Der Zufriedene - henschel SCHAUSPIEL

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Katharina Schlender
Der Zufriedene
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
1
Aus dem Programmheft zur Uraufführung am Hans Otto Theater Potsdam / März 2008:
Zeit: Gegenwart. —— Ort: Theater —— Eine Welt, in der utopisches Denken noch
möglich ist? —— Diese Hoffnung habe ich. Immer noch. Oder ist der Zeit Utopie
abhanden gekommen? Ist dem Theater Utopie abhanden gekommen? Und wann.
Wann sollte das geschehen sein? Die Bretter, die die Welt bedeuten, die der Welt die
Welt verkünden – sollten hier nicht utopisches Kopfzerbrechen, Zukunftsräume und
Unwirklichkeiten versucht werden? —— In der (geldregiertdie) Welt gibt es Klassiker
und Sonderangebote. Ware. Ware. Und kein h dazwischen. Und im Theater? Ist es
ebenso? —— Gibt es tatsächlich nicht mehr genügend Zeit, um Utopien zu entwickeln?
Oder reden wir uns das alle nur ein, weil es ja so viel einfacher ist. Es ist einfacher zu
sagen, es geht finanziell nicht, Sentimentalität und Weltverbesserungshoffnung wirken
im harten Realismus, unserer von Geld regierten Zeit, der man besser mit Ironie als mit
Idealismus begegnen sollte, lächerlich. An Utopie ist nicht zu denken, geschweige denn
realisierbar. —— Die Utopie? Realisierbar? Utopie war und ist nie realisierbar. Muß
die Zeit nicht wieder da hin? Muss man nicht wieder beginnen, in dieser unsrigen,
gegenwärtigen Wirklichkeit, Unwirkliches zu denken, mit dem Glauben, daß es wirklich
werden kann? Muß Theater nicht Risiken eingehen und Bewährtes links liegen lassen,
ein womögliches Scheitern befürwortet werden? Muß die Hoffnung, auf Verbesserung
von Welt, nicht dringends wieder erwartet werden? ——
Katharina Schlender
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2008
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Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar
unverzüglich an den Verlag zurückzusenden.
F1
2
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
EIN CLOWN
mit Hut
KURT GROMANN
Mitte 40
KIRSTEN FRITSCHE
Ende 40
SEBASTIAN BENT
Anfang 40
CLAUS BICKEL
Anfang 50
NICOLE LOHE
Mitte 30
ECKHARD DUNCKER Anfang 30
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3
P R O LO G
Vor dem Vorhang, ein Pult mit Klemmlampe. Ein Clown tritt auf. Er nimmt den Hut vom Kopf und grüßt.
Er hält den Hut in den Händen, weiß nicht wohin mit ihm. Ein Huthalter läßt sich nicht entdecken. So setzt
er sich den Hut wieder auf. Hinauf auf seinen Kopf. Doch so fühlt er sich nicht wohl. Er nimmt ihn schnell
wieder ab und legt den Hut auf das Pult. Entfernt sich zögernd vom Pult mit Hut.
CLOWN
Einen wunderschönen guten Abend wünsch ich. Hab ich eben
wunder gesagt. Nein. Ach. Wie komm ich nur auf wunder. Einen
schönen guten wünsch ich. Für den Abend was Gutes. Was Schönes
wünsch ich. Na Sie wissen schon selbst was Sie sich abends so
wünschen. Da muß sich da keiner hier vor Sie hinstelln.
Er sieht seinen Hut auf dem Pult und hängt ihn über eine der Pultecken. Betrachtet seinen Hut an der
Pultecke. Damit ist er vorerst zufrieden.
Was gut ist weiß ich so halb. Aber völlig weiß ich das für mich
selbst nun auch wieder nicht. Ich kann nicht mich hier so unehrlich hinstelln und Ihnen was wünschen was ich selbst überhaupt
nur halb begreife und Ihnen vorlügen daß ich Ihnen einen ganzen
guten Abend wünsche. Denn einen halben wünscht man ja nicht.
