PDF-Download - Zentrum für Medizinische Ethik

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DIE WÜRDE DES GEWISSENS UND DIE DISKUSSION UM
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH UND HIRNTODKRITERIEN
Hans-Martin Sass
HERAUSFORDERUNGEN FÜR VERANTWORTUNGSETHIK UND ORDNUNGSETHIK
Die klinische Verfügbarkeit über den Anfang und das Ende des menschlichen und des
mitmenschlichen Lebens bedeutet eine neue Herausforderung an das individuelle und das
öffentliche Gewissen, verantwortlich mit beidem umzugehen, insbesondere in der moralischen
Achtung vor dem ungeborenen Leben und bei der Definition der Kriterien des Todes. Die
Menschenwürde als ein hoher ethischer Wert und als ein vom Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland geschütztes Rechtsgut stehen auf dem Spiel. Zeugung, Geburt und Tod sind nicht
mehr nur natürliche Ereignisse, in bezug auf die der Mensch wenig ausrichten kann und die
daher im wesentlichen Gegenstand theoretischer Neugierde waren. Das ist heute anders; Leben
und Sterben sind dem Manipulationshandeln des modernen Menschen ausgesetzt. Das Leben
kann über den Tod des Herzens oder Hirns hinaus intensivmedizinisch 'verlängert' werden;
explantierte Organe können den Leib, dem sie entnommen wurden, als Teil eines anderen Leibes
und Menschen um viele Jahre überleben. Leben kann außerhalb des Mutterleibes gezeugt oder
auf verschiedene Weise innerhalb des Mutterleibes an Befruchtung oder Einnistung gehindert
werden; 'klinisch tote' Schwangere können Kinder gebären.
Wie gehen wir verantwortlich mit den neuen Möglichkeiten um? Die neuen
Manipulationsmöglichkeiten modifizieren die Frage nach dem Anfang und Ende des Lebens weg
von der curiositas, der theoretischen Neugierde, und hin zur responsibilitas, der Verantwortung
für die Ziele und Grenzen des technisch möglichen Interventionshandelns. Zur Verantwortung
aufgerufen ist, wie bei allen neuen durch Technikeinsatz möglichen lebensweltlichen oder
beruflichen Güterabwägungen, zunächst das Gewissen der Bürger in der Rolle des Patienten
oder potentiellen Patienten, natürlich auch das der heilberuflich Tätigen [26;34]. Auch das
öffentliche Gewissen ist aufgerufen, die neuen Möglichkeiten im Licht tradierter Werte aus
Kultur und Religion zu interpretieren und das individuelle Gewissen verantwortungsmündig zu
machen und ihm Räume für verantwortliche Entscheidungen zu öffnen und offenzuhalten. Neue
medizinische und lebensweltliche Herausforderungen erfordern nämlich keine neue Ethik, aber
eine Rückbesinnung auf die Würde des Gewissens.
Neue Situationen verlangen nach einer individuellen und gesellschaftlichen Bewertung
im Lichte alter, in Kultur und Religion überlieferter Werte und Prinzipien [34;35]. Unsere
nachaufklärerische Argumentations- und Entscheidungssituation unterscheidet sich von der
1
Diskurssituation früherer Zeiten nicht nur durch die Herausforderung zur ethischen Abwägung
des Einsatzes ständig neuer technischer Instrumente und Verfahren, sondern auch durch eine
Pluralität von Lebens- und Weltanschauungen, die wir als eine Errungenschaft der Emanzipation
des individuellen Gewissens aus Gewissensterror und Gesinnungszwang früherer Jahrhunderte
verstehen. Das gilt vor allem auch im Blick auf uns umgebende fundamentalistische säkulare
oder religiöse Gesellschaften, die keine Freiheit des Gewissens und damit keine individuelle und
gesellschaftliche Freiheit zulassen. Fortschritte in Technikentwicklung und Technikgebrauch
verlangen nach einer verantwortlichen Abschätzung von Technikfolgen und Theoriefolgen
durch das individuelle Gewissen; deshalb bedarf es der Bekräftigung der Würde des Gewissens
und seiner Stärkung in der Analyse, Bewertung und Steuerung von individueller Verantwortung
und gesellschaftlichem Konsens. Die Manipulierbarkeit von Anfang und Ende des menschlichen
Lebens ist eine Herausforderung an die Verantwortungsethik des mündigen Bürgers wie auch an
die Ordnungsethik des aufgeklärten, nichtdespotischen Staates.
Für die durch moderne biomedizinische Technik aufgeworfenen bioethischen Fragen des
ethischen Umgangs mit dem Ende des Lebens scheinen wir für das Gewissen wie für die
Ordnungspolitik akzeptable Handlungsmodelle gefunden zu haben, die in der Definition des
Hirntodes konsensfähig geworden sind [2;5;7;14]. Für die Fragen der ethischen Würdigung des
ungeborenen Lebens haben wir eine solche Antwort bisher nicht gefunden [31;32;33]. Nach wie
vor stehen sich unversöhnlich die Gewissensentscheide der zwei Weltanschauungslager des prolife und des pro-choice, Recht auf Leben gegen Recht auf Selbstbestimmung gegenüber. Dieser
Konflikt kann nicht dadurch beschrieben werden, daß auf der einen Seite ethisch akzeptable und
auf der anderen Seite ethisch unakzeptable Argumente vorgebracht und Handlungen
vorgenommen werden. Vielmehr ist es so, daß keine der beiden Seiten die
Gewissensentscheidungen, Argumente und Handlungen der anderen Seite verstehen wollen oder
können. Aber gerade diese Ausgangssituation des Faktums eines öffentlichen Dissens muß die
Parameter für die staatliche Ordnungsethik abgeben, nicht die parteiische Verteufelung der einen
Gewissensposition dadurch, daß die andere aus dem Raum der individuellen Verantwortung in
den des staatlichen Gesetzes transponiert wird [8;34]. Dieses Faktum, daß sich zwei
konkurrierende Gewissensentscheide und nicht ein richtiger und ein falscher gegenüberstehen,
wird von der päpstlichen Enzyklika 'Veritatis Splendor' nicht gewürdigt [28]. Auch diese
Position will, trotz ihrer Betonung der Verantwortung des Gewissens vor Christus, eine vom
offiziellen Lehramt abweichende Gewissensentscheidung nicht akzeptieren. Dabei könnte es
doch sein, daß die vom Lehramt nicht akzeptierte Gewissensentscheidung nicht etwa Ausdruck
einer Abwendung von Gott [28:Nr.70,13,15], sondern nur Ausdruck einer möglicherweise
falschen Interpretation seines Willens ist [13]. Wenn die Enzyklika von der fehlenden Harmonie
zwischen Traditionen des Lehramtes und gewissen neueren Lehrmeinungen [28,Nr.4] spricht,
1
erwähnt sie nicht, daß auch das offizielle Lehramt seine moraltheologischen Präferenzen und
Urteile im Laufe der Geschichte geändert hat über so weitverzweigte Themen wie die Kastration
von Knaben für den Chor- und Operngesang, die Sklaverei, das Gottesgnadentum des Adels und
nicht zuletzt in der Frage des moralischen Status des ungeborenen Lebens durch den Ersatz des
Animationsprinzips [21;33] mit dem Potentialitätsprinzip. Deshalb sei in diesem Zusammenhang
an die Jahrhunderte alte Theorie der göttlichen Animation eines jeden Menschen im Mutterleib
von einem bestimmten Stadium der Gestation ab (Hirnleben) erinnert [21]. Ich werde versuchen,
in einer Theoriefolgenabschätzung diese Theorie auf ihre Leistungsfähigkeit innerhalb des
pluralistischen Diskurses um die ethische Würdigung des Anfangs des menschlichen Lebens zu
prüfen [31;33]. Es geht dabei um die Ausmessung der Grenzen des Konsenses bei einer
kontrovers geführten Diskussion und des ordnungsethischen Spielraums in der
ordnungspolitischen und rechtlichen Anerkennung der Würde des Gewissens.
KONSENSBILDUNG UND ETHISCHE SUBSIDIARITÄT
Der weltanschauliche Fundamentalismus ist keine Antwort auf die uns von der modernen
Technik und der Freigabe des Gewissens in der offenen Gesellschaft sich eröffnende neue
Landschaft ethischer Entscheidungen und Verantwortungen. Darauf hat Papst Johannes Paul II.
in seiner Neujahransprache 1991 hingewiesen, in der er zum Verhältnis von staatlicher oder
rechtlicher Vorschrift und der individuellen Gewissensentscheidung, d. h. 'dem unveräußerbaren
Recht, seinem eigenen Gewissen zu folgen und seinen eigenen Glauben zu praktizieren und zu
bekennen' ausführt: 'Die Leute sollen nicht versuchen, ihre eigene 'Wahrheit' anderen
aufzuzwingen'; wenn das religiöse Gesetz identisch wird mit dem bürgerlichen Gesetz , dann
'erstickt es die Freiheit der Religion, engt andere Menschenrechte ein oder verweigert sie...
Intoleranz kann das Resultat aufkeimender Versuchungen des Fundamentalismus sein, der leicht
zu ernsthaftem Mißbrauch, zum Beispiel der radikalen Unterdrückung aller öffentlichen
Manifestationen von Pluralität, führt' [27; vgl.28].
