Immunreaktion bei Pflanzen ist doppelt abgesichert

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Immunreaktion bei Pflanzen ist doppelt abgesichert
Pflanzen besitzen einen ausgeklügelten Abwehrmechanismus, um Schädlinge aller Art
abzuschrecken. Nun fand das Forscherteam um Dr. Gabriel Schaaf vom ZMBP der Universität
Tübingen heraus, dass diese Immunantwort dem angeborenen Immunsystem von Mensch und
Tier möglicherweise noch ähnlicher ist als lange Zeit gedacht: Die Biologen entdeckten den
Biosyntheseweg einer Gruppe von Signalmolekülen in Pflanzen, die bis vor Kurzem nur aus
tierischen Zellen bekannt waren und dort essenziell für das Überleben der Zelle sind. In der
Pflanze sind solche Inositolpyrophosphate gemeinsam mit dem Phytohormon Jasmonsäure
dafür verantwortlich, die Schädlingsabwehr einzuleiten. Nun wollen die Wissenschaftler prüfen,
inwieweit sich solche ubiquitär vorkommenden Moleküle auch therapeutisch nutzen lassen
könnten.
Das Forscherteam von Dr. Gabriel Schaaf beschäftigt sich am Tübinger ZMBP unter anderem mit den komplexen
Abwehrstrategien, die Pflanzen gegen Schädlinge anwenden (v. l. n. r.: Dr. Gabriel Schaaf, Dr. Marek Dynowski, Dr.
Marília K. F. de Campos, Philipp Johnen, Debabrata Laha (Erstautor der Studie), Philipp Gaugler). © Universität
Tübingen
Fast jede Pflanze hat zahlreiche Feinde, gegen die sie Tag für Tag um ihr Überleben kämpfen
muss: Zum Beispiel Schmetterlingsraupen, die sich von lebenden Blättern ernähren, Pilze, die
pflanzliches Gewebe befallen und verdauen oder pflanzenpathogene Bakterien. Hinzu kommt,
dass eine Pflanze nicht, wie die meisten Tiere, vor ihren Feinden davonlaufen kann. Um das
Überleben zu sichern, sind also andere Strategien gefragt: Pflanzen haben hierzu eine ganze
Palette an biochemischen Abwehrprozessen entwickelt, die ihre Feinde entweder abschrecken
oder deren Entwicklung negativ beeinflussen. Dabei können Pflanzen unterscheiden, ob sie von
Bakterien, Pilzen oder Fraßfeinden (z.B. Raupen) attackiert werden, und ihre Abwehr an die
jeweilige Situation speziell anpassen. Nach Verwundung durch Fraßfeinde bilden die Zellen
beispielsweise innerhalb von Minuten eine aktive Form des Phytohormons Jasmonsäure, die
ihrerseits wiederum die Freisetzung von Hemm- und Abwehrstoffen einleitet und sogar andere
Pflanzen in der Umgebung „benachrichtigt", dass Gefahr droht.
Zwei Moleküle schalten Signalweg zur Schädlingsabwehr an
Vereinfachtes Schema der Aktivierung von Abwehrreaktionen nach Insekten- oder Pilzbefall. Unter basalen
Bedingungen inhibieren JAZ-Proteine (grün) die pflanzliche Abwehr (hierdurch werden optimales Wachstum und
optimale Entwicklung der Pflanze gewährleistet). Insekten- oder Pilzbefall induzieren die Synthese von zwei wichtigen
Molekülen, und zwar aktivierte Jasmonsäure und das Inositolpyrophosphat InsP8. Beide Moleküle müssen an den
SCFCOI1-Komplex binden, um effektiv den JAZ-Repressor zu rekrutieren. Nach Rekrutierung erfolgt eine Markierung
von JAZ durch Ubiquitin (Ub, man spricht hier auch von einer Ubiquitylierung), die zum Abbau des JAZRepressorproteins führt. Hierdurch wird die rasche Aktivierung einer Vielzahl von Abwehrgenen eingeleitet (z.B.
VSP2). © American Society of Plant Biologists (modifiziert, Gabriel Schaaf)
Mit den komplexen Abwehrprozessen in Pflanzen beschäftigt sich Dr. Gabriel Schaaf mit
seinem Team am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) der Universität Tübingen.