So ein Abend kann lang werden. Es stellt sich auch die Frage ob
Sie denn überhaupt etwas gewünscht bekommen möchten. Ich
steh herum und wünsch Ihnen was und Sie möchten vielleicht
überhaupt gar nicht dieses Gewünsche. Oder Sie möchten schon
aber nicht von mir. Vielleicht wünsch ich einen Abend. Ja. Einen
Abend wünsch ich. Da weiß man was man hat. Na wenn man jetzt
anfängt zu überlegen was so ein Abend nun überhaupt nun wirklich
ist.
Er starrt auf seinen Hut an der Pultecke, hängt ihn an die Klemmlampe, das gefällt ihm nicht. So hält er den
Hut wieder in den Händen.
Nur Probleme hat man. Nur Probleme. Wenn man erst anfängt zu
überlegen. Da kommt man von da nach da. Von dem ins Nächste.
Das alles verästelt sich bis ins Unendliche. Das ist das Grausame
mit dem was im Kopf drin ist. Ein Ende wird das alles nie in einem
haben.
Plötzlich rabiat und laut, da sehr vom Hut verärgert.
Möchte jemand! Diesen!
Wieder leiser.
Möchte jemand diesen Hut? Ich verschenk ihn gern.
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Gehen wir mal davon aus, daß sich einige aus dem Publikum melden werden, die den Hut geschenkt bekommen wollen. Auch Kurt meldet sich. Der Clown verschenkt den Hut an Kurt.
Jetzt fühl ich mich wohler. Und kann eigentlich beginnen weshalb
ich heute hier bin. Warum ein Zebra ohne Streifen trotzdem noch
kein Pferd sein kann. Werte Damen. Werte Herrn. Einen Abend
wünsch ich Ihnen. Einen ganzen. Ach nun fällt mir ein. Ich hab
mich bei Ihnen noch gar nicht vorgestellt nicht wahr. Mal davon
abgesehen daß Sie sich bei mir ebenso noch nicht vorgestellt
haben. Das nehm ich nicht übel. Das würd den Rahmen hier ja
enorm sprengen. Also ich. Ich bin. Aber vielleicht sollt ich das
doch lieber lassen. Werte Damen. Werte Herrn. Einen ganzen Abend
wünsch ich Ihnen. Auch wenn ich Sie nicht persönlich kenne. Ich
wünsch trotzdem. Ich will das nicht persönlich kennen nicht weiter
ausführn. Das führt dann immer alles so weit raus. Zu weit weg
vom eigentlichen Thema. Überhaupt find ich daß das Weite ständig
schneller erreicht ist als das Nahe. Schließlich sagt man öfter das
führt zu weit als daß man sagt das führt zu nah. Mal zu einem Ende
kommen. Etwas abschließen ohne ständig den Gedanken in sich
zu haben daß das nicht alles gewesen ist. Daß da noch immer
etwas hinterherkommt. Und es kommt tatsächlich auch wirklich.
Es kommt ständig etwas wieder danach. Ach. Wie gern möcht ich
mal dicht an etwas Nahes herankommen oder herangeführt werden.
Zum Punkt. Warum ein Zebra ohne Streifen trotzdem noch ein
Zebra. Nein. Doch. Eben warum das dann trotzdem noch lange
kein Pferd ist. Eine grundlegende Frage. Warum ein Zebra ohne
Streifen trotzdem noch kein Pferd sein kann. Sinniert eine Weile
vor sich hin. Will es das überhaupt. So ein Zebra. Will es ein Pferd
sein. Sinniert wieder eine Weile. Dies für Sie vorab.
Der Clown will durch den Vorhang verschwinden. Findet jedoch den Ausgang nicht. Kehrt um. Er möchte
sich verbeugen, entschuldigend verbeugen, hält jedoch in der Bewegung inne und verbeugt sich nicht.
Der Clown geht resigniert zur Seite ab und setzt sich ins Publikum.
6
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HERBST
1
Das Saallicht geht an. Kurt Gromann und Kirsten Fritsche treten aus den Zuschauerreihen. Kurt setzt sich
den Hut auf.
KIRSTEN
Den müssen wir zurück.
Sie ziehen ihre Jacken über.
KURT
Der wird behalten.
KIRSTEN
War doch nur Theater. War doch nicht in echt gemeint.
KURT
Wieso soll Theater nicht in echt gemeint sein?
Der Vorhang öffnet sich. Kurt und Kirsten treten auf die Bühne hinaus.
