geburt eingegangen werden. Als Schwerpunkt werden an der Stelle depressive Störungen und Angststörungen betrachtet, Prävalenzen und Symptome beleuchtet, sowie die wichtigsten Instrumente zur jeweiligen Diagnostik vorgestellt. Darüber hinaus wird auf die in der Praxis häufige Komorbidität hingewiesen, die eine genaue Zuordnung der Symptomatik zu einer konkreten Störung erheblich erschwert und oft gar verunmöglicht. Es wird überdies aus empirischen Befunden dargelegt, wie sich psychische Störungen der Mutter auf die kindliche Entwicklung auswirken können. 13 1 Einleitung Neben Risikofaktoren, die eine psychische Störung nach der Geburt begünstigen, sollen aber auch Ressourcen beschrieben werden, welche die psychische Verfassung der Mutter positiv beeinflussen können. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf zwei Ressourcen, nämlich auf die subjektiv erlebte Schlafzufriedenheit der Mutter einerseits und die soziale Unterstützung, welche die Frau aus ihrem Umfeld erhält, andererseits. Zur Schlafzufriedenheit werden Resultate aus Studien dargelegt, die sich mit den Veränderungen des mütterlichen Schlafes während der Schwangerschaft und den ersten Monaten nach der Geburt befassen. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Bedeutung die Schlafzufriedenheit der Mutter für ihre psychische Befindlichkeit hat. Soziale Unterstützung wird als komplexes Konstrukt zuerst definiert. Dann werden verschiedene Facetten sozialer Unterstützung beleuchtet und auf ihre Bedeutung für die psychische Verfassung der Mutter untersucht. Nach dieser theoretischen Auseinandersetzung mit der Thematik werden Fragestellung und Hypothesen entwickelt und dargelegt, gefolgt von der Beschreibung der verwendeten Stichprobe. Nach der Erläuterung der statistischen Methode werden die Resultate dargelegt und im Bezug auf Erkenntnisse aus dem theoretischen Teil der Arbeit diskutiert. Es wird auf die Limitation der Arbeit hingewiesen und in einem letzten Teil auf ihre Bedeutung für die Praxis aufmerksam gemacht. 14 2 Psychische Störungsbilder 2 Psychische Störungsbilder Es gibt zahlreiche mehr oder weniger häufige und unterschiedlich gut behandelbare psychische Störungen, die für die psychiatrische Diagnostik relevant sind. Diese sind in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen, ICD-10, der Weltgesundheitsorganisation zusammengefasst (Leucht & Fröstl, 2012). Aus der Vielzahl möglicher Störungen kommen Depressionen und Angststörungen sowohl nach der Geburt, als auch über die gesamte Lebensspanne am häufigsten vor und sind entsprechend in der Literatur gut dokumentiert (Wittchen, Jacobi, Klose & Ryl, 2010). Aus diesem Grund beschränkt sich der theoretische Teil der Arbeit auf depressive Störungen und Angststörungen. 2.1 Depressive Störungen Die Depression gehört zu den affektiven Störungen und wird im ICD 10 je nach Unterform mit F32 – F39 kodiert. Der ICD - 10 spricht von depressiven Episoden und unterscheidet da zwischen „leichter“, „mittelgradiger“ und „schwerer depressiver Episode“ (ICD-10, 2013, S. 169 - 186). In amerikanischen und in vielen englischsprachigen Studien wird aber die Klassifikation nach dem DSM-IV (Diagnostical and Statistical Manual of Mental Disorders) verwendet. Dort wird je nach Schweregrad der Störung zwischen „major depression“ und „minor depression“ unterschieden. Zudem findet man in der englischsprachigen Literatur oft den Begriff „depressive symptoms“, die zwar klinisch nicht relevant, aber für die Frauen doch mit einem Leidensdruck verbunden sind (Conradi, Ormel, & de Jonge, 2012). Prävalenzen Bei der Depression rechnet man mit einer Lebenszeitprävalenz von 19%, wobei Frauen mit 25% etwa doppelt so häufig davon betroffen zu sein scheinen als Männer mit 12.8% (Wittchen et al, 2010). 15 2 Psychische Störungsbilder Wie nach anderen einschneidenden oder kritischen Lebensereignissen treten in den ersten zwei Jahren nach einer Geburt depressive Störungen oder Symptomatiken gehäuft auf. Laut Giardinelli und Kollegen (2012) erleiden in westeuropäischen Ländern etwa 10-15 % der gebärenden Frauen eine depressive Störung nach der Geburt, eine sogenannte postpartale Depression (PPD). Die Zahlen zu Prävalenzen depressiver Störungen oder Störungsbildern variieren je nach konsultierter Studie sehr stark. Dies liegt vor allem an den Unterschieden der jeweiligen Stichprobe und an den für die Fragestellung angewandten Erhebungsmethoden (Giardinelli et al., 2012). Symptomatik „Die Depression ist eine tiefgreifende, über längere Zeit andauernde Veränderung im Denken, Fühlen, Wollen und Handeln“ (Leucht & Fröstl, 2012, S. 104). Wie aus der Namensgebung des Störungsbildes hervorgeht, ist das Gefühl der Niedergeschlagenheit eigentliches Leitsymptom der Depression. In ihrer gesamten Symptomatik kommt die Depression aber äusserst vielschichtig daher, häufig gar in Form von somatischen Beschwerden (Brouwer, Meijer, & Zevalkink, 2013). Meist zeigt sich im affektiven Bereich eine deutliche Stimmungseinengung der Betroffenen. Sie fühlen sich ausser Stande, Freude oder andere Affekte zu empfinden, sondern sie leiden an einem Gefühl der inneren Leere und damit einhergehend an einem Interessensverlust. Häufig zeigt sich eine depressive Episode auch dadurch, dass die Betroffenen unruhig sind und sich übertriebene Sorge über ihre Zukunft machen sowie an einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit leiden. Hinzu kommen Minderwertigkeitsoder Schuldgefühle, welche für die Betroffenen höchst belastend sind (Davey, Tough, Adair, & Benzies, 2011). Weiter kann eine deutliche Verminderung des Antriebes beobachtet werden. Trotz grosser Willensanstrengung gelingt es dem depressiven Menschen nicht, diese Antriebshemmung zu überwinden (Boyd et al., 2005). 16 2 Psychische Störungsbilder Im kognitiven Bereich kommt es zu Konzentrationsproblemen, zu verlangsamtem Denken (Denkhemmung) und einem generellen Kreisen der negativen Gedanken (Grübelzwang) (Conradi et al., 2012). Dieser vielschichtige Leidensdruck führt bei den Betroffenen oft zu Veränderungen im Verhalten und es kann nicht selten ein deutlicher sozialer Rückzug beobachtet werden (Boyd et al., 2005). Sehr häufig manifestieren sich depressive Störungen in körperlichen Beschwerden. Betroffene leiden dann unter Symptomen wie Appetitstörungen, Erschöpfung und Schlafstörungen. Sie beklagen Libidoverlust und andere vegetative Probleme wie Schwindel, Herzrasen, Übelkeit, Schmerzen, etc. (Leucht & Fröstl, 2012). 2.1.1 Postpartale Depression Die postpartale Depression (PPD), die hier eingehender beleuchtet werden soll, unterscheidet sich weder in Form noch Symptomatik von der Depression zu einem anderen Zeitpunkt im Leben. Daher hat sie als spezifisches Störungsbild keine eingenständige Klassifikation im ICD-10 (Wittchen et al., 2010). Von einer PPD spricht man, wenn die depressiven Symptome innerhalb der ersten beiden Jahre nach der Geburt auftreten (Giardinelli et al., 2012). Prävalenz Je nach konsultierter Studie können Zahlen zu Prävalenzen beträchtlich variieren. Dies liegt an unterschiedlichen Stichproben oder Erhebungsinstrumenten, sowie am individuellem Studiendesign. Epidemologischen Studien gehen in westlichen Ländern von einer Prävalenz von 10-15% aus (Alonso et al., 2004). Oft jedoch werden postpartale psychische Störungen nicht erkannt. Gremigni und Kollegen (2011) gehen davon aus, dass in der Praxis etwa 50% der klinisch relevanten depressiven Störungen nicht als solche diagnostiziert werden. 17 2 Psychische Störungsbilder Symtpomatik Die Leitsymptome einer PPD sind Weinerlichkeit, das Gefühl von Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle, die Unmöglichkeit, sich über das Baby zu freuen, Unruhe und Angstsymptome, Appetitverlust, Müdigkeit, Schlafstörungen, sozialer Rückzug, negative Denkmuster bis hin zu Suizidgedanken (Davey et al., 2011). Dies unterscheidet sich, wie bereits weiter oben erwähnt, nicht von der Symptomatik einer depressiven Episode zu einem anderen Zeitpunkt im Leben. Die Sorgen und Ängste sind aber auf das Baby gerichtet. Die Mutter hat Minderwertigkeitsgefühle im Bezug auf ihre Fähigkeit als Mutter. Frauen mit postpartaler Depression fühlen sich ihrer Aufgabe häufig nicht gewachsen und leiden an ihrer Angst, das Kind nicht angemessen versorgen zu können ( Reck, 2007). Risikofaktoren Schon seit längerem befasst sich die Wissenschaft eingehend mit Risikofaktoren, die das Auftreten perinataler depressiver Störungen begünstigen. Gerade die postpartale Depression ist diesbezüglich vielfältig dokumentiert. Bereits eine Meta-Analyse aus den 1990er Jahren legt dar, dass psychische Störungen, zu irgendeinem Zeitpunkt früher im Leben der Frau, der wichtigste Prädiktor für das Auftreten einer PPD sind. Ferner sollen wenig soziale Unterstützung, geringe Paarzufriedenheit, ein traumatisches Geburtserlebnis, stressvolle Lebensereignisse und ein geringer sozio-ökonomischer Status weitere zentrale Risikofaktoren darstellen (O’Hara & Swain, 1996). Auch neuere Untersuchungen gehen in die gleiche Richtung. In einer randomisierten Studie (N = 1403) belegen kanadische Forscher, dass depressive Symptome in der Vorgeschichte der Mutter das Schlüsselrisiko für eine erneute Depression nach der Geburt darstellen. Ebenfalls mit einem hohen Risiko waren in ihrer Stichprobe Mütter belastet, die selbst nicht in Kanada geboren waren und somit einen Migrationshintergrund aufweisen (Davey et al., 2011). 18 2 Psychische Störungsbilder Eine andere kanadische Studie stützt diese Erkenntnisse und geht davon aus, dass 50 % der Frauen, die früher im Leben an einer depressiven Symptomatik gelitten hatten, nach der Geburt ihres Kindes an einer PPD erkranken (Sword et al., 2012). Eindrückliche Zahlen stammen auch aus einer amerikanischen Längsschnittstudie, welche die depressiven Symptome von Frauen mit Hilfe des Beck Depression Inventory II in der 32. Gestationswoche mit den Werten der selben Skala 12 Wochen nach der Geburt verglichen. Bei 39 % der Frauen mit erhöhten depressiven Werten während der Schwangerschaft sind die Symptome nach der Geburt nicht schlimmer geworden, bei 61 % haben sich die Beschwerden allerdings verschlechtert. Je schwerwiegender die Belastungen waren, desto eher verschlechterte sich die depressive Symptomatik. Dass sich die Situation nach der Geburt beruhigt und sich die Frau besser fühlt, wie sich vermutlich viele Mütter und deren Umfeld erhoffen, ist nicht zu erwarten. Es ist daher unerlässlich, auf depressive Symptome während der Schwangerschaft zu achten und bei Bedarf geeignete Massnahmen einzuleiten, weil mit einer spontanen Besserung nicht gerechnet werden kann (Sexton et al., 2012). In sämtlichen zitierten Studien hat sich durchgängig in unterschiedlich starker Ausprägung gezeigt, dass depressive Episoden vor der Geburt den wichtigsten Risikofaktor für die Entwicklung einer PPD darstellen. Ein australisches Forscherteam hat sich aus diesem Grund mit den Risikofaktoren antenataler Depressionen (AD) befasst. Laut ihrer Erkenntnis spielen tiefes Selbstvertrauen und Angststörungen eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer AD. Wer während der Schwangerschaft wenig soziale Unterstützung im persönlichen Umfeld erhält, ist ebenfalls gefährdet, depressive Symptome zu entwickeln. Negative Denkmuster und kritische Lebensereignisse beeinflussen die psychische Verfassung der Schwangeren ebenfalls negativ. Letztlich stellen tiefes Einkommen und aktuelle Erziehungsprobleme mit älteren Kindern Risikofaktoren für die Mutter dar, während der Schwangerschaft an einer Depression zu erkranken (Leigh & Milgrom, 2008). 19 2 Psychische Störungsbilder Diagnostik Geht man davon aus, dass rund 50 % der postpartalen Depressionen nicht erkannt und somit nicht behandelt werden (Gremigni, Mariani, Marracino, Tranquilli, & Turi, 2011), erstaunt es nicht, dass viele Fachkräfte ein Screening aller Schwangeren auf depressive Symptome empfehlen und fordern. Dies vor allem in benachteiligten Bevölkerungsschichten, die wenig Zugang zu potentieller Hilfe und Unterstützung haben (Boyd et al., 2005). In der Praxis ist dafür vor allem die Edinburgh Postpartum Depression Scale (EPDS) verbreitet. Dieser Befindlichkeitsbogen basiert auf einer Selbsteinschätzung der Frau und erfragt ihren psychischen Zustand der letzten 14 Tage. Nach der Auswertung teilt der Bogen die Frauen in 3 Kategorien ein. Es wird ausgesagt, ob eine geringe (EPDS <10), mässige (EPDS 10 – 12) oder hohe (EPDS >12) Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass die Frau eine Depression entwickeln wird. Bei Frauen, die ein mässiges oder hohes Risiko zu erkranken aufweisen, empfiehlt sich dringend eine differenziertere Diagnostik (Dennis & Letourneau, 2007). 2.1.2 Depressive Symptome nach der Geburt Viele Frauen leiden in den ersten Monaten nach der Geburt zwar nicht an einer klinisch relevanten depressiven Störung, weisen aber einzelne depressive Symptome auf oder beklagen eine milde Form einer depressiven Störung. So zeigten in einer Studie der Universität Bologna über die Hälfte der untersuchten, klinisch unauffälligen Frauen (55.7%) depressive Symptome (Gremigni et al., 2011). In einer älteren, aber oft zitierten Arbeit von O’Hara & Swain (1996), gehen die Forscher von etwa 25 % der Frauen aus, die depressive Symptome unterschiedlicher Ausprägung aufweisen. Auf die einzelne Frage, ob sie sich deprimiert fühlten, gaben 65 % der Frauen an, wenig, mittel oder schwer unter depressiven Verstimmungen zu leiden (Surkan, Peterson, Hughes, & Gottlieb, 2006). 20 2 Psychische Störungsbilder 2.1.3 „Baby-Blues“ Die kurzzeitige Beeinträchtigung der Stimmungslage kommt in der postpartalen Phase einer Mutter ausserordentlich häufig vor. Man spricht bei diesem Stimmungstief, das gewöhnlich nach drei bis fünf Tagen nach der Geburt auftritt, von einem „Baby-Blues“. Viele Frauen fühlen sich in dieser Zeit traurig, ängstlich und sind weinerlich. Die tiefgreifende hormonelle Umstellung im Körper der Frau unmittelbar nach der Geburt hat einen wichtigen Anteil an der Entstehung dieses Stimmungstiefs. Nach ein paar Tagen lässt die Symptomatik jedoch häufig nach und es geht den Frauen besser (Boyd et al., 2005). Dieser „Baby-Blues“ ist ein verbreitetes Phänomen, von dem bis zu 70 % der Frauen berichten. Trotzdem empfiehlt es sich, betroffene Frauen zu beobachten, da sich die gedrückte Stimmungslage, die Traurigkeit und Ängstlichkeit in eine depressive Episode ausweiten können (Reck, 2009). 2.1.4 Postpartale Psychose Die postpartale Psychose ist eine sehr seltene (1-2 Fälle auf 1000 Geburten), aber zweifellos die schwerwiegendste psychische Störung nach der Geburt. Sie ist so gravierend, weil die Suizidrate bei den betroffenen Frauen sehr hoch ist. Es besteht auch die Gefahr, dass die Mutter ihr Kind verletzt oder gar tötet. Dies aus ihrer Not heraus, weil sie überzeugt ist, das Kind nicht aufziehen zu können und ihm so einen Leidensweg zu ersparen. Die psychotischen Mütter befinden sich in ihrer Wahrnehmung in einer auswegslosen Situation und gehören unverzüglich in psychiatrische Behandlung und Obhut, um nicht sich selber oder das Kind zu gefährden (Swanson, Pickett, Flynn, & Armitage, 2011). 