Aktuelle Behandlungsstrategien bei diabetes

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Individuelle Therapieziele
Aktuelle Behandlungsstrategien
bei Diabetes mellitus Typ 2
Die Behandlung des Typ-2-Diabetes verlangt immer häufiger einen individuellen Therapieansatz. Dieser bewegt sich zwischen dem Patienten (z.B. Adhärenz), dem Arzt (z.B.
Therapieanpassung), den Nebenwirkungen (Hypoglykämie, Gewichtszunahme), den Komplikationen (mikrovaskulär, makrovaskulär) und dem HbA1c-Zielwert, stellte Dr. med. Stefan
Fischli, Luzern, fest. Das Hyperglykämie-Management richtet sich nach dem Grad der
Motivation, den Risiken für Hypoglykämien und anderen unerwünschten Nebenwirkungen,
der Dauer der Krankheit, der Lebenserwartung, den Komorbiditäten, den vorhandenen vaskulären Komplikationen und den Ressourcen des Patienten. Aufgrund dieser Kriterien wird
für jeden Patienten ein Ziel- HbA1c bestimmt, welches von 6.0 bis 8.0% reichen kann.
Individuelle HbA1c-Ziele
HbA1c<7% (unter oder um 7%): mikrovaskuläre und makrovaskuläre (Behandlung am Anfang), Komplikationen gering.
HbA1c <6.5%: kurze Diabetesdauer/hohe Lebenserwartung, keine kardiovaskulären Erkrankungen. Ziel: keine Hypoglyämien.
HbA1c 7.5–8%: lange Diabetesdauer/kurze
Lebenserwartung, Vorhandensein kardiovaskulärer Erkrankungen/fortgeschrittener Sekundärkomplikationen, häufige und schwere
Hypoglykämien.
Medikamentöse Behandlung –
zwischen Hypoglykämie und
Gewichtszunahme
Keine oder wenige Hypoglykämien sind bei
den folgenden Medikamenten zu erwarten:
Metformin , DPP-4 Inhibitoren, GLP-1 Analoga, Glitazone, SGLT-2 Inhibitoren. Mit Ausnahme der Glitazone gehen diese Substanzen
auch mit keiner Gewichtszunahme einher.
Hypoglykämien kommen dagegen bei Sulfonylharnstoffen, Insulin und Meglitinide vor.
Diese Substanzen sowie Glitazone gehen mit
einer Gewichstzunahme einher. Eine Zusammenstellung der Wirkung auf HbA1c und das
Körpergewicht ist in Tabelle 1 aufgeführt.
Der Referent gab einen Überblick über die
einzelnen Medikamente:
Metformin stellt die Standardtherapie auch
bei Insulintherapie dar. Das Medikament ist
gut verträglich (Laktazidose ist sehr selten),
Kontra­
indikationen sind Niereninsuffizienz/
Herzinsuffizienz, Kontrastmittelexposition und
Erwartete HbA1c- Erwartete Gewichts­
Senkung mit
änderung über 6 Monate
Monotherapie (%)
Einfluss auf
Einfluss auf
postprandiale NüchternGlukose
glukose
α GlucosidaseInhibitoren (Acarbose)
0.5 – 0.8
gewichtsneutral
++
–
Amylin Analoga
0.5 – 1.0
gewichtsneutral od. bis
1.5 kg Gew.verlust
++ bis +++
+
Basal Insulin, Detemir
1.5 – 3.5
gewichtsneutral oder
Gew. Zunahme bis
1.5 kg
+
++ bis +++
Glargin
1.5 – 3.5
Gew. Zunahme bis 4 kg
+
++ bis +++
GLP-1 Analoga
0.5 –1.0
Gew. Verlust 1– 3 kg
++ bis +++
+
DPP-4 Inhibitoren
0.5 – 0.8
gewichtsneutral
++
–
Metformin1.0-2.0
gewichtsneutral
oder Verlust bis
1.5 kg
+
+
++
Sulfonylharnstoffe
1.0 –2.0
Thiazolidine
0.5 –1.4
Gewichtszunahme
++
1–1.5 kg
Gewichtszunahme +3 kg +
Tab.1: Antidiabetische Therapie und Gewicht (1)
++
++
Alter. Die Vitamin B12 Spiegel sollten kontrolliert werden, da ein Vitamin B12 Abfall bis zu
20% beobachtet wird (2).
Sulfonylharnstoffe
Eine kürzlich publizierte Metaanalyse über
22 Studien (3) ergab Blutzucker-Werte
≤3.1mmol/l bei 10.1%, BZ-Werte ≤2.8mmol/l
bei 5.9%, schwere Hypoglykämie bei 0.8%.
Der Referent bemerkt dazu, dass die Sulfonylharnstoffe nach wie vor ihren Platz in der
Diabetesbehandlung haben und dass die Hypoglykämien im Allgemeinen doch eher gering
sind. Wenn Sulfonylharnstoff, dann Gliclazid
(Diamicron®), so Dr. Fischli.
