Kerntemperatur, Wärme und Temperatur

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Thomas Netsch
Kerntemperatur, Wärme und Temperatur
Wärme und Temperatur
E
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in Kochrezept besteht neben einer Liste von Zutaten und Mengenangaben aus einer Prozedur,
die beschreibt wie die Zutaten nacheinander
verarbeitet werden müssen. Dennoch garantieren
genaues Abwiegen und Umsetzen der Anweisungen nicht identische Resultate. Die Anweisung «fein
geschnittene Zwiebeln 5 min in 1 EL Butter leicht
Farbe nehmen lassen» wird beim Nachkochen zu
unterschiedlich Resultaten führen. Das Ergebnis,
zum Beispiel der Bräunungsgrad der Zwiebeln, ist
im Rezept ungenau beschrieben, denn was bedeutet
«leicht» in diesem Kontext? Außerdem ist die Prozedur, die zu einer Bräunung führen soll, lückenhaft
und setzen ein gewissen Grundverständnis voraus.
Die Frage ist, wie groß sind die Unterschiede, die sich
beim Nachkochen ergeben? Sind sie überhaupt für
den Geschmack relevant? Beim Kochen wird im Gegensatz zum Backen aus der Unschärfe der Rezepte
oft eine Tugend: der Koch hat immer eine gewisse
Freiheit, er kann bis zum Schluss noch «nachbessern» oder seine eigenen Vorstellungen umsetzen,
die nicht notwendig mit denen des Urhebers des
Rezeptes übereinstimmen müssen.
Eigentlich sollten strenge, naturwissenschaftliche
Kenntnisse die Reproduzierbarkeit beim Kochen
erhöhen, denn das Kochen verändert Nahrungsmittel auf molekularer Ebene nach Gesetzen der Physik
und Chemie. Zwiebeln könnten beispielsweise auch
in einem Versuchsaufbau in einem Labor gebräunt
werden. Die Pfannen sähen vielleicht aus wie große
Reagenzgläser, auch gäbe es die Möglichkeit, Parameter wie Temperatur, Wassergehalt und Röstgrad
der Zwiebeln mit Messfühlern genau zu bestimmen.
Ein Chemiker würde gemäß der wissenschaftlichen
Methodik das Bräunen der Zwiebeln beobachten, es
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durch bekannte Theorien versuchen zu erklären, gegebenenfalls neue Hypothesen aufstellen und diese
durch Experimente bestätigen oder widerlegen. Der
gewünschte Bräunungsgrad würde sich im Idealfall
durch eine Formel genau beschreiben lassen.
Lebensmittelchemie ist ein Studienfach, das an
vielen Universitäten und Fachhochschulen in
Deutschland gelehrt wird. Die Lebensmittelindustrie bedient einen der umsatzstärksten Märkte
weltweit. Es ist eine Illusion zu glauben, in Supermärkten gebe es Produkte, die wissenschaftlich
betrachtet nicht genau verstanden wären. Beispielsweise «Röstzwiebeln» aus der Dose. Mit Sicherheit
gibt es zu diesem Thema eine Reihe akademischer
Veröffentlichungen in einschlägigen Fachjournalen. Das Produkt muss schließlich immer gleich
schmecken und gleich aussehen, selbst wenn die
Qualität der Rohware schwankt. Eine begleitende
Marktanalyse hätte vorher natürlich auch gezeigt,
welchen Röstgrad ein durchschnittlicher Verbraucher am liebsten mag.
Die Küche zu Hause ist natürlich kein Versuchslabor und Ihre Familie und Gäste sind keine
Durchschnittsverbraucher, dennoch lassen sich aus
der industriellen Herstellung von Lebensmitteln
zwei Dinge auf die Küche übertragen. Zum einen
hilft die Naturwissenschaft beim Verständnis der
Vorgänge beim Kochen. Wenn Sie wissen, wodurch
die Maillard-Reaktion, die für den Geschmack und
Bräunung beim Rösten von Zwiebeln verantwortlich
ist, beeinflusst werden kann, dann sollte das Bräunen von Zwiebeln in der Pfanne zu Hause leichter
zu bewerkstelligen sein. Wenn Sie wissen, wie Stärkemoleküle aufgebaut sind, dann verstehen Sie, was
Kartoffeln und Getreide miteinander gemeinsam
haben und warum bestimme Aussagen in Rezepten,
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die für Kartoffeln gelten, auch beim Brotbacken eine
Rolle spielen. Und Sie können erklären, warum bei
der Zubereitung von Sorbets machmal von Glukose
und Gelatine die Rede ist.
