Bauen mit Beton Thermische Bauteilaktivierung Nachhaltig Kühlen und Heizen mit Beton Mehr denn je steht die energieeffiziente Planung von Gebäuden im Fokus von Bauschaffenden und Bauherren. Energie einzusparen und regenerative Energien zu nutzen ist zudem politisches Gebot. Gleichzeitig steigt das Bewusstsein um die ganzheitliche, nachhaltige Betrachtungsweise eines Bauvorhabens – ebenso wie der Anspruch des Nutzers an das Raumklima. Der Baustoff Beton trägt zur Nachhaltigkeit eines Bauwerks wesentlich bei. Eine thermische Aktivierung von Betondecken aufgrund seiner bauphysikalischen Beschaffenheit – sei es nun als klassische Betonkernaktivierung oder als jüngere Variante der oberflächennahen Deckenaktivierung – ist wirtschaftlich und umweltfreundlich. Der folgende Beitrag zeigt anhand mehrerer Bauvorhaben die unterschiedlichen Möglichkeiten einer Bauteiltemperierung auf und erläutert Vorteile und Rahmenbedingungen, um Heiz- und Kühlsysteme in massiven Betondecken bedarfsgerecht zu konzipieren. Dabei geht der Beitrag insbesondere auf nachhaltige Planungsaspekte wie der Nutzung regenerativer Energien ein, die den Einsatz von thermisch aktiven Betondecken sowohl in privatwirtschaftlich ausgerichteten Büro- und Verwaltungsimmobilien als auch in öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Krankenhäusern oder Pflegeheimen ökologisch, ökonomisch und gesamtgesellschaftlich betrachtet als zukunftsweisend herausstellen. Betonkernaktivierung – Masse ist klasse Ausgehärteter Beton hat eine hohe Wärmespeicherfähigkeit bei einer in Relation zu Mauerwerk und Holz gut nutzbaren Wärmeleitfähigkeit und eignet sich damit sehr gut als Speicher-, Pufferund Transportmedium für Wärme. Dieses thermische Wirkungsprinzip macht sich die inzwischen schon etablierte Betonkernaktivierung, auch Betonkerntemperierung (BKT) genannt, zu Eigen: Bei dem Bau von Massivdecken (und bisweilen von Pfeilern oder Wänden) werden wasserführende Rohrleitungen als Heiz- bzw. Kühlmedium eingebracht und so die gesamte Betonfläche als Übertragungs- und Speichermasse thermisch aktiviert. In Abhängigkeit der Wassertemperatur in den Rohren kann die Rohdecke damit zur Gebäudekühlung oder zur Raumheizung eingesetzt werden: Die wasserdurchflossene „kalte“ Fläche nimmt die Umgebungswärme auf und führt sie 10 35 30 25 20 15 0 6 12 18 24 6 12 18 24 6 12 18 24 6 12 18 24 6 12 18 24 Zeit [5 Tage] Natürliche Lüftung / ohne Betonkernaktivierung Natürliche Lüftung / mit Betonkernaktivierung gefühlter Temperaturverlauf gefühlter Temperaturverlauf Lufttemperatur Lufttemperatur Außentemperatur Die tagsüber durch Sonne, Menschen und technische Anlagen entstehende Wärme wird über die kühleren Deckenoberflächen abgeführt, so dass die Räume nachts wieder abkühlen können und einem kontinuierlichen Aufheizen der Gebäude in längeren Hitzeperioden entgegen gewirkt wird. Temperaturentwicklung eines Gebäudes mit und ohne Betonkernaktivierung Darstellung: DW Systembau, Schneverdingen – über die Rohrregister – ab und kühlt damit. Umgekehrt erfolgt durch die Wärmeabgabe von der Betondecke, durch die „warmes“ Wasser fließt, an die Umgebung die Beheizung des Raumes. per, der für denselben Wirkungsgrad aufgrund seiner wesentlich kleineren Übertragungsfläche eine viel höhere Wasservorlauftemperatur haben muss. Ein Vorteil des Betons liegt dabei in seiner thermischen Trägheit, die – im Gegensatz zu schnell aufgeheizten und wieder ausgekühlten Gebäuden in Leichtbauweise – zu einer Phasenverschiebung zwischen Energieerzeugung und Energieabgabe führt: Die tagsüber entstandene Wärme eines Raumes entlädt sich des Nachts und