6. Jahrgang, 2. Ausgabe, 58-76 - - - Rubrik Neue Arzneimittel - - - Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2011 Teil 3: Seltene Erkrankungen Pirfenidon (Esbriet®) Epoprostenol-rotexmedica® Tafamidis (Vyndaqel®) Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 59 - Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2011 Teil 3: Seltene Erkrankungen Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe DGPT, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf [email protected] *Aus einem Vortrag des Autors vom 30.01.2012 im großen Hörsaal des LFI der Universitätsklinik Köln (organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein/Apothekerverband Köln e.V./Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein Bezirksstelle Köln) Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 60 - Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2011? Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Fortbildungsbeauftragter Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V. Herausgeber „Fortbildungstelegramm Pharmazie“ Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie, UniversitätsKlinikum, Düsseldorf, Fortbildungsvortrag vom 30.01.2011 organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V., Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Bezirksstelle Köln Der Autor erhielt Forschungsgelder1 sowie dienstlich genehmigte Beratungs-2 und Referentenhonorare3 von folgenden Arzneimittelherstellern: Actavis1, Boehringer3, Mundipharma3, Schwarz Pharma1, Pfizer1,2, Shire1 Seltene Erkrankungen (Orphan Diseases) Genetische Prädispositionen sind an ca. 80 % derseltenen Erkrankungen beteiligt! Häufig fördern Umweltfaktoren oder Komorbiditäten Ausbruch und Progredienz Innerhalb der EU gilt eine Erkrankung bei einer Prävalenz von < 1:50.000 als selten „Orphan-Drugs“ sind Medikamente zur Behandlung seltener Erkrankungen http://www.euorphan.com/ ab Zulassung 10-jähriges Exklusivrecht bei Vermarktung innerhalb der EU, Gebührenermäßigung bei Zulassungsverfahren, beschleunigte Zulassung, keine Preisbeschränkungen (oft sehr teure Therapie!) Häufiger „Off-Label“-Gebrauch und zusätzliche Indikationen machen manche Orphan-Drugs zu Blockbustern* (> 1 Milliarde US-Dollar Jahresumsatz, Beispiel Imatinib) *Zitat aus: Medikamente für seltene Krankheiten. Arzneimittelbrief Okt 2008;42:73-74. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 61 - Pirfenidon (Esbriet®) Arzneistoff Pirfenidon (Esbriet®) Indikation Zur Behandlung von Erwachsenen mit leichter bis mittelschwerer idiopathischer pulmonaler Fibrose (IPF). Zusatznutzen Hersteller erste wirksame Therapie, reduziert Progression InterMune Deutschland GmbH Pirfenidon (Esbriet®) Genetische Prädisposition Idiopathische Lungenfibrose häufigste und tödlichste interstitielle Lungenerkrankung, mediane Überlebensdauer nach Diagnose 2-3 Jahre, Umweltfaktoren Prävalenz 14-40/100.000 Menschen, Inzidenz 7-16/100.000 Menschen, Alterserkrankung Mikroverletzungen der Lunge stark variabler Krankheitsverlauf, vermutlich wegen verschiedener Phänotypen Beginn der Symptome incl. Exazerbationen Ursache unbekannt, multifaktorielle Genese, genetische Faktoren: u.a. TGF-β, Surfactant Protein C, Mucin 5B und humane Telomerase reverse Transkriptase (hTERT), Umweltfaktoren: Rauchen, virale Infektionen, inhalierte Irritantien (Stäube, Chemikalien) (meist > 50. Lebensjahr) viele klinische Studien mit negativem Ergebnis (z.B. Prednisolon/Azathioprin, INFγ, ACC, Sildenafil, Bosentan, Etanercept) > 70. LJ, Rauchen, geringer BMI, starke Beeinträchtigung, großer Lungenschaden, pulmonale Hypertonie rasche Progredienz langsame Progredienz bislang keine Zulassung eines Arzneimitttels in den USA, aber Zulassung von Pirfenidon in EU Raghu, Am J Respir Crit Care Med. 2006, du Bois. Nat Rev Drug Discov. 