21 2 Psychische Störungsbilder 2.2 Angststörungen Angststörungen werden im ICD-10 den neurotischen Störungen zugeordnet und in ihren Subformen mit F40 und 41 kodiert. Am meisten verbreitet ist die generalisierte Angststörung, aber auch spezifische Phobien und Panikerkrankungen fallen unter diese Gruppe (ICD-10, 2013, S 190 - 200). Prävalenzen Mit einer Lebenszeitprävalenz von etwa 15 % ist die Angststörung nach der Depression die zweithäufigste psychische Erkrankung (Leucht & Fröstl, 2012). Besonders in der Schwangerschaft sind Angstsymptome verbreitet und je nach konsultierter Studie sind 6.6 % bis 21.7 % der Schwangeren von Angststörungen betroffen. Die grosse Range in den Prozentangaben liegt wiederum an den verschiedenen Stichproben mit unterschiedlichem Untersuchungsdesign (Giardinelli et al., 2012). Weiter scheint der Anteil an Müttern, die unter Angstsymptomen leiden, im letzten Schwangerschaftsdrittel besonders hoch zu sein. Nach der Geburt liegen diese Werte dann erheblich tiefer, was die Forscher damit begründen, dass viele Ängste der Mutter an Bedeutung verloren haben, wenn sie ein gesundes Kind zur Welt gebracht hat (Giardinelli et al., 2012). Symptomatik Während und nach der Schwangerschaft ist die generalisierte Angststörung die am häufigsten verbreitete Form der Angst. Daher soll hier ausschliesslich ihre Symptomatik erläutert werden. Die Angst ist im Fall der generalisierten Angststörung nicht auf etwas Spezifisches gerichtet wie bei einer Phobie, sondern eben generalisiert und lang anhaltend. Die betroffene Person macht sich übertriebene, häufig unrealistische Sorgen, die frei flotieren und sich oft auf alltägliche Dinge beziehen. Bei Frauen in der perinatalen Phase sind die Ängste in der Regel auf das Kind gerichtet oder auf die eigene Fähigkeit, das Kind adäquat versorgen zu können (Vaccarino, Evans, Sills, & Kalali, 2008). 22 2 Psychische Störungsbilder Diese Sorgen sind gepaart mit einer Übererregbarkeit (Hypervigilianz) und motorischer Unruhe und Spannung. Weitere vegetative Symptome sind auch Nervosität, Zittern, Herzklopfen, Schwindelgefühle und Schlafstörungen (Swanson, Pickett, Flynn, & Armitage, 2011). Aus diesem Leidensdruck heraus entwickeln die Betroffenen in der Regel ein Vermeidungsverhalten, indem sie der Angst auslösenden Situationen aus dem Weg gehen, was wiederum zu sozialem Rückzug und Isolation führen kann (Austin et al., 2010). Diagnostik Um nach ICD -10 eine generalisierte Angststörung diagnostizieren zu können, sind folgende Leitlinien von Bedeutung. „Der Patient muss primäre Symptome von Angst an den meisten Tagen, mindestens mehrere Wochen lang, meist mehrere Monate aufweisen. In der Regel sind folgende Einzelsymptome festzustellen: 1. Befürchtungen 2. Motorischen Spannung 3. Vegetative Übererregbarkeit“ (ICD – 10, 2013, S. 198) 2.3 Komorbidität Aus der Beschreibung der depressiven Symptome und der Angstsymptomatik in den beiden vorangehenden Abschnitten fällt auf, dass viele Symptome sowohl bei Depressionen als auch bei Angststörungen vorkommen. Das legt den Schluss nahe, dass sich Depressionen und Angststörungen nicht trennscharf voneinander unterscheiden lassen und sich gewisse Überlagerungen in den Störungsbildern zeigen (Austin et al., 2010). Studien, die perinatale Angststörungen untersuchen, sind weit weniger zahlreich vorhanden als Untersuchungen über die von der Wissenschaft schon länger erforschte PPD. Häufig hingegen findet man Studien, die sich mit Angstsymptomen befassen, welche mit depressiven oder anderen Störungen wie Suchterkrankungen oder Essstörungen einhergehen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Komorbidität (C. Reck et al., 2008). 23 2 Psychische Störungsbilder Prävalenzen Dass Angstsymptome und depressive Störungen eine hohe Komorbidität aufweisen, wird in verschiedenen, auch älteren Studien berichtet (O’Hara & Swain, 1996). Die einzelnen Prävalenzraten können aber je nach konsultierter Studie stark variieren. In einer italienischen Forschungsarbeit (N = 590) wurden sowohl depressive Störungen, unterteilt nach „major depression“ und „minor depression“ erfasst, als auch Angststörungen in ihren Unterformen erhoben. Die Werte wurden im letzten Schwangerschaftsdrittel sowie in den ersten Monaten nach der Geburt gemessen. Die Komorbiditätsrate von Angststörung und depressiver Störung nach der Geburt lag bei 11.2 %. Zudem stellte eine Angstsymptomatik während der Schwangerschaft den wichtigsten Prädiktor für eine postpartale Depression dar (Giardinelli et al., 2012). Eine differenzierte Unterscheidung zwischen depressiven Störungen, Angststörungen und Komorbidität zeigen Reck und Kollegen (2008) in ihrer im deutschsprachigen Raum angelegten Studie (N = 899). Aufgrund ihrer Diagnose mit dem Anxiety-SCID-Screening und dem Anxiety Screening Questionnaire (ASQ-15) in den ersten 3 Monaten nach der Geburt haben sich folgende Prävalenzraten ergeben. 11.1 % der Frauen litten während der ersten 3 Monate nach der Geburt an einer Angststörung, bei 2.2 % davon hat die Symptomatik nach der Geburt erst eingesetzt. Ebenfalls mit dem SCID wurde die depressive Symptomatik in den ersten drei Monaten postpartum erfasst. 6.1 % der befragten Frauen litten an einer depressiven Störung, was unerwartet tief liegt. Bei 2.3 % aller untersuchten Frauen liegt eine Komorbidität vor. 18.4 % der Frauen mit diagnostizierter Angststörung litten auch an einer Depression, während bei 33.9 % der depressiven Frauen auch eine Angststörung vorliegt. Dass die Raten aller beschriebener Störungen im Vergleich zu anderen Untersuchungen eher tief ausfällt, begründen die Forscher mit der Stichprobe, welche sich vor allem aus mittelständischen, gut ausgebildeten Frauen zusammensetzt (Reck et al., 2008). 24 2 Psychische Störungsbilder Abbildung 1. Prävalenzen und Komorbidität von depressiven Störungen und Angststörungen (Reck et al., 2008, S. 464) 2.4 Auswirkungen Psychischer Störungen auf die kindliche Entwicklung 2.4.1 Psychischen Störungen und Mutter-Kind-Interaktion Psychische Störungen haben unmittelbaren Einfluss darauf, wie die Mutter ihr Kind versorgen kann und wie sie mit ihm in Interaktion tritt (Reck, 2008). Stein und Kollegen (2012) haben in ihrer Studie dargelegt, wie sich Denkmuster von Müttern, die an Angststörungen und depressiven Symptomatiken leiden, auf ihre Responsivität gegenüber dem Kind auswirken. Im Labor wurden von solchen Störungsbildern betroffene Frauen mit negativen, die Kontrollgruppe hingegen mit neutralen Denkmustern konfrontiert. Die Frauen der Gruppe mit dem negativen Priming haben hinterher weniger sensitiv auf ihre Kinder reagiert. Die Kinder ihrerseits haben in der Folge weniger vokalisiert (Stein et al., 2012). In ihrer Studie zur Mutter-Kind-Interaktion depressiver Mütter haben Haycraft & Farrow (2013) den Schweregrad der mütterlichen depressiven Symptome mit der Gestaltung der gemeinsamen Mahlzeiten verglichen. Je ausgeprägter die depressiven Symptome der Mütter waren, desto mehr Druck haben die 25 2 Psychische Störungsbilder Frauen auf ihre Kinder ausgeübt. Der Umgangston war gereizter, ungeduldiger und unfreundlicher dem Kind gegenüber. Weiter haben depressivere Mütter das Essen als solches häufiger thematisiert, was sich wiederum ungünstig auf die Mutter-Kind-Beziehung ausgewirkt hat. 2.4.2 Langzeitauswirkung auf die kindliche Entwicklung In einer Londoner Längsschnittstudie (N = 178) wurde untersucht, wie sich mütterliche Depressionen langfristig auf die Entwicklung der Kinder auswirken. Es haben sich dabei eine erstaunliche Vielfalt an Erkenntnissen abgezeichnet. Litten die Mütter während der Schwangerschaft an klinisch relevanten Depressionen, haben ihre Töchter Jahre später, in der Pubertät, mehr emotionale Probleme gezeigt als die Töchter von gesunden Müttern. Traten die mütterlichen Depressionen hingegen erst nach der Geburt auf, fielen diese Mädchen im Alter von 16 Jahren mehr durch störendes Verhalten auf als die Töchter der Vergleichsgruppe. Bei Jungen hingegen offenbarte sich ein anderes Phänomen. Postpartale Depressionen der Mutter haben sich negativ auf die kognitive Entwicklung der Knaben ausgewirkt. Söhne depressiver Mütter haben in der Pubertät mit 16 Jahren signifikant tiefere IQ- Werte gezeigt als die Jungen diesen Alters mit psychisch gesunden Müttern. In dem Zusammenhang ist allerdings unbedingt darauf hinzuweisen, dass klinisch relevante depressive Störungen oft mit Suchtverhalten einhergehen. Die negativen Auswirkungen auf die Kinder, von denen berichtet wird, sind teilweise auch auf den Suchtmittelmissbrauch, ausgelöst durch die Depression, zu erklären. Nicht zu vernachlässigen ist in dem Zusammenhang aber die genetische Komponente. Kinder von depressiven Müttern könnten eine genetische Disposition haben, auf Belastungssituationen im Leben vulnerabler zu reagieren als andere Kinder (Hay et al., 2008). 26 3 Ressourcen nach der Geburt 3 Ressourcen nach der Geburt 3.1 Schlaf als Ressource 3.1.1 Veränderungen im Schlafverhalten in der perinatalen Phase Bereits in der Schwangerschaft verändern sich die Schlafmuster und die Schlafqualität der Frauen. Im ersten Trimester geht die Qualität der Tiefschlafphase zurück und erholt sich nicht mehr bis nach der Geburt. Zudem nehmen die Schlafdauer und die Effizienz des Schlafes über die Schwangerschaft kontinuierlich ab und erreichen dann etwa fünf Monate nach der Geburt ihren Tiefpunkt (Stein et al., 2012). Während des letzten Schwangerschaftsdrittels nimmt vor allem die Dauer des Nachschlafes der Frauen ab und der Schlaf wird häufiger unterbrochen. Dies kompensieren die Frauen nach Möglichkeit mit kurzen Schlafphasen während des Tages, sodass die Gesamtdauer des Schlafes über 24 Stunden nicht unbedingt abnimmt, dessen Qualität jedoch schon (Bei, Coo Calcagni, Milgrom, & Trinder, 2012). Die meisten Frauen haben schon in den letzten Schwangerschaftswochen weniger gut als sonst geschlafen. Zudem sind sie durch den Geburtsvorgang sowie durch die hormonelle Umstellung nach der Geburt erschöpft. Da sie viele psychische und physische Ressourcen mobilisieren mussten, überrascht es nicht, dass die Mehrheit der Frauen in den ersten Monaten nach der Geburt an Müdigkeit und Erschöpfung leiden. Über zwei Drittel der Mütter klagen in den ersten 12 Monaten nach der Geburt darüber und über 50 % der Frauen empfinden ihre Müdigkeit selbst 12 bis 18 Monate nach der Geburt noch als ernstes Problem (Wade, Giallo, & Cooklin, 2012). 27 3 Ressourcen nach der Geburt 3.1.2 Erfassung von Schlaf Um Schlafdauer und -qualität zu messen, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Es können beide Grössen im Schlaflabor mittels technischer Methoden eruiert werden. Dies gestaltet sich allerdings sehr aufwendig und eignet sich eher für medizinische Zwecke als für die Forschung. Viel verbreiteter ist daher, das subjektive Empfinden und die Schlafzufriedenheit mittels Fragebögen, Skalen oder Interviews zu erfassen (Gress et al., 2010). Wichtiger als die objektiv gemessene Schlafdauer ist die subjektiv erlebte Schlafqualität. Besonders das häufige nächtliche Erwachen scheint die psychische Befindlichkeit der Mütter sehr zu beeinträchtigen, mehr als die kürzere Gesamtschlafdauer an sich (Gress et al., 2010). 3.1.3 Bedeutung von Schlaf für die psychische Befindlichkeit Müdigkeit und Erschöpfung gehen für die Frauen mit einem beträchtlichen Leidensdruck einher. Dies nicht nur, weil sie sich energielos und abgeschlagen fühlen und dadurch Mühe haben, ihren anstrengenden Alltag mit dem Säugling bestreiten zu können. Vielmehr sind auch kognitive Funktionen wie Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen und Problemlösungsstrategien beeinträchtigt. Die Klarheit der Denkprozesse wird als Folge der lang anhaltenden Müdigkeit mit der Zeit getrübt. Zudem tendieren Frauen, die sich sehr erschöpft fühlen, dazu, das Verhalten des Kindes oder ihre eigene Fähigkeit als Mutter negativ zu bewerten. Diese Symptomatik, besonders die Entwicklung negativer Denkmuster, tritt allerdings auch bei Depressionen auf. Es ist daher schwierig, die beiden Konstrukte eindeutig auseinander zu halten. Entsprechend wäre es für die Praxis naheliegend, nach der Geburt Sreenings für Schlafqualität und depressive Symptomatik durchzuführen (Wade et al., 2012). In ihrer Studie über den Zusammenhang von Angsterkrankungen, Depressionen und Schlafproblemen in der perinatalen Phase haben Swanson und Kollegen (2011) folgende Sachverhalte dargelegt: Während der Schwanger- 28 3 Ressourcen nach der Geburt schaft führen eher Angstsymptome zu Schlaflosigkeit, zwischen depressiven Symptomen und Schlafproblemen konnte während der Schwangerschaft hingegen kein Zusammenhang nachgewiesen werden. Nach der Geburt kehrt sich der Sachverhalt jedoch um. Angstsymptome, die in jener Phase ohnehin an Bedeutung verlieren, beeinflussen die Schlafzufriedenheit nicht, dafür konnte ein Zusammenhang zwischen Schlaflosigkeit und Depressivität aufgezeigt werden (Swanson et al., 2011). Ausreichend Schlaf ist für die psychische und physische Verfassung der Mutter von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Erschöpfte Mütter zeigten drei Monate nach der Geburt mehr depressive Symptome als Frauen, die angaben, gut und genügend zu schlafen. Konkret wurde belegt, dass junge Mütter, die weniger als vier Stunden Schlaf zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens bekamen und weniger als 60 Minuten während des Tages schlafen konnten, ein erhöhtes Risiko aufwiesen, an depressiven Symptomen zu leiden. Vor allem häufige Unterbrechungen des Schlafes in der Nacht haben sich negativ auf die psychische Verfassung der Mütter ausgewirkt. Ausserdem hat diese Untersuchung ergeben, dass pränatale Depressivität und gestörter Schlaf über die Hälfte der Varianz von mütterlichen depressiven Symptomen in der ersten Zeit nach der Geburt ausmachen. Andere Faktoren wie das Alter der Mutter, das Geschlecht des Kindes und die Zufriedenheit mit der Partnerschaft erklärten hingegen nur 14.5 % der Varianz. Das kindliche Temperament konnte nicht als signifikanter Prädiktor für postpartale psychische Probleme identifiziert werden (Goyal, Gay, & Lee, 2009). 