am nächsten Morgen ist der thermisch nahezu gleiche Zustand wieder erreicht wie 24 Stunden zuvor. Dies verhindert auch ein stetiges Aufheizen eines Gebäudes in längeren Hitzeperioden (s. Grafik). Neues „Spiegelhaus“ mit BKT in Ortbeton Ein weiterer systemimmanenter Vorteil der Betonkernaktivierung ist die Tatsache, dass aufgrund der vergleichsweise großen Übertragungsfläche der Betondecke die Temperaturdifferenzen niedrig bleiben können, Durch diese raumluftnahen Temperaturen ist z. B. im Heizfall die thermisch aktive Decke dreimal so effizient wie ein Heizkör- Das 13-geschossige Bürogebäude an der Ericusspitze in der Hafen-City in Hamburg beherbergt zukünftig die neue Zentrale der Spiegel-Gruppe. Das Team des dänischen Büros Henning Larsen Architects und der TGA-Fachplaner entschied sich im Rahmen seines anspruchsvollen Energiekonzepts u. a. für den Einsatz einer klassischen Betonkernaktivierung in Ortbetonausführung. Diese sieht die bauseitige Abhängung der vorgefertigten Rohrregister an der oberen Bewehrung der Betondecke vor. Durch die Mittellage der wasserführenden Rohre in dem Deckenquerschnitt ist bei gleicher Vorlauftemperatur die zu wählende Durchschnittstemperatur grundsätzlich am niedrigsten. Auf die Dimensionierung der Decke hat haben sie i. d. R. keinen Einfluss. Zum Einsatz kamen robuste und besonders für den BAUZENTRUM E-BAU 2/2013 Bauen mit Beton der Anlieferung just-in-time gehört in Bezug auf thermisch aktive Fertigteildecken die Herstellung auf Schaltischen oder horizontal angeordneten bodennahen Schalungen, bei der die Rohrleitungen einfach, schonend und exakt direkt ins Bauteil eingebracht werden können. Bei Spannbetonfertigteildecken liegen die Leitungen im unteren Drittel des Deckenquerschnitts, über den Spannlitzen und unter den Hohlkammern. Durch diese Hohlkammerelemente sind die Spannbetondecken bis zu 40 % leichter als herkömmliche Betondecken, wodurch eine geringere statische Auslegung des Tragwerks und der Fundamente möglich ist. Ein wesentlicher Vorteil sind zudem die großen stützenlosen Deckenspannweiten, die eine freie Innenraumgestaltung ermöglicht. Das neue „Spiegelhaus“, ausgeführt mit Betonkernaktivierung in Ortbeton, wurde mit dem Hafencity-Umweltpreis in Gold ausgezeichnet Foto: Anke Müllerklein rauen Baustellenbetrieb geeignete Polyethylen(PE-Xa) Rohre. Nach der Fertigstellung der Decke sind die Austauschmedien sicher und wartungsfrei im Bauteil platziert, wodurch zum einen ein verlustfreier Energieübergang gegeben ist und zum anderen die Entstehung von Geräuschen und Zugluft ausgeschlossen sind. Die Betonkernaktivierung im „Spiegelhaus“ deckt wie bei den meisten Einbauten in Bürogebäuden einen wesentlichen Teil der Grundheizung und -kühlung. In Räumen mit erhöhtem Kühlbedarf wie der EDV sind zudem Klimageräte installiert, die aber wesentlich kleiner dimensioniert werden können als ohne BKT. Zur Abdeckung von Spitzenlasten sind innen entlang der Fassade unter der thermisch aktiven Betondecke Deckensegel angebracht, die bei (meist Kühl-) Bedarf über beim Bau bereits eingebaute thermische Steckdosen mit Adaptern zu aktivieren sind. Diese gut hinterlüfteten Elemente können zudem zum Licht-, Akustik- und Innenraumdesign herangezogen werden. Komplett abgehängte Decken würden die Wirkung der Deckenstrahlung beeinträchtigen. nen der Betonkernaktivierung kombiniert werden. Bei einer Filigrandecke sind die Rohrregister schon im Halbfertigteil integriert und können vor Einbringen des Ortbetons angeschlossen werden. Neben den bekannten Vorzügen von Betonfertigteilen wie höhere Genauigkeit der Bauteilabmessungen und der