2010 Raghu, Am J Respir Crit Care Med. 2011, King, Lancet 2011, Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 62 - Pirfenidon (Esbriet®) Normale Alveolar-Kapillar-Region Pathogenese Luft nach Mikroverletzungen werden normale Heilungsprozesse ausgelöst Typ II Epithelzellen Epithelzellen sezernieren Mediatoren und Immunzellen, Gerinnungsfaktoren und Proteine gelangen in den AlveolarRaum (Exsudation), typische Entzündungsprozesse sind nur geringfügig beteiligt Endothelzellen Basalmembran Blutgefäß durch die genetischen und die Umweltfaktoren sowie fortschreitendes Lebensalter führen die Heilungsprozesse aber nicht zur Rekonstitution einer normalen Epithelschicht Typ II Epithelzell-Sekretion von Metalloproteinasen, Wachstumsfaktoren, Chemokine, Gerinnungsfaktoren Proteine, Immunzellen, Gerinnungsfaktoren Als Folge entwickelt sich eine fortschreitende und irreversible Fibrosierung des Lungengewebes mit konsekutiver Funktionseinschränkung, Dyspnoe, verminderter Belastungstoleranz, Husten etc. abnorme Typ II Epithelzellen Fibroblasten Narbenproteine Angiogenese Raghu, Am J Respir Crit Care Med. 2006, du Bois. Nat Rev Drug Discov. 2010 Raghu, Am J Respir Crit Care Med. 2011, King, Lancet 2011, Idiopathische Lungenfibrose Pirfenidon (Esbriet®) Pathogenese Eine neue Studie bestätigt die Rolle von Wachstumsfaktoren bei der Pathogenese der idiopathischen Lungenfibrose. Der Tyrosinkinase-Hemmer Nintedanib (BIBF 1120), der die Wachstumsfaktoren „vascular endothelial growth factor receptor” (VEGFR), “fibroblast growth factor receptor” (FGFR) und “platelet derived growth factor receptor” (PDGFR) inhibiert, zeigte in einer Phase II Studie an 432 Patienten gegenüber Placebo eine bessere Erhaltung der FVC (P=0,06), eine Verminderung der Exazerbationen (P=0,02) und eine geringe Verbesserung der Lebensqualität (P=0,007) BIBF 1120 150 mg 2x täglich Änderung der FVC (Liter/Jahr) BIBF 1120 100 mg 2x täglich BIBF 1120 50 mg 2x täglich BIBF 1120 50 mg 1x täglich Placebo Tag N Engl J Med. 2011 Sep 22;365(12):1079-87 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 63 - Pirfenidon (Esbriet®) Wirkungsmechanismus Pirfenidon Typ II Epithelzell-Sekretion von Metalloproteinasen, Wachstumsfaktoren, Chemokine, Gerinnungsfaktoren Proteine, Immunzellen, Gerinnungsfaktoren Der molekulare Wirkungsmechanismus von Pirfenidon ist nicht bekannt. Es wird vermutet, dass in-vitro und tierexperimentell nachweisbare Wirkungen zur Verminderung der Progression beitragen: Hemmung der Wirkung von transformierenden Wachstumsfaktorbeta (TGF-β) und des Plättchenwachstumsfaktor (PDGF) Hemmung Proliferation von Fibroblasten abnorme Typ II Epithelzellen Hemmung der Sekretion der an der Fibrose beteiligten Proteinen Hemmung der Biosynthese und Akkumulation extrazellulärer Matrix Fibroblasten Narbenproteine Angiogenese Möglicherweise spielt auch die antientzündliche Wirkung eine Rolle Pirfenidon (Esbriet®) Klinische Effektivität