Der Papst hat diese Befürchtungen im Hinblick auf den sich entwickelnden islamischen
Fundamentalismus im Rückgriff auf das Subsidiaritätsprinzip in der Enzyklika 'Quadrogesimo
Anno' [26] und im Vorgriff auf das Verantwortungsmodell in der Enzyklika 'Veritatis Splendor'
[28] formuliert. Bei der Übertragung der Forderung nach der Freiheit des Gewissens auf
Diskussionen innerhalb pluralistischer Gesellschaften wird sich ethisch zwar nicht mehr uniform
und obrigkeitlich verordnet die Frage beantworten, wann denn das ethisch zu respektierende
menschliche Leben beginnt und wann es endet, aber es läßt sich ein inhaltliches und
methodisches Diskursverfahren angeben, das individuelle Gewissensentscheidung und
öffentliche Moral und Gesetzgebung im Modell der ethischen Subsidiarität miteinander
vermittelt [34]. Wer als Richter, Politiker oder Arzt die Gewissensentscheidung der Bürgerin und
1
des Bürgers nicht achtet oder sie unzumutbar einschränkt, tastet die Würde des Menschen an;
gerade um diese Würde des Menschen aber geht es auch in der Diskussion um den
Schwangerschaftsabbruch und die Grenzen der Intensivmedizin am Lebensende. Die
Unantastbarkeit der Würde des Menschen wird garantiert und gestärkt im Respekt vor der
Gewissensentscheidung. Die verantwortliche Gewissensentscheidung wiederum entlastet den
gesellschaftlichen Diskurs und die Rechtsetzung und Rechtsprechung von unlösbaren Aufgaben,
nämlich dort für Uniformität zu sorgen, wo individuelle Entscheidungen in unterschiedlicher
Weise Ausdruck der Würde von Gewissen, Selbstverantwortung und Selbstbestimmung sind.
Diese positive Interaktion zwischen dem Recht und der Pflicht zu individueller
Gewissensentscheidung und Verantwortungskompetenz auf der einen Seite und der Entlastung
von Gesetzgebern und Gerichten von obrigkeitlichen überflüssigen und dominierenden
Regelungen auf der anderen Seite ist für das Gebiet der Sozialethik mit dem Begriff der
Subsidiarität umschrieben worden. Subsidiarität als klassischer Begriff der Moraltheologie
besagt, daß in Fragen der sozialen Ethik übergeordnete Stellen erst dann verantwortlich werden
sollen, wenn direkt oder direkter betroffene Gruppen oder Individuen nicht selbst die
Verantwortung für in Not gekommene Mitmenschen übernehmen können. Die Enzyklika
'Quadrogesimo Anno' [26] hatte gegen die Forderungen einer totalitären und zentralistischen
marxistisch-leninistischen Gesellschaftsethik das Primat der Verantwortung der kleineren
ethischen Einheit vor der größeren begründet und gefordert. Was der Einzelne, die Familie und
die kleineren 'Primärgruppen' ethisch und sozialethisch leisten können, soll nicht durch größere
'Sekundärgruppen' wie Institutionen, Gemeinden oder Berufsverbände zentralistisch gesteuert
werden. Wohl aber sollen und dürfen staatliche und kirchliche Institutionen dafür sorgen, daß die
ordnungsethischen, organisatorischen und gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorhanden sind,
daß die primären Verantwortungsträger verantwortungsmündig werden und daß das
gesellschaftliche Gefüge funktionsfähig bleibt. Dieses Prinzip entlastet also nicht nur die größere
Gemeinschaft von finanziellen Opfern, sondern auch den allgemeinen ethischen Diskurs von
dem Zwang zum Konsens für oder gegen die Argumente der Intervention; es stärkt vor allem die
Verantwortungskompetenz der zunächst Betroffenen und mutet ihnen die Verantwortung zu.
Das Modell der Subsidiarität läßt sich vom Gebiet der Sozialethik in das der Bioethik
übertragen, weil es ein bewährtes Prinzip zur Herausforderung der Veranwortungskompetenz der
zunächst Betroffenen und zur Entlastung des Diskurses und des Zwanges zum Konsens bei
kontroversen Problemen in einer multikulturellen oder pluralistischen Gesellschaft ist. Das
Modell der ethischen Subsidiarität erhält immer dann eine verantwortungsethische und
ordnungsethische Bedeutung, wenn Theologen, Ethiker, Juristen und Politiker verschiedener
Couleur sich streiten, wie im Fall des moralischen Status des ungeborenen Lebens. Die
Schwangere oder der Sterbende als Nächstbetroffene, danach Familie und Freunde, die
1
Glaubens- oder Kulturgemeinschaft wären sukzessiv ethische Subjekte bei Fragen, die primär
den einzelnen angehen und über die sich darüber hinaus kein gesellschaftlicher Konsens hat
finden können. Je weniger Konsens sich unter den 'Experten' findet, umso mehr wird der
lebensweltlich betroffene 'Laie' zum Experten, denn in seiner oder ihrer Lebenswelt sind die
Probleme entstanden, hier müssen sie gelöst werden. In einer für den bioethischen Dialog, die
Entlastung der Gesellschaft von konfliktpotenzierenden Wertediskussionen und für die Achtung
vor der Würde des Gewissens brauchbaren Form läßt sich das Subsidiaritätsprinzip wie folgt
formulieren: 'Wann immer Theologen, Ethiker, Juristen und Politiker in einer pluralistischen
Gesellschaft keinen breiten und von der öffentlichen Kultur getragenen inhaltlichen Konsens
finden können, sollen die primär betroffenen und nächststehenden Individuen und natürlichen
Kleingruppen nicht in ihrer Verantwortung eingeschränkt werden; gesellschaftliche,
weltanschauliche und religiöse Gruppen sollen im Gegenteil alles tun, um die individuelle
Kompetenz der Güterabwägung und der Verantwortung zu stärken'.
Ethische Abwägungen stehen wegen ihres Praxisprimats unter einer größeren
Verantwortung als Fragen der theoretischen Neugierde. Dabei entwickelt sich eine natürliche
Spannung zwischen den Argumenten der Respektierung und Stärkung individueller
Verantwortung vor totalitären Großregelungen auf der einen Seite und den Notwendigkeiten von
Ordnungsethik und allgemeiner Rechtssicherheit auf der anderen Seite. Im folgenden werde ich
das Modell ethischer Subsidiarität am Beispiel der Diskussionen um die Menschenwürde am
Anfang und Ende des menschlichen Lebens erläutern und eine verantwortungsethische Formel
vorschlagen, die beides, staatliche Norm und Gewissensentscheidung in einer flexiblen
Interaktion miteinander verbindet und dem Anliegen der Menschenwürde besser gerecht wird als
uniforme Gesetze und paternalistische 'Interpretationen' von Menschenwürde, Schwangerschaft,
Leben und Tod. Zunächst versuche ich zu erläutern, wie eine verantwortliche Reflexion auf
traditionelle Theoreme den verantwortlichen Umgang mit der Explantation von Organen und
dem Tod auf der Intensivstation möglich und akzeptabel gemacht hat.
DER EIGENE TOD UND DIE HIRNTODDEFINITION
Erst in den letzten 25 Jahren ist die Unterscheidung des 'Lebens' und des 'Todes'
einzelner Organe vom Leben und Tod des Menschen als eines personalen Wesens von einer
theoretischen Frage zu einer praktischen geworden. Menschliche Zellen und Organgewebe gibt
es lange vor der Lebensfähigkeit eines Embryo oder vor dem Beginn des personalen Lebens. Der
Mensch kann die Funktionseinstellung einiger Organe 'überleben', auch die des Herzens, auch
die des Hirns. Manche Organe kann er durch künstliche oder natürliche ersetzen, auch das Herz,
nicht das Hirn. Dennoch gab es zunächst einen kulturellen und ethischen Schock, als im Jahr
1967 die erste Herzverpflanzung durchgeführt wurde. Hatte man nicht traditionell das Herz mit
1
Leben, Lieben und Empfinden gleichgesetzt? Inzwischen haben wir gelernt, mit
Herzverpflanzungen nicht nur medizinisch sondern auch emotional umzugehen. Wir verstehen
immer noch, wenn jemand sagt 'ich liebe Dich mit meinem ganzen Herzen'. 1968 machte eine ad
hoc Kommission der Harvard Medical School den Vorschlag, den personalen Tod eines
Menschen mit dem Ende der Funktion des 'Hirnorgans', gleichzusetzen [2]. Dieser Vorschlag
fand weite Verbreitung und hat seitdem die Einzelfallentscheidung in bezug auf Fragen der
Organspende am Lebensende durch eine generelle Regelung ersetzt. In der Bundesrepublik
lautet die entsprechende Definition der Bundesärztekammer: 'Hirntod wird definiert als Zustand
des irreversiblen Erloschenseins der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des
Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Atmung noch aufrechterhaltenen HerzKreislauffunktion' [7:4397]. Eine klinische Transformation dieses neuen Konzepts findet sich
auch in dem Gutachten des Österreichischen Obersten Sanitätsrates vom 20. Juli 1982 mit
konkreten diagnostischen Hinweisen [3].
Selbst die Sprachregelung, die Organtod mit personalem Tod gleichsetzt, hat sich
durchgesetzt: wir sprechen, ohne daß sich intellektueller oder ethischer Widerspruch erhebt,
ziemlich selbstverständlich vom 'Hirntod'. Unsere Sprachregelung macht also stillschweigend
einen Unterschied zwischen biologischem und personalem menschlichen Leben, das wir in
dieser ethischen und kulturgeschichtlich abgestützten Interpretation biologischer Fakten mit der
Möglichkeit aktiver Hirntätigkeit gleichsetzen. Diese neue Definition vom Tod eines Menschen
läßt sich im abendländischen Kulturkreis kulturgeschichtlich gut begründen. Die wichtigsten
Traditionen waren sich der Bedeutung der kommunikativen und selbstkommunikativen
Fähigkeiten des Menschen für sein Menschsein bewußt. Es bedurfte nur der Erinnerung an die
latente Kraft dieser Identitfizierung von kommunikativem und personalem Sein des Menschen:
Die griechisch-römische Tradition des Humanismus spricht vom 'zoon logon echon', dem
vernunftbegabten Lebewesen; hier wird die Fähigkeit zum Dialog, zur Selbstreflexion und zum
Selbstverständnis als die differentia specifica des Menschen innerhalb der Natur und im
Gegensatz zu anderen Spezies bezeichnet. Altes wie Neues Testament sprechen von der 'imago
Dei', dem Menschen als Ebenbild Gottes, einem Ebenbild, dem Gott nach der Gestaltung des
Leibes 'seinen Atem' einblies. Damit ist im jüdisch-christlichen Verständnis der Mensch als
Gottes Ebenbild die einzige Kreatur, die von Gott weiß, sich vor ihm verantwortlich fühlen, aber
auch von ihm geborgen wissen darf; menschliches Leben ist daher nicht biologisch, sondern im
Licht dieses Personseins zu verstehen und zu bewerten. Es war die latente Kraft dieser Theorie,
die den Konsens über die klinische Feststellung des irreversiblen Ausfalls der Funktionen des
Hirns als identisch mit dem persönlichen Tod erlaubte. Allerdings ist die Definition des
Ganzhirntodes strenger als es theologische und philosophische Traditionen von der Personalität
und Gottesebenbildlichkeit des Menschen erforderlich machen würden [31;33].