29 3 Ressourcen nach der Geburt Abbildung 2. Risikofaktoren für eine PPD bei Erstgebärenden. (Goyal et al, 2009, S. 230) Die Pflege eines Neugeborenen ist anstrengend und es kann je nach Kind unterschiedlich lange dauern, bis der Säugling einige Stunden aneinander schlafen kann. Das Neugeborene lernt über Wochen und Monate, einen Schlaf-Wachrhythmus zu entwickeln, sowie zuerst einmal Tag und Nacht zu unterscheiden. Dies ist ein ganz normaler Prozess und man spricht deshalb in den ersten drei Monaten nach der Geburt bei Säuglingen noch nicht von Schlafproblemen. Eltern hingegen, besonders die Mütter, beurteilen die Situation oft anders und schätzen das Schlafverhalten ihrer Säuglinge als problematisch ein. Dies könnte daran liegen, dass Mütter psychisch und physisch darunter leiden, wenn ihre Kinder sie immer wieder aufwecken oder lange Zeit brauchen, um einzuschlafen. Jedenfalls hat sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Schlafproblemen der Säuglinge, eingeschätzt von ihrem Müttern, und der mütterlichen Depressivität gezeigt (Bayer, Hiscock, Hampton, & Wake, 2007). Schlafmangel und Erschöpfung beeinflussen aber nicht nur die psychische Befindlichkeit der Mutter negativ. Erschöpfte Mütter scheinen überdies mehr Schwierigkeiten zu haben, angemessen auf die Bedürfnisse ihrer Säuglinge einzugehen. Daher können sich aufgrund der mütterlichen Erschöpfung 30 3 Ressourcen nach der Geburt Schwierigkeiten in der Mutter-Kind-Interaktion ergeben, selbst wenn die Mutter nicht an depressiven Verstimmungen leidet (Goyal et al., 2009). Wade und Kollegen (2012) haben in ihrer Studie (N = 261) die Auswirkungen von Erschöpfung und Depressivität bei Müttern auf ihr Erziehungsverhalten untersucht. Zu diesem Zweck haben sie bei den Frauen im ersten Jahr nach der Geburt mit verschiedenen diagnostischen Instrumenten die Ausprägungen von Erschöpfung und Depressivität erhoben. Die Frauen wurden darauf hin vier Gruppen, sogenannten Clustern, zugeordnet. Im Cluster a) wurden die Frauen eingeteilt, die tiefe Werte von Erschöpfung und Depressivität zeigten, im Cluster b) Mütter, die nur Symptome von Erschöpfung aufwiesen, in c) die Frauen mit mittleren depressiven Werten und leicht erhöhten Werten von Müdigkeit, und im Cluster d) die Frauen mit hohen Werten von Erschöpfung und Depression. Die Forscher haben nun untersucht, wie sich die Zugehörigkeit zu verschiedenen Clustern auf das Gefühl von Selbstwirksamkeit der Frauen und auf ihr Erziehungsverhalten auswirkt. Es konnte unter anderem festgestellt werden, dass selbst Frauen, die nur Symptome von Erschöpfung zeigten, sich jedoch nicht depressiv fühlten, weniger das Gefühl von Selbstwirksamkeit hatten. Ausserdem konnten sie weniger warmherzig und engagiert auf ihre Kinder eingehen, als Frauen, die sich nicht erschöpft fühlten. Allerdings wird in der Studie auch deutlich, dass sich Depressionen zusammen mit Erschöpfung am negativsten auf das Erziehungsverhalten der Mütter auswirken. In dieser Untersuchung hat sich eine depressive Symptomatik bei den Müttern ungünstiger für das Erziehungsverhalten erwiesen als eine Erschöpfungssymptomatik. 31 3 Ressourcen nach der Geburt Abbildung 3. Mittelwerte der z-Scores der einzelnen Cluster in Bezug auf die mütterliche Selbstwirksamkeit und ihren Erziehungsstil (Wade et al., 2012, S. 286). Mehrere Autoren sind sich aufgrund dieser Befunde einig, dass die Frage nach der Schlafzufriedenheit der Mutter und dem Schlafverhalten des Kindes unbedingt vom betreuenden Fachpersonal nach der Geburt und in der Nachbetreuung erfragt werden muss. Dies nicht zuletzt darum, weil sich mütterliche Erschöpfung wie bereits erwähnt negativ auf ihr Verhalten gegenüber dem Kind auswirken kann. Es konnte überdies ein Zusammenhang zwischen Erschöpfung der Mutter in der ersten Zeit nach der Geburt und dem Verhalten des Kindes sowie dessen physischer Gesundheit im Alter von drei Jahren festgestellt werden (Bayer et al., 2007). 3.2 Soziale Unterstützung 3.2.1 Definitionen Soziale Unterstützung gilt als wichtige Einflussgrösse beim Auftreten psychischer Störungen. Allerdings ist soziale Unterstützung ein komplexes theoretisches Konstrukt, das unterschiedliche Komponenten beinhaltet. 32 3 Ressourcen nach der Geburt Ganz grundlegend kann soziale Unterstützung als von aussen erhaltene Ressourcen angesehen werden, die mithelfen, eine Situation meistern zu können (Schwarzer & Knoll, 2007). Haga und ihre Mitarbeiter (2012) differenzieren den Begriff, indem sie zwischen emotionaler (Zuspruch, emotionale Anteilnahme), instrumentaler (praktische Hilfe) und informativer (Hintergrundinformationen) sozialer Unterstützung unterscheiden. Etwas detaillierter gehen andere Autoren vor, indem sie soziale Unterstützung als vielschichtiges Konstrukt bezeichnen. Dieses setzt soziale Strukturen und Funktionen voraus, welche emotionale Beteiligung, praktische Hilfe, sowie Wertschätzung des Gegenübers umfassen (Leahy‐Warren, McCarthy, & Corcoran, 2012). Soziale Unterstützung wird in dieser Arbeit nach der Definition von Leahy Warren und Kollegen (2012) verstanden. 3.2.2 Soziale Unterstützung und psychische Befindlichkeit nach der Geburt Soziale Unterstützung wird im Zusammenhang mit perinatalen psychischen Störungen immer wieder als wichtige Einflussgrösse bezeichnet. Ein Mangel an sozialer Unterstützung ist laut gewisser Studien sogar der wichtigste Prädiktor für das Auftreten von psychischen Störungen nach der Geburt (O’Hara & Swain, 1996).Vorhandene soziale Unterstützung wirkt sich hingegen positiv auf die psychische Befindlichkeit der Frauen nach der Geburt aus. Die Gewissheit, Unterstützung zu erfahren, kann den Müttern helfen, angemessen mit ihrer Belastungssituation umzugehen und über bessere CopingStrategien zu verfügen (Schwarzer & Knoll, 2007). In ihrer Arbeit zum Einfluss sozialer Unterstützung auf die psychische Verfassung nach der Geburt nennen Dennis & Letourneau (2007) verschiedene Risikofaktoren für die Entstehung postpartaler Depressionen. Aufgrund ihrer Erkenntnisse ist es ungünstig, wenn kein Austausch möglich ist mit Personen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie man selbst. Zudem ist es ungünstig, kein Gegenüber für intime Gespräche zu haben. Viele Frauen empfinden es auch als problematisch, keine Hilfe zu erhalten ohne explizit 33 3 Ressourcen nach der Geburt darum zu bitten. Junge Mütter, die sich nach der Geburt sozial isoliert fühlen, sind ebenfalls gefährdet, an einer postpartalen Depression erkranken. Viele Frauen haben sehr konkrete Vorstellungen von der Unterstützung, die sie sich für sich selber und ihr Kind wünschen. Gerade die Erwartungshaltung der Frauen bezüglich sozialer Unterstützung von der Seite des Partners oder des sozialen Umfeldes ist zentral für ihre psychische Verfassung. Entscheidend für ihr psychisches Wohlbefinden ist weniger die konkret erhaltene Hilfe selber. Viel bedeutender ist die Frage, ob ihre Erwartungen bezüglich der Unterstützung erfüllt werden. Enttäuschungen sind in dem Zusammenhang für die Frauen sehr belastend, umgekehrt können erfüllte Erwartungen ein Gefühl von Sicherheit und Selbstwirksamkeit hervorrufen, was sich wiederum positiv auf psychische Verfassung der Mütter in den ersten Monaten nach der Geburt auswirkt (Stapleton et al., 2012). Abbildung 4. Dimensionen sozialer Unterstützung und mütterliche Selbstwirksamkeit in Bezug auf postpartale Depressionen (Leahy-Warren et al., 2011, S. 391) 34 3 Ressourcen nach der Geburt 3.2.2.1 Einzelne Komponenten sozialer Unterstützung und ihre Auswirkungen Partnerunterstützung Eine zentrale Komponente von sozialer Unterstützung stellt die Unterstützung durch den Partner dar. Nicht nur, dass Frauen in der Pflege des Säuglings und in ihren häuslichen Tätigkeiten durch den Partner unterstützt werden, wirkt sich positiv auf ihre depressive Symptomatik aus, sondern die Hilfe des Partners scheint auch die Selbstwirksamkeit der Frauen zu erhöhen. Gerade das Gefühl der Selbstwirksamkeit wirkt sich günstig auf die psychische Befindlichkeit der Mütter nach der Geburt aus (Haslam, Pakenham, & Smith, 2006). Die Bedeutung des Partners kommt nicht erst nach der Geburt zum Tragen. Für die psychische Verfassung der Frauen nach der Geburt ist nämlich ebenfalls entscheidend, wie sich die Frau während der Schwangerschaft von ihrem Partner unterstützt gefühlt hat. Strapleton und Kollegen (2012) berichten von einem Zusammenhang zwischen Partnerunterstützung während der Schwangerschaft und dem Stressempfinden der Frau im Bezug auf ihr Kind in den ersten Monaten nach der Geburt. Es scheint, dass sich unterstützte Frauen als Mutter kompetenter fühlen und entsprechend die Herausforderungen mit ihrem Neugeborenen weniger belastend empfinden. Das wiederum erleichtert den Frauen die Anpassung an ihre Mutterrolle, was sich günstig auf ihre physische und psychische Befindlichkeit auswirkt. Paarzufriedenheit Nicht nur Partnerunterstützung, sondern auch die Paarzufriedenheit wirkt sich signifikant auf den emotionalen Stress der Mutter aus und ist somit für das psychische Gleichgewicht der Frauen in den ersten Monaten nach der Geburt sehr wichtig (Stapleton et al., 2012). Frauen, die in verschiedener Hinsicht nicht zufrieden sind in ihrer Partnerschaft oder in ihren Erwartungen vom Partner enttäuscht werden, weisen ein höheres Risiko auf, an einer postpartalen psychischen Störung zu leiden. 35 3 Ressourcen nach der Geburt Konkret berichten diese unzufriedenen Frauen über mangelnde oder schwierige Kommunikation in der Partnerschaft, beklagen fehlende Wärme seitens des Partners, vermissen die Nähe zu ihm oder erleben gar eheliche Konflikte (Dennis & Letourneau, 2007). Soziale Netzwerke Nicht nur der Partner mit seiner Unterstützung ist für die Frau wichtig. Es ist auch von Bedeutung, ob sie in einem sozialen Netzwerk eingebunden ist oder eher isoliert dasteht. Die soziale Vernetzung ist dann ganz besonders wichtig, wenn kein Partner vorhanden ist oder dieser die Unterstützung nicht in gewünschtem Mass oder in adäqutater Weise vornehmen kann (O’Hara & Swain, 1996). Häufig von sozialen Netzwerken ausgeschlossen sind Frauen mit Migrationshintergrund, die aufgrund ihrer Herkunft schlicht über kein oder nur über ein sehr beschränktes soziales Netz verfügen und sich dieses aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse oder kulturellen Traditionen nicht aufbauen können. In diesem Zusammenhang berichten Frauen, die zwei oder mehr gute Freundinnen oder Verwandte als Unterstützungspersonen haben über weniger depressive Symptome als Frauen mit weniger sozialen Kontakten. Generell hat die Anzahl verfügbarer unterstützender Personen einen positiven Zusammenhang mit der psychischen Verfassung der Mutter. Je mehr Personen eine Frau als mögliche Hilfsquelle in verschiedenen Bereichen zur Verfügung hat, desto eher ist anzunehmen, dass es ihr psychisch gut geht (Surkan et al., 2006). Institutionelle soziale Unterstützung Gerade unter ökonomisch unterprivilegierten, sozial ungenügend eingebetteten Frauen, die ohnehin eine Risikogruppe für postpartale psychische Störungen darstellen, ist eine institutionelle Unterstützung, welche diese fehlenden Ressourcen bestmöglich auffangen kann, möglicherweise hilfreich. Dies kann auf verschiedene Weise erfolgen. In einer randomisierten Studie (N = 679) beispielsweise wurde die Wirksamkeit eines Interventionsprogramms (Just for You) für Frauen mit tiefem Einkommen überprüft. Im Rahmen der 36 3 Ressourcen nach der Geburt Studie wurde den Frauen der Interventionsgruppe während der ersten 15 Monate nach der Geburt Unterstützung in verschiedenen Bereichen und in unterschiedlichem Ausmass gewährt. Das Interventionsprogramm umfasste im körperlichen Bereich Informationen zu Ernährung, Massnahmen zur Förderung des Stillens, Zuteilung von Essensgutscheinen und Möglichkeiten, Sport zu treiben. Für die emotionale Unterstützung wurden die Frauen immer wieder von den Betreuerinnen angerufen und nach ihrem Befinden befragt, oder die Betreuerinnen führten Hausbesuche durch und kümmerten sich um die Mutter und das Kind. Nach 15 Monaten konnte gezeigt werden, dass die Frauen der Interventionsgruppe ihre depressive Symptomatik signifikant tiefer einschätzen als die Mütter der Kontrollgruppe (Surkan, Gottlieb, McCormick, Hunt, & Peterson, 2012). In einer weiteren randomisierten Interventionsstudie wurde die Wirksamkeit von Peer-Unterstützung in Form von Hausbesuchen untersucht. Freiwillige, nicht professionelle Peers (junge Mütter, die selbst unter einer PPD gelitten und sich davon erholt haben) besuchten psychische belastete Frauen (EPDS >12) während 12 Wochen zu Hause und pflegten regelmässigen Telefonkontakt mit ihnen. Während der Hausbesuche versorgten die instruierten Freiwilligen die depressiv belasteten Mütter mit Informationen zu postpartalen seelischen Störungen, unterstützten sie emotional und gaben ihnen Zuspruch für diese Dinge, die bereits gut funktionierten. Weiter gewährten sie den Müttern auch praktische Hilfe in der Versorgung des Säuglings. Zusätzlich wurde die Mutter-Kind-Interaktion bei verschiedenen Alltagsbegebenheiten analysiert und wenn nötig zu Verbesserungen angeregt. Das Interventionsprogramm hat die depressive Symptomatik der Mütter mit einer mittleren Effektsstärke positiv beeinflusst. Für die Mutter-Kind-Interaktion konnte allerdings nur eine leichte Verbesserung erzielt werden. Die Autoren der Studie führen dieses Ergebnis darauf zurück, dass Unterstützung von Peers die psychische Verfassung der Mütter verbessern kann, dass für eine gewinnbringende Arbeit an der Mutter-Kind-Interaktion hingegen ein professioneller Hintergrund der Betreuenden unerlässlich ist (Letourneau et al., 2011). 37 4 Fragestellungen 4 Fragestellungen 4.1 Herleitung der Fragestellungen Die Befunde aus vielen Studien zeigen, wie häufig perinatale psychische Störungen vorkommen. Besonders Depressionen und Angststörungen sind nach der Geburt verbreitet anzutreffen. Die genannten Prävalenzraten erweisen sich als erstaunlich hoch, obgleich sich die Zahlen in verschiedenen Studien teilweise deutlich unterscheiden (Giardinelli et al., 2012). In Bezug auf die Intensität der psychischen Beeinträchtigungen kann nach der Geburt von zeitlich begrenzten Symptomen aufgrund einer akuten Belastungssituation bis hin zu persistenten, chronifizierten Störungen oder gar zu ganz seltenen psychotischen Erkrankungen die gesamte Bandbreite beobachtet werden (Dennis & Letourneau, 2007). Selbst klinisch nicht relevante psychische Beeinträchtigungen junger Mütter stellen jedoch in der Regel für sie selber, das Kind und die ganze Familie eine Belastung dar. Besonders für die frühe Entwicklung so zentrale mütterliche Feinfühligkeit und die daraus hervorgehende Mutter-Kind-Interaktion ist in hohem Masse entscheidend für die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung des Kindes. In allen Bereichen der Entwicklung können Kinder psychisch belasteter Mütter nachhaltig beeinträchtigt sein (Hay et al., 2008). Daher sind psychische Störungsbilder Schwangerer und junger Mütter nicht nur für die Forschung, sondern auch für alle involvierten Fachkräfte, von wichtiger Bedeutung (Reck, 2008). Einerseits ist es daher unumgänglich, dass behandelnde Gynäkologen, Hebammen, Mütterberaterinnen, Pädiater und andere Fachkräfte auf das Thema psychischer Störungen nach der Geburt sensibilisiert sind. Sie müssen über Risikogruppen Bescheid wissen, Screeninginstrumente einsetzen und bei Bedarf geeignete Hilfsmassnahmen einleiten können (Dennis & Letourneau, 2007). 