Primärer Endpunkt der beiden Phase III Studien war eine Verlangsamung des FVC-Abfalls nach 72 Wochen. Ein signifikanter Unterschied zeigte sich nur in der Studie 004. Allerdings war in der Studie 006 der FVC-Abfall bis Woche 48 signifikant. Signifikante sekundäre Endpunkte: progressionsfreies Überleben verlängert, 6 min Gehtest verbessert (Studie 004) Änderung der FVC Studie 004 Pirfenidon 2403 mg/Tag (n=174) Pirfenidon 1197 mg/Tag (n=87) Placebo (n=174) Studie 006 Pirfenidon 2403 mg/Tag (n=171) Placebo (n=173) Woche Woche Lancet. 2011 May 21;377(9779):1760-9 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 64 - Pirfenidon (Esbriet®) Beurteilung in USA Guidelines Empfehlung: „Die Mehrheit der Patienten sollten nicht mit Pirfenidon behandelt werden, aber diese Therapie könnte eine sinnvolle Wahl für eine Minderheit sein.“ (schwacher Empfehlungsgrad: weitere Studien haben sehr wahrscheinlich großen Einfluss auf diese Einschätzung) Begründung: Nebenwirkungen und hohe Kosten werden stärker gewichtet als die mögliche geringe Verminderung des Funktionsverlustes der Lunge Anmerkung: Die Therapie könnte sich für Patienten eignen, die Nebenwirkungen in Kauf nehmen auch wenn der zu erwartende Nutzen gering ist. Pirfenidon (Esbriet®) Nutzenbewertung durch das IQWiG Anmerkung: Nach § 35a SGB V gilt der Zusatznutzen eines Arzneimittels für seltene Leiden durch die Zulassung als belegt (siehe u.g. Kurzfassung). Nutzen: im Vergleich zu „best supportive care“ sieht das IQWiG einen Zusatznutzen nur für die Belastbarkeit der Patienten, die mittels 6Minuten-Gehstrecke erfasst wurde. Bei Mortalität, der Notwendigkeit einer Versorgung mit Sauerstoff und der Lebensqualität ist Pirfenidon ohne Zusatznutzen Schaden: Studienabbrüche wegen Nebenwirkungen und gastrointestinale und dermale unerwünschte Ereignisse sind unter Pirfenidon häufiger Bewertung: kein Zusatznutzen belegt https://www.iqwig.de/download/A11-18_Pirfenidon_Kurzfassung_Nutzenbewertung_35a_SGB_V.pdf Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 65 - Pirfenidon (Esbriet®) Nebenwirkungen Folgende Nebenwirkungen traten im Vergleich zu Placebo bei der empfohlenen Dosierung am häufigsten auf:Übelkeit (32,8% vs. 13,3%), Hautauschlag (28,7% vs. 8,6%), Müdigkeit (22,3% vs. 13,3%), Durchfall (21,7% vs. 13,5%), Dyspepsie (16,8% vs. 5,5%) und Photosensibilitätsreaktion (12,2% vs. 1,7%) sehr häufig häufig Dyspepsie, Übelkeit, Durchfall, Photosensibilitätsreaktion, Hautausschlag, Müdigkeit Infektion der oberen Atemwege, Harnwegsinfektion Gewichtsabnahme, Anorexie, verminderter Appetit Insomnie Schwindel, Kopfschmerzen, Somnolenz, Dysgeusie Hitzewallung Dyspnoe, Husten, Husten mit Auswurf Gastroösophageale Refluxkrankheit, Erbrechen, Bauchblähung, abdominale Beschwerden, Bauchschmerzen, Oberbauchschmerzen, Magenbeschwerden, Gastritis, Obstipation, Flatulenz ALT-Anstieg, AST-Anstieg, Gammaglutamyltransferase-Anstieg Juckreiz, Erythem, trockene Haut, erythematöser Hautausschlag, makulärer Hautausschlag, pruritischer Hautausschlag Myalgie, Arthralgie Asthenie, nichtkardiale Thoraxschmerzen Sonnenbrand. Pirfenidon (Esbriet®) Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile schwere Leberfunktionsstörung, terminale Leberinsuffizienz schwere Nierenfunktionsstörung (Creatinin-Clearance < 30 ml/min), dialysepflichtige terminaler Niereninsuffizienz gleichzeitige