1
Angesichts des Fortschritts von Intensiv- und Transplantationsmedizin brachte der
Wechsel von der traditionellen Herz-Kreislauf Definition zur Hirntoddefinition bemerkenswerte
ethische und medizinische Vorzüge: (1) Menschliches Leben, das nicht länger Schmerzen
empfinden oder kommunikativ sich mitteilen kann, muß nicht länger verlängert werden;
emotionale, ethische, kulturelle, medizinische und ökonomische Kosten brauchen nicht mehr
übernommen werden. (2) Organe und Gewebe stehen für Mitmenschen zur Verfügung, die
anderweitig leiden oder eher sterben würden; medizinisches Ethos und mitmenschliche
Solidarität erhalten neue Möglichkeiten beruflicher und menschlicher Hilfeleistung. (3) Eine
kleine Liste biomedizinischer Kriterien von bioethischer Relevanz ersetzt Entscheidungen im
Einzelfall; damit ist ein undiskutierbares Kriterium vorhanden, das von der ethischen Tradition
abgedeckt ist und das vor seinem Eintritt vollen medizinischen und rechtlichen Schutz und die
ungeteilte ethische Solidarität mit dem Mitmenschen fordert, nach seinem Eintritt aber einen
solchen Schutz und eine solche ethische Respektierung nicht mehr begründet.
In den letzten Jahren ist aber diese Formel zunehmend Gegenstand sowohl technischer
wie konzeptioneller Kritik geworden. Beklagt wurden unzureichende konzeptionelle und
technische Kenntnisse unter Ärzten [43]. Vor allem aber haben klinische Untersuchungen
[1;12;22] ergeben, daß traditionelle Meßmethoden [7;14] wie die zerebrale Panangiographie und
die transkranielle Dopplersonographie, die zerebrale Perfusionszintigraphie, die Evozierung von
Hirnpotentialen und das EEG nicht das völlige Abgestorbensein allen Hirngewebes messen
können. Diese Ergebnisse stellen vor allem für den Wortlaut der amerikanischen Formel ein
Problem dar, die von dem 'Ausfall aller Funktionen' des Hirns ('irreversible cessation of all
functions of the entire brain, including the brain stem' [41:2] in einem additiven Konzept
ausgeht, während die deutsche Formel die 'Gesamtfunktion', also ein integratives Modell,
benutzt. Das Überleben von vereinzeltem Hirngewebe oder Hirnstammgewebe, das mit üblichen
klinischen biomedizinischen Methoden zur Feststellung der Kriterien des Hirntodes nicht
gemessen wird, hat zu der bioethischen Frage: 'wieviel Hirn muß tot sein für den Hirntod' [4] und
zur Forderung nach einer Überprüfung von Konzeption, Kriterien und Test für den Hirntod
geführt, weil die bisherigen Kriterien nur einen 'oberflächlichen und zerbrechlichen Konsens'
[44] begründen können. Diese Diskussion ist von zwei Arbeitsgruppen für die Überprüfung der
Konzeption und der Tests in der Bundesrepublik geführt worden [5;14] mit dem Ergebnis, daß
die bestehenden Regelungen in der Tat streng genug sind, weil sie einerseits auf den totalen
biologischen Funktionsausfall des Hirns und nicht auf den personalen Tod abstellen [5] und weil
andererseits bei einem integrativen Modell der Konzeption des Funktionsausfalls das
Weiterleben kleiner und isolierter Gruppen von Neuronen keine Interpretationsprobleme liefert
[14]; auch eine Diskussion der Messungen von Barreli, Fiser, Novitzky [1;12;22] und anderer
von den beiden Gruppen nicht diskutierter Literatur würde zu keiner Änderung dieser
1
Stellungnahmen führen müssen.
Entscheidendere verantwortungs- und ordnungsethische Probleme der Hirntodkriterien
liegen aber nicht in einer möglichen Laxheit von Konzeption oder Messung, sondern in ihrer
strikt und ausschließlich biomedizinischen und überhaupt nicht bioethischen Argumentation und
in ihrer zu großen Unflexibilität und Strenge; diese zu einer steigenden Zahl von kritischen
Änderungsvorschlägen geführt, die es einerseits mit Kriterien des irreversiblen Ausfalls von
neokortikalen Funktionen allein [39;42] genüge sein lassen wollen und die andererseits für
Sonderfälle wie die Anenzephalie separate Entscheidungskriterien vorschlagen [37;40]. Das
ethische und klinische Unbehagen geht vor allem von vier Szenarien aus:
Anenzephale können technisch und ethisch nicht, wie die Bundesärztekammer das in
ihrem letzten Kriterienkatalog zum Hirntod tut [7], unter eine Integrationsformel subsumiert
werden, da das Großhirn fehlt. Deshalb kommt es nicht selten zu Unsicherheiten bei der
intensivmedizinischen Versorgung von Anenzephalen. Es wäre sinnvoller, für diese Fälle
separate bioethische Interpretationen biomedizinischer Fakten vorzunehmen und speziellere
Tests und Regelungen vorzuschlagen [vgl.40;45;33]. Dann würde es nicht immer wieder zu der
emotional und kontrovers diskutierte Frage nach der Organspende von Anenzephalen kommen.
In welche Richtung würde eine verantwortungethische Konzeption gehen müssen? Wenn
Biomediziner und Bioethiker sich über den moralischen Status eines Anenzephalen streiten,
fordern die Prinzipien ethischer Subsidiarität und der Achtung vor der Würde des Gewissens,
Nächstbetroffene entscheiden zu lassen über die ethischen Kriterien für Anwendung oder
Unterlassung intensivmedizinischer Versorgung oder Organentnahme.
Hirntote Schwangere könnten nach der geltenden Formel als lebende Kadaver behandelt
werden unbeschadet der Tatsache, daß sie werdendes Leben unter ihrem Herzen tragen, das
seinen Lebenswillen auch in der hormonellen und physiologischen Kommunikation mit dem
'hirntoten' Körper, in dem es sich befindet, ausdrückt. Auch dieses Szenarium bedarf einer
eigenen ethischen und medizinischen Güterabwägung, bei der eine vorsorgliche
Betreuungsverfügung der Schwangeren oder stellvertretende Gewissensentscheidungen von
Nahestehenden für einen solchen seltenen Fall das bevorzugte Instrument für Intervention oder
Interventionsverzicht sein könnte [19]. Leider hat es einen spektakulären Fall einer hirntoten
Schwangeren gegeben, dessen ethische und medizinische Behandlung in der Literatur kontrovers
war [6]; vorbildlich für die biomedizinische wie für die bioethische Behandlung war dagegen ein
anderer Fall, der nicht ins Zentrum öffentlicher Auseinandersetzung gezerrt wurde [38;17]. Nicht
jeder Fall müßte generell nach dem gleichen Modell behandelt werden, wenn den
Gewissensentscheidungen der Schwangeren und der Familie Entscheidungsqualität
zugesprochen wird, wo ein Konsens im öffentlichen Gewissen sich nicht finden läßt und wo
unflexible biomedizinische Kriterien das menschlich und ethisch Richtige nicht einfangen
1
können.
Vor allem aber haben wir es zunehmend mit der Kritik an der Harvard Formel aufgrund
der wachsenden Zahl irreversibel oder langzeitig komatöser Patienten im 'persistent vegetative
state' zu tun. Auch international wächst die Forderung nach ethischen Konzeptionen, welche
Raum lassen für individuelle Entscheidungen gegen ein eigenes oft langjähriges nachpersonales
Vegetieren und sich nicht an notwendigerweise strikten Schutzgesichtspunkten gegen eine zu
vorzeitige Explantation orientieren. Neokortikale Kriterien als Definitionen für den personalen
Tod werden diskutiert [39;45] oder gefordert [42], ebenso besondere Richtlinien für Patienten 'in
permanent vegetative state' [37]. Diese neuen Formeln würden aber nur alte mit einem anderen
Schwerpunkt ersetzen. Es gibt keine wasserdichte Formel, die für alle Fälle gilt. Die Einführung
einer Gewissensklausel aber in die Kriterien für den Gesamthirntod und die Akzeptanz von in
Betreuungsverfügungen ausgesprochenen Forderungen nach der Respektierung der eigenen
Definition des Todes und des Totseins würden dagegen sowohl die Sicherheit der medizinischen
Betreuung für alle garantieren, die mit der bisherigen Formel unzufrieden sind, wie auch denen
gerecht werden, welche für sich selbst aus sehr guten Gründen und Gewissensentscheidungen
weniger strenge Kriterien wünschen [32].
Für Angehörige anderer Kulturkreise, die eher von der unverletzbaren und nicht in Leib
und Seele, soma und anima, aufteilbaren Einheit des Lebens ausgehen, ist die Einstellung der
Funktion eines Organs, und sei es auch des 'Hirnorgans', kein Grund, dem sterbenden Leben die
mitmenschliche Solidarität und Versorgung zu entziehen. Die ethische Akzeptanz von Kriterien
des Hirntodes in Asien, in Japan beispielsweise, stößt auf große aus der dortigen Kulturtradition
folgende klinische wie ethische Kritik [23]. Dieser Tatbestand thematisiert nun nicht mehr nur
Gewissensentscheidungen innerhalb unseres eigenen Kulturkreises sondern fordert neben einem
globalen transkulturellen bioethischen und biomedizinischen Dialog vor allem auch die Achtung
vor der Würde der Letztüberzeugungen und des Gewissens von Mitbürgern aus anderen
Kulturkreisen in unseren Krankenhäusern.
Insgesamt läßt sich festhalten: Die Gleichsetzung des irreversiblen Ausfalls aller
Funktionen des Hirns inklusive derer des Hirnstamms mit dem Tod des Menschen hat für die
Mehrzahl aller Fälle in einem Konsensmodell zu einer individuell wie gesellschaftlich ethisch
akzeptablen Lösung geführt; es gibt aber Situationen, für welche die Lockerung dieser Definition
durch die Einfügung einer Gewissensklausel ganz im Sinne ethischer und sozialer Subsidiarität
wäre und große ethische Vorteile hätte [32].