Baustoffzusammensetzung, der witterungsunabhängigen Produktion und Der Neubau für die Fakultät der Ingenieurwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum, bei dem mehr als 19.500 m² Spannbetonfertigteile mit Betonkernaktivierung eingebracht wurden, konnte innerhalb von nur 18 Monaten Bauzeit errichtet werden. Betonoberflächenaktivierung – schnell und individuell Die Betonoberflächenaktivierung hat sich aus dem Prinzip der Betonkernaktivierung entwickelt. Die werksseitig hergestellten Trägermatten mit den Heiz- und Kühlrohren werden direkt auf die Schaltafeln, also wie die Bezeichnung schon Stattdessen ermöglicht eine Betonkerntemperierung die Realisierung von hochwertigen Sichtbetonflächen im Inneren des Gebäudes. Spannbetonfertigteile bei Ruhr-Uni Bochum Mehr als zwei Drittel der Decken in gewerblich genutzten Immobilien werden inzwischen aus Halboder Vollfertigteilen hergestellt. Bei ihnen können die Vorteile der werksseitigen Vorfertigung mit de- BAUZENTRUM E-BAU 2/2013 Bei der Betonkernaktivierung in Ortbeton erfolgt die Verlegung der robusten PE Xa-Rohre in der Mittellage der Betondecke Foto: Uponor, Haßfurt 11 Bauen mit Beton Der Neubau für Ingenieure der Ruhr-Uni Bochum wird wie alle anderen Bildbeispiele mit regenerativen Energien betrieben; Foto: DW Systembau, Schneverdingen lierung Anfang Mai letzten Jahres betrifft dies sagt, nahe an der Oberfläche, nur wenige Zentinun auch bestehende öffentliche Gebäude, und meter über dem unteren Deckenabschluss verseien sie nur zur Anmietung gedacht. legt. Dadurch ist eine erhöhte Kühl- und Heizleistung möglich, so dass eine Unterstützung, z. B. Damit liegt ein sehr großes Potenzial in dem durch Heizkörper nicht erforderlich ist. Diese ohPrinzip der thermisch aktiven Betondecken nehin vorteilhafte Raumersparnis führt zudem zu und anderen Betonbauteilen. Dadurch, dass größeren gestalterischen Freiheiten in der Innenim Vergleich zur Raumtemperatur die Oberarchitektur. flächentemperatur nur geringfügig höher bzw. niedriger sein muss, um thermisch wirkEin weiterer, von vielen Nutzern sehr geschätzter sam zu werden, wird ohnehin vergleichsweiVorteil, ist zudem die schnellere, verbesserte Rese wenig Energie benötigt und damit zum gelfähigkeit. klimapolitisch angestrebten möglichst geringen CO2-Ausstoß beigetragen. Die MöglichMünchner Bürokomplex ist flexibel keit, alternative Energien wie Erd- und Grundwasserwärme bzw. -kälte zu nutzen, schafft Aufgrund der Betonoberflächenaktivierung der zukünftig verstärkte Anwendungsmöglichkeiten. insgesamt 39.000 m² Nutzfläche in dem ersten Bauabschnitt des Münchner Bürogebäudekomplexes Auron können die zwischen 200 und 400 m² großen Büroeinheiten individuell geregelt werden. Die Rohrregister wurden zudem achsweise mit Abstand verlegt, wodurch in den Zwischenräumen Trennwände aufgestellt können. Dadurch ist die komplette Büroraumstruktur flexibel und kann auf Veränderungen nicht nur klimatechnisch, sondern auch raumbezogen individuell reagieren. So ist es kein Zufall, dass bei allen drei aufgeführten Referenzgebäuden Wärmepumpen sowie Geothermie über Erdsonden und/oder Bohrpfähle zum Einsatz kamen. Die Betonkernaktivierung im „Spiegelhaus“ hat dazu beigetragen, dass dieses neue Highlight an der Elbe, das einen Jahresprimärenergiebedarf von lediglich 100 Kilowattstunden pro Jahr aufweist, mit dem Hafencity-Umweltzeichen in Gold ausgezeichnet wurde. Der Neubau der Ingenieurwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum wird über eine geothermische Großpumpenanlage mit über 70 Erdsonden betrieben. Dadurch kann im Kühlbetrieb während 80 % der Nutzungszeit