Anwendung des CYP1A2-Inhibitors Fluvoxamin (hemmt auch CYP2C9, 2C19 und 2D6) Anwendung bei Kindern und Jugendlichen Besondere Vorsicht bei: Anwendung von Pirfenidon während der Schwangerschaft vermeiden Stillzeit (sorgfältige Nutzen-Risiko Abwägung) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 66 - Pirfenidon (Esbriet®) Fazit Pirfenidon ist der erste Arzneistoff, der zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose zugelassen wurde. Bisherige Studien beispielsweise mit Prednisolon/Azathioprin, INFγ, ACC, Sildenafil, Bosentan und Etanercept sind negativ verlaufen oder die Ergebnisse waren von fraglicher klinischer Relevanz, wie die IFIGENIA-Studie* mit hochdosiertem ACC. Nur in einer der beiden Zulassungsstudien verlangsamt Pirfenidon den FVC-Abfall nach 72 Wochen (primärer Endpunkt) und die sekundären Endpunkte Verlängerung des progressionsfreies Überleben und Verbesserung des 6 min Gehtest (Belastungstoleranz). Allerdings war in der anderen Studie der FVC-Abfall bis Woche 48 signifikant. Sehr häufige Nebenwirkungen sind Dyspepsie, Übelkeit, Durchfall, Hautausschlag, Photosensibilitätsreaktionen und Müdigkeit. Die inkonsistente Studienlage erschwert eine eindeutige Einschätzung der NutzenRisiko-Relation. Trotz ihrer insgesamt negativen Empfehlung stützen Leitlinien in den USA die Anwendung bei ausgesuchten Patienten nach eingehender Beratung. Es stellt sich die Frage, ob die Nutzen-Risiko-Relation nicht durch pulmonale Anwendung verbessert werden könnte. *N Engl J Med. 2005 Nov 24;353(21):2229-42 (Epoprostenol-rotexmedica®) Arzneistoff Epoprostenol (Epoprostenol-rotexmedica®) (Synonym für Prostazyklin ) Indikationen 1) Hämodialyse (Alternative zu Heparin) 2) intravenöse Langzeitbehandlung von primärer pulmonaler Hypertonie (PPH) bei Patienten der Stadien III und IV gemäss New York Heart Association (NYHA), die nicht ausreichend auf eine konventionelle Therapie ansprechen, sowie von sekundärer pulmonaler Hypertonie (SPH) im Rahmen von Erkrankungen aus dem Formenkreis der Sklerodermie (SDD) aufgrund intrinsischer präkapillarer Lungengefässkrankheiten bei Patienten in den NYHA-Stadien III und IV. Zusatznutzen Hersteller add-on: Verminderung der Mortalität der primären pulmonalen Hypertonie ROTEXMEDICA GmbH Arzneimittelwerk Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 67 - (Epoprostenol-rotexmedica®) Pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) Klassifikation Idiopathische PAH Hereditäre PAH Durch Medikamente oder Toxine verursacht Verengung der Lungenarterie Assoziiert mit anderen Erkrankungen (Bindegewebserkrankungen, HIVInfektion, Portale Hypertension, angeborene Herzfehler, Schistosomiasis, chronisch hämolytische Anämie Persistierende pulmonale Hypertonie des Neugeborenen Symptome (unspezifisch): Vergrößerung des rechten Ventrikels Belastungsdyspnoe, verminderte Belastungstoleranz, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Synkopen, Ödeme, Thoraxschmerzen, Zunahme des Bauchumfangs Eur Respir J. 2009 Dec;34(6):1219-63. (Epoprostenol-rotexmedica®) Wirkungsmechanismus und Wirkungen Vaskuläre Endothelzelle Infusionstherapie Vasodilatation Hemmung der Thrombozytenaggregation Prostazyklin Epoprostenol Hemmung der Gerinnung Hemmung der Proliferation von glatten Muskelzellen und Fibroblasten Hemmung der Atherosklerose Hemmung kardialer Fibrose glatte Gefäßmuskelzelle, Thrombozyt, Fibroblast Bindung an IP-Rezeptoren (Gs-Kopplung) Steigerung der Bildung von cAMP Aktivierung der Proteinkinase A Eur Respir J. 2009 Dec;34(6):1219-63. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 68 - (Epoprostenol-rotexmedica®) Pharmakotherapie der PAH Epoprostenol wird seit vielen Jahren weltweit zur Behandlung der PAH eingesetzt. Es muss wegen der kurzen Halbwertzeit als Dauerinfusion über einen zentralen Venenkatheter appliziert werden. Analoga von Prostazyklin sind Iloprost, Beraprost und Treprostinil. Inhalatives Iloprost (Ventavis®) ist in Deutschland zugelassen. Iloprost ist die in Deutschland am meisten verwendete Substanz für die i.v. Prostanoidtherapie*. Initial Monotherapie: keine Präferenz bei selbem Empfehlungsgrad wegen fehlender Vergleichsstudien (Ausschnitt aus „Diagnostik und Therapie der pulmonalen Hypertonie. Europäische Leitlinien 2009“, nicht dargestellt ist die nach positivem Vasoreagibilitätstest empfohlene Verwendung von Kalziumantagonisten, gilt nur für PAH-Patienten) *Hoeper et al., Kardiologe 2010 · 4:189–207 (Epoprostenol-rotexmedica®) Überleben (%) Klinische Effektivität bei PAH Unter konventioneller Therapie starben 8 Patienten Epoprostenol (n=41) Konventionelle Therapie (n=40) (orale Vasodilatatoren, herzwirksame Glykoside, Antikoagulantien, Diuretika, Sauerstoff) Behandlungswoche Epoprostenol wurde in 2 RCTs an Patienten mit primärer PAH geprüft weitere Studien zeigten Wirksamkeit bei sekundärer PAH, z.B. bei Sklerodermie, AIDS, angeborenen Herzfehlern und portaler Hypertension Epoprostenol verbessert Hämodynamik, d.h. vermindert u.a. den pulmonalen Widerstand, den pulmonal-arteriellen Mitteldruck und den pulmonalen Gefäßwiderstand dies verbessert die Symptome und die Belastungstoleranz (6-min-Gehstrecke) Epoprostenol vermindert die Mortalität bei primärer PAH N Engl J Med. 1996 Feb 1;334(5):296-302 * N Engl J Med. 1996 Feb 1;334(5):296-302 Ann Intern Med 1990; 112: 485–491 Ann Intern Med 2000; 132: 425–434 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 69 - (Epoprostenol-rotexmedica®) Klinische Effektivität bei Hämodialyse Mittlere Schwellenkonzentrationen von Adenosindiphosphat (ADP), die eine reversible (untere Grenze) und eine irreversible (obere Grenze) Aggregation von Thrombozyten auslösten ADP-Konzentration µM PGI2 Heparin *P<0.05 vor Dialyse Stunden Dialyse 2 Stunden nachDialyse Epoprostenol kann als Monotherapie Heparin bei der Dialyse ersetzen Die Wirkung von Prostazyklin zeigt die Bedeutung der Thrombozytenaggregation für die Koagulation bei extrakorporaler Zirkulation durch Dialysemembranen vor Dialyse 4 ng/kg/min über 15 min während Dialyse 4 ng/kg/min Infusion nach Abschluss der Dialyse beenden empfohlene Dosis für die Nierendialyse nur bei strenger Überwachung überschreiten. N Engl J Med. 1981 Apr 16;304(16):934-9. (Epoprostenol-rotexmedica®) Nebenwirkungen Wegen der Notwendigkeit einer Dauerinfusion treten auch schwerwiegende Nebenwirkungen auf, die sich durch diese Applikationsart ergeben. Hierzu zählen Versagen der Infusionspumpe, Infektionen, Verstopfung des Katheters und Sepsis. Die Nebenwirkungen können so limitierend sein, dass die übliche Standarddosierung (20-40 mg/kg KG/min) nicht verwendet werden kann. Da die fertige Infusionslösung alkalisch ist (pH 10,5) muss eine Extravasation bei Infusion der Lösung vermieden