HIRNLEBEN UND DER MORALISCHE STATUS DER LEIBESFRUCHT
Für die ethische Bewertung und den rechtlichen Schutz des Anfangs des menschlichen
Lebens haben wir leider keine den Kriterien des Hirntodes als Definition des nachpersonalen
1
Lebens vergleichbaren allgemein akzeptierten Konsens über Kriterien des Hirnlebens als dem
vorpersonalen menschlichen Leben [8;11;31;33]. Es besteht ein öffentlicher Dissens in einer
entscheidenden Gewissensfrage, der nach einer Konfliktlösung im Sinne ethischer Subsidiarität
und der Akzeptanz der Würde des Gewissens verlangt.
Bei der moralischen Würdigung des moralischen Status des ungeborenen menschlichen
Lebens benutzen wir eine Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Parameter, deren
Gleichzeitigkeit und Uniformität selbst schon große ethische und rechtliche Probleme mit sich
bringt. Der Abort innerhalb der ersten drei Monate wird in der Bundesrepublik zwar nicht
bestraft, ist aber rechtswidrig; wie soll der gebildete Laie mit einem solchen Rechtsverständnis
umgehen? Bundesrichter und nicht etwa Bioethiker, Theologen, Mediziner oder Biologen,
interpretieren biomedizinische Daten des Lebensanfangs mit juristischer Letztautorität:
'Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem
menschlichen Leben nach der Geburt'. Die Bundesrichter stellen aber erst 'vom Abschluß der
Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter bis zum Beginn der Geburt' das ungeborene
Leben unter den Schutz von Verfassung und Strafrecht [8:68f]. Sie begründen die Weigerung,
dem ungeborenen Leben für die ersten zwei Wochen den Schutz des Lebens zu sichern, mit dem
Hinweis, daß es sich vor der Nidation nicht um 'Schwangerschaft' handelt; daher bedürfe es 'im
vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob, wie es Erkenntnisse der medizinischen
Anthropologie nahelegen, menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung von Ei und
Samenzelle entsteht' (8:69). Das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz stellt zwar
einerseits den Vorembryo unter Rechtsschutz, verweigert ihm aber Heilversuche und
therapeutische Experimente und verstößt damit gegen den Gleichheitsgrundsatz [3:4).
Im Gegensatz zu Bundesrichtern wissen Embryologen und Gynäkologen, daß man
biomedizinisch nicht sinnvoll von einer 'Verschmelzung von Ei und Samenzelle' reden kann und
daß vom Zeitpunkt des Durchdringens des befruchtenden Spermiums durch die Zona pellicida
bis zur Bildung eines neuen Genoms und seiner in der Genexpression im Vier- bis
Achtzellenstadium sich dokumentierenden Wirksamkeit zwei bis drei Tage vergehen, wir es also
nicht mit einem präzisen Zeitpunkt, sondern mit einem Prozeß zu tun haben [15:6-8;16]. Noch
viele Tage nach der Genexpression kann es zur Zwillingsbildung kommen, vor der eigentlich das
Grundgesetz die 'Würde' der Identität des 'einen Menschen' schützen sollte [8]. Einerseits bleibt
die dem menschlichen NeuLeben zugesprochene Menschenwürde nach der Argumentation des
BVG in den ersten Wochen ihrer Existenz als Rechtsgut im Sinne des Strafgesetzbuches
ungeschützt [8], andererseits stellt das Embryonenschutzgesetz die medizinische Forschung an
Embryonen vom Tage der Befruchtung an [9] unter Strafe. Die Schutzpflicht des Staates und des
Gesetzes wird auf diese Weise zwar jeweils uniform und generell, aber gleichzeitig
situationsbedingt und kontextual beliebig realisiert. Eine solche rechtliche Beliebigkeit des
1
Umgangs mit dem beginnenden menschlichen Leben ist nicht nur Ausdruck einer schwer
nachvollziehbaren Argumentation [18] sondern auch eines Unverständnisses für die
präambelhafte Leitfunktion des Begriffs der Menschenwürde für die gesamte Verfassung und
auch für die Konkretisierung der Würde des geborenen Lebens und seines Gewissens, der
Schwangeren und ihrer Gewissensentscheidung beispielsweise, die 'Erkenntnisse der
medizinischen Anthropologie' im Lichte ihrer religiösen oder humanistischen Orientierung
anders auslegen zu müssen, als die Karlsruher Richter das tun. Der Spruch der Karlsruher
Richter scheint daher selbst die Verfassungsnorm der Unantastbarkeit der Würde des Menschen
zu verletzen, hier: die Würde von schwangeren Frauen. Ein solches Vorgehen stärkt
medizinische und individuelle Doppelmoral; es schadet der Autorität des Rechts und dem von
der Verfassung garantierten Recht auf Selbstbestimmung, - die Menschenwürde und die Würde
des Gewissens bleibt auf der Strecke.
Schauen wir uns aber, um nach einer möglichen Symmetrie zwischen Anfang und Ende
des personalen Lebens zu suchen, die Fakten der embryonalen und der neuronalen Entwicklung
der ungeborenen Lebens genauer an [20]. Wie am Lebensende geht es auch am Anfang des
menschlichen Lebens um die bioethische Bewertung von biomedizinischen Fakten, die selbst
wertneutral sind und einer in der ethischen Tradition abgestützten konsensfähigen Interpretation
bedürfen.
Für diese ethische Bewertung scheint das erste Entstehen organspezifischen Gewebes in
der späteren Großhirnrinde von Bedeutung zu sein. Mit dem Auftreten der ersten postmitotischen
stationären Zellen im Kortex vom 54. Tage nach der Empfängnis an haben wir die ersten
organspezifischen Zellen, 'definitive Neurone' [15:33], unter denen vom 70. Tage ab erste
zelluläre Kontakte in Form von Synapsen nachweisbar sind [15:32]. Eine solche
Synapsenbildung der stationären und nicht mehr teilbaren Neurone ist erst die Bedingung der
Möglichkeit, daß sich eine organspezifische Gewebestruktur entwickelt und danach in
vermehrter und sich beschleunigender Synapsenbildung und in Verbindung mit anderen Teilen
des Hirns und des Nervensystems schließlich zum biologischen Korrelat für Steuerungen von
Körperfunktionen und Organen, Kommunikation, Wertorientierung und Selbstkommunikation
wird [20; 15].
Wenn wir nach einem Gegenstück zur Hirntoddefinition am Ende des Lebens suchen,
dann bieten sich Stadien nach dem 70. Tage an; denn vor dem 70. Tage können keine
hirnorganspezifischen Funktionen, wie sie für die Entwicklung der Kriterien des Hirntodes
konstitutiv waren, wahrgenommen werden, weil das Organ einfach noch nicht vorhanden ist
[31;33]. Irgendwann nach dem 70. Tage müßte also das 'Noch nicht' dessen liegen, was in der
Hirntoddefinition dem 'Nicht mehr' entspricht. Um die argumentativen Risiken einer
konsensorientierteren ethischen Interpretation der evolutionären neuronalen Entwicklung des
1
Hirngewebes nach dem 70. Tage zu vermeiden, habe ich vor Jahren vorgeschlagen, schon von
diesem Zeitpunkt ab von einem ethisch zu respektierenden und rechtlich zu schützenden
Hirnleben zu sprechen [31;33]. Als Gegenstück zu den Kriterien des Hirntodes würden die
Kriterien für Hirnleben, welche in ihrer bioethischen Transformation ethische Achtung und
rechtlichen Schutz für das ungeborene Leben verlangt, lauten können: 'Hirnleben wird definiert
als mit der Synapsenbildung in dem sich entwickelnden Neokortex beginnend. Von diesem
Zeitpunkt an ist dem sich entwickelnden personalen Leben der volle rechtliche Schutz und die
volle ethische Anerkennung zu sichern, wie das auch für das geborene Lebens bis zum Eintritt
des irreversiblen Erlöschens der Hirnfunktionen gilt'.
Mit einer solchen Entscheidung zum Schutz des ungeborenen Lebens, die durch die
kulturellen Traditionen des Abendlandes abgestützt und deshalb politisch und kulturell
konsensfähig sein sollte, wären entscheidende ethische und rechtliche Konsequenzen fällig: (1)
Die vom Bundesverfassungsgericht vorgewiesene Richtung könnte verlassen werden im
Interesse einer symmetrischen und dem Unterschied zwischen vorpersonalem und
nachpersonalem menschlichen Leben auf der einen und personalem Leben auf der anderen Seite.
(2) Vor dem 70. Tag steht das vorpersonale menschliche Leben des Embryo ebenso wie das
nachpersonale Leben des Hirntoten nicht unter dem gleichen Schutz der Verfassung;
Menschenwürde und Lebensrecht erscheinen in anderen Parametern, aber dem vorpersonalen
wie dem nachpersonalen Leben gebührt Respekt und Achtung und ein frivoler und unzivilisierter
Umgang mit ihm kann nicht akzeptiert werden. (3) Forschung an frühen Embryonen vor dem 70.
Tage ist erlaubt, müßte aber unter der begleitenden Kontrolle einer Ethikkommission stehen und
durch andere besondere Sicherheitsmaßnahmen, wie sie auch bei der Organspende von Hirntoten
gelten, vor Mißbrauch geschützt werden. (4) Prä-implantationsdiagnostik und Pränataldiagnose
auf eine kleine Zahl von schwersten Erbkrankheiten erlaubt den Begriff verantwortlicher
Elternschaft im Licht der neuen diagnostischen Methoden neu zu definieren. (5) Der
Schwangerschaftsabbruch vor dem 70. Tage bedarf keiner besonderen Begründung vom
Einzelfall her, ähnlich wie der Behandlungsverzicht nach der Diagnose des Hirntodes. (6) Eine
Übereinkunft, den Beginn des ethisch zu respektierenden und rechtlich zu schützenden
menschlichen Lebens vom 70. Tage nach der Empfängnis und bis zum Eintritt des Hirntodes zu
verabreden, läßt sich durch standesrechtliche Regelungen der Ärztekammern oder als
Rechtsnorm in einer Neufassung der Paragraphen 217 bis 219 des Strafgesetzbuches
formulieren. Eine solche Rechtsnorm könnte sich (a) auf starke humanistische und theologische
Traditionen stützen und (b) ethische Dilemmata beim Schutz des embryonalen und des hirntoten
Lebens zu vermeiden.
