Unter dem Mantel der Bürgerlichkeit - Nachrichten Print - WELT AM ... 1 von 2 Artikel drucken http://www.welt.de/print/wams/nrw/article13737617/Unter-dem-Mante... Bilder ausblenden WELT AM SONNTAG 27.11.2011 | Autor: Stefan Laurin Unter dem Mantel der Bürgerlichkeit Freie Kameradschaften und Autonome Nationalisten sind der gewalttätige Kern der Neonazi-Szene. Parteien wie die NPD oder Pro NRW distanzieren sich öffentlich von ihnen - und halten doch zum Teil enge Kontakte Als Pro Köln am vergangenen Samstag in Köln gegen ein alternatives Zentrum im Stadtteil Köln demonstrierte, gab sich die Partei wie immer bürgerlich: Das kleine Häuflein von 80 Anhängern der vom Verfassungsschutz als rechtsradikal eingeschätzten Partei schwenkte Deutschlandfahnen. Der Leverkusener Anwalt und Kopf der Partei, Markus Beisicht, hielt während einer seiner Reden ein kleines Plakat hoch mit dem Schriftzug "Nazis Raus - ob Rot oder Braun." Nicht alle seiner Mitdemonstranten werden den Spruch allzu ernst genommen haben, denn auch an diesem Tag waren unter den Anhängern von Pro NRW mehrere, die immer wieder auch auf einschlägigen Nazidemos zu sehen sind. Dies belegen Fotos, die dieser Zeitung vorliegen. Für Parteien wie die rechtsradikale NPD oder Pro NRW - auch Letzterer wird vom Verfassungsschutz NRW bescheinigt, sie stehe im Verdacht, rechtsextremistische Bestrebungen zu verfolgen - wird die Distanzierung von der gewalttätigen Neonazi-Szene zur Existenzfrage. Denn nach der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), die zehn Menschen das Leben kostete, ist die rechte Szene wieder stärker in den Blickpunkt gerückt. Und alle Studien zeigen, dass es zwischen dem gewalttätigen, auch zu Morden bereiten Kern und den Parteien am rechten Rand, aus dem auch die NSU hervorging, zahlreiche Verbindungen gibt. Zum Beispiel zwischen den Autonomen Nationalisten, den Freien Kameradschaften und einzelnen Funktionären von Pro NRW und der NPD. Über die Autonomen Nationalisten haben die beiden Sozialwissenschaftler Jan Schedler und Alexander Häusler ein Buch herausgegeben. "Autonome Nationalisten - Neonazis im neuen Gewand" ist die bislang umfangreichste wissenschaftliche Beschäftigung mit dem in den vergangenen Jahren schnell gewachsenen Flügel der rechtsradikalen Szene. Schon in den 80er-Jahren stellte der damals bekannte und 1991 an Aids verstorbene Neonazi-Führer Michael Kühnen fest, dass es der Nazi-Szene gelingen müsse, sich jugendlichen Ausdrucksformen zu öffnen, um an Nachwuchs heranzukommen. "Die heutigen Autonomen Nationalisten erfüllen eher zufällige die Wünsche von Kühnen, dahinter steckte kein Plan", sagt Alexander Häusler. Sie kamen Anfang bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts in Berlin auf. Ihr Erfolgskonzept: Sie brachen mit den starren Regeln der Neonazi-Szene, wirkten auch äußerlich nicht mehr wie aus der Zeit gefallene Kopien der Nazis aus den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, sondern kleideten sich modern: Wie Skater, wie Linke, wie HipHopper. Alles ging: Lange und kurze Harre. Buttons tauchten auf, Linke Slogans wurden übernommen - auch im eigentlich verhassten Englisch. Aus "Good Night, White Pride" wurde "Good Night, Left Side." "Die Autonomen Nationalisten waren anfangs bei den Traditions-Neonazis unbeliebt, bildeten schwarze Blöcke wie die Linken und sahen auch so aus. Aber als klar war, dass das vor allem Fassade war, dass die meisten der Jungnazis sich als radikale Nationalsozialisten sahen, stieg die Akzeptanz", sagt Häusler. Denn als Autonomer Nationaler konnte man sich unauffällig bewegen, konnte in Clubs und Kneipen gehen, ohne gleich erkannt zu werden. Das machte die Gruppen, die es anfangs nur in Berlin und im Ruhrgebiet gab, erfolgreich. Sie zogen Jugendliche an - auch weil sie aktionsorientiert waren: Nachts wurden Parolen gesprüht, linke Treffpunkte überfallen oder Ausländer gejagt. Das Leben als Autonomer Nationalist war spannender als das eines NPD-Mitglieds, das nach außen hin versuchte, den Schein einer