38 4 Fragestellungen Entscheidend für die Einschätzung der Gesamtsituation ist die Gegenüberstellung von Belastungen und Risikokonstellationen auf der einen Seite und vorhandenen Ressourcen auf der anderen Seite (O’Hara & Swain, 1996). 4.2 Fragestellungen Aufgrund der vorgängigen Überlegungen sollen in der vorliegenden Arbeit folgende Fragestellungen beantwortet werden: - Führen bei klinisch unauffälligen Frauen psychische Probleme in der Lebensgeschichte zu vermehrter psychischer Belastung nach der Geburt? - Hat die subjektiv empfundene Zufriedenheit mit dem eigenen Schlaf einen Einfluss auf die psychische Belastung nach der Geburt? - Wie hängt die soziale Unterstützung mit der psychischen Belastung nach der Geburt zusammen? - Hat der Umfang der Partnerunterstützung Einfluss auf die psychische Verfassung der Frauen in den ersten drei Monaten nach der Geburt? - Ist das Mass der Paaraktivitäten ohne Kind für die psychische Belastung der Mutter nach der Geburt von Bedeutung? - Hat die Anzahl Personen, die der Mutter nach der Geburt helfend zur Seite stehen und damit die soziale Vernetzung repräsentieren, einen Einfluss auf ihre psychische Befindlichkeit? - Beeinflusst die Entlastung, die eine Mutter im Haushalt erfährt, ihre psychische Verfassung nach der Geburt? Weitere Einflussgrössen Verschiedene demografische Faktoren könnten einen Einfluss auf die genannten Fragestellungen haben, sollen aber in dem Zusammenhang nicht eigenständig thematisiert werden. So könnten das Alter der Mutter, ihr Bildungsniveau und die meist damit verbundene sozio-ökonomische Situation die zu untersuchenden Variablen beeinflussen. Möglicherweise könnte auch das Alter des Kindes zum Zeitpunkt das Befragung eine Rolle spielen, da sich die erhobenen Daten auf die ersten drei Lebensmonate des Kindes be- 39 4 Fragestellungen ziehen. Diese retrospektive Betrachtung könnte die Aussagen der Mutter ebenfalls beeinflusst haben. Aus diesem Grund sollen diese drei Grössen als Kontrollvariablen ins Arbeitsmodell aufgenommen werden. 4.3 Hypothesen H1: Je mehr psychische Probleme eine Frau früher im Leben hatte, sei es vor oder während der Schwangerschaft, desto höher ist ihre psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. H2: Je zufriedener eine Frau mit ihrem Schlaf nach der Geburt ist, desto weniger beeinflussen frühere psychische Probleme ihre psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. H3: Je mehr Unterstützung eine Frau von ihrem Partner in den ersten drei Monaten nach der Geburt erhält, desto geringer ist der Einfluss von früheren psychischen Problemen auf ihre psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. H4: Je mehr soziale Unterstützung von ausserhalb der Partnerschaft eine Frau erfährt, desto weniger beeinflussen frühere psychische Probleme ihre psychische Befindlichkeit in den ersten drei Monaten nach der Geburt. 40 4 Fragestellungen 4.4 Arbeitsmodell Abbildung 5. Arbeitsmodell 4.5 Operationalisierung der Fragestellungen Um die genannten Fragestellungen (vgl. Abschnitt 4.2) beantworten zu können, wird überprüft, ob die psychischen Probleme, die ein Frau früher im Leben hatte, die psychische Verfassung nach der Geburt beeinflusst. In den hypothesengeleiteten Fragestellungen wird untersucht, ob die „Schlafzufriedenheit“ der Mutter und die „soziale Unterstützung“, die eine Frau erhält, den Zusammenhang zwischen „früheren psychischen Problemen“ und der „psychischen Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ moderieren. Über diese Fragestellung hinaus soll geklärt werden, ob die „subjektive Schlafzufriedenheit“ einen direkten Einfluss auf „die psychische Belastung in 41 4 Fragestellungen den ersten drei Monaten nach der Geburt“ hat. Die „Schlafzufriedenheit“ wird daher als unabhängige Variable behandelt. Weiter wird berechnet, ob und welche Komponenten der „sozialen Unterstützung“ die „psychische Belastung nach der Geburt“ direkt beeinflussen. Daher werden diese drei Grössen ebenfalls als unabhängige Variablen ins Modell aufgenommen. Sämtliche Berechnungen werden für das „Alter der Mutter“, „Alter des Kindes“ und „Bildung der Mutter“ kontrolliert. 42 5 Methode 5 Methode 5.1 Hintergrund der Studie Im Rahmen ihrer Arbeit in der „Fachgruppe PPS“ (postpartale psychische Störungen) haben sich vier Psychologinnen aus dem Verband Aargauischer Psychologinnen vertieft mit dem Thema der postpartalen psychischen Störungen befasst. In dem Zusammenhang haben die praktizierenden Psychologinnen 2004 einen halbstandardisierten Fragebogen zur Postpartalen Depression (PPD) und zu postpartaler psychischer Störungen (PPS) konstruiert. In einer Pilotstudie haben die Psychologinnen mit 31 Frauen ein Interview zum Thema “Positive und schwierige Seiten nach der Geburt“ geführt und dieses 2006 deskriptiv ausgewertet. Die Pilotstudie ergab, dass zum Thema „psychische Störungen nach der Geburt“ bei den jungen Müttern ein erstaunliches Informationsdefizit besteht. Aus diesem Grund beschlossen die vier Psychologinnen, eine zweite Umfrage mit mehr Frauen durchzuführen. Anhand der Resultate aus der Pilotstudie wurde 2008 ein Leitfaden für ein halbstrukturiertes Interview gestaltet (siehe Anhang). Ziel dieser zweiten Erhebung war für die praktizierenden Psychologinnen, mögliche Bedürfnisse und Schwierigkeiten ihrer Klientinnen zu erkennen und entsprechend besser darauf eingehen zu können. 2009 wurden 53 Frauen von insgesamt sechs Interviewerinnen befragt (mit diversen Nachbefragungen 2010). 2011 wurden die Interviews von den Psychologinnen deskriptiv ausgewertet und sollen nun im Rahmen dieser Masterarbeit weiter untersucht werden. 43 5 Methode 5.2 Stichprobe 5.2.1 Rekrutierung der Stichprobe Mit Hilfe von Flyern, die bei Fachpersonen wie Frauenärzten, Kinderärzten, Hebammen und Mütterberaterinnen aufgelegt wurden, konnte die Stichprobe von 53 Frauen rekrutiert werden. Die Mütter haben sich selber gemeldet, um am Interview teilzunehmen. Bei lediglich einem Interview fehlen die für diese Untersuchung relevanten Informationen. Aus diesem Grund wurde dieses Interview nicht berücksichtigt, was zu einer Stichprobe von N = 52 geführt hat. 5.2.2 Beschreibung der Stichprobe Die Frauen der vorliegenden Stichprobe kommen aus der Region Aarau, Schweiz. Zum Zeitpunkt des Interviews betrug das durchschnittliche Alter 31.8 Jahre (SD = 4.9 Jahre, min. 19 Jahre, max. 41 Jahre). Alle 52 Frauen (100 %) waren verheiratet und hatten ein Kind unter einem Jahr. 26 Frauen (50 %) hatten einen Jungen, 25 Frauen (48.1 %) ein Mädchen und eine Mutter (1.9 %) hatte Zwillinge (ein Mädchen und ein Junge) geboren. Das durchschnittliche Alter der Kinder betrug 5.9 Monate (SD = 3.5 Monate, min. 1 Monat, max. 12 Monate). 17 Mütter (32.7 %) hatten ein Kind zwischen 0 und 3 Monaten, 16 (30.8 %) zwischen 4 und 6 Monaten, zehn (19.2 %) zwischen 7 und 9 Monaten und neun (17.3 %) zwischen 10 und 12 Monaten. Für 30 Mütter (57.7 %) war es das erste Kind, 20 Mütter (38.5 %) hatten das zweite Kind geboren und für zwei Mütter (3.8 %) war es das dritte Kind. 44 5 Methode Abbildung 6. Alter der Mütter Die befragten Frauen sind mehrheitlich gut ausgebildet und in kleinen Pensen berufstätig. Neun Frauen verfügen über einen Universitätsabschluss (17.3 %), 18 (34.6 %) haben einen Fachhochschulabschluss vorzuweisen, fünf (9.6 %) geben eine höhere Fachschule als höchsten Bildungsabschluss an, 18 (34.6 %) haben eine 3-4 jährige Lehre absolviert, und zwei (3.8 %) haben eine 1-2 jährige Lehre abgeschlossen. Es gibt keine Frauen ohne abgeschlossene Berufsausbildung in dieser Stichprobe 45 5 Methode Abbildung 7. Bildungsniveau der Mütter 5.3 Studiendesign 5.3.1 Durchführung der Studie Die Daten für die Studie wurden von sechs verschiedenen Psychologinnen in Form eines halbstrukturierten Interviews erhoben. Die Interviewerinnen haben offene Fragen gestellt und die Antworten dann im vorhandenen Fragebogen festgehalten. Die erhobenen Informationen geben Auskunft über demografische Daten der Eltern, Kinder und Geschwisterkinder. Zudem wurde die allgemeine Zufriedenheit der Mutter erfasst, sowie nach Belastungen und Ressourcen gefragt. Weitere Fragen betrafen die psychische Befindlichkeit der Mutter. Es wurde ausserdem erhoben, wie gut die an der Studie teilnehmenden Frauen durch Fachpersonal über mögliche postpartale psychische Störungen informiert wurden. 46 5 Methode 5.3.2 Messzeitpunkte Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine quasi Längsschnittstudie. Die Teilnehmerinnen wurden zwar zu einem einzigen Zeitpunkt befragt, doch die Fragen beziehen sich auf verschiedene Zeitpunkte oder Zeitspannen im Leben der Frauen. Es sind Daten über die Zeit vor und während der Schwangerschaft, die ersten drei Monate nach der Geburt und die aktuelle Situation erhoben worden. Die Frauen gaben somit retrospektiv Antwort über ihre Befindlichkeit. Je nach aktuellem Alter des Kindes lagen die von der Mutter zu beschreibenden Informationen mehr oder weniger weit in der Vergangenheit zurück. In der vorliegenden Arbeit werden nur zwei Zeitspannen berücksichtigt, nämlich die Zeit vor der Geburt (t1), die das Leben vor der Schwangerschaft und die Schwangerschaft selber zusammenfasst, sowie die ersten drei Monate nach der Geburt (t2). 5.4 Instrumente Im von den Psychologinnen zusammengestellten Interview wurden keine etablierten Skalen verwendet, sondern die Befragung hatte eher konsultativen und explorativen Charakter. Obschon Fragen zu „psychischen Störungen“ gestellt und diese im Interview auch als solche benannt wurden, haben diese erhaltenen Informationen keinerlei diagnostische Qualität im Sinne einer sorgfältigen Anamnese. Um eine psychische Störung diagnostizieren und in ihrer Ausprägung differenziert beurteilen zu können, wären klinisch etablierte Diagnoseinstrumente unerlässlich. 5.4.1 Datengewinnung zu „Psychische Probleme vor der Geburt“ Die Teilnehmerinnen wurden unter dem Titel „Häufigste psychische Störungen bei Müttern“ wiederum offen nach ihrem psychischen Befinden befragt. Zeitlich wurde zwischen „früher im Leben“ (ta), „nach einer allfälligen voran- 47 5 Methode gegangenen Geburt“ (tb), „während der Schwangerschaft“ (tc) „in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ (td) und „aktuell“ (te) unterschieden. Die genannten Antworten wurden von den Interviewerinnen dann in folgende Kategorien eingeteilt: Schlafstörungen, Erschöpfungssyndrom, depressive Episoden, Angststörungen, Belastungsstörungen und Anpassungsstörungen, Zwangsstörungen, somatoforme Schmerzstörungen, Ess-Störungen, Suchtstörungen, Depersonalisation/Derealisation und psychotische Störungen. Mehrfachnennungen waren selbstverständlich möglich (siehe Anhang, Interview Frage 14). 5.4.2 Datengewinnung zu „Psychische Belastung nach der Geburt“ Um die psychische Verfassung der Frauen während der ersten drei Monate nach der Geburt zu erfassen, haben die Psychologinnen eine Checkliste für Fachleute im medizinischen/psychosozialen Bereich zur Feststellung von postpartalen psychischen Störungen/Problemen - Leitfaden für ein Gespräch mit Frauen in den ersten 3 Monaten nach der Geburt (siehe Anhang) verwendet. Die Psychologinnen haben in ihrer Arbeitsgruppe diese Checkliste eigens für das in der Untersuchung verwendete Interview entwickelt. Die Checkliste besteht aus drei Subskalen, welche den „emotionalen“ und den „körperlichen“ Bereich, sowie „Verhalten und Kontakte“ erfasst. Es handelt sich dabei um eine 4-stufige Skala, die aufsteigend zwischen „nicht“, “kaum“, „mittel“ und „stark“ unterscheidet. 5.4.3 Datengewinnung zu „Schlafzufriedenheit in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ Im für die Untersuchung verwendeten Interview ist an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichem Zusammenhang von Schlaf die Rede. Durch die offene Frageweise haben Frauen in unterschiedlichen Kontexten von Schlafproblemen berichtet, haben aber auch Schlaf als wichtige Ressource genannt und immer wieder das Bedürfnis nach mehr Schlaf geäussert. Um die Schlafzufriedenheit der Frauen in den ersten drei Monaten nach der Geburt jedoch genauer quantifizieren zu können, wurde zur Skalenbildung 48 5 Methode eine Frage ausgewählt, in der alle Frauen konkret zu Schlafproblemen befragt wurden. Die zum Thema Schlaf erhobenen Daten aus der Checkliste für Fachleute im medizinischen/psychosozialen Bereich zur Feststellung von postpartalen psychischen Störungen/Problemen - Leitfaden für ein Gespräch mit Frauen in den ersten 3 Monaten nach der Geburt (siehe Anhang) dienten als Grundlage zur Skalenbildung. Die Frauen haben in einer 4-stufigen Skala ihre körperliche Befindlichkeit während der ersten drei Monate nach der Geburt eingeschätzt. Der Wert 0 bedeutet „nie“, 1 entspricht „kaum“, 2 „mittel“ und 3 „stark“. Die verwendeten Fragen decken folgende Bereiche ab: 1. „Müdigkeit, Erschöpfung“, 2. „Schlafstörungen“ (Ein- und Durchschlafstörungen), 3. „Schlafmangel“, 4. „Unstillbarer Schlafdrang“. 5.4.4 Datengewinnung zu „Soziale Unterstützung“ Der Bereich der „sozialen Unterstützung“ stellt das komplexeste Konstrukt im Modell dar. Wie im Theorieteil beschrieben umfasst „soziale Unterstützung“ ganz unterschiedliche Komponenten, die je nach Studie auch verschieden gewichtet werden. Es sollen im folgenden diejenigen erläutert werden, welchen aus den theoretischen Erkenntnissen Bedeutung beizumessen sind. Soziale Vernetzung Im offenen Interview, welches der Arbeit zugrunde liegt, wurde das Konstrukt der sozialen Vernetzung in verschiedenem Zusammenhang thematisiert. Dafür sind unter dem Stichwort „Ressourcen“ (siehe Anhang, Interview, Frage 10) ganz unterschiedliche Aspekte erfragt worden. Diese geben Auskunft darüber, wie viele Personen aus dem persönlichen oder auch fachlichinstitutionellen Umfeld der Frau in irgendeiner Form zur Seite stehen. Es wurden konkrete Personen aufgezählt (Partner, Schwester, Freundin, etc.) die den Frauen in verschiedenen Bereichen Hilfestellungen und Unterstützung bieten. Sie sind für die Frauen beispielsweise Gesprächspartner für intimste Probleme oder ermöglichen ihr als Babysitter, einige Stunden Urlaub von der Mutterschaft. 49 5 Methode Alltagsunterstützung Es wurde ausserdem nach konkreten Entlastungen im Haushalt gefragt (siehe Anhang, Interview, Frage 10). Die Frauen gaben Auskunft, in welchen Tätigkeiten sie im Haushalt unterstützt werden. Partnerunterstützung Im Interview wurde an verschiedenen Stellen nach der Unterstützung des Partners gefragt; sei es für Gespräche, konkrete Hilfestellungen oder bezüglich der Pflege des Kindes. Ferner wurde die Paarzufriedenheit angesprochen, indem gefragt wurde, wie häufig das Paar Aktivitäten zu zweit ohne das Baby durchführt. 