Aber auch eine solche uniforme Regelung für den Anfang des ethisch zu respektierenden
und gesetzlich zu schützenden Lebens hat ihre Probleme, vergleichbar denen bei der uniformen
1
Bestimmung der Kriterien des Hirntodes, die keine individuelle Interpretation für den eigenen
Tod erlaubt. Argumente aus der Tradition, die konsensstiftend sein könnten, greifen nur soweit,
wie sie auch wirklich akzeptiert werden. Ich habe die soeben zusammengefaßten Argumente
einer bioethischen Symmetrie zwischen Hirntod und Hirnleben und deren gemeinsame Basis in
der klassischen Animationstheorie seit knapp zehn Jahren vertreten [31;33]. In den
nachfolgenden Diskussionen ist jedoch deutlich geworden, daß eine Hirnlebensformel derzeit
wenig Chancen hätte, ebenso weitgehend konsensfähig zu werden wie die Hirntodformel.
Angesichts eines gesellschaftlichen Szenariums von Dissens, in welchem traditionelle
Orientierungskonzepte sich nicht konsensfähig in die neue Zeit extrapolieren lassen und in
welchem Politiker, Juristen, Theologen und Ethiker häufiger kontroversorientiert, seltener
konsensorientiert diskutieren, schlage ich vor im Sinne des Modells ethischer Subsidiarität auch
für den Lebensanfang über die Öffnung uniformer Regelungen durch eine Gewissensklausel
nachzudenken, die es Schwangeren erlaubt, auf Grund individueller weltanschaulicher oder
religiöser Güterabwägungen nach ihrem Gewissen zu entscheiden.
Nur eine Gewissensklausel kann den Gewissensterror von uniformen Rechtsregelungen
beseitigen und der individuellen Verantwortung und der Würde des Gewissens ihre
verfassungsgemäßen Rechte und Pflichten zurückgeben. An anderer Stelle habe ich auf das
Ethos der Subsidiarität [34], an die Akzeptanz von Gewissensentscheidungen in
Betreuungsverfügungen [19], auch bei hirntoten Schwangeren [18] und bei der Bevorzugung von
Kriterien des irreversiblen Verlustes von neokortikalen Funktionen als Kriterien des eigenen
Todes hingewiesen [32].
'ZWEIHEIT IN EINHEIT' UND DIE MENSCHENWÜRDE DER SCHWANGEREN
Das Bundesverfassungsgericht hat ein sehr einprägsames Bild von dem Verhältnis
zwischen dem Fetus und der Schwangeren gebraucht, leider ohne es verfassungsrechtlich und
ethisch näher zu analysieren: 'Zweiheit in Einheit'[8]. Es handelt sich in diesem Bild der
ethischen und rechtlichen Abwägung des Schwangerschaftsabbruchs um zwei Träger möglicher
verfassungsrechtlicher oder anderer Rechte, die ineinander sind, nicht gegeneinander oder
auseinander. Die ethische und rechtliche Würdigung dieses einmaligen und unverwechselbaren
Szenariums bedarf deshalb einer grundsätzlich anderen als der bisherigen
verfassungsrechtlichen, zivilrechtlichen und strafrechtlichen Würdigung. Zur Leibesfrucht geht
der Weg nur durch die Mutter; deshalb sind auch die 'Rechte' der Leibesfrucht nicht mit dem
normalen Maß, das unter sich gegenüber stehenden Personen üblich ist, zu messen, sondern mit
einem Maß, das die eigentümliche Doppelrollen des Ungeborenen und der Mutter würdigt:
Einerseits ist die Leibesfrucht Teil des mütterlichen Körpers, ohne den sie nicht leben kann,
andererseits ein mögliches künftiges selbständiges Individuum, das Verträge schließen kann oder
1
in dessen Namen man stellvertretend rechtshandelnd tätig werden kann. Einerseits ist die Mutter
selbstbestimmungsberichtigt und -verpflichtet, andererseits ist ein mögliches künftiges
selbständiges Individuum Teil ihres Körpers und auf ihre Solidarität und ihren Schutz und
Körper zum Weiterleben angewiesen.
Das Modell der ethischen Subsidiarität kann in dieser gesellschaftlich ungelösten
Konfliktsituation das verantwortungsethische und ordnungsethische Problem zurückverlagern in
die Respektierung der Würde des Menschen im Respekt vor der Würde der
Gewissensentscheidung der Schwangeren. Bei Nichtrespektierung der Gewissensentscheidung
der Schwangeren durch Staat, Gesellschaft oder Religionsgemeinschaft als der nächstbetroffenen
Person und als direkt identifizierbarer und schützbarer Träger von Menschenwürde würden diese
gegen das Gebot der Achtung vor der Menschenwürde verstoßen. An die Stelle der heiß
diskutierten Alternative zwischen einer Fristenlösung und einer Indikationslösung sollte eine
vom Subsidiaritätsprinzip gestützte Gewissenlösung treten.
Nur die abweichende Meinung der Bundesrichter Mahrenholz und Sommer zieht aus
dem Bild von der Zweiheit in Einheit die Konsequenz, daß 'das einzigartige Zuordnungsproblem
der 'Zweiheit in Einheit'.. grundrechtlich auch nicht annähernd in einer bloßen
Gegenüberstellung von Embryo und Frau eingefangen werden (kann), (die grundrechtliche Lage
der Frau) ist vielmehr ihrem Wesen nach durch die Verantwortung für das andere Leben mitbestimmt, weil sie dieses Leben in sich trägt. Damit wird nicht ausgeklammert, daß der Frau
dieses andere Leben mit eigener menschlicher Würde auch 'gegenübersteht'' [8: Anhang S. 6].
Die beiden Richter betonen, daß sich mit dem Wachstum des Embryo diese Zweiheit in Einheit
in ihrer inneren Gewichtung verschiebt. Ich würde diese evolutionäre Modifizierung von
Subsidiarität unter Kriterien der Verantwortungsethik und Ordnungsethik so formulieren: 'Das
Gewissen der Schwangeren, das einen Abort mit guten Gründen rechtfertigt, verliert mit jeder
Woche, in der der Entschluß nicht ausgeführt wird, an moralischer Autorität, während
gleichzeitig nicht nur das ungeborene Leben sondern auch sein Lebensanspruch wächst, - und
irgendwann würde diese moralische Lebensanspruch des ungeborenen Lebens auch von
rechtlicher und gesetzgeberischer Relevanz werden müssen.'
Angesichts des Streites unter Philosophen, Theologen und Ethikern, danach auch unter
Politikern, Journalisten, Dichtern, Schriftstellern, Wissenschaftlern und Juristen verschiedener
Richtung sollten wir überhaupt darauf verzichten, uniforme Regeln für einen bestimmten
Zeitpunkt der moralischen Anerkennung des ungeborenen Lebens festzuschreiben, sei es der der
Nidation, den das Bundesverfassungsgericht vorschreibt [8], sei es den der Synapsenbildung, den
ich in Analogie mit der Hirntoddefinition vorgeschlagen hatte [31;33]. Die Würde des
Menschen, die unantastbar ist, wird vor allem im Respekt vor der Würde des Gewissens einer
Schwangeren geschützt, die ungeborenes Leben in sich trägt; deshalb läßt sich als
1
verantwortungsethische Maxime einer Gewissenslösung nach dem Prinzip der ethischen
Subsidiarität formulieren: 'Solange Theologen, Ethiker, Juristen und Politiker über den Beginn
des ethisch zu respektierenden und rechtlich zu schützenden Anfangs des menschlichen Lebens
streiten, muß die Verantwortung primär der Schwangeren als der Nächstbetroffenen und direkt
Verantwortlichen überlassen bleiben. Staatliche und kirchliche Institutionen aber sollten
Gewissensentscheidungen von Frauen respektieren und alles tun, um Gewissen und
Verantwortung von Frauen zu stärken und, wo gefordert oder nötig, zu beraten'.
UNZULÄNGLICHKEITEN DES POTENTIALITÄTSPRINZIPS
Gegen die Animationstheorie, die von der katholischen Kirche und dem Kirchenrecht bis
in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhundert vertreten wurde [21], und gegen die Würde der Frau
auf Selbstbestimmung wird mit der These von der Potentialität argumentiert. Diese Theorie
unterstellt, daß sich aus der Möglichkeit eines künftigen Faktums die Forderung nach der
Verantwortung zur Realisierung des künftigen Seins für Dritte ergibt, hier vor allem für die
Schwangere für das ungeborene Leben. Es lassen sich viele Entwicklungsstadien vor der
Nidation angeben, für welche dieses Argument der ethischen Forderungen aus der Potentialität
vorgebracht werden könnte, von denen ich nur einige frühe verantwortungsethisch und
ordnungsethisch diskutiere.
Die früheste und erste Form von NeuLeben ist das ovulierte Ovum und das ejakulierte
Spermium. Beide erfüllen in hervorragender Weise die Kriterien der Theorie der Potentialität,
nach der sich aus der Potentialität von Leben ethische Forderungen an Dritte zur Realisierung
dieser Chancen von Potentialität ergeben. Ovum und Spermium demonstrieren durch die
Haploidität ihres genetischen Seins sowie durch ihre relative kurze Lebensfrist einerseits die
Potentialität der Menschwerdung und andererseits die Notwendigkeit der Assistenz durch ein
sich für die Realisierung der Potentialität verantwortlich fühlendes ethisches Subjekt,
Individuum oder Gesellschaft. Einer ethische Akzeptanz der Potentialität menschlichen
NeuLebens auf dieser ersten Stufe stehen jedoch unüberwindbare praktische Probleme entgegen,
welche die Aufstellung der Forderung ethisch absurd erscheinen lassen. Ethisch nicht
realisierbare Forderungen aufzustellen, ist höchst bedenklich und abzulehnen; dieser
Gedankengang kann hier nicht vertieft und ausführlicher analysiert werden. Auch auf das Prinzip
der Potentialität müßte genauer eingegangen werden. Seine konkrete Anwendung im Gebiet der
menschlichen Fertilität würde unter anderem auch verlangen, das Zölibat und sogenannte
'natürliche' und 'widernatürliche' Formen der Empfängnisverhütung und die Familienplanung
gegenüber den Forderungen aus der Potentialität abzuwägen.