werden. sehr häufig häufig Sepsis, Septikämie Kopfschmerzen Gesichtsrötung (Flush) (selbst bei anästhesierten Patienten) Übelkeit, Erbrechen Kieferschmerzen Reduzierte Thrombozytenzahl Angstzustände, Nervosität Tachykardien Bei >5 ng/kg/min Bradykardie und orthostatische Hypotonie bei gesunden Freiwilligen Bei 30 ng/kg/min Bradykardie mit gleichzeitigem starkem Abfall des systolischen und diastolischen Blutdrucks bei Probanden. Abdominale Koliken, gelegentlich als abdominales Unwohlsein Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 70 - (Epoprostenol-rotexmedica®) Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile Stauungsinsuffizienz, die durch eine schwere Dysfunktion des linken Ventrikels verursacht wird Schwangerschaft Keine Daten für schwangere Frauen, tierexperimentell keine Hinweise schädliche Effekte bezüglich Schwangerschaft, embryonale/fetale Entwicklung, Geburt oder postnatale Entwicklung , vorsichtshalber dennoch nicht anwenden Stillzeit Das Arzneimittels soll während der Stillzeit nicht angewendet werden. (Epoprostenol-rotexmedica®) Fazit Epoprostenol (Prostazyklin) wird seit vielen Jahren weltweit zur Behandlung der PAH eingesetzt. Analoga von Prostazyklin sind Iloprost, Beraprost und Treprostinil. Inhalatives Iloprost (Ventavis®) ist in Deutschland zugelassen. Iloprost ist auch die in Deutschland am meisten verwendete Substanz für die i.v. Prostanoidtherapie*. Epoprostenol muss wegen der kurzen Halbwertzeit als Dauerinfusion über einen zentralen Venenkatheter appliziert werden. Die Behandlung muss in spezialisierten Zentren erfolgen. Epoprostenol vermindert u.a. den pulmonalen Widerstand, den pulmonal-arteriellen Mitteldruck und den pulmonalen Gefäßwiderstand, verbessert die Symptome und die Belastungstoleranz (6-min-Gehstrecke) und reduziert als einzige Therapie die Mortalität bei primärer PAH. Sehr häufige Nebenwirkungen sind Sepsis und Septikämie (Infusionskatheter!), Kopfschmerzen, Gesichtsrötung (Flush), Übelkeit, Erbrechen und Kieferschmerzen. Da keine Vergleichsstudien existieren, nennen die aktuellen Richtlinien keine evidenzbasierte Pharmakotherapie der ersten Wahl. *N Engl J Med. 2005 Nov 24;353(21):2229-42 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 71 - Tafamidis (Vyndaqel®) Arzneistoff Tafamidis (Vyndaqel®) Indikation Transthyretin-Amyloidose bei erwachsenen Patienten mit symptomatischer Polyneuropathie im Stadium 1 Zusatznutzen Hersteller erste wirksame Therapie, reduziert Progression der Polyneuropathie PFIZER PHARMA GMBH Tafamidis (Vyndaqel®) Transthyretin-Amyloidose sehr seltene Erberkrankung, ca. 2.700 bis 3.500 Erkrankte in Europa, beruht auf Mutationen des Transportproteins Transthyretin, häufigste pathogene Mutation führt zum Austausch von Valin durch Methionin an Position 30 (Val30Met), Austausch von Valin durch Isoleucin (V122I) weniger pathogen Mutationen verursachen Änderung der Konformation des Proteins, Destabilisierung des Tetramers und Erleichterung der Bildung proamyloidogene (misgefalteter) Monomere Monomere bilden toxische Aggregate, die Amyloidfibrillen Anreicherung in Geweben, hauptsächlich peripheres Nervensystem, auch Herz, Niere, Auge und ZNS, verursacht Einschränkung der Funktionen Transportiert thyroxin und retinol Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 72 - Tafamidis (Vyndaqel®) Transthyretin-Amyloidose Erkrankungsbeginn 3.