Bis vor Kurzem dachten die Pflanzenforscher, dass eine aktive Form des Phytohormons
Jasmonsäure alleine ausreicht, um den Signalweg zur Abwehr anzuschalten. Hierzu rekrutiert
das Hormon sogenannte JAZ-Proteine , die normalerweise die Aktivität von Abwehrgenen
unterdrücken. Die Rekrutierung erfolgt an einen sogenannten SCFCOI1-Komplex, der den
Abbau dieser Repressorproteine einleitet. Da die unterdrückende Aktivität der JAZ- Proteine
damit entfällt, wird hierdurch schnell die Aktivierung einer Vielzahl von Abwehrgenen
eingeleitet.
Wie die Tübinger Biologen nun jedoch entdeckt haben, bindet der für die Erkennung der aktiven
Jasmonsäure verantwortliche SCFCOI1-Komplex nicht nur aktive Jasmonsäure und JAZRepressorprotein, sondern ist auch in der Lage, ein weiteres Signalmolekül –
Inositolpyrophosphat (PP-IP) – zu binden. „Der arbeitsfähige Proteinkomplex formt sich nur
dann optimal, wenn auch Inositolpyrophosphat gebunden wird, also zwei Moleküle andocken",
erklärt Schaaf. „Dadurch besitzt die Pflanze einen äußerst effektiven Schutzmechanismus.
Denn die Aktivierung von Abwehrgenen kann durch diese doppelte Sicherung moduliert
werden. Zudem baut sich die Pflanze eine zusätzliche Sicherheitsstufe ein, damit der
Abwehrmodus nicht vorschnell ausgelöst wird. Dann hätte sie nämlich im täglichen
Konkurrenzkampf um Licht und Nährstoffe gegenüber benachbarten Pflanzen verloren", fügt
der Pflanzenforscher hinzu.
Auf die Funktion des Signalmoleküls aufmerksam wurden die Tübinger Forscher, als sie
spezielle Kollektionen der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) untersuchten, in denen
einzelne Gene ausgeschaltet sind. Hierbei beobachteten die Forscher, dass Pflanzen ohne die
aktive PP-IP-Form zwar ganz normal aussahen, aber immense Probleme mit
Insektenschädlingen hatten. Durch die Kombination von biochemischen, strukturellen und
molekularbiologischen Methoden konnten Schaaf und sein Team in der Folge den
Wirkmechanismus der Signalstoffe aufklären und veröffentlichen.1
Inositolpyrophosphate auch für Mediziner interessant
Die Entdeckung des zweiten Moleküls erregt aber nicht nur unter Pflanzenforschern Aufsehen.
Auch Mediziner interessieren sich für PP-IPs, weil diese Moleküle auch für den Menschen
wichtig sind. „Die Funktion bei der Immunantwort in tierischen Zellen ist aber bislang noch
weitgehend unerforscht", sagt Schaaf. „Doch wie man weiß, gibt es hier viele Parallelen
zwischen Pflanzen und Tieren, beispielsweise die angeborene Immunität – die Fähigkeit,
innerhalb kürzester Zeit auf Fremdstoffe zu reagieren." Bevor die Tübinger Biologen die
Signalstoffe in der Ackerschmalwand entdeckten, waren Inositolpyrophosphate vor allem in
tierischen Zellen, aber auch in Amöben und Hefen bekannt, wo sie an wichtigen Funktionen
wie dem programmierten Zelltod, der Chemotaxis, Alterungsprozessen an den Telomeren, dem
intrazellulären Membrantransport oder der Insulin-Signaltransduktion maßgeblich beteiligt
sind. Der genaue Wirkmechanismus der Moleküle ist hier aber in vielen Fällen umstritten.