Inkretin-basierte Therapien
Dazu gehören die GLP-1 Rezeptor Agonisten (s.c.):
µg/Tag, Exenatid
Exenatid (Byetta®), 2x 10 (Bydureon®) 1 x 2 mg/Woche
Liraglutid (Victoza®) 1 x 1.8mg/Tag
und die DPP-4 Inhibitoren (p.o.):
Sitagliptin (Januvia®) 1 x 100 mg/Tag, Vildagliptin
(Galvus®) 2 x 50 mg/ Tag, Saxagliptin (Onglyza®)
1x 5 mg/Tag, Linagliptin (Trajenta®) 1 x 5 mg/Tag,
Vildagliptin (Vipidia®) 1 x 25 mg/Tag.
Ein Vergleich der Inkretin-basierten Therapien
ist in Tabelle 2 wiedergegeben.
Die GLP-1 Rezeptor Agonisten wirken stärker
antidiabetisch und gehen mit einer durchschnittlichen Gewichtsabnahme von 3.4 kg einher.
Es ist aber auch auf die Nierenfunktion zu achten. Die Einnahme von GLP-1 Rezeptor Agonisten ist jeweils mit Nausea (Übelkeit) assoziiert.
Bydureon® hat diesbezüglich grosse Vorteile, da
durch die ein­malige wöchentliche Einnahme nur
einmal mit Übelkeit zu rechnen ist. Bydureon®
gewährt zudem im Gegensatz zu den übrigen
GLP-1 Rezeptor Agonisten eine konstante Abdeckung über den ganzen Tag. Die Wirkung ist
anfänglich am grössten (–2.2% HbA1c-Senkung
nach 1 Jahr im Vergleich zu Beginn der Therapie), bleibt aber für mehrere Jahre konstant tief
(–1.6% HbA1c-Senkung nach 5 Jahren im Vergleich zu Beginn der Therapie) (4).
Bei Kombination von GLP-1 Rezeptoragonisten mit Basalinsulin kann die Insulindosis
häufig um 20–30% gesenkt werden.
_ 2014 _ der informierte arzt
4209 sonderreport
Effekte
GLP-1 Rezeptor- DPP-4-Hemmer
Agonisten
GLP-1-Verstärkung
HbA1c-Senkung
(Monotherapie)
Postprandiale BZ-Werte
0.5 – 0.8
gewichtsneutral
0.5 –1.1%
0.5 – 0.8%
↓↓
↓
Gewicht
↓
neutral
Magenentleerung
↓
kein Effekt
Nausea
+
–
Kardiovask. Risikofaktoren
gebessert
kein Effekt
Hypoglykämie
–
–
Betazell-Protektion
(+)
?
s.c.
p.o.
Preis
Verabreichung
Tab. 2: Vergleich Inkretin-basierte Therapien (adaptiert nach 5–7)
SGLT-2 Hemmung –
ein neues Wirkprinzip
Die SGLT-2 Inhibitoren greifen an einem neuen
Wirkungsort an. Sie hemmen die Rück­
resorption von Glukose im proximalen Tubulus
der Niere. Ihre Senkung von HbA1c beträgt
0.34–1.03%, die Gewichtsreduktion –2.0
bis –3.4 kg, dazu kommt eine Reduktion
des systolischen Blutdrucks von –1.7 bis –
6.4 mmHg (8). Der Preis dafür sind vermehrte
Harnwegsinfekte.
Die moderne Diabetestherapie ist eine individuelle Behandlungsstrategie auf der Basis individueller Therapieziele. Neben der Wirkung
der Therapie ist das Vermeiden von Nebenwirkungen ein weiteres Ziel, dabei sind Gewichtszunahme und Hypoglykämien vorrangig. Im
Vordergrund stehen heute die Inkretin-basierten
Therapeutika, insbesondere die GLP-1 Rezeptor Agonisten und ihre Kombination mit Insulin.
Die Ausführungen von Dr. Fischli wurden ergänzt durch Fallbeispiele von Dr. med.
Beat Schwegler, Luzern. Er präsentierte zunächst den Fall einer 83-jährigen Patientin mit
einer Diabetesdauer von 25 Jahren, die ak­tuell
mit Gliclazid, Metformin und Glargin behandelt
wird. Der Nüchternblutzucker liegt zwischen
6.3 und 8.1 mmol/l, das HbA1c beträgt 7.8%.
LDL-Cholesterin ist 1.7 mmol/l, der Blutdruck
108/72 mmHg. Es stellen sich folgende Fragen:
Umstellung der Diabetestherapie durch Zugabe von Exenatide? Zugabe von Pioglitazon? Weiterfahren mit der bestehenden Therapie? Oder
Stopp der Metformingabe? Die wichtigsten Massnahmen für eine Senkung des Risikos für Morbidität und Mortalität bei älteren Personen sind
eine gute Blutdruckkontrolle, gute Lipid-Kontrolle und das Vermeiden von Hypoglykämien. Im
Hinblick auf Metformin gilt für ältere Personen
der informierte arzt _ 09 _ 2014
Abb. 1: Interventionen aufgrund des Verlaufs
die Kontraindikation Creatinin >124 µmol/l bzw.