2
Es ist dunkle Nacht. Sterne leuchten. Kurt und Kirsten sehen hoch zum Mond. Kurt läßt sich in einen
Laubhaufen fallen.
KIRSTEN
Was machst du?
Kurt lacht.
KURT
Schaust hoch zum Mond und wunderst. Wunderst wie hell der auf
uns niederschaut.
KIRSTEN
Klebt da oben als ob nichts wär.
KURT
Wie ein Brot. So warm. So draufgelegt aufs Himmelsbrett. Zwischen
die Zähne will mans kriegen. Weil neben so einem Brot jeder sich
gleich ein wenig jämmerlich findet. Beiß ein Stück bevors hart
wird. Hier. Nimm.
Er reicht Kirsten ein Blatt aus dem Laubhaufen.
KIRSTEN
Was ist das für eins? Linde?
KURT
Kannst du nicht einfach nur ein Blatt anschaun ohne zu wissen
woher?
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7
KIRSTEN
Ich kanns versuchen.
Kurt umarmt Kirsten und sie sehen weiter zum Mond.
Jetzt sag schon. Ist doch Linde. Oder?
KURT
Ja.
KIRSTEN
Tut mir leid.
KURT
Ich weiß.
KIRSTEN
Es ist. So still irgendwie. So friedlich daß es gar nicht wahr sein
darf. So wie vor oder nach irgendwas. Toben müßt es. Schreien
müßten die. Die Sterne die. Der Mond müßt kochen. Aber nichts.
Nichts als diese Stille hier.
KURT
Was hindert dich? Schrei wenn dir nach ist.
KIRSTEN
Hört doch niemand.
KURT
Ich wett daß du mit deinem Schreien meins nicht überbrüllen
kannst.
KIRSTEN
Bei drei.
KURT
Eins.
KIRSTEN
Zwei.
Die beiden schreien in die Nacht. Holen kurz Luft und schreien noch lauter weiter. Kurt wirft sich in den
Laubhaufen und gibt auf. Kirsten hat noch nicht genug und schreit alleine weiter. Kurt lacht.
KURT
Jetzt weiß die ganze Nacht und ihre Nachbarschaft wie laut dein
Innendrin.
KIRSTEN
Schau dir jetzt den Mond an! Wie als wenn er runterrutscht von
seinem Blech!
KURT
Der hat schon viel solch Leut wie uns gesehn. Verrutschen wird
der nie.
8
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3
Sebastian Bent an einem Stehtisch. Er ißt eine Bockwurst und trinkt Bier.
SEBASTIAN
Alle Weiber. Wirklich alle. Kann man vergessen. Muß man! Immer
das was übrigbleibt von so nem Weib das frißt letztendlich nur
auf! Mich. Ganz zerfressen und madig. Mein Herz. Erst sucht man
eine. Dann findet man eine. Dann verliert man die. Und alle! Alle
kann man vergessen! So was von. Da nimmt son Weib keine Rücksicht drauf. Daß einem wie mir das Herz zerfällt. Da lob ich mir
so ne Wurst. Mit Senf und Bier dazu. Da weiß man was man hat.
Ich freß das auf und rülps danach vielleicht. Mehr nicht. Das ist
alles. Und alles ist viel. So eine Bockwurst ist viel. Viel besser als
son Weib. Hab noch keine gefunden die mich satt macht. Aber so
Würste. So Würste hatt ich schon oft. Und jede einzelne. Wirklich
jede einzelne von denen hat mich satt gemacht.
Es beginnt zu regnen.
4
Kirsten und Kurt kommen unter einem Regenschirm dazu.
KURT
Na? Schimpfst wieder?
SEBASTIAN
Sauf mirs Hirn zu. Damit was drin ist.
KIRSTEN
Laß uns heim.
SEBASTIAN
Heim? Nee.
KIRSTEN
Regnet doch.
SEBASTIAN
Ist doch gut. Heul ich mir nicht allein die Augen aus.
KURT
Kannst doch kaum die Knie noch grade drücken.
SEBASTIAN
In die Knie! Genau!
Kurt hilft Sebastian wieder vom Boden auf.
Du bist ein Guter Kurt. Mein Guter. Was isn das fürn Hut?
KURT
Verlang mal nicht die Liebe jeden Abend. Das tut der Leber nicht
gut.
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9
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