5.5 Skalenbildung In der Erhebung wurden Daten, wie unter 5.3.1 beschrieben, zu verschiedenen Zeitpunkte und Zeitspannen erfragt. Für die Beantwortung meiner Fragestellung sind jedoch nur die Zeit vor der Geburt (t1) und die ersten drei Monate nach der Geburt (t2) relevant. Daher konnte keine Skala so aus dem Fragebogen übernommen werden. Vielmehr mussten die Skalen selber konstruiert werden, was im folgenden erläutert werden soll. 5.5.1 Skalenbildung der UV: „Psychische Probleme vor der Geburt“ Grundlage für die Bildung der unabhängigen Variable stellen die unter 5.4.1 beschriebenen Daten über die psychischen Probleme der Mutter früher im Leben dar. Um die Unterscheidung zwischen der Situation vor der Geburt (t1) und nach der Geburt (t2) darstellen zu können, wurden die im Interview erhobenen Informationen zu psychischen Störungen „früher im Leben“ (ta), „nach einer allfälligen vorangegangenen Geburt“ (tb), „während der letzten Schwangerschaft“ (tc) zu einem einzigen Zeitpunkt „vor der Geburt“ (t1) zusammengefasst. 50 5 Methode Wenn von einer psychischen Störung zu mindestens einem Zeitpunkt (ta), (tb) oder (tc) berichtet wurde, ist dies als „psychisches Problem früher im Leben“ gewertet worden. Daraus ergeben sich 12 dichotome Variablen, die zwischen „Störung“ und „keine Störung“ unterscheiden. Unter „Störung“ ist aber wie weiter oben bereits erwähnt, nicht eine klinisch-diagnostisch erhobene Störung zu verstehen, sondern der Begriff „Störung“ bezieht sich auf den Wortlaut der Frage (siehe Anhang, Interview, Frage 14) und ist als ein „psychisches Problem“ zu verstehen. Aus diesen 12 dichotomen Variablen wurde der Summenscore gebildet. Die erhaltenen Werte bewegen sich zwischen 0 (an keiner Störung gelitten) und 7 (von 7 Störungen in der Vergangenheit berichtet). Für die endgültige unabhängige Variable wurde eine 4-stufige Skala gebildet. Es wird aufsteigend zwischen 0 (noch nie eine Störung) bis 3 (an 3 und mehr Störungen gelitten) unterschieden. 5.5.2 Skalenbildung der AV: „Psychische Belastung nach der Geburt“ Aus der unter 5.4.2 beschriebenen Checkliste für Fachleute im medizinischen/psychosozialen Bereich zur Feststellung von postpartalen psychischen Störungen/Problemen - Leitfaden für ein Gespräch mit Frauen in den ersten 3 Monaten nach der Geburt wurden für die Bildung der abhängigen Variable die Subskalen „emotionaler Bereich“ mit 15 Items, sowie „Verhalten und Kontakte“ mit 10 Items verwendet (siehe Anhang, Checkliste). Um den Wert der abhängigen Variable im Modell zu berechnen, wurden die Mittelwerte der beiden Subskalen verwendet. Diese Werte wurden addiert und man bestimmte wiederum den Mittelwert davon. 5.5.3 Skalenbildung der Variable „Schlafzufriedenheit in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ Um die subjektive Zufriedenheit mit dem Schlaf der befragten Müttern in den ersten drei Monaten nach der Geburt quantifizieren zu können, wurden aus der Checkliste für Fachleute im medizinischen/psychosozialen Bereich zur 51 5 Methode Feststellung von postpartalen psychischen Störungen/Problemen - Leitfaden für ein Gespräch mit Frauen in den ersten 3 Monaten nach der Geburt vier Items aus der Subskala „körperlicher Bereich“ verwendet (Siehe Anhang, Checkliste). All diese Items erfassen die von den Müttern subjektiv empfundenen Schlafprobleme in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Es wird in einer 4-stufigen Skala zwischen 0 = „keine Belastung“ bis 3 = „starke Belastung“ differenziert. Für die Bildung der Variable „Schlafzufriedenheit“ wurde aus den vier Items der Mittelwert bestimmt. Um die Zufriedenheit der Mütter mit ihrem Schlaf im Modell als Ressource und nicht als Belastung darstellen zu können, musste die Variable umgepolt werden, sodass der Wert 0 „gar nicht zufrieden mit dem Schlaf“ bedeutet und unter dem Wert 3 „sehr zufrieden mit dem Schlaf“ zu verstehen ist. 5.5.4 Skalenbildung der Variablen „Soziale Unterstützung in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ Um die Skala für die „soziale Unterstützung“ zu generieren, orientiert sich die angewandte Vorgehensweise an der Definition sozialer Unterstützung von Leahy-Warran und Kollegen (2012). Sie bezeichnen in ihrer Studie soziale Unterstützung als vielschichtiges Konstrukt, welches das Vorhandensein von sozialen Strukturen und Funktionen voraussetzt, emotionale Beteiligung, praktische Hilfe, Information sowie Wertschätzung für das Gegenüber mit einschliesst. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Konstrukts wurde auf eine einzige Variable, welche „soziale Unterstützung“ als Ganzes abbilden soll, verzichtet. Dies geschah zugunsten von vier verschiedenen Skalen, welche jeweils Teilbereiche des Konstrukts einzeln repräsentieren. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine differenziertere Beurteilung des Sachverhaltes. 52 5 Methode Es werden folgende Skalen verwendet: Variable „Partnerunterstützung“ Es wurde erhoben (siehe Anhang, Interview, Fragen 10a, 10b, 10c), welche Personen, sei es Partner, Freundin, Nachbarin oder auch Fachperson, der Frau in verschiedenen Bereichen hilfreich zur Seite stehen. Zur Bildung der Variable „Partnerunterstützung“ wurden die Nennungen „Partner“ ausgezählt und ein Summenscore daraus gebildet. Es ist dabei eine Skala von 0 -3 entstanden, 0 bedeutet, der Partner unterstützt in keinem Bereich, 3 heisst, der Partner unterstützt in allen 3 möglichen Bereichen. Variable „Paaraktivität“ Aus den Informationen (siehe Anhang, Interview, Frage 10i) wurde ebenfalls eine Skala von 0 - 3 konstruiert. Diese Variable gibt Auskunft, wie häufig ein Paar zusammen ohne das Kind etwas unternimmt. Der Wert 0 entspricht „noch nie“, der Wert 1 „mindestens 1 Mal in 3 Monaten“, der Wert 2 „mindestens 1 Mal pro Monat“, der Wert 3 „mindestens 1 Mal pro Woche“. Variable „soziale Vernetzung“ Zur sozialen Vernetzung der Frauen (siehe Anhang, Interview, Fragen 10a, 10b, 10c) wurden die Summenscores der von der Frau genannten unterstützenden Personen gebildet. Allerdings wurde der Partner ausgenommen, da dieser in der eigenen Variable „Partnerunterstützung“ erscheint. Daraus wurde eine Skala von 0 bis 3 berechnet, wobei 0 „keine Person“ steht und der Wert 3 „3 oder mehr Personen“, bedeutet. Variable „Unterstützung im Haushalt“ Zur Variablenbildung wurden die verschiedenen Hilfen als Grundlage genommen, die eine Frau in ihren häuslichen Tätigkeiten erhält (siehe Anhang, Interview, Frage 10i). Es wurde der Summenscore berechnet und daraus eine Skala von 0-3 gebildet, wobei 0 „keine Unterstützung“ bedeutet und der Wert 3 für „3 oder mehr Bereiche mit Unterstützung“ steht. 53 5 Methode Skalenbildung der Kontrollvariablen KV1: Diese lineare Variable gibt das Alter der Mutter in Jahren an. KV2: In dieser linearen Kontrollvariable wird Bildung der Mutter in einer Skala mit fünf Stufen dargestellt. Der höchste Bildungsabschuss wird wie folgt bezeichnet: 0 = „Lehre 1 - 2 Jahre“, 1 = „Lehre 3 - 4 Jahre“, 2 = „Höhere Fachschule“, 3 = „Fachhochschule“, 4 = „Universität“.) KV3: Das Alter des Kindes wird in Monaten ausgewiesen. 5.6 Statistische Verfahren Es werden an der Stelle lediglich die statistischen Verfahren beschrieben, die für die Berechnung der Hauptergebnisse angewendet wurden. In einem ersten Schritt wurden alle beteiligten Variablen, also UV, AV, mögliche Moderatorvariablen sowie die Kontrollvariablen einer Pearson Korrelation unterzogen, um erste signifikante Zusammenhänge zwischen den Variablen beschreiben zu können. Alle weitere Berechnungen wurden im GZLM vorgenommen, sei es für die Berechnung der unbedingten Haupteffekte zwischen der UV und der AV sowie auch für die beteiligten Interaktionen. Für die Verifizierung der Hypothese 1 wurde im GZLM berechnet, ob die psychischen Probleme früher im Leben einen signifikanten Prädiktor für die psychische Belastung nach der Geburt darstellen. Es wurden nur UV und AV, sowie die Kontrollvariablen in die Berechnungen aufgenommen Zur Verifizierung der Hypothese 2 wurde die Variable „Schlafzufriedenheit in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ ebenfalls ins Modell aufgenommen. In einem ersten Schritt wurden die unbedingten Haupteffekte der UV und der Schlafvariable auf die AV berechnet. Letztlich wurde im Interaktionsmodell überprüft, ob die Variable „Schlafzufriedenheit in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ und die UV „Psychische Probleme früher“ in Wechselwirkung stehen und die Variable „Schlafzufriedenheit“ entsprechend als Moderator im Modell wirkt. 54 5 Methode Für die Überprüfung der Hypothese 3 wurden die beiden Variablen zur Partnerschaft, nämlich „Paaraktivität“ und „Partnerunterstützung“, ins GZLM aufgenommen und ebenfalls zuerst auf die unbedingten Haupteffekte auf die AV untersucht. Dann wurde im Interaktionsmodell berechnet, ob die beiden Paarvariablen den Zusammenhang zwischen UV und AV moderieren. Um die Hypothese 4 annehmen oder verwerfen zu können, wurden die Variablen zur sozialen Unterstützung ausserhalb der Partnerschaft, nämlich „soziale Vernetzung“ und „Haushaltunterstützung“ im GZLM auf ihre unbedingten Haupteffekte auf die AV untersucht. Zudem wurde überprüft, ob die beiden Variablen in Interaktion mit der UV stehen. 55 6 Ergebnisse 6 Ergebnisse Im vorliegenden Ergebnisteil werden die Resultate auf verschiedenen Ebenen dargestellt. In einem ersten Teil wird die Stichprobe als Ganzes deskriptiv beschrieben. Danach werden die Interkorrelationen zwischen den verschiedenen im Modell beteiligten Variablen gezeigt. In einem weiteren Schritt geht es darum, die Resultate aus dem GZLM zu erläutern. Zuerst wird der Zusammenhang zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variable aufgezeigt, indem die unbedingten Haupteffekte dargelegt werden. Im folgenden sollen die Variablen „Schlafzufriedenheit “ und „soziale Unterstützung“ in die Berechnungen einfliessen. Allerdings werden vorerst die unbedingten Haupteffekte dieser beiden Variablen im Bezug auf die abhängige Variable beschrieben. Erst im letzen Schritt werden die im GZLM gerechneten Interaktionen zwischen den einzelnen möglichen Moderatorvariablen und der unabhängigen Variable beschrieben und grafisch dargestellt. 6.1 Deskriptive Ergebnisse der Stichprobe Für die unabhängige Variable „Psychische Probleme früher im Leben“ liegen in der Stichprobe folgende Resultate vor. Der Mittelwert der Skala liegt bei 1,5 (Min. = 0, Max. = 3, SE = 1,2). 17 Frauen (32.7 %) berichten über keinerlei psychische Befindlichkeitsbeeinträchtigungen früher im Leben, neun (17.3 %) geben eine Störung an, 11 (21 %) sprechen von zwei Beeinträchtigungen und 15 (28.8 %) geben drei oder mehr Probleme an. 56 6 Ergebnisse Abbildung 8. Psychische Probleme der Mütter früher im Leben (Anzahl Probleme) Bezüglich der abhängigen Variable „Psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ liegt in der Stichprobe ein Mittelwert von 0.95 vor (Min. = 0.23, Max. = 2,32., SE = 0.47). Abbildung 9. Psychische Belastung in den ersten 3 Monaten nach der Geburt 57 6 Ergebnisse Betrachtet man die Variable, „Schlafzufriedenheit“ als Ressource, und nicht wie ursprünglich im Fragebogen erhoben als Belastung, zeigt sich folgendes Bild. Das Minimum liegt bei 0, also „überhaupt nicht zufrieden mit dem Schlaf“, der maximale genannte Wert ist 3, also „sehr zufrieden mit dem Schlaf“. Der Mittelwert über die gesamte Stichprobe liegt bei 1.5 (SE = 0.92). Abbildung 10. Schlafzufriedenheit der Mütter 3 Monate nach der Geburt Die Variablen, die im Modell die soziale Unterstützung abbilden, fordern eine differenziertere Betrachtung. In der vorliegenden Arbeit wurde jede dieser Variablen einzeln untersucht. Betrachtet man die Variable „Partnerunterstützung“ zeigt sich ein Mittelwert von 2.40 (SE = 0.66). Keine der Frauen gibt den Wert 0, also „keine Unterstützung“ an, lediglich fünf Frauen (9,6 %) nennen den Wert 1 an, 21 (40.4 %) den Wert 2 und genau die Hälfte (50 %) der Frauen gibt den maximalen Wert 3 an. 58 6 Ergebnisse Abbildung 11. Partnerunterstützung in den ersten 3 Monaten nach der Geburt Die Variable „Paaraktivität“ zeigt deutlich geringere Ausprägungen. Der Mittelwert beträgt 1.08 (SE = 0.95). 20 Frauen (38.5 %) haben noch gar nie etwas mit dem Partner ohne Baby unternommen, 18 Frauen (34.6 %) berichten von einem Mal in drei Monaten, 11 (21.2 %) von ein Mal pro Monat und nur drei Frauen (5.8%) geben an, im Durchschnitt jede Woche einmal mit dem Partner etwas alleine zu unternehmen. 59 6 Ergebnisse Abbildung 12. Häufigkeit der Paaraktivität ohne Baby Die Variable „soziale Vernetzung“, bildet ab, wie viele Personen ausser dem Partner die Frauen in unterschiedlichen Bereichen wie als Gesprächspartner, zur Gestaltung der Freizeit oder als Babysitter unterstützen. Es zeigt sich hier ein Mittelwert von 1.33 (Min = 0.33, Max = 2.33, SE = 0.56). Abbildung 13. Soziale Vernetzung 60 6 Ergebnisse Die Variable „Unterstützung im Haushalt“ präsentiert sich wie folgt. Der Mittelwert beträgt 2.13 (SE = 0.99). Vier Frauen (7.7 %) erhalten keine Hilfe, zehn Frauen (19.2 %) bekommen in einem Bereich des Haushalts Entlastung, 13 (25 %) in zwei Bereichen und 25 (48.1%) in drei oder mehr Bereichen. Abbildung 14. Unterstützung im Haushalt in den ersten 3 Monaten nach der Geburt 6.2 Bivariate Korrelationen Sämtliche im Modell beteiligten Variablen wurden auf ihre wechselseitigen Korrelationen nach Pearson untersucht. In der folgenden Darstellung werden erst alle signifikanten Korrelationen der UV mit anderen Variablen aufgezeigt, dann die Korrelationen der AV mit anderen Variablen beschrieben. Auf der nächsten Ebene folgen diejenigen der allfälligen Moderatorvariablen und anderen Variablen und im letzten Abschnitt noch die Korrelationen der Kontrollvariablen untereinander. Da es sich um wechselseitige Korrelationen handelt, begnügt man sich an der Stelle, diese nur einmal zu nennen. 61 6 Ergebnisse 62 Bivariate Korrelationen Tabelle 1: Interkorrelationen aller im Modell beteiligter Variablen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1 *.277 -.165 .087 .079 .033* .061 -.054 .007 -.019 *.277 1 -.064** .199 -.027 -.032 -.273* .-155 -.224 .167 -.165 -.064** 1 -.152 -.082 -.179 .227 .198 .285* -.159 4 Paaraktivität .087 .199 -.152 1 -.237 .086 .031 .182 -.120 .218 5 Partnerunterstüt- .079 -.027 -.082 -.237 1 -.105 .065 -.177 -.088 -.209 .033* -.032 -.179 .086 -.105 1 .065 .025 -.066 .890 .061 -273* .227 .031 .065 .025 1 .148 .374** -.188 8 Alter der Mutter -.054 -.155 .198 .182 -.177 .025 .148 1 .187 -.057 9 Bildung der Mutter .007 -.224 .285* -.120 -.088 -.066 .374** .187 1 -.420* 10 Alter des Kindes -.019 .167 -.159 .218 -.209 .890 -.188 -.057 -.420* 1 1 Psychische Probleme früher 2 Psychische Belastung nach Geburt 3 Schlafzufriedenheit zung 6 Soziale Vernetzung 7 Unterstützung im Haushalt Anmerkung: 2-seitige Korrelation (N = 52), *p < .05, **p < .001 6.2.1 Korrelationen zwischen früheren psychischen Problemen und anderen beteiligten Variablen Die psychischen Probleme früher im Leben weisen eine lediglich geringe positive Korrelation (r = .277, p <.05) mit der psychischen Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt auf. Die psychischen Probleme der Vergangenheit korrelieren positiv mit der sozialen Vernetzung der Frauen in den ersten drei Monaten nach der Geburt (r = .330, p < .05). Je zahlreicher die psychischen Probleme früher im Leben waren, desto besser ist die Frau nach der Geburt in einem sozialen Netz von unterstützenden Personen eingebunden. 