die benötigte Energie direkt aus der geothermischen Quelle bezogen werden. Ergänzend sei die Nutzung von Oberflächenwasser erwähnt, wie in dem Büroobjekt „Kranhaus Plus“ am Kölner Rheinauhafen realisiert. Der Bürogebäudekomplex Auron in München ist nach den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mit Gold zertifiziert worden. Beton als nachhaltiger Baustoff Die drei Bewertungsdimensionen der DGNB beziehen sich auf die ökologischen, die ökonomischen und soziokulturellen Qualitäten eines Bauvorhabens. Zusammen genommen bestimmen sie die Nachhaltigkeit, die inzwischen bei vielen Baustoffen, Produkten und Systemen von großer Bedeutung ist. Um diesem teils schon inflationär verwendeten Begriff in Bezug auf den Baustoff Beton wissenschaftlichen Nachdruck zu verleihen, hat der Deutsche Ausschuss für Stahlbeton (DAStb) das Forschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Beton“ ins Leben geru- Nutzung von regenerativen Energien Ein ganz wesentlicher Aspekt der Betonkern- und der Betonoberflächenaktivierung ist die Möglichkeit, regenerative Energien einzusetzen. Neben der gesamtgesellschaftlich inzwischen vorherrschenden Einsicht, dass fossile Energieträger wie Öl und Gas endlich sind, schreibt das 2009 erlassene Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EE WärmeG) grundsätzlich vor, dass Eigentümer neuer (Wohn- und Nichtwohn-) Gebäude einen Teil ihres Wärme- (und Kälte-)bedarfs aus erneuerbaren Energien decken müssen. Seit der Novel- 12 Der Bürokomplex Auron in München, ausgeführt mit einer Betonoberflächenaktivierung, ist mit „Gold“ der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen ausgezeichnet worden Foto: Uponor, Haßfurt BAUZENTRUM E-BAU 2/2013 Bauen mit Beton fen (www.nachhaltigbauen-mit-beton.de). Als nachhaltig und damit auch dem Wohl der zukünftigen Generationen verpflichtet seien stichwortartig die Herstellung aus den natürlichen Rohstoffen Sand, Kies und Wasser, seine kostengünstige Dauerhaftigkeit und seine gute Recyclingfähigkeit genannt. Fazit Betondecken nicht nur als Tragstruktur einzusetzen, sondern – ohne stärkere Dimensionierung und mit nur geringem Mehraufwand – auch seine physikalische Eigenschaft der hohen Wärmespeicherfähigkeit auszunutzen und in ihnen ein nahezu wartungsfreies und damit sehr kostengünstiges Kühl- und Heizsystem einzubauen und einen hohen Raumklimakomfort zu erreichen, trägt allein schon zum nachhaltigen Bauen bei. Die Flexibilität der Gebäudenutzung durch eine raumweise Regelbarkeit und schnelle Reaktionszeiten auf individuelle Anforderungen des Nutzers zeigt Perspektiven des Einsatzes in der Zukunft auf: Thermisch aktive Betonbauteile sind – über ihren Einbau in Büro- und Gewerbebauten hinaus – für öffentlich genutzte Gebäude wie Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheime oder Museen geeignet und werden auch immer mehr im Wohnungsbau zur Anwendung kommen. Als intelligente Lösung zur energieef- Spannbetonfertigteile mit Betonkernaktivierung haben weniger Gewicht und können große Räume stützenfrei Foto: DW Systembau, Schneverdingen überdecken fizienten Gebäudeplanung ist ein früher interdisziplinärer Austausch der Fachleute ebenso hilfreich wie die Analyse der Nutzerwünsche. Weitere Informationen im Internet unter: www.beton.org Bei der Betonoberflächenaktivierung können die Rohrregister schnell individuell nach Raumeinheiten geregelt und durch Trennwände zwischen den Matten mit flexibler Nutzung versehen werden Foto: Uponor, Haßfurt BAUZENTRUM E-BAU 2/2013 Bei dem Kranhaus Plus in Köln wurde das Rheinwasser zur Temperierung herangezogen Foto: Jörg Hempel 13