Ein zweites Stadium, das medizinisch etwas unpräzise als Vereinigung von Ei- und
Samenzelle beschrieben wird, argumentiert ebenfalls von Potentialitätsprinzip her und wird
1
prominent durch die heutige römisch-katholische Moraltheologie und an ihr sich orientierende
Argumentationen vertreten. Im Gegensatz zu Ovum und Spermium handelt es sich bei den
frühen Blastomeren in der Tat um eine höhere Form von realisierter Überlebenschance; die
Überlebensrate dieser weiteren Stufe von potentiell individuellem NeuLeben ist allerdings
weniger als 50%, teils wegen der Risiken der Nichtimplantation, teils wegen der Möglichkeit der
Mehrlingsbildung. Die Genexpression wird erst im Vier- bis Achtzellen-Stadium wenig später
erreicht. Die 'Struktur' des neuen Genom ligt in den ersten zwei Blastomeren schon vor. Der
'Code' wird wenig später wirksam [6]. Wir haben danach einen funktionierenden individuellen
genetischen Code, aber nicht mit Sicherheit ein einzelnes Individuum vor uns. Würde man das
Prinzip der Potentialität radikal durchsetzen wollen, so würde man sich eher für die Potentialität
jeder einzelnen totipotenten Zelle als für diejenige des Zellenkonglomerats insgesamt
verantwortlich wissen müssen und ein Ethos des Kloning entwickeln, ein ethisch absurder
Gedanke, der aber vom Prinzip der Potentialität her gedacht nur konsequent wäre. Vor allem in
Szenarien der extrakorporalen Befruchtung ergeben sich Konflikte bezüglich der Solidarität mit
dem Konglomerat als solchem oder der einzelnen totipotenten Zelle, wenn man das
Potentialitätsprinzip als Kriterium der Verantwortung für dieses Stadium des menschlichen
Lebens zugrunde legt. In seiner radikalen Anwendung dürfte es die einzelne Zelle dem
Konglomerat vorziehen müssen. Dies führt natürlich ebenfalls wieder durch die Möglichkeit
wiederholter Teilung in weitere totipotente Zellen in vergleichbare theoretische und praktische
Unlösbarkeiten. Wie wenig durchdacht der ethisch-rechtliche Umgang mit diesen ersten Stufen
der Entwicklung von NeuLeben im übrigen ist, hat Bernat unterstrichen, wenn er darauf
hinweist, daß das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz zwar einerseits den Keimling und
die Oocyte unter Rechtsschutz stellt, andererseits aber gegen Gleichheitsgrundsatz und
Solidaritätsprinzip verstoßend, weder Heilversuche noch therapeutische Experimente im
Interesse dieser frühesten Formen von NeuLeben zuläßt [3].
Im weiteren Verlauf der Zellteilungen verliert sich die Totipotenz der einzelnen Zelle, so
daß die Solidarität mit dem heranwachsenden Leben sich auf eine Einheit konzentrieren kann.
Die ethische Verantwortung für dieses Stadium der Entwicklung müßte sich aber von der enorm
hohen natürlichen Abortrate veranlaßt sehen, alle nur möglichen Forschungen zu unternehmen,
die Zahl der Aborte zu reduzieren. Zur Optimierung der Infertilitätsbehandlung bieten sich seit
langem solche Forschungen an; sie wären auch gesundheitsökonomisch effektiv, wenn man
gewonnene Lebensjahre mit Forschungs- oder Interventionskosten korreliert. Vertreter eines
absoluten Lebensrechts des ungeborenen Lebens und des Prinzips der Potentialität müßten
solche Forschung vehement verlangen, lehnen sie jedoch im Gegenteil ab.
Potentialitätsargumente sind es, die seit dem 1. Vatikanum die offizielle Position der
römisch-katholischen Kirche und verwandter Positionen repräsentieren. Diese Argumentation ist
1
mit drei unterschiedlichen und nicht lösbaren Problemen konfrontiert. Das erste Problem ist ein
grundsätzliches und fragt, ob denn jede Potentialität eine ethische Aktion eines Dritten verlangen
kann. Ein Beispiel: vorausgesetzt ich verfüge über die Potentialität, einen Lamborghini zu
fahren, u. a. weil ich über einen Führerschein verfüge, welches ethisch oder rechtlich
einforderbare Recht Dritten gegenüber ergibt sich aus dieser Potentialität, untermauert sogar
durch meinen ausdrücklichen Wunsch nach einem Lamborghini oder überhaupt einem Auto?
Das zweite Problem ist eines der Festlegung des Zeitpunktes der zu respektierenden Potentialität.
Eigentlich sind alle Stadien von der Potentialität der Keimzellen bis hin zu den Lebenschancen
des Neugeborenen Kandidaten für das Theorem der Potentialität. Die Bevorzugung einer dieser
Stufen, mit 'Vereinigung von Ei- und Samenzelle' biomedizinisch unzulänglich und falsch
umschrieben, vor den anderen, ist eigentlich eine ontologische Entscheidung, die sich hinter dem
Theorem der Potentialität verbirgt [31;33]. Das dritte Problem ist das der Realisierbarkeit der
Ansprüche aus der Potentialität. Das Potentialitätsprinzip ist nicht so durchgängig akzeptiert, wie
von seinen Anhängern im Falle des ungeborenen Lebens propagiert, ja, es wird oft anderen
Prinzipien untergeordnet. Gegen das Potentialitätsprinzip verstößt sowohl das Zölibat wie jede
Form des Verzichts auf prokreativen Sex oder diejenigen Formen von Sexualverkehr, bei denen
die Prokreation technisch oder hormonell ausgeschlossen wird, natürlich auch alle Formen von
Familienplanung.
Zusammenfassend läßt sich festhalten: Das Kriterium der Potentialität, welches vom
Moment der unpräzise beschriebenen 'Verschmelzung von Ei- und Samenzelle' ab das
ungeborene Leben generell schützen will, ist argumentativ und ethisch voller Widersprüche und
widerspricht der Achtung vor der Würde von Frauen und ihren Gewissensentscheidungen. Es
sollte im Interesse einer besseren Begründung des moralischen Status des ungeborenen Lebens
aufgegeben werden.
RECHTSREGELN UND GEWISSENSKLAUSELN FÜR ANFANG UND ENDE DES
LEBENS
Die Überlegungen zur Würde des Menschen, wie sie sich in der Diskussion um den
ethischen Umgang mit Anfang und Ende ausdrückt, machen die Vorteile und Nachteile von
uniformen Rechtsregelungen sehr deutlich. Auch das symmetrische Modell des Lebensschutzes
vom Ende des vorpersonalen Lebens bis zum Eintritt des nachpersonalen Lebens, das mit den
Kriterien von Hirnleben und Hirntod arbeitet, ist noch ein uniformes und bedarf der
Rückbindung an die Würde des individuellen Gewissens als der entscheidenden Instanz, die es
von dem Verfassungsgebot des Schutzes der Würde des Menschen zu schützen gilt.
Bestehende Regelungen der juristischen Definition und der medizinischen Feststellung
des Beginns und des Endes des ethisch zu respektierenden und rechtlich zu schützenden Lebens
1
eines Menschen sind zu uniform und zu generell. Das hat einerseits den Vorteil, daß nicht in
jedem Einzelfall von Gerichten, Eltern, Betreuern oder Ärzten über individuelle Kriterien des
Beginns oder Endes des schützenswerten Lebens entschieden werden braucht und auch nicht
entschieden werden darf. Die Uniformität hat aber andererseits den schwerwiegenden Nachteil,
daß sie dem individuellen Gewissen und dem selbstbestimmungsberechtigten und -verpflichteten
Bürger aus der Uniformität nicht auszubrechen erlauben. Das führt zu Angst, Gewissensterror
und einem nicht lösbaren verantwortungsethischen und ordnungsethischen Konflikt zwischen
Recht und Gewissen. Die Angst vor dem gerichtlichen und staatlichen Eingriff in das
Selbstbestimmungsrecht der Frau und vor dem Zwang des Gewissens beruhen auf der
Ohnmacht, sich mit eigenen Argumenten gegen diejenigen von Richtern, Theologen und
Parlamentariern nicht durchsetzten zu können. Die Angst vor der unpersönlichen Kälte der
Kriterien des klinischen Todes als Gesamthirntod beruht darauf, daß der einzelne keinen Einfluß
auf eine von anderen, Ärzten und Ethikern mit den besten Absichten gemachte Definition und
ihre technische Umsetzung in die Diagnostik auf den Zeitpunkt des eingetretenen Todes hat, kein
'Recht auf den eigenen Tod' sieht. Die uniforme Lösung der rechtlichen Vorschriften zum
Schwangerschaftsabbruch versäumt es, angesichts der Pluralität weltanschaulicher und religiöser
Überzeugungen in der offenen Gesellschaft zunächst einmal die Menschenwürde in der Pflicht
und dem Recht auf Gewissen und Selbstverantwortung ernstzunehmen.