bürgerlichen Existenz zu wahren. Und es war radikaler. Häusler: "Viele Autonome Nationalisten leben in Wohngemeinschaften zusammen. Den Tag über recherchieren sie im Internet und beobachten die Seiten ihrer Gegner. Abends dann geht es raus auf Nazi-Konzerte, zu Überfällen oder es werden Aufkleber verteilt." Für Häusler gibt es keine Unterschiede zwischen den Freien Kameradschaften, aus denen sich auch die Terroristen der NSU rekrutiert haben, und den Nationalen Autonomen. "Ideologisch ist sich das alles sehr ähnlich, und auch der lockere Kleidungsstil der Autonomen Nationalisten hat sich weit über ihre eigenen Kreise durchgesetzt. Auch NPD-Kader tragen heute immer mal wieder Basecap und BaggyJeans. Und die anfänglichen Irritationen gehören längst der Vergangenheit an. Häusler: "In NRW sind die militante Neonazi-Szene und die NPD eins. Man arbeitet zusammen, Autonome Nationalisten unterstützen die NPD im Wahlkampf, verteilen Flugblätter und laufen auf den Demos der NPD mit, und die NPD unterstützt im Gegenzug die Autonomen Nationalisten." Als diese im September in Dortmund den Antikriegstag begingen, hatte die NPD Unna auf der geplanten Route eine eigene Kundgebung angemeldet, um so ein eventuelles Verbot des Naziaufmarschs durch die Polizei zu umgehen. Schon heute gehen, unabhängig vom Terror der NSU, zahlreiche Tötungsdelikte auf das Konto von Tätern aus dem Umfeld der Nationalen Autonomen und der freien Kameradschaften - auch in NRW. 2005 erstach Sven K. in Dortmund den linken Punker Thomas Schulz. Schon vor seiner Haftentlassung veröffentlichte K. Grußworte an seine "Kameradinnen und Kameraden" auf rechtsradikalen Internetseiten und ist heute ein beliebter Redner auf Nazidemonstrationen. Nach Medienberichten soll er sich auch an einem Überfall auf die Szenekneipe HirschQ in Dortmund beteiligt haben. Auch der dreifache Polizistenmörder Thomas Berger, der sich nach seinen Taten 2010 selbst richtete, entstammte dem Dortmunder Nazi-Milieu. Aus dem Kreis der Nationalen Autonomen wurde in Dortmund auf eine Alternativkneipe geschossen, es gab Überfälle auf Migranten. In Radevormwald wurde ein Kioskbesitzer bedroht, in Wuppertal kam es zu einem Überfall auf das Kino Cinemaxx - während dort ein Film 30.11.2011 11:20 Unter dem Mantel der Bürgerlichkeit - Nachrichten Print - WELT AM ... 2 von 2 http://www.welt.de/print/wams/nrw/article13737617/Unter-dem-Mante... gezeigt wurde, der sich kritisch mit der Naziszene auseinandersetzte. Am 1. Mai 2009 überfielen Hunderte gewalttätiger Neonazis in Dortmund den 1. Mai Umzug des DGB - vor Gericht gestellt wurde bislang keiner der Täter. "Wenn es ein Umfeld gibt, aus dem sich neue Terrorgruppen herausbilden können", sagt Häusler, "dann sind es die Nationalen Autonomen. Wir wissen aus Interviews mit Aussteigern, dass in diesen Kreisen intensiv über den bewaffneten Kampf diskutiert wird." Sie seien der radikalste Teil des rechtsextremen politischen Spektrums, das bis in scheinbar bürgerliche Gruppierungen wie Pro Köln und Pro NRW reicht. Markus Beisicht, der starke Mann von Pro NRW, vertrat in mehreren Verfahren als Pflichtverteidiger den bekannten Neonazi Axel Reitz - auch bekannt als "der Hitler von Köln." Und Rechtsanwalt André Picker, lange Zeit Vorstandsmitglied von Pro NRW, vertrat nicht nur im Rahmen seiner normalen anwaltlichen Tätigkeit noch 2011 Dennis Giemsch, einen der Köpfe der Autonomen Nationalisten Dortmunds vor Gericht, sondern gab auch 2009 in München vor Nationalen Sozialisten eine Rechtsschulung. Für Picker war der Besuch bei den Nazis in München Präventionsarbeit, um Straftaten zu verhindern. Für ihn, so Picker zur "Welt am Sonntag", ein wichtiger Teil seiner Arbeit als Jurist. Die Münchner waren von Pickers Vortrag begeistert, wie man auf einer Nazi-Internetseite lesen kann: "Wir möchten uns an dieser Stelle nochmals ganz herzlich bei Kamerad Picker für seinen Vortrag und seine in der Vergangenheit wertvolle, rechtsanwaltliche Hilfe bedanken." Mein Nachbar, der Neonazi: Seite 3 0 30.11.2011 11:20