-5. Lebensdekade, Form mit spätem Beginn (>60 Jahre) ebenfalls bekannt sensorische Neuropathie zuerst in Füßen mit Taubheitsgefühl, neuropathischem Schmerz, Allodynie, im Verlauf Ausbreitung zu oberen Extremitäten autonome Neuropathie mit u.a. orthostatischer Hypotonie, Diarrhoe, Obstipation, Übelkeit, Erbrechen (Dehydratation), Dysurie, Harnverhalt, Inkontinenz, Anhidrosis, erektile Dysfunktion Progredienz zur motorischen Neuropathie mit Verlust der Gehfähigkeit, Endstadium der Erkrankung im Mittel nach 10,8 Jahren erreicht Ablagerung im Herzen bei 80 %, Arrythmien, Kardiomyopathie, Reizleitungsstörungen (AVBlock), plötzlicher Herztod Amyloidfibrillen Arch Neurol. 2005 Jul;62(7):1057-62 Lancet Neurol. 2011 Dec;10(12):1086-97. N Engl J Med. 2003 Aug 7;349(6):583-96. Tafamidis (Vyndaqel®) Bisherige Therapie frühe Lebertransplantation stoppt Progredienz, bislang 1.500 Transplantationen (meist V30M), 90 % der Patienten mit sensorischer Neuropathie bleiben stabil behebt nicht Symtomatik im ZNS, da Transthyretin auch im Plexus choroideus gebildet wird behebt nicht Symtomatik im Auge, da Transthyretin auch im Retinaepithel gebildet wird bestehende Ablagerungen im Herz können auch durch normales Transthyretin vergrößert werden Therapie der Symptome mit Arzneistoffen, u.a. Schmerz: Gabapentin, Pregabalin, Duloxetin orthostatische Hypotonie: Midodrin, Fludrocortison Übelkeit/Erbrechen: Domperidon, Metoclopramid Diarrhöe: Opioide, Octreotid erektile Dysfunktion: Sildenafil etc. Chirurgie (Karpal-Tunnel-Syndrom) Amyloidfibrillen N Engl J Med. 2003 Aug 7;349(6):583-96. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Arch Neurol. 2005 Jul;62(7):1057-62 Lancet Neurol. 2011 Dec;10(12):1086-97. Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 73 - Tafamidis (Vyndaqel®) Wirkungsmechanismus Tafamidis stabilisiert das Transthyretin-Tetramer, verringert Bildung und Missfaltung der Monomere, verringert Bildung der Amyloidfibrillen, ähnelt Diflunisal, welches ebenfalls das Transthyretin-Tetramer durch Bindung an die beiden zu 99 % unbesetzten Thyroxin-Bindungsstellen stabilisiert Tetramer Monomer AmyloidMonomer Amyloidfibrillen Tafamidis Dissoziation partielle Denaturierung, Missfaltung Tafamidis (Vyndaqel®) Klinische Effektivität Tafamidis (20 mg/Tag) wurde in einer randomisierten, doppelblinden, Placebokontrollierten Studie an 128 Patienten (Stadium 1) über 18 Monate geprüft, woran sich eine 12-monatige Nachbeobachtungsphase anschloss*. Beide Studien sind bislang nicht publiziert. Ko-primäre Endpunkte „Neuropathy Impairment Score – Lower Limb (NIS-LL)“-Responder (keine Progression der Erkrankung) war in der ITT-Analyse mit einer Quote von 45,3 % zwar deutlich aber nicht signifikant von Placebo (29,5 %) verschieden (P=0,0682). „Norfolk QOL-DN (total quality of life, TQOL)“- (Verschlechterung der Lebensqualität) war in der ITT-Analyse mit einer Änderung von 2,4 zwar deutlich aber nicht signifikant von Placebo (6,9 %) verschieden (P=0.1157). Eine ebenfalls präspezifizierte Analyse, die den „Dropouts“ wegen Lebertransplantation Rechnung trägt, ergibt signifikante Ergebnisse. Transthyretin-Tetramer-Stabilisierung nur in der Verumgruppe nachweisbar. EPAR-Bericht der EMA, Lancet Neurol. 2011 Dec;10(12):1086-97. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 74 - Tafamidis (Vyndaqel®) Nebenwirkungen Beruhen auf klinischen Daten an 127 Patienten mit TTRAmyloidpolyneuropathie mit 20 mg Tafamidis, verabreicht 1-mal täglich über durchschnittlich 538 Tage (Spanne 15-994 Tage). sehr häufig häufig Harnwegsinfekte Diarrhoe Scheideninfektionen Oberbauchschmerzen. Tafamidis (Vyndaqel®) Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile Schwangerschaft Die Anwendung des Arzneimittels während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird nicht empfohlen. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung mit Tafamidis und wegen der langen Halbwertszeit über 1 Monat nach Behandlungsende kontrazeptive Massnahmen durchführen. Stillzeit Risiko für das Neugeborene/Kind kann nicht ausgeschlossen werden. Das Arzneimittels soll während der Stillzeit nicht angewendet werden. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 75 - Tafamidis (Vyndaqel®) Fazit Tafamidis ist der erste Arzneistoff, der das Transthyretin-Tetramer stabilisiert und damit die Bildung von Monomeren sowie deren Missfaltung und Aggregation zu Amyloidfibrillen bei familiärer Transthyretin-Amyloidose im Stadium 1 vermindert. Die klinische Prüfung erfolgte an 127 Patienten, von welchen nur 84 die Behandlung über 18 Monate beendeten, weil eine Spenderleber verfügbar wurde. Die Analyse der Daten dieser Studie und der sich daran anschließenden offenen Behandlung über 12 Monate zeigte eine klinische Wirkung im Sinne einer Verlangsamung der Progression, auch sich wenn die beiden Ko-primäre Endpunkte bei ITT-Auswertung nicht signifikant von Placebo unterschieden, hauptsächlich weil Patienten mit Lebertransplantation als Therapieversager gerechnet wurden. Tafamidis löst sehr häufig Harnwegsinfekte und Diarrhoe aus. *N Engl J Med. 2005 Nov 24;353(21):2229-42 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76 Neue Arzneimittel 2011 – Seltene Erkrankungen - 76 - Hinweise 1) Die Bezeichnung Zusatznutzen bezieht sich auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (AMNOG), wonach der g-BA eine Nutzenbewertung neu zugelassener Arzneimittel nach § 35 a SGB V durchführt. Es handelt sich bei den Kommentaren um eine klinisch-pharmakologische Kurz-Einschätzung des Autors, die auf den publizierten Zulassungsstudien und/oder den „European Public Assessment Reports“ der europäischen Zulassungsbehörde „European Medicinal Agency“ (EMA) beruht. 2) Die Informationen zu den Arzneimitteln sind verkürzt dargestellt. Ausführlichere Informationen finden besonders interessierte Leser unter Weblink 1. 3) Eine vollständige Liste der 23 im Jahr 2011 zugelassen Arzneistoffe mit Indikationen und derzeitigem Zusatznutzen bei dieser Indikation ist unter folgendem Link erhältlich: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html Weblinks 1) wissenschaftliche Diskussion der Arzneistoffdaten einschließlich Nutzen-Risiko Einschätzung in den European Public Assessment Reports (EPARs,) der Zulassungsbehörde European Medicinal Agency (EMA), verzeichnet nach Handelsnamen, abgelegt unter Assessment History (nur in englischer Sprache) http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/epar_search.jsp&murl=menus/medicines/medicines.jsp&mid=WC0b01ac058001d125&jsenabled=true Literatur Zitate zu Leitlinien, Phase III-Studien und anderer verwendeter Literatur sind auf Nachfrage beim Autor erhältlich Impressum: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):58-76