Vereinfachtes Schema der Inositolpyrophosphat-Biosynthese in Pflanzen, Tier, Mensch und Hefe. InsP7 und InsP8
gehören aufgrund ihrer Diphosphatgruppe zu den Inositolpyrophosphaten (PP-IPs), eine Phosphatgruppe wird durch
ein „P“ symbolisiert. Die Enzyme der Ackerschmalwand, VIH1 und VIH2, sind InsP8 Synthetasen, leiten also die
Biosynthese von InsP8 ein. Die Synthese von InsP7 aus InsP6 ist nicht geklärt. Eine Beteiligung von VIH1 an dieser
Reaktion kann gegenwärtig nicht ausgeschlossen werden. © Gabriel Schaaf
Therapeutische Anwendung wird getestet
In einer Kooperation mit dem Chemiker Prof. Dr. Henning Jessen von der Universität Zürich
(mittlerweile Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) und dem Molekularbiologen Prof. Dr. Adolfo
Saiardi (Medical Research Council London) wollen die Tübinger Pflanzenforscher nun unter
anderem herausfinden, ob sich PP-IPs auch als therapeutische Agenzien eignen würden. In
Zürich/Freiburg werden hierzu Modifikationen an diesen Moleküle vorgenommen. „Durch seine
vielen Phosphatgruppen sind PP-IPs sehr stark negativ geladen und würden so niemals eine
Plasmamembran passieren können", so Schaaf. „Deshalb wurde von der Arbeitsgruppe Jessen
ein Trick angewandt: Es wurden solche Moleküle hergestellt, bei denen die Ladung maskiert
wurde, damit diese ohne Probleme über die Membran in die Zelle transportiert werden. In den
Künstlerische Abbildung des Blattes einer Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), das von einer Raupe des
Kohlweißlings (Pieris rapae) befallen ist. Dadurch wird eine Immunantwort der Pflanze ausgelöst. In schematischer
Zeichnung ist in starker Vergrößerung der Jasmonsäurerezeptor, ein F-Box-Proteinkomplex, dargestellt. Nur bei
gleichzeitigem Binden von Inositol(pyro)phosphat (magentarot) und aktiver Jasmonsäure (bzw. einem
Jasmonsäure-Analogon, gelb) kommt es zur Rekrutierung und zum Abbau des sogenannten Jasmonat-ZIMDomäne(JAZ)-Repressors (dunkelrot), woraufhin Abwehrreaktionen eingeleitet werden. © Universität Tübingen,
Gabriel Schaaf und Hans van Pelt
Zellen werden diese dann von zelleigenen Enzymen gespalten und das aktive PP-IP freigesetzt,
wie wir kürzlich für verschiedene Zelltypen zeigen und in einer gemeinsamen Veröffentlichung
dokumentieren konnten"2. Durch die Pyrophosphatbindungen sind diese Moleküle sehr instabil
und energiereich und können in der Zelle starke Signalwirkungen entfalten. Sie müssen
deshalb auch schnell wieder abgebaut werden, damit die Stoffwechselvorgänge korrekt
ausgeführt werden können. Derzeit untersuchen die Wissenschaftler in Zellkulturen, ob die
Signalmoleküle pharmazeutisch interessant sind.
Eine weitere Anwendung, die sich durch die genauere Kenntnis der pflanzlichen Immunität
eröffnen könnte, ist die gezielte Schädlingsbekämpfung: Durch Einsatz von Methoden der
grünen Biotechnologie könnten Nutzpflanzen erzeugt werden, bei denen die Biosynthese dieser
natürlichen Schutzmoleküle bei Schädlingsbefall gezielt hochreguliert wird. „Wie wir anhand
der Modellpflanze Ackerschmalwand zeigen konnten, sind solche Pflanzen weitaus resistenter
gegen Fraßinsekten und Pilzinfektionen und die Landwirte müssten bei entsprechenden
Nutzpflanzen wesentlich weniger Insektizide und Fungizide anwenden", erklärt Schaaf.
1 Originalpublikation:
Laha D, Johnen P, Azevedo C, Dynowski M, Weiß M, Capolicchio S, Mao H, Iveng T, Steenbergen M, Freyer M, Gaugler P, de
Campos MKF, Zhen N, Feussner I, Jessen HJ, Van Wees SC, Saiardi A, and Schaaf G (2015): VIH2 Regulates the Synthesis of
Inositol Pyrophosphate InsP8 and Jasmonate-Dependent Defenses in Arabidopsis. Plant Cell, 27, 1082-97
2
2 Originalpublikation:
Pavlovic I, Thakor DT, Bigler L, Wilson MSC, Laha D, Schaaf G, Saiardi A, Jessen HJ (2015): Pro-Metabolites of 5-diphospֺho-myoinositol pentakisphosphate. Angew Chem Int Ed 54, 9622-6
Fachbeitrag
23.11.2015
pbe
BioRegio STERN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Dr. Gabriel Schaaf
Universität Tübingen
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP)
Tel.: 07071 29-78882
E-Mail: gabriel.schaaf(at)zmbp.uni-tübingen.de
ZMBP, Universität Tübingen
Immunologie
Pflanzenbiotechnologie
Hormon
Schädlingsbekämpfung
Abwehrmechanismen
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