Das Bundesverfassungsgericht müßte die Kriterien des Hirntodes [7] als einen Verstoß
gegen die 'Menschenwürde' bezeichnen müssen, wenn es seine Argumentation schlüssig
durchhalten wollte. Anders als beim Lebensbeginn, haben aber Parlamente und Verwaltungen
beim Lebensende Gesetzes- und Verordnungsinitiativen unternommen, die es gestatten,
Selbstbestimmungsrecht und Gewissensentscheidungen durchzusetzen. Vom Betreuungsgesetz
her sollte es rechtlich zulässig sein, sich verbindlich auch über die Kriterien zu äußern, die für die
Bestimmung des Eintritts des eigenen Todes gelten sollen [19; 32]. Nicht zuletzt auch unter dem
Eindruck von immer mehr vegetabilen Menschen auf Intensivstationen und einem oft nur an
technischen Möglichkeiten, nicht an individuellen Notwendigkeiten sich orientierenden Einsatz
der Apparatemedizin am Lebensende wächst der Wunsch nach vorsorglicher Selbstbestimmung
für die letzten Stunden des Lebens, die Beeinflussung der Begleitumstände des Übergangs vom
Leben zum Tod und der Kriterien des eigenen Todes. Gleiches sollte angesichts des Streites
zwischen Theologen, Philosophen, Neurologen und Embryologen, Männern und Frauen,
Richtern und Bürgern mit gesundem Menschenverstand auch für den Anfang des Lebens als
Maxime einer Gewissensregelung gelten: 'Wo die Experten sich streiten und auch keine
existentielle oder normative Autorität in der Sache begründen können, da sollte die Frau als
Betroffene entscheiden, als diejenige, unter deren Herzen das neue Leben heranwächst, die es
austrägt und die es aufziehen wird.'
1
Wie anders als in der Würdigung der Würde des Gewissens läßt sich Menschenwürde
besser bestätigen und schützen. Die Gewissenslösung für die verantwortungsethischen und
ordnungsethischen Probleme am Anfang und Ende des menschlichen Lebens im Sinne des
Subsidiaritätsprinzips würde eine ordnungspolitische Regelung mit einer Gewissensklausel
verbinden, die es der Bürgerin und dem Bürger erlaubt, aus der Uniformität einer generell
geltenden heteronomen Formel auszubrechen, wenn sie oder er es will, die aber als
Rückfallposition für diejenigen gilt, die mit der geltenden Regelung keine Gewissensprobleme
haben. Eine solche Formel als Kombination der ontologischen Position aus der
Animationstheorie und der ethischen Subsidiarität aus der Theorie der Selbstverantwortung und
Verantwortung für andere könnte lauten: '(1) Die Würde einer menschlichen Person ist
unantastbar von dem Moment an, in dem integrierte Funktionen des Hirns sich entwickeln, bis
zu dem Moment, in dem diese Integration irreversibel erloschen ist. Die im Mutterleib
heranwachsende Leibesfrucht steht unter dem Schutz der Verfassung, wenn entweder (a) die
Nidation erfolgt ist, oder (b) integrierte Funktionen des Hirns sich von der zehnten
Schwangerschaftswoche ab entwickeln, oder (c) die Leibesfrucht auch außerhalb des
Mutterleibes lebensfähig wäre. Die Verfassung schützt das Leben eines Menschen nicht mehr,
wenn entweder (a) Herz und Kreislauf oder (b) die Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und
Hirnstamm oder (c) die Funktionen des Großhirns irreversibel erloschen sind. (2) Der Staat kann
im Interesse von Rechtsschutz und ethischer wie medizinischer Sicherheit der Bürger je eines der
Kriterien als generelle Norm für den Anfang und das Ende des ethisch zu respektierenden und
gesetzlich zu schützenden menschlichen Lebens festschreiben, muß aber eine Gewissensklausel
zulassen, die es dem Bürger erlaubt, andere ethische und religiöse Kriterien für den Beginn und
das Ende der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens in freier Gewissensentscheidung
festzulegen. (3) Der Staat muß dem Bürger für Entscheidungskonflikte beim
Schwangerschaftsabbruch
und
im
Zusammenhang
mit
der
Erstellung
von
Betreuungsverfügungen Beratungsmöglichkeiten sichern.'
Das Modell der Gewissenslösung hat eine Reihe von Vorzügen gegenüber den
bisherigen Bestimmungen über den Schutz des ungeborenen Lebens, wie auch gegenüber den
unflexiblen Kriterien des Hirntodes ohne Gewissensklausel; ich nenne die folgenden zehn: (1)
Angesichts unterschiedlicher religiöser und kultureller wie ethischer Traditionen weltweit und
innerhalb einzelner Gesellschaften kann nur eine Gewissensklausel innerhalb jeder generellen
Festlegung des moralischen Status von ungeborenem Leben und von Tod und Todeszeitpunkt
Selbstverantwortung, die Würde des Gewissens, den Schutz des ungeborenen Lebens und das
Recht auf den eigenen Tod, sowie religiöse wie weltanschauliche Toleranz sichern. (2) Eine
durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens gestützte generelle Definition des
Lebensschutzes vom Beginn bis zum Ende des Lebens gibt denjenigen, die sie unterstützen,
1
Rechtssicherheit. (3) Personen, die sich aus Gewissensgründen für einen späten
Schwangerschaftsabbruch innerhalb einer flexiblen Formel oder für den Großhirntod
entscheiden, werden nicht durch Rechtsregelungen oder Standesregelungen von der
Gemeinschaft oder von den Ärzten in ihrer Gewissensentscheidung diskriminiert und damit
weder in ihrer Menschenwürde verletzt noch zu einem vegetativen Leben oder der Austragung
einer Leibesfrucht gegen den eigenen Willen verurteilt. (4) Ärzte und heilberuflich Tätige
können nicht gegen ihren Willen zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Pflege und Betreuung
von vegetativem Leben gezwungen werden, dürfen aber auch nicht durch Behandlungsverzicht
einen Abort veranlassen oder vegetatives Leben außer in Orientierung an
Betreuungsverfügungen unversorgt lassen. (5) Definitionen von Hirnleben und Hirntod als
generelle Normen erhalten eine robustere und stabilere Akzeptanz, wenn sie als Rückfallposition
gelten, der gegenüber nachdenkliche und selbstbestimmungsfähige Bürger weniger strenge
Kriterien für sich selbst festlegen können. (6) Die Einführung einer Gewissensklausel stärkt das
individuelle und gesellschaftliche Vertrauen in die Würde des Gewissens als des direkten und
stärksten Ausdruck der Würde eines Menschen. (7) Die Interaktion von genereller Norm und
Gewissensklausel verändert die Zielrichtung des gesellschaftlichen Diskurses weg von
Konfrontation und hin zu Konsens und Verständnis. (8) Im Modell der ethischen Subsidiarität
werden der gesellschaftlicher Diskurs, die medizinische Versorgung und die Rechtsprechung
befreit von unergiebigen Missionsversuchen und unlösbaren Grundsatzkontroversen; nicht
zuletzt wird der Bürger frei von paternalistischen Bevormundungen und Gewissenskontrollen.
(9) Generelle Normen in der Verbindung mit Gewissensklauseln machen patientenorientierte
medizinische Beratung, Behandlung und Betreuung erst wieder möglich und befreien
entsprechend dem Modell der ethischen Subsidiarität von der Uniformität der einen
verbindlichen Formel. (10) Wenn Philosophen, Theologen, Ethiker, Mediziner, Juristen und
Politiker sich über Lebensanfang und Lebensende, Sterblichkeit und Unsterblichkeit, den
Todeszeitpunkt und den Zeitpunkt der Beseelung des sterblichen Körpers mit der unsterblichen
Seele und über die Notwendigkeiten und Grenzen staatlicher oder medizinischer oder juristischer
Bevormundung von Bürgern, Patienten und Ärzten streiten, gibt es kein Mandat für eine einzige
wasserdichte Formel und Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Tod bekommen je wieder ihre
eigene Wertigkeit im individuellen und im gesellschaftlichen Leben, von der sie einiges in der
Uniformität genereller Formeln verloren hatten.
Die Befürchtung, daß im Gewissensmodell mit der Freigabe des Denkens und des
Gewissens die öffentliche Ordnung und die Moral zusammenbrechen würde ist nicht neu; sie ist
so alt wie der kalte und heiße Krieg des Fundamentalismus gegen die Aufklärung und das
Gewissen. Spinoza schrieb im Untertitel seines 'Theologisch-Politischen Traktats' (1670), in dem
er eindringlich für die Freiheit des religiösen und philosophischen Gewissens plädierte, daß mit
1
dem Wegfall des Gewissenszwanges nicht etwa auch öffentliche Ordnung und staatliche
Sicherheiten hinwegfallen würden, sondern daß im Gegenteil durch die Vernichtung der Freiheit
und Würde des Gewissens sich auch die öffentliche Ordnung und die staatliche Gemeinschaft
selbst vernichten würde. In kleinerem Rahmen kann diese Einsicht auch auf die inhaltlichen wie
methodischen Diskussionen um den Anfang des ethisch zu respektierenden menschlichen
Lebens übertragen werden. Wie sollen wir das menschliche Leben respektieren, wenn nicht
zunächst und primär in der Würde seines Gewissens und der Entscheidung nach Werten und
Prinzipien und in der Verantwortung vor dem Mitmenschen.
1
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34. Sass HM (1994) Hippokratisches Ethos und nachhippokratische Ethik, Bochum: Zentrum für
Medizinische Ethik
35. Sass HM, Viefhues H (1992) Differentialethische Methodik in der biomedizinischen Ethik,
München: GSF-Forschungszentrum
36. Schutz des Ungeborenen Lebens. Öffentliche Anhörung des Sonderausschusses 'Schutz des
ungeborenen Lebens' des Deutschen Bundestages (1992) Zur Sache. Themen parlamentarischer
Beratung, 1/92
37. Shapiro, R. S.: 1990, The Case of L. W.: An Argument for a Permanent Vegetative State
Treatment Statute, Ohio State Law Journal, 51, 439-450
38. Siegel KE (1993) Wir durften nicht aufgeben, Gütersloh
39. Sorenson J. H.: 1988 The Determination of Death. The Need for a Higher-Brain Death
Definition, Medical Ethics, J. F. Monagle, D. C. Thomasma, ed., Rockville MD, Aspen Publ, pp.