6 Ergebnisse 6.2.2 Korrelationen zwischen der psychischen Belastung nach der Geburt und anderen beteiligten Variablen Die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt zeigt einen deutlichen negativen Zusammenhang mit der Schlafzufriedenheit der Frau (r = -.604, p< .001). Die negative Korrelation begründet sich mit der unterschiedlichen Polung der Variablen. So hat die Zufriedenheit mit dem Schlaf eine günstige Auswirkung auf die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Ausserdem kann ein negativer Zusammenhang, wieder aufgrund der unterschiedlichen Polung der Variablen, zwischen der „Unterstützung im Haushalt“ und der „psychischen Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ festgestellt werden (p = - .273, p < .05). Je mehr Unterstützung die Frauen im Haushalt nach der Geburt erhalten, desto kleiner ist ihre psychische Belastung. Alle anderen untersuchten Variablen haben keinen signifikanten Zusammenhang mit der „psychischen Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt“ gezeigt. 6.2.3 Korrelationen zwischen Schlafzufriedenheit und den anderen beteiligten Variablen Neben den bereits genannten Korrelationen zwischen der Schlafvariable und anderen Variablen zeigt sich lediglich ein weiterer Zusammenhang zwischen der Schlafzufriedenheit der Mutter und ihrem Bildungsniveau (r = .285, p < .05). Je besser eine Frau ausgebildet ist, desto zufriedener ist sie mit ihrem Schlaf. 6.2.4 Korrelation zwischen sozialer Unterstützung und anderen beteiligten Variablen Aus dem Bereich der sozialen Unterstützung ist neben den bereits beschriebenen Korrelationen nur noch ein Zusammenhang signifikant. Es zeigt sich 63 6 Ergebnisse nämlich eine positive Korrelation (r= .374, p < .001) zwischen der Unterstützung, die eine Frau im Haushalt erhält, und ihrer Bildung. Je höher das Bildungsniveau der Mutter, desto mehr Unterstützung erhält sie im Haushalt. Alle anderen beteiligten Variablen, namentlich die beiden, welche die Partnerschaftskomponente abbilden, zeigen erstaunlicherweise keine signifikanten Werte. 6.2.5 Korrelationen zwischen den Kontrollvariablen und anderen beteiligten Variablen Neben den oben erwähnten Zusammenhängen zwischen Kontrollvariablen und anderen im Modell beteiligten Variablen bleibt eine letzte signifikante Korrelation zu nennen. Das Alter des Kindes in Monaten scheint negativ mit der Bildung der Mutter zusammenzuhängen (r = .402, p < .001). Je höher der Bildungsstand der Mutter, desto jünger war das Kind zum Zeitpunkt des Interviews. Das Alter der Mutter steht hingegen mit keiner anderen im Modell beteiligten Variable in signifikantem Zusammenhang. 6.3 Unbedingte Haupteffekte im Modell 6.3.1 Unbedingte Haupteffekte der Psychischen Probleme vor der Geburt auf die psychischen Probleme nach der Geburt Betrachtet man die Auswirkungen der psychischen Probleme vor der Geburt auf die psychische Belastung der Mutter in den ersten drei Monaten nach der Geburt, ergibt sich folgendes Bild: Die von den Müttern berichteten psychischen Probleme in der Vergangenheit sind ein signifikanter Prädiktor für die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt (Wald χ2 (52) = 4.569; B = 0.106; p < .05, ω = 0.30). Es handelt sich dabei um eine mittlere Effektstärke. Keine der im Modell aufgenommenen Kontrollvariablen zeigt einen signifikanten Wert. Weder das Alter der Mutter, noch ihr Bildungsstand sind in dem Zusammenhang von Bedeutung. Das Alter des Kindes zur Zeit der Befra- 64 6 Ergebnisse 65 gung beeinflusst den untersuchten Zusammenhang zwischen Problemen vor und nach der Geburt nicht. Tabelle 2: Parameter der Haupteffekte der Probleme früher im Leben auf die Belastung nach der Geburt B Wald χ2 p Konstante 0.182 7.20 .007 Psychische Probleme früher 0.106 4.57 .033 ω 0.30 Anmerkung. N = 52 6.3.2 Unbedingte Haupteffekte aller beteiligter Variablen Werden alle im Modell beteiligten Variablen als unabhängige Variablen im Bezug auf die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt betrachtet, entsteht ein differenzierteres Bild. Bei allen Berechnungen wurden wiederum das Alter von Mutter und Kind, sowie für der Bildungsstand der Mutter als Kontrollvariablen ins Modell aufgenommen. Die psychischen Probleme vor der Geburt behalten ihren signifikanten Einfluss auf die Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt (Wald χ2 (52) = 5.704; B = .100; p < .05; ω = 0.33) und weisen eine mittlere Effektstärke auf. Die Schlafzufriedenheit ist ebenfalls ein signifikanter Prädiktor für die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt (Wald χ2 = 24.357; B = -0.286; p < .001, ω = 0.68). Die Schlafzufriedenheit hat also einen starken Einfluss auf die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Das Signifikanzniveau nur knapp verpasst hat die Einbettung der Frau in ein soziales Netz (Wald χ2 (52) = 3.430; B = -0.178; p = .064). Alle anderen Aspekte der sozialen Unterstützung zeigen keine signifikante Auswirkung auf das psychische Befinden nach der Geburt. Weder die Hilfe, welche die Frau in ihren häuslichen Tätigkeiten erfährt, noch die Unterstützung des Partners oder die Aktivitäten, die das Paar ohne Baby unternimmt, 6 Ergebnisse 66 sagen etwas über die psychische Situation der Frauen in den ersten drei Monaten nach der Geburt voraus. Die Kontrollvariablen weisen ebenfalls keine signifikanten Werte auf. Tabelle 3: Parameter der Haupteffekte auf die psychische Belastung nach der Geburt B Wald χ2 p Konstante 1.49 12.87 .000 Psychische Probleme früher 0.10 5.70 .017 0.33 Schlafzufriedenheit - 0.30 24.36 .000 0.68 Partnerunterstützung - 0.03 0.102 .749 Aktivitäten als Paar 0.05 0.83 .363 Soziale Vernetzung - 0.18 3.43 .064 Unterstützung im Haushalt - 0.05 0.95 .331 ω Anmerkung. N = 52 6.4 Interaktionen im Modell 6.4.1 Interaktion zwischen „Schlafzufriedenheit“ und „psychischen Problemen früher“ Tabelle 4: Parameter zur Interaktion mit dem Schlaf in Bezug auf die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt B Wald χ2 p Konstante 1.37 13.17 .000 Psychische Probleme früher 0.05 0.346 .556 -0.31 10.989 .001 0.02 0.107 .774 Schlafzufriedenheit Interaktion ω 0.46 Anmerkung. N = 52 Die Analysen haben gezeigt, dass die psychischen Probleme früher im Leben im Wechselwirkungsmodell seine signifikante Bedeutung für die Bela- 6 Ergebnisse 67 stungen nach der Geburt verlieren (Wald χ2 (52) = 0.346; B = 0.05; p= 0.556). Auch die Interaktion zwischen der Schlafzufriedenheit und den psychischen Problemen früher im Leben ist nicht signifikant (Wald χ2 (52) = 0.107; B = 0.02; p = 0.774). Der einzige signifikante Effekt des Modells stellt der unbedingte Haupteffekt der Schlafzufriedenheit auf die psychische Belastung nach der Geburt dar (Wald χ2 = 10.989; B = - 0.31; p = 0.001; ω = 0.46). Die Schlafzufriedenheit stellt im Modell also keinen Moderator dar, sondern sie hat einen mittleren unbedingten Haupteffekt auf die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. 6.4.2 Interaktion zwischen Paaraktivität und psychischen Problemen früher Tabelle 5: Parameter zur Interaktion mit der Paaraktivität in Bezug auf die psychischen Probleme in den ersten drei Monaten nach der Geburt B χ2 p Konstante 0.951 4.32 .038 Psychische Probleme früher 0.166 4.833 .028 Paaraktivität 0.132 2.410 .143 -0.059 1.237 .266 Interaktion ω Anmerkung. N = 52 Beleuchtet man im GZLM die Interaktion zwischen der Paaraktivität ohne Kind mit den psychischen Problemen früher im Leben, so bleibt der unbedingte Haupteffekt der psychischen Probleme früher auf psychische Verfassung nach der Geburt bestehen. Die psychischen Probleme früher im Leben sind ein signifikanter Prädiktor für die psychische Belastung nach der Geburt (Wald χ2 (52) = 4.833; B = 0.17; p > 0.05, ω = 0.30). Es handelt sich dabei um eine mittlere Effektstärke. 6 Ergebnisse 68 6.4.3 Interaktion zwischen Partnerunterstützung und psychischen Problemen früher Tabelle 6: Parameter zur Interaktion mit der Partnerunterstützung in Bezug auf die psychischen Probleme in den ersten 3 Monaten nach der Geburt B χ2 p Konstante 1.13 6.32 .012 Psychische Probleme früher 0.028 0.023 .880 -0.071 0.253 .615 0.034 0.202 .653 Partnerunterstützung Interaktion ω Anmerkung. N = 52 Betrachtet man dieses Interaktionsmodell, stellt sich heraus, dass keine der beteiligten Variablen einen signifikanten Einfluss auf die abhängige Variable aufweisen. Weder die unbedingten Haupteffekte der psychischen Problemen früher oder der Partnerunterstützung, noch die Interaktion zwischen den beiden Variablen weisen einen Wert im signifikanten Bereich auf. 6.4.4 Interaktion der sozialen Vernetzung mit den psychischen Problemen früher Tabelle 7: Parameter zur Interaktion mit der sozialen Vernetzung in Bezug auf die psychischen Probleme in den ersten drei Monaten nach der Geburt B Wald χ2 p 1.84 12.29 .000 Psychische Probleme früher - 0.11 0.680 .409 Soziale Vernetzung - 0.38 4.91 .027 0.17 3.784 .052 Konstante Interaktion Anmerkung. N= 52 ω 0.31 6 Ergebnisse 70 6.4.5 Interaktion der „Unterstützung im Haushalt“ mit den „psychischen Problemen früher im Leben“ Tabelle 8: Parameter zur Interaktion mit der Unterstützung im Haushalt in Bezug auf die psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt B χ2 p Konstante 1.299 7.081 .008 Psychische Probleme früher 0.153 1.623 .203 Unterstützung im Haushalt - 0.089 0.842 .646 Interaktion - 0.019 0.143 .705 ω Anmerkung. N = 52 Wird die Unterstützung im Haushalt mit den psychischen Problemen früher im Leben im Interaktionsmodell betrachtet, verlieren sämtliche beteiligten Variablen ihre bedingten Haupteffekte. Eine signifikante Wechselwirkungen zwischen den beiden Variablen kann nicht nachgewiesen werden. 6.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Es werden im folgenden sämtliche signifikanten Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst. Die Resultate werden ohne Bezug auf die Hypothesen dargelegt. - Je mehr psychische Probleme die Frauen früher im Leben hatten, desto grösser beschreiben sie ihre psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt. - Je grösser die Schlafzufriedenheit der Frauen in den ersten drei Monaten nach der Geburt ist, desto weniger fühlen sie sich während dieser Zeit psychisch belastet. 6 Ergebnisse - Je mehr Unterstützung die jungen Mütter im Haushalt in den ersten drei Monaten nach der Geburt erfahren, desto geringer ist ihre psychische Belastung. - Je besser eine Frau ausgebildet ist, desto zufriedener ist sie mit ihrem Schlaf. - Je höher der Bildungsstand der Mutter, desto mehr Unterstützung erhält sie in ihren häuslichen Tätigkeiten. - Je höher das mütterliche Bildungsniveau, desto jünger war ihr Kind zur Zeit des Interviews. - Die psychischen Probleme früher im Leben haben einen mittleren Effekt auf die psychische Belastung drei Monate nach der Geburt. - Die Schlafzufriedenheit in den ersten drei Monaten nach der Geburt hat einen starken Effekt auf die psychische Belastung in dieser Zeit. - Die soziale Vernetzung der Frau hat einen mittleren Effekt auf ihre psychische Belastung in den ersten drei Monaten nach der Geburt, wenn die psychischen Probleme früher und die soziale Vernetzung im Bezug auf die psychische Belastung nach der Geburt berücksichtigt werden. Je besser die Frau vernetzt ist, desto geringer schätzt sie ihre psychische Belastung ein. - Die soziale Vernetzung steht auf folgende Weise in Wechselwirkung mit den psychischen Problemen vor der Geburt: Wer bereits vor der Geburt wenig Probleme hatte und zudem gut vernetzt ist, kann die psychische Belastung nach der Geburt verringern. Bei wenig vernetzten oder psychisch belasteten Personen verbessert sich ihre psychische Situation trotz eines vorhandenen sozialen Netzes nicht. 71 7 Diskussion 7 Diskussion Im letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit werden die Hauptergebnisse des empirischen Teils zusammengefasst und aufgrund dessen die Hypothesen angenommen oder abgelehnt. Darauf werden die angewandten Methoden kritisch beleuchtet, die Ergebnisse diskutiert und ihre Generalisierbarkeit erläutert. Es werden dann die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung mit den Erkenntnissen anderer Studien verglichen. Letztlich sollen die aus den Daten gewonnenen Erkenntnisse auf ihre Bedeutung für die Praxis diskutiert werden. 7.1 Diskussion der Resultate in Bezug auf die Hypothesen Die Hypothesen, welche aufgrund theoretischer Erkenntnisse unter 4.3. zur Beantwortung der Forschungsfragen formuliert wurden, können nun anhand der erarbeiteten empirischen Ergebnisse angenommen oder abgelehnt werden. 7.1.1 Einfluss der psychischen Probleme früher im Leben auf die psychische Belastung nach der Geburt Wie erwartet fühlen sich Frauen, die über mehr psychische Probleme in der Vergangenheit berichten, auch in den ersten drei Monaten nach der Geburt ihres Kindes psychisch belasteter. Die psychischen Probleme vor der Geburt haben einen mittleren Effekt auf die subjektiv erlebte psychische Belastung nach der Geburt. Aufgrund dieser Erkenntnis kann die Hypothese 1 angenommen werden. 72 7 Diskussion 7.1.2 Zusammenhang zwischen Schlafzufriedenheit und psychischer Belastung vor und nach der Geburt Wie bedeutsam für die Frauen ihre subjektiv empfundene Zufriedenheit mit dem Schlaf nach der Geburt ist, hat die vorliegende Untersuchung deutlich gemacht. Die Schlafzufriedenheit der Frauen in den ersten drei Monaten nach der Geburt ist ein signifikanter Prädiktor für ihre psychische Belastung in dieser ersten Zeit nach der Geburt. Schlaf hat also einen starken Effekt auf die psychische Verfassung der Frauen und scheint gar die wichtigste Einflussgrösse in der ersten Zeit nach der Geburt schlechthin zu sein. Eine Wechselwirkung zwischen den psychischen Problemen früher im Leben und der Schlafzufriedenheit in den ersten drei Monaten nach der Geburt konnte allerdings nicht nachgewiesen werden. Es ist für Frauen, die vor der Geburt unter psychischen Problemen litten, nicht bedeutsamer, genügend zu schlafen wie für alle anderen jungen Mütter auch. Unabhängig von der psychischen Befindlichkeit vor der Geburt begünstigt genügend Schlaf eine gute psychische Verfassung. Aufgrund dieser Befunde muss die Hypothese 2 abgelehnt werden. 7.1.3 Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und psychischer Belastung vor und nach der Geburt In der vorliegenden Untersuchung wurde das Konstrukt der sozialen Unterstützung in die Teilbereiche Partnerunterstützung, Paaraktivität, soziale Vernetzung und Unterstützung im Haushalt aufgeteilt. Die verschiedenen Komponenten haben unterschiedliche Bedeutung für die psychische Belastung der beteiligten Frauen in den ersten drei Monaten nach der Geburt. 