>133 µmol/l, das Absetzen bei Gastroenteritis!!
Das Absetzen vor Operationen / KontrastmittelGabe. Es empfiehlt sich im vorliegenden Fall die
Weiterführung der bestehenden Therapie.
Dr. Schwegler erinnert an die Ziele der Blut­
zuckerkontrolle:
–verbesserte Prävention von Langzeit­
komplikationen
–HbA1c von >7%: genereller Handlungs­
bedarf, falls Patient < 70 Jahre
–individuelle klinische Beurteilung
–Berücksichtigen von Lebenserwartung,
Komorbi­ditäten, Hypoglykämierisiko
(zu aggressive und komplizierte Blutzuckereinstellung u.U. mit Risiko verbunden)
–möglichst gewichtsneutral.
Ein anderer Fall handelt von einer 59-jährigen Frau mit Typ-2-Diabetes mit ungenügender Blutzuckereinstellung. Der BMI beträgt
31 kg/m2. Sie hatte ein HbA1c von 9% während der letzten 9 Monate. Die vorgängige
Behandlung mit Glimepirid führte zu Hypoglykämien. Aktuelle Medikation 2 x 1000 mg
Metformin, 1 x 45 mg Pioglitazon. Die Patientin will keinen anderen Sulfonylharnstoff mehr
und verweigert Insulin aus Angst vor erneuten Hypoglykämien. Welche der folgenden
Therapieoptionen ist am sinnvollsten zur Optimierung der Therapie: Acarbose, Zugabe von
Exenatide, Nateglinid anstelle von Metformin,
Sitagliptin anstelle von Pioglitazon? Die
Empfehlung lautet Zugabe von Exenatide.
Die GLP-1 Rezeptorinhibitoren haben zudem einen Einfluss auf das Gehirn; sie fördern das Sättigungsgefühl und hemmen den
Appetit. Dies ist im vorliegenden Fall besonders wichtig (BMI 31 kg/m2).
Der Referent erläutert die verschiedenen Interventionen aufgrund des Zeitverlaufs (Abb. 1).
Das Problem eines erhöhten PankreatitisRisikos der Inkretin-basierten Therapie ist gemäss einer neuen Publikation aus dem BMJ
tief (9). Der Referent bemerkt dazu, dass er
nie eine Pankreatitis aufgrund Inkretin-basierter Therapie gesehen hat.
Literatur:
1. Meneghini LF et al. Weight Beneficial Treatments
for Type 2 Diabetes. J Clin Endocrinol Metab
2011;96(11):3337–3353
2. de Jager J et al. Long term treatment with metformin
in patients with type 2 diabetes and risk of vitamin
B-12 deficiency: randomised placebo controlled trial.
BMJ 2010;340:c2181 doi:10.1136/bmj.c2181
3.Schopman JE et al. The incidence of mild and severe hypoglycaemia in patients with type 2 diabetes
mellitus treated with sulfonylureas: a systematic review and meta-analysis. Diabetes Metab Res Rev.
2014;30(1):11-22
4.Pratley RE et al. Liraglutide versus sitagliptin for patients with type 2 diabetes who did not have adequate glycaemic control with metformin: a 26-week,
randomised, parallel-group, open-label trial. Lancet
2010;375(9724):1447-56
5.Nathan DM et al. Medical management of hyperglycemia in type 2 diabetes: a consensus algorithm for
the initiation and adjustment of therapy: a consensus
statement of the American Diabetes Association and
the European Association for the Study of Diabetes.
Diabetes Care, 2009; 32(1):193-203
6. Kendall DM et al. Clinical application of incretin-based
therapy: therapeutic potential, patient selection and clinical use. Am J Med 2009;122(6 Suppl):S37-50
7.Richter B et al. Dipeptidyl peptidase-4 (DPP4) inhibitors for type 2 diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev 2008 ;16(2)CD006739. doi:
10.1002/14651858.CD006739.pub2.
8.Rosenwasser RF et al. SGLT-2 inhibitors and their
potential in the treatment of diabetes. Diabetes
Metab Syndr Obes. 2013;27(6):453-67
9. Faillie JL et al. Incretin based drugs and risk of acute
pancreatitis in patients with type 2 diabetes: cohort study. BMJ 2014;24;348:g2780. doi: 10.1136/bmj.g2780
IMPRESSUM
Berichterstattung: Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen
Redaktion: Thomas Becker
Quelle: KHM Jahrestagung 2014, Satelliten-Symposium
über Behandlungsstrategien bei Diabetes mellius Typ 2,
27. Juni 2014, Luzern.
Unterstützt von Astra Zeneca AG, Zug
© Aerzteverlag medinfo AG, Erlenbach
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