234-248
40. Truog RD, Fletcher JC (1990) Brain Death and the Anencephalic Newborn, Bioethics 4,
199-215
41. US, President's Commission for the Study of Ethical Problems in Medicine and Biomedical
and Behavioral Research: 1981, Defining Death, Washington DC, Government Printing Office
42. Veatch RM (1993) The Impending Collapse of the Whole-Brain Definition of Death,
Hastings Center Report 23 (4): 18-24
43. Youngner SJ et al (1989) 'Brain Death' and Organ Retrieval. A Cross-sectional Survey of
Knowledge and Concepts among Health Professionals, JAMA 261: 2205-2210
44. Youngner SJ (1992) Defining Death. A Superficial and Fragile Consensus, Archives of
Neurology 49: 570-572
45. Zaner RM ed: 1988, Death: Beyond Whole-Brain Criteria, D.
1
Reidel Publishing Company, Dordrecht, Holland
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Medizinethische Materialien
Eine vollständige Liste der in der Reihe erschienen Hefte
senden wir Ihnen auf Anfrage gerne zu.
Heft 60:
Heft 61:
Heft 62:
Heft 63:
Heft 64:
Heft 65:
Heft 66:
Heft 67:
Heft 68:
Heft 69:
Heft 70:
Heft 71:
Heft 72:
Heft 73:
Heft 74:
Heft 75:
Heft 76:
Heft 77:
Heft 78:
Heft 79:
Heft 80:
Veatch, Robert M.: Ethische Konsensbildung in der
Klinik. Oktober 1990
Fletcher, John C.: Ethikberatung. 1990.
Kaminsky, Carmen: Ethische Aspekte medizinischer
Fälle - Kommentiert und diskutiert. Ergebnisse
der IV. Fallstudien des ZfME. 1990.
Viefhues, Herbert: Chinesische Fallstudien (VCR)
für die bioethische Bewertung. 1990.
Sass, Hans-Martin: Brain Life Criteria and
Abortion: Kriterien des Hirnlebens und
Schwangerschaftsabbruch. 1991.
Stotz, Gabriele: Stationen. Gedichte aus dem
Medizinstudium. Mai 1991.
Viefhues, Herbert: Epidemologie, Datenschutz und
Ethik. Juni 1991.
Viefhues, Herbert: Ethische Überlegungen zum
psychatrischen Maßregelvollzug. Juni 1991.
Viefhues, Herbert: Das Motiv der "Euthanasie" in
der fiktionalen Literatur. Juli 1991.
Sass, Hans-Martin: Geriatrische Forschung und
Ethik in der Medizin. September 1991.
Stotz, Gabriele: Ad Acta. Gedichte aus dem
Klinikalltag. Oktober 1991.
Wagner, Wolfgang: Challenging Neuroscience and
Ethics: Pathological Aggression. November 1991.
Sass, Hans-Martin: Can there ever be a consensus
in the abortion debate? November 1991.
Kielstein, Rita: Klinisch-ethische Probleme in
der Nierenersatztherapie. Dezember 1991. 2. Aufl.
April 1992.
Kielstein, Rita; Sass, Hans-Martin: Ethik in der
klinischen Forschung. April 1992.
Viefhues, Herbert: Behinderung und Ungestalt zugleich ein diskursanalytischer Versuch zur
medizinischen Ethik -. Juni 1992.
Sass, Hans-Martin; Kielstein, Rita: Die
Wertanamnese. Methodische Überlegungen und
Bewertungsbogen für die Hand des Patienten.
August 1992.
Uhlenbruck, Wilhelm: Selbstbestimmung im Vorfeld
des Sterbens - rechtliche und medizinische
Aspekte. September 1992.
Sass, Hans-Martin: Informierte Zustimmung als
Vorstufe zur Autonomie des Patienten. September
1992.
Tausch, Reinhard: Vergeben. Von der Bedeutung des
Vergebens in zwischenmenschlichen Beziehungen,
auch in der Medizin. Mai 1993.
Schara, Joachim: Patientenaufklärung vor
1
Heft 81:
Heft 82:
Heft 83:
Heft 84:
Heft 85:
Heft 86:
Heft 87:
Heft 88:
Heft 89:
Heft 90:
Heft 91:
Heft 92:
Krebsschmerztherapie. Juni 1993.
Sass, Hans-Martin; Kielstein, Rita: Wertanamnese
und Betreuungsverfügung. August 1993.
Kielstein, Rita: Klinik, Genetik und Ethik der
autosomal dominant polyzystischen
Nierenerkrankung. Juli 1993.
Ilkilic, Ilhan: Der Bochumer Arbeitsbogen und der
türkische Patient. Pratik Tip Etigi Icin Bochum
Calisma Tablosu Ve Türk Hastasi. Juli 1993.
Materialien zur Erstellung von wertanamnestischen
Betreuungsverfügungen. Eingeleitet und
zusammengestellt von R. Kielstein, H.-M. Sass.
Übersetzt von S. Eschen. August 1993.
Timmermann, Jens: Das Thema Sterbehilfe in Thomas
Morus' "Utopia". November 1993.
Tausch, Reinhard: Sinn-Erfahrungen. Förderung,
Chancen und Grenzen bei Betroffenen und
Helfenden. November 1993.
Vliegen, Josef: Moderne Psychiatrie und ihr Bild
vom Menschen. Dezember 1993.
Hinrichsen, K. hg.: Sterben und Schwangerschaft.
Mit Beiträgen von M. Bissegger, K. Hinrichsen, E.
Reichelt, H.-M. Sass, K.-E. Siegel, I. Wolf.
3. Aufl. Juni 1994
Sass, Hans-Martin: Die Würde des Gewissens und
die Diskussion um Schwangerschaftsabbruch und
Hirntodkriterien. 2. Aufl. Juni 1994
Jakobs, Günther: Geschriebenes Recht und
wirkliches Recht beim Schwangerschaftsabbruch.
März 1994
Sass, Hans-Martin: Ethische und bioethische
Herausforderungen molekulargenetischer Prädiktion
und Manipulation. März 1994
Sass, Hans-Martin: Hippokratisches Ethos und
Nachhippokratische Ethik. Juni 1994
1
Bestellschein
An das
Zentrum für Medizinische Ethik
Ruhr-Universität Bochum
Gebäude GA 3/53
44780 Bochum
Tel: (0234) 700 2749/50
FAX: (0234) 7094 288
Bankverbindung: Konto Nr. 133 189 035, Sparkasse Bochum
BLZ 430 500 01
Name oder Institut:
Adresse:
1. Hiermit bestelle ich aus der Reihe der Medizinethischen
Materialien die folgenden Einzelhefte zum Preis von DM
10,00 (Bei Abnahme von 10 und mehr Exemplaren DM 7,50 pro
Stück).
Hefte Nummer: _____________________________________________
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2. Ich bin an einem Abonnement der Reihe Medizinethische
Materialien zum Abonnementspreis von DM 7,50 pro Stück ab
Heft Nr.____ interessiert. Dieser Preis schließt die Portokosten mit ein.
ja______
nein_____
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Heft 89
DIE WÜRDE DES GEWISSENS UND DIE DISKUSSION UM
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH UND HIRNTODKRITERIEN
Herausforderungen an Verantwortungsethik und Ordnungsethik
Hans-Martin Sass
1994
1
Hans-Martin Sass ist Professor für Philosophie an der Ruhr Universität in Bochum und
Senior Research Scholar am Kennedy Institute of Ethics der Georgetown Universität in
Washington DC. Er hat Philosophie, evangelische Theologie und Geistesgeschichte in
Erlangen, Marburg und Münster studiert.
Herausgeber:
Prof. Dr. med. Burkard May
Prof. Dr. phil. Hans-Martin Sass
Prof. Dr. med. Herbert Viefhues
Zentrum für Medizinische Ethik Bochum
Ruhr-Universität
Gebäude GA 3/53
44780 Bochum
TEL (0234) 32-22749/50
FAX +49 234 3214-598
Email: [email protected]
Internet: http://www.medizinethik-bochum.de
Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge deckt sich nicht immer mit der Auffassung des
ZENTRUMS FÜR MEDIZINISCHE ETHIK BOCHUM. Er wird allein von den Autoren
verantwortet. Das Copyright liegt beim Autor.
© Hans-Martin Sass
Schutzgebühr:
Bankverbindung:
€ 6,00
Sparkasse Bochum
Kto.Nr. 133 189 035
BLZ: 430 500 01
ISBN 3-927855-67-7
Februar 1994; 3. überarbeitete Aufl. Juni 1994
1
DIE WÜRDE DES GEWISSENS UND DIE DISKUSSION UM
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH UND HIRNTODKRITERIEN
Hans-Martin Sass
SUMMARY:
Dignity of Human Life (Menschenwürde) as a key moral and legal principle governs private and
public assessment of criteria for abortion and death. While dissens between pro-life and prochoice battle-groups challenges the individual consciousness as well as legislation and
regulation, whole-brain-death criteria also have come under conceptual and technical scrutiny
recently and threaten an existing consensus on brain-death criteria. Sass reviews the recent
biomedical and bioethical debate on the moral and legal assessment of the beginning and the end
of human life and develops a pro-conscience model, a formula for a 'Uniform Life Protection
Act' protecting animate human life from the beginning to the end of integrated brain functioning
and including a 'Conscience Clause' for those whose systems of belief requires the moral
recognition of earlier forms of unborn life or who for themselves choose criteria for death other
then existing brain-based criteria. He introduces the priciple of subsidiarity as an instrument in
clinical ethics and in public policy to protect the Dignity of Human Life as expressed in the
'Dignity of the Consciousness' (Würde des Gewissens) and to reduce clinical uncertainties,
societal controversies and legal and regulatory paternalism.
ZUSAMMENFASSUNG:
Menschenwürde ist ein zentrales ethisches und rechtliches Gut in der Diskussion um den
verantwortlichen Umgang mit Anfang und Ende des menschlichen Lebens. Für die Debatte um
den Abbruch der Schwangerschaft wird eine Gewissenlösung gegen die kontrovers diskutierten
Modelle von Fristenlösung und Indikationslösung vorgeschlagen. In der Diskussion um die
Kriterien des Hirntodes schlägt er eine Gewissensklausel vor, welche das 'Recht auf den eigenen
Tod' sichern soll. Sein Vorschlag für Gewissensklauseln, die im individuellen Fall für den
Lebensanfang strengere und für die Kriterien des eigenen Todes weniger strenge Kriterien
zulassen, führt das in der Sozialethik bekannte Prinzip der Subsidiarität in die bioethische
Diskussion ein.
ISBN 3-927855-67-7
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