73 7 Diskussion Im Rahmen dieser Arbeit konnte keinerlei Zusammenhang zwischen partnerschaftlicher Unterstützung und psychischer Belastung nach der Geburt gefunden werden. Weder die Anzahl Lebensbereiche, in denen der Partner seine Frau unterstützt, sei es als Gesprächspartner, Babysitter oder Helfer im Haushalt, noch der zeitliche Umfang, in dem das Paar etwas für sich alleine unternehmen kann, haben einen Einfluss auf die psychische Verfassung der Frau in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Aufgrund dieser Erkenntnis muss die Hypothese 3 abgelehnt werden. Mehr Aufschluss über die psychischen Belastungen der Mutter nach der Geburt gibt die Unterstützung, welche die Frauen von ausserhalb der Partnerschaft erhalten. Die Hilfe, die eine Frau in ihren häuslichen Tätigkeiten bekommt, beeinflusst ihre psychische Verfassung in den ersten drei Monaten nach der Geburt günstig. Wird die Haushaltunterstützung aber gemeinsam mit allen anderen im Modell beteiligten Variablen untersucht, stellt sie hingegen keinen signifikanten Prädiktor mehr dar. Genügend Schlaf zu haben oder in einem sozialen Netz aufgehoben zu sein, scheint für die psychische Verfassung nach der Geburt bedeutender zu sein als die konkrete Entlastung im Haushalt. Die Einbettung in ein soziales Netz hingegen ist für die Mutter ein wichtiger Faktor für ihr psychisches Wohlbefinden. Wird die soziale Vernetzung der Frau auf ihre Interaktion mit der Problembelastung von früher untersucht, zeigt sich folgendes Bild: Die soziale Vernetzung ist selbst ein signifikanter Prädiktor für die psychische Belastung nach der Geburt. Die Probleme von früher haben in diesem Interaktionsmodell keine signifikante Bedeutung für die psychische Befindlichkeit nach der Geburt. Es zeigt sich überdies eine marginal signifikante Interaktion zwischen der sozialen Vernetzung und der Problembelastung von früher in Bezug auf die psychische Verfassung nach der Geburt. Es gilt hier aber zu betonen, dass nur Frauen, die in der Vergangenheit von wenigen Problemen belastet waren und zusätzlich gut sozial 74 7 Diskussion vernetzt sind, ihre psychische Belastung durch soziale Vernetzung positiv beeinflussen können Daher ist von keinem generellen Puffereffekt der sozialen Vernetzung auf die psychische Belastung nach der Geburt zu sprechen. Nicht bei allen Frauen kann eine gute soziale Vernetzung den negativen Effekt früherer Probleme dämpfen. Der günstige Einfluss der sozialen Unterstützung beschränkt sich auf diejenigen Frauen, die ohnehin schon von wenigen Problemen betroffen waren. Aufgrund dieser Resultate muss die Hypothese 4 abgelehnt werden. 7.2 Methodenkritik 7.2.1 Datenerfassung Sämtliche der 52 für die Arbeit verwendeten Interviews wurden von insgesamt sechs Interviewerinnen durchgeführt. Da die Anleitung zum halbstrukturierten Interview sehr genau beschrieben ist (siehe Anhang, Interview), gehe ich davon aus, dass die Durchführungsobjektivität hinreichend gewährleistet ist. Allerdings ist denkbar, dass die Teilnehmerinnen der Studie, je nach Haltung der Interviewerin und der von ihr gestalteten Gesprächsatmosphäre, mehr oder weniger ausführlich oder offen von ihrer Situation berichtet haben. In dem sehr persönlichen Setting des Einzelinterviews, welches gegen zwei Stunden dauerte, ist nicht ausgeschlossen, dass Frauen in gewissem Mass nach sozialer Erwünschtheit geantwortet haben und vielleicht nicht so frei von ihren Problemen berichtet haben, wie das in einem anonymen Fragebogen der Fall gewesen wäre. Um die im Interview erhaltenen Informationen quantitativ erfassen zu können, wurden den Frauen bei einigen Fragen eine Auswahl von möglichen Antworten vorgelegt. Meist aber gestaltete sich die Frage ganz offen, sodass es zu einer Vielzahl verschiedener Antworten gekommen ist. Die Interviewe- 75 7 Diskussion rinnen mussten dann diese Auskünfte in die vorgegebenen Kategorien einteilen, was wahrscheinlich nicht immer ganz eindeutig möglich gewesen ist. 7.2.2 Erhobene Zeitpunkte und Zeitspannen Wie unter 5.3.1. beschrieben, wurden die Daten zu einem einzigen Zeitpunkt erfasst, was auf ein querschnittliches Design der Studie hindeutet. Allerdings wurden viele Informationen retrospektiv erhoben. Das hat möglicherweise zu Verzerrungen in der Beurteilung der zurückliegenden Situation geführt. Weiter hat die Vielfalt an erhobenen Zeitpunkten und -spannen die Übersichtlichkeit in den Daten beeinträchtigt. Die Datenlage für die einzelnen Messzeitpunkte erwies sich dadurch an manchen Stellen als etwas dünn. 7.2.3 Passung zwischen Datenerhebung und Auswertung Die im Interview erhobenen Daten eigenen sich sehr gut für eine deskriptive Auswertung der Stichprobe. Es kann gezeigt werden, in welchen Bereichen die befragten Mütter belastet sind, wo sie über Ressourcen verfügen, was sie von Fachpersonen erwarten, etc. Für eine fundierte, mit anderen Studien vergleichbare empirische Arbeit wären mit etablierten Skalen erhobene Daten dienlich gewesen. Da es sich um eine Sekundäranalyse handelt, musste bei der Bildung der Variablen mit den vorhandenen Daten gearbeitet werden. Um die Fragestellungen präziser und differenzierter beantworten zu können, wäre es von Vorteil gewesen, die Daten selber, mit eigens dafür ausgesuchten Instrumenten zu erheben. 7.2.4 Skalenbildung Für die gesamte Datenerhebung wurden keine etablierten Skalen verwendet. Sämtliche Fragen wurden im Interview entweder offen gestellt oder die Psychologinnen haben eigene Skalen konstruiert und eingesetzt. In diesem Sinne konnten selbstredend aufgrund der vorhandenen Daten keine klinischen Diagnosen bezüglich psychischer Störungen gestellt werden. Besonders ist festzuhalten, dass die unabhängige und die abhängige Variable inhaltlich zwar das gleiche Konstrukt abbilden sollen; nämlich die mütter- 76 7 Diskussion liche psychische Verfassung, allerdings vor und nach der Geburt. Obwohl sich die Werte der beiden Variablen im selben Bereich (0-3) bewegen, sind sie anders zustande gekommen. Die UV ist ein Summenscore von verschiedenen früheren psychischen Problemen. Die AV hingegen stellt eine Selbsteinschätzung der Ausprägung psychischer Belastung während der ersten drei Monate nach der Geburt dar. Hätte man die gleiche Skala zur Bildung von UV und AV zur Verfügung gehabt, einfach vor und nach der Geburt erhoben, wäre es möglich gewesen, die Fragestellungen mit einem Residual Change Modell präziser beantworten zu können. Skala der unabhängigen Variable Die unabhängige Variable wurde aufgrund retrospektiver Einschätzungen der Frauen konstruiert. Die Variable bildet lediglich eine Summe ab und sagt aus, von wie vielen psychischen Störungen, irgendwann im Leben vor der Geburt, eine Frau berichtet. Wiederum sei darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um klinisch diagnostizierte Störungen handelt, sondern um subjektiv erlebte psychische Belastungen in der Vergangenheit. Die unabhängige Variable lässt aber nicht auf die Intensität der einzelnen psychischen Probleme schliessen. Viel eher zeigt sie die Tendenz einer Frau, sich aufgrund von einschneidenden Ereignissen in ihrem Leben psychisch belastet zu fühlen. Skala der abhängigen Variable Die Skala zum „emotionalen Bereich“ postpartaler psychischer Störungen/Probleme (siehe Anhang, Checkliste) hat 15 Items und weist ein Cronbach’s Alpha von .896 auf. Führt man eine Faktorenanalyse durch und berechnet mittels rotierter Komponentenmatrix eine Hauptkomponentenanalyse, werden vier Hauptkomponenten sichtbar. Inhaltlich könnten die Komponenten folgendermassen beschrieben werden: Komponente 1: Affektivität, Stimmungsschwankungen; Komponente 2: Negative Denkmuster, Depressivität; Komponente 3: Angstsymptome; Komponente 4: Schuldgefühle, Versagensängste. 77 7 Diskussion Die Skala zum „Verhalten und Kontakte“ hat ihrerseits 10 Items und weist ein etwas geringeres, aber in dem Zusammenhang immer noch akzeptables Cronbach’s Alpha von .735 auf. Durch die Hauptkomponentenanalyse werden drei Hauptkomponenten extrahiert. Diese drei Hauptkomponenten inhaltlich zu differenzieren, war aufgrund des Resultates nicht möglich. Trotzdem wurden zur Bildung der abhängigen Variable diese beiden Subskalen verwendet, da ihre Fragen thematisch viele Aspekte psychischer Störungen, im besonderen Symptome von Angst und Depressivität beinhalten. Der körperliche Bereich wurde absichtlich nicht in die Variable hineingenommen. Gerade Depressivität kann sich zwar auch in somatischen Beschwerden manifestieren, doch sind viele der körperlichen Beschwerden, die in dieser Subskala erfragt werden, direkte Auswirkungen der Geburt und nicht Ausdruck einer psychischen Störung. Eher könnte man vermuten, dass sich die körperlichen Beschwerden negativ auf die Stimmungslage der Frauen auswirken, was sich in den Antworten der Fragen im „emotionalen Bereich“ und im Bereich „Verhalten und Kontakte“ niederschlägt. Skala der Variable Schlafzufriedenheit In der Variable zur Schlafzufriedenheit sind wesentliche Aspekte der für die subjektiv empfundene Schlafqualität notwendigen Informationen enthalten. Es handelt sich aber wiederum nicht um eine etablierte Skala, welche eine ausgewiesene Reliabilität aufweisen und die Schlafzufriedenheit differenzierter und vertiefter abbilden würde. Aus der Skala geht nicht hervor, ob die Mutter selber an Schlafstörungen leidet, oder ob ihr Schlaf durch das Kind gestört wird. Aufgrund der untersuchten Zeitspanne, nämlich den ersten drei Monaten nach der Geburt, in der das Kind selber in aller Regel noch keinen gefestigten Tag-Nacht-Schlafrhythmus zeigt, kann davon ausgegangen werden, dass die Schlafprobleme der Mutter eher von den Bedürfnissen des Babys induziert werden. Die psychisch unauffällige Stichprobe deutet auch darauf hin, dass die Mutter nicht aufgrund einer depressiven Störung an Schlafproblemen leidet, sondern das Schlafdefizit viel eher durch die anstrengende Versorgung des Neugeborenen zustande kommt. 78 7 Diskussion Skalen der Variablen zur sozialen Unterstützung Sämtliche Variablen zur sozialen Unterstützung wurden durch Auszählen und der Bildung von Summenscores konstruiert. Die Frauen haben also nicht ihre Zufriedenheit mit den verschiedenen Aspekten der sozialen Unterstützung quantifiziert. Die Skalen basieren vielmehr auf einer Anzahl Personen, die der Frau unterstützend zur Seite stehen oder einer Anzahl konkreter Entlastungen, die eine Mutter erfährt. So ist beispielsweise denkbar, dass eine Frau zwar wenige Personen in ihrem persönlichen Umfeld hat, von denen sie aber sehr vielfältige und umfangreiche Hilfe erhält. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass viele oberflächlichere Kontakte zwar zu einem höheren Summenscore führen, was für die betroffene Frau aber nicht unbedingt eine verlässliche Unterstützung darstellt. Die Variablen zur sozialen Unterstützung geben also keine Auskunft über deren Qualität und Intensität. Sie zeigen aber auf, ob die Frau überhaupt in irgendeiner Form Unterstützung erfährt, sei es durch Partner, Freunde, Nachbarn oder Fachpersonal. 7.2.5 Störfaktoren Retrospektive Betrachtung Alle erhobenen Daten wurden zu einem einzigen Zeitpunkt generiert. Dies bedeutet, dass die Frauen viele Fragen retrospektiv beantworten mussten und dass die Zeitspanne zwischen den einzelnen Ereignissen sehr gross sein kann. Dies kann zu Verzerrungen in der Beurteilung von zurückliegenden Belastungen führen. Um diesen möglichen Störfaktor auszuschalten, wurde das Alter des Babys als Kontrollvariable ins Modell aufgenommen, denn je älter das Kind zur Zeit der Befragung war, umso weiter liegen die ersten drei Lebensmonate des Säuglings zurück und umso eher hat eine Mutter die damalige Situation als nicht mehr so belastend in Erinnerung. Alter der Mutter Ausser dem Alter des Kindes wurde auch das Alter der Mutter als möglicher Störfaktor betrachtet. Es wäre denkbar, dass jüngere Mütter gelassener oder 79 7 Diskussion aber unsicherer sind und sich leichter oder eben schwieriger an die neue Rolle als Mutter gewöhnen. Bildungsstand der Mutter Der Bildungsstand der Mutter wurde in dieser Untersuchung verwendet, um eine Aussage über den sozio-ökonomischen Status der Frau machen. Es wird in der Untersuchung davon ausgegangen, dass eine gute Schulbildung tendenziell mit höherem Verdienst einhergeht. Ausserdem wird argumentiert, dass Mütter über mehr Unterstützung verfügen, je mehr Geld im Haushalt vorhanden ist, weil dann auch Unterstützung in Anspruch genommen werden kann, die mit Kosten verbunden ist. Da die meisten Frauen nur Teilzeit, ihre Partner aber Vollzeit arbeiten, ist auch die Ausbildung des Partners als möglicher Störfaktor denkbar. Man hat sich aber im Rahmen dieser Arbeit darauf beschränkt, den Bildungsstand der Frau als Kontrollvariable ins Modell zu nehmen. 7.3 Generalisierbarkeit aufgrund der Stichprobe 7.3.1 Rekrutierung der Stichprobe Um Frauen für ihre Studie zu gewinnen, haben sich die aargauischen Psychologinnen an Fachpersonal wie Hebammen, Kinderärzte, Mütter- und Väterberatungen etc. gewandt. Diese Fachpersonen haben dann in ihren Institutionen Flyer ausgelegt, die auf die Studie aufmerksam machten. Es wurden daher nur Frauen erreicht, welche solche Kontaktmöglichkeiten zu Fachpersonen überhaupt nutzen. Wer diese besagten Fachkräfte in deren Institutionen nicht aufgesucht hat, ist in dieser Stichprobe nicht vertreten. Sämtliche Frauen haben sich auf eigene Initiative hin und ohne irgendwelche finanzielle Entschädigung für das Interview zur Verfügung gestellt. Es sind in der Stichprobe daher nur junge Mütter anzutreffen, die über die notwendige Mobilität und Zeit zur Teilnahme verfügen. Zudem sind ausreichende Sprachkenntnisse der Mutter nötig, um am Interview teilnehmen zu können oder den Aufruf dazu überhaupt zu verstehen. Es liegt aus diesem Umstand 80 7 Diskussion der Schluss nahe, dass sich auf diesen Aufruf lediglich Frauen meldeten, die sich aktiv mit dem Thema der Geburt und ihrer neuen Rolle als Mutter auseinandersetzen. Mütter hingegen, die unter grossen Belastungen oder gar klinisch relevanten psychischen Störungen leiden, werden kaum Zeit und Ressourcen finden, sich freiwillig an einem Interview zu beteiligen. 7.3.2 Generalisierbarkeit der Stichprobe Aufgrund der oben beschriebenen Rekrutierung hat sich eine Zusammensetzung der Stichprobe ergeben, die Risikogruppen für psychische Störungen kaum berücksichtigt. Sämtliche Frauen sind zum Zeitpunkt verheiratet und keine ist alleinerziehend. Die Stichprobe fällt durch das hohe Bildungsniveau sowohl der Mütter als auch der Väter auf. Über die Hälfte der Frauen sind zum ersten Mal Mutter geworden, sodass Mütter, die schon ältere Kinder zu versorgen haben, eher untervertreten sind. Die Resultate dieser Untersuchung lassen sich daher auf andere mittelständische, gut ausgebildete, klinisch unauffällige Frauen übertragen. Risikogruppen wie sozial benachteiligte oder psychisch kranke Frauen, sowie alleinerziehende oder ganz junge Mütter sind in der Stichprobe gar nicht repräsentiert. Auf spezifische Belastungen, die für eine Familie durch die Geburt eines Geschwisterkindes entstehen können, ist in dieser Studie nicht eigens eingegangen worden. 7.4 Interpretation der Ergebnisse Aufgrund der Beschreibung der methodischen Besonderheiten und Einschränkungen dieser Studie können nun die Resultate interpretiert werden. 7.4.1 Problembelastung früher im Leben Wie unter 7.1.1 beschrieben konnte die Hypothese 1 angenommen werden; die Problembelastung früher im Leben hat sich als signifikanter Prädiktor für 81 7 Diskussion die psychische Belastung der Mütter in den ersten drei Monaten nach der Geburt erwiesen. Dieser Befund erstaunt keineswegs. Vielmehr reiht er sich in eine grosse Anzahl Studien ein, welche ihrerseits psychische Störungen in der Lebensgeschichte der Frau als zentralen Risikofaktor für die Entstehung postpartaler psychischer Belastung nennen (O’Hara & Swain, 1996). Frauen, die in der Vergangenheit mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten, neigen möglicherweise grundsätzlich dazu, auf schwierige Situationen mit psychischer Belastung zu reagieren. Es ist nachzuvollziehen, dass sie sich angesichts eines so gewichtigen Ereignisses wie der Geburt ihres Kindes erneut verunsichert psychisch belastet fühlen. Dass die psychischen Probleme in der Vergangenheit nur einen mittleren Effekt auf die Belastung nach der Geburt zeigen, könnte an der Zusammensetzung der Stichprobe liegen. Die Frauen fühlen sich als Gesamtes nach der Geburt eher gering belastet, was aufgrund der Rekrutierung der Stichprobe nicht erstaunt. Psychisch schwer belastete Mütter hätten gar nicht die zeitlichen und mentalen Ressourcen gehabt, sich freiwillig für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Es soll an der Stelle noch einmal explizit darauf hingewiesen werden, dass für die Quantifizierung des Problemwertes vor der Geburt nicht die gleiche Skala benutzt wurde wie für die Einschätzung der psychischen Belastung nach der Geburt. 7.4.2 Der Einfluss von Schlaf auf die psychische Verfassung Schlaf ist zwar ein hochsignifikanter Prädiktor für die psychische Verfassung in den ersten Monaten nach der Geburt, er steht aber in keiner Wechselwirkung mit den psychischen Problemen früher im Leben. Vergleicht man dieses Ergebnis mit Erkenntnissen aus anderen Studien, stellt man eine grosse Übereinstimmung fest. Sowohl Goyal et al. (2009), als auch Bayer et al. (2007) haben auf die zentrale Bedeutung von mütterlichem Schlaf für ihre psychische und sogar physische Gesundheit hingewiesen. Die Stichprobe weist in ihrer Gesamtheit, wie bereits erwähnt, eine eher tiefe Ausprägung der psychischen Belastung nach der Geburt auf. Es ist daher 82 7 Diskussion anzunehmen, dass allfällige Schlafprobleme und Erschöpfungssymptomatiken der Mütter nach der Geburt des Kindes ihre Ursache nicht in psychischen Störungen wie beispielsweise Depressionen haben. Vielmehr kommt die Unzufriedenheit mit dem Schlaf daher, dass das Kind rund um die versorgt werden muss. Die Mutter erhält durch die anstrengende Pflege des Neugeborenen nicht genügend Schlaf oder ihr Schlaf wird immer wieder gestört wird. Dieses Schlafmanko führt über längere Zeit zwangsläufig zu einer Erschöpfungssymptomatik bei der Mutter, was ihre psychische Befindlichkeit erheblich beeinträchtigen kann (Goyal et al., 2009). Interessanterweise haben die vorliegenden Daten gezeigt, dass Frauen zufriedener sind mit ihrem Schlaf, je besser sie ausgebildet sind. Die Studie hat aber auch verdeutlicht, dass Frauen mit höherer Bildung mehr Unterstützung im Haushalt erhalten. Dies entlastet sie in ihrem Alltag und sie können möglicherweise dank der Unterstützung ihr Schlafmanko besser kompensieren, weil sie von den häuslichen Tätigkeiten ein Stück weit entbunden sind. Es soll an der Stelle noch einmal explizit festgehalten werden, dass die subjektive Schlafzufriedenheit der Mütter der wichtigste Prädiktor für ihre psychische Verfassung in den ersten drei Monaten nach der Geburt darstellt. Die Schlafzufriedenheit steht aber in keiner Wechselwirkung mit psychischen Problemen von früher im Leben. Für psychisch belastete Frauen ist genügend Schlaf daher nicht wichtiger als für alle anderen. Es wird vielmehr deutlich, wie essentiell genügend Schlaf für gleichermassen alle Mütter in den ersten Monaten nach der Geburt ist. 7.4.3 Der Einfluss sozialer Unterstützung auf die psychische Verfassung Partnerunterstützung In zahlreichen Studien, unter anderem in denen von Dennis & Ross (2006 ) oder Stapleton und Kollegen (2012) spielt der Partner die zentrale Bedeutung für die psychische Verfassung der Frau nach der Geburt. In der vorliegenden Untersuchung hingegen konnten keinerlei signifikante Zusammenhänge zwischen der Partnerunterstützung oder der Paaraktivität und der psychischen 83 7 Diskussion Verfassung der Frau nach der Geburt gefunden werden. Dies könnte an der privilegierten Stichprobe liegen, in der keine der Frauen auf die Unterstützung des Partners gänzlich verzichten muss. Ausserdem fällt bei der Partnerunterstützung der hohe Mittelwert auf. Die Frauen der Stichprobe können in ihrer Gesamtheit auf umfangreiche Unterstützung des Partners zählen. Betrachtet man den Einfluss der Paaraktivität ohne Kind auf die psychische Verfassung der Frauen, kann festgestellt werden, dass es den Frauen psychisch nicht besser geht, wenn sie etwas gemeinsam mit dem Partner, aber ohne das Kind, unternehmen können. Das erstaunt in dem Sinn nicht, da in der ersten Zeit nach der Geburt für das Paar ohnehin das Neugeborene im Zentrum steht. Die beiden Partner müssen sich in ihrer neuen Rolle als Eltern zurechtfinden, was ihnen gemeinsam mit dem Baby wohl am besten gelingt. Für das psychische Wohlbefinden in der ersten Zeit nach der Geburt ist es vermutlich mindestens so wertvoll, sich als Paar mit dem Kind zu befassen, als sich alleine zurückzuziehen. Unterstützung ausserhalb der Partnerschaft Unterstützung in den praktischen Dingen des Alltags hat einen günstigen Einfluss auf die psychische Verfassung der Frauen. Die jungen Mütter, die viel Unterstützung im Haushalt erhalten, leiden weniger unter psychischer Belastung als Frauen, die wenig Hilfe bekommen. Eben diese Unterstützung wird aber nicht allen Frauen in gleichem Masse zuteil. Die Daten haben gezeigt, dass Frauen umso mehr Unterstützung im Haushalt erhalten, je besser sie ausgebildet sind. Dies lässt sich möglicherweise damit erklären, dass eine gute Schulbildung oft mit einer ökonomisch bevorzugten Situation einhergeht. Gerade diese wirtschaftliche Besserstellung kann bezahlte Unterstützung für die betroffenen Frauen ermöglichen. Ökonomisch schlechter gestellten jungen Müttern bleibt dies eher verwehrt. Ein weiterer bedeutsamer Faktor für ihre psychische Befindlichkeit stellt die soziale Vernetzung der Frau dar. Die Resultate der Untersuchung decken sich mit den Erkenntnissen von Surkan und Kollegen (2006) und legen nahe, dass sich ein breites soziales Netz der jungen Mutter positiv auf ihre psychische Verfassung auswirkt. Je mehr Personen im Umfeld einer Frau als 84 7 Diskussion Kommunikationspartner, Babysitter oder ähnliches zur Verfügung stehen, desto weniger fühlt sie sich psychisch belastet. Es ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung, ob diese Personen Verwandte, Freunde oder Fachpersonen sind. Gute soziale Vernetzung kann daher fehlende oder unzureichende Partnerunterstützung zu einem gewissen Grad kompensieren. Wie im Ergebnisteil beschrieben, steht die soziale Vernetzung einer Frau in einer marginal signifikanten Wechselwirkung mit ihrer psychischen Belastung vor der Geburt. Es gibt also einen Einfluss der sozialen Vernetzung auf den Zusammenhang von den Problemen der Frauen früher im Leben und ihrem psychischen Befinden nach der Geburt. Allerdings ist ein positiver Effekt nur bei den Frauen zu erwarten, die schon vor der Geburt wenige Probleme hatten und zudem in einem breiten sozialen Netz aufgehoben sind. Frauen hingegen, die von vielen psychischen Problemen in der Vergangenheit berichten, können ihr psychisches Wohlbefinden auch durch mehr soziale Kontakte nicht verbessern. Die meisten Frauen der Stichprobe werden von ihrem Partner stark unterstützt, was die Bedeutung des sozialen Netzes etwas kleiner werden lässt. Möglicherweise suchen die Frauen in der ersten Zeit nach der Geburt eher die Nähe zu ihrem Partner, um sich gemeinsam an ihre neue Rolle zu gewöhnen. Zudem ist es mit zusätzlichem Aufwand und teilweise auch mit Stress verbunden, sich Unterstützung von aussen zu holen (Leahy‐Warren et al., 2012), während der Partner leichter verfügbar ist. 7.5 Erkenntnisse für die Praxis Anamnese während der Schwangerschaft Wie bereits mehrmals erwähnt, sind Frauen mit depressiven Episoden, Angststörungen oder anderen psychischen Krisen in ihrer Vorgeschichte besonders gefährdet, nach der Geburt eines Kindes erneut an einer psychischen Störung zu leiden. Daher sollte jede Mutter während der Schwangerschaft in der Anamnese auch über frühere psychische Beeinträchtigungen befragt werden. Bei Frauen, die bereits Kinder geboren haben, ist die Frage nach einer allfälligen PPD bei den vorangehenden Geburten unbedingt zu 85 7 Diskussion stellen. Es sollen aber nicht nur klinisch relevante und möglicherweise behandelte psychische Störungen beachtet werden. Vielmehr wäre es hilfreich, wenn betreuendes Fachpersonal wie Gynäkologen oder Hebammen bereits während der Schwangerschaft in einem Gespräch zu eruieren versuchen, ob eine Frau früher im Leben die Tendenz gezeigt hat, auf Stresssituationen mit psychischer Belastung zu reagieren. Risikofaktoren und Ressourcen Berichtet eine Frau über psychische Probleme in der Vergangenheit, müssen auf der anderen Seite die Ressourcen, über die sie selber und ihr Umfeld verfügen, beachtet werden. Solche Schutzfaktoren wie soziale Vernetzung, aber auch Unterstützung in Form von praktischer Hilfe können das Risiko einer erneuten psychischen Störung oder Beeinträchtigung nach der Geburt verringern. Für Fachkräfte ist nun entscheidend, sich rasch ein möglichst treffendes Bild von den Belastungen und den Ressourcen zu machen, die den Frauen und ihren Familien als Schutzfaktor dienen können. Screening nach der Geburt Um die psychische Verfassung aller Frauen nach der Geburt einschätzen zu können, sollten Fachkräfte wie Hebammen oder nachbetreuende Gynäkologen jede junge Mutter zu ihrem aktuellen Befinden befragen. Als Diagnostikinstrument bietet sich dafür die EPDS an, weil dieser Fragebogen in wenigen Minuten Auskunft darüber gibt, wie hoch das Risiko einer Frau ist, eine postpartale Depression zu entwickeln. Bei entsprechenden Resultaten (EPDS > 12) ist eine differenziertere Diagnostik angezeigt. Neben dem Screening zur psychischen Verfassung nach der Geburt mittels der EPDS müssen die Frauen unbedingt nach ihrer Schlafzufriedenheit befragt werden. Für die Fachkraft empfiehlt sich hier, den Schlaf in einer offenen Frage anzusprechen und die jungen Mütter gleichzeitig über die Wichtigkeit von ausreichend Schlaf zu informieren. Es ist für die Frauen entscheidend zu wissen, dass Erschöpfung die mütterlichen Erziehungsmuster und ihre psychischen Verfassung negativ beeinflussen kann. 86 7 Diskussion Massnahmen Jede Mutter ist im Gespräch durch die beteiligten Fachkräfte explizit darauf hinzuweisen, wie häufig psychische Störungen nach der Geburt vorkommen. Dies soll ihr erleichtern, bei Belastungen Hilfe zu suchen und sich nicht für ihren Leidensdruck zu schämen. Liegen bei einer Mutter Belastungen vor, die sie mit Hilfe ihrer eigenen Ressourcen nicht kompensieren kann, müssen mit der Frau gemeinsam konkrete Massnahmen besprochen werden, die ihre Belastung verringern könnten. Es in jedem Fall zentral, dass die junge Mutter in einem sozialen Netz aufgehoben ist. Ist diese soziale Vernetzung im privaten Umfeld zu wenig vorhanden, kann und muss dieses Defizit durch Kontakte zu Fachkräften wie Hebammen, Psychologen, Sozialarbeiter etc. kompensiert werden. Daneben ist auf ausreichend praktische Unterstützung im Alltag zu achten. Das erleichtert der Mutter die Gestaltung der anstrengenden Zeit in den ersten Monaten nach der Geburt und erlaubt ihr, die Kräfte vermehrt auf sich und ihr Kind zu richten. Mit Frauen, die über Schlafprobleme klagen, sind unbedingt Möglichkeiten zur Verbesserung der Schlafzufriedenheit zu besprechen. Die Klärung der Ursachen ihrer Schlafprobleme kann zur Findung geeigneter Massnahmen beitragen. Um beispielsweise die Unterbrechungen des Nachtschlafes zu minimieren, müsste zeitweise jemand anders die Pflege des Kindes übernehmen. Ist dies aufgrund des Stillens nicht möglich, kann der Frau ermöglicht werden, während des Tages etwas Schlaf zu kompensieren. Beruhigt sich die Situation nach ein paar Monaten nicht, sollte der kindliche Schlaf näher untersucht und dabei festgestellt werden, ob sich beim Kleinkind ungünstige Schlafmuster etabliert haben, die durch geeignete Massnahmen verbessert werden könnten. 7.6 Schlusswort Ziel der vorliegenden Arbeit war, zu untersuchen, inwiefern genügend Schlaf und soziale Unterstützung die psychische Verfassung junger Mütter in den ersten drei Monaten nach der Geburt beeinflussen. Es sollte eruiert werden, 87 7 Diskussion ob Schlaf und soziale Unterstützung bei Frauen mit psychischen Problemen im Leben vor der Geburt, das Risiko einer erneuten psychischen Belastung nach der Geburt vermindern können. Es wurde deutlich, dass Frauen mit mehr psychischen Problemen in der Vergangenheit auch nach der Geburt des Kindes eher psychische Belastungen zeigen als wenig vorbelastete Mütter. Ausserdem ist es für alle Frauen gleichermassen von Bedeutung, zu ausreichend Schlaf zu kommen, um psychische Belastungen zu vermindern. Bezüglich sozialer Unterstützung wurde im Rahmen der Arbeit deutlich, dass sowohl ein vorhandenes soziales Netz als auch praktische Unterstützung im Alltag die psychische Befindlichkeit der Frauen günstig beeinflussen. Aus den Erkenntnissen dieser Arbeit lässt sich die Notwendigkeit ableiten, bereits werdende Mütter darauf hinzuweisen, wie verbreitet psychische Probleme nach der Geburt sind. Allerdings muss auch dargelegt werden, dass sich die psychische Befindlichkeit durch soziale Unterstützung, sei es aus dem privaten oder professionellen Umfeld, verbessern lässt. Als einfache, aber zentrale Botschaft muss den jungen Müttern vermittelt werden, wie wichtig genügend erholsamer Schlaf für ihre psychische Befindlichkeit ist. Daher sind Massnahmen zur Verbesserung der Schlafzufriedenheiten unbedingt anzustreben, selbst wenn diese nur mit gewissen Anstrengungen zu verwirklichen sind. 88 8 Literaturverzeichnis 8 Literaturverzeichnis Alonso, J., Angermeyer, M. C., Bernert, S., Bruffaerts, R., Brugha, T. S., Bryson, H., … Vollebergh, W. A. M. (2004). Prevalence of mental disorders in Europe: Results from the European Study of the Epidemiology of Mental Disorders (ESEMeD) project. Acta Psychiatrica Scandinavica, 109(Suppl420), 21–27. Austin, M.-P. V., Hadzi-Pavlovic, D., Priest, S. R., Reilly, N., Wilhelm, K., Saint, K., & Parker, G. (2010). Depressive and anxiety disorders in the postpartum period: How prevalent are they and can we improve their detection? Archives of Women’s Mental Health, 13(5), 395– 401. Bayer, J. 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