Zum anderen wird in der Küche zu Hause zu wenig
«gemessen». Natürlich werden Zutaten oft mit eine
Waage abgewogen, aber wäre es beispielsweise beim
Marmeladekochen nicht sinnvoll, den Pektin- und
Zuckergehalt der Früchte vor dem Einkochen zu
bestimmen, um so die optimale Menge an Geliermittel daraus zu berechnen, damit das Gelee später
die richtige Konsistenz hat? Schließlich könnte man
die Marmelade so lange kochen, bis das Thermometer eine bestimmte Temperatur erreicht, die
Rückschlüsse auf das Verhältnis von Zucker und
Wasser zulässt. Die 1:1 Regel, die Gelierprobe und
das notwendige Fingerspitzengefühl, das sich mit
der Zeit durch individuelles Wiederholen als Erfahrung einstellt, sind nur ein Ersatz für die genaue
Bestimmung von Zuckergehalt und Temperatur und
setzen der Genauigkeit einer Reproduktion gewisse
Grenzen. Im schlimmsten Fall ist die Marmelade in
diesem Jahr dann etwas fester als sonst. Die Anschaffung teuerer Messgeräte ist vielleicht wirklich
fragwürdig, wenn nur ein paar Gläser Marmelade
im Jahr eingekocht werden, aber Sie werden beim
Weiterlesen sehen wie hilfreich neben Waage und
Uhr ein einfaches Thermometer sein kann.
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Sterne-Küche
Die Küchen der Sterne-Köche erfüllen alle Voraussetzungen für ein «Versuchslabor». Köche wissen
sehr gut Bescheid über die Hintergründe beim Kochen. Menüs werden häufig über Wochen in kurzen
Abständen gekocht und verglichen, so dass diese
immer sicherer gelingen und ausgefeilter werden.
Ich bin mir sicher, dass oft auch «nachgemessen»
wird. Dennoch profitiert meiner Meinung nach die
Küche zu Hause viel zu wenig von diesem enormen Wissen und Können. Beim Schreiben dieser
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Anleitung habe ich viele Grundkochbücher und
Lehrbücher für Auszubildende gelesen und war fast
immer enttäuscht. Die strenge naturwissenschaftliche Methode zur Erklärung und Strukturierung
spielt nur eine verhältnismäßig geringe Rolle. Es
wird nur erklärt wie man etwas macht, aber nicht
warum. Darüber hinaus sind viele Techniken für
die besondere Situation einer Restaurantküche, in
der in kurzer Zeit eine Bestellung von einer Karte
abgewickelt werden muss, zugeschnitten («Tisch 5
kann weiter!»). Diese Situation lässt sich nur bedingt
auf die Küche zu Hause übertragen. Aus diesem
Grund sind Kochbücher, die von Sterne-Köchen geschrieben werden, fast immer Rezeptsammlungen,
die sich an einer klassischen Menüabfolge und Restaurantbedingungen orientieren und (heutzutage)
vor allem durch ein ausgefallenes Foodstyling und
Fotografie bestechen. Im Kontext der eigenen Küche
lassen sich diese Rezepte nur schwer reproduzieren.
Leider bleibt das Wissen um das «richtige Kochen»
in den Küchen der Profiköche und wird nur dort auf
die nächste Generation von Köchen weitergegeben.
Kochchemie und Messphysik
Um meine beiden Anliegen, Hilfen bei der Strukturierung des Rezeptdschungels zu geben und
die Reproduzierbarkeit beim Nachkochen zu verbessern, umzusetzen, werde ich die Chemie zur
Erklärung der Vorgänge beim Kochen heranziehen
und neben Gewicht und Zeit zusätzlich die Temperatur beim Kochen und Garen messen. Durch das
Verschmelzung von «Wissen» und «Messen» lässt
sich das Kochen zu Hause wesentlich verbessern.
Dabei wird aus Ihrer Küche kein Labor, aber ich
werde im weiteren Verlauf den einen oder anderen Kochversuch vorschlagen. Sie brauchen dazu
unbedingt ein digitales Thermometer, aber dazu
gleich mehr.
Eine
chemische
und
physikalische
Betrachtungsweise des Kochens ist nicht neu. Der
Franzose Herve This, der Engländer Peter Barham
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und allen voran der Amerikaner Harold McGee
haben Anfang der 90er die Lebensmittelchemie
auf die Größe eines Kochtopfs herunter skaliert.
Sie haben das Kochen in einen wissenschaftlichen
Kontext gebracht und gleichzeitig mit ihren Büchern
und Vorträgen einem großen Publikum zugänglich
gemacht. In den letzen Jahren hat Thomas Vilgis,
Professor am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, zu diesem Thema zwei weitere, sehr
lesenswerte Bücher veröffentlicht, in denen Kochphänomene mit Hilfe der Physik erklärt werden. Es
ist erstaunlich, wie sich mit wenig Kenntnis dieser
Disziplinen viele Vorgänge beim Kochen auf verblüffend konsistente und einfache Weise plausibel
erklären lassen. Sie werden in dieser Kochanleitung
kaum etwas finden, was nicht schon an anderer
Stelle gesagt worden wäre, aber der auf Struktur
und Reproduzierbarkeit von Rezepten gerichtete
Blickwinkel wird viele Fakten in einer anderen Art
und Weise beschreiben.
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Temperatur
In der Küche wird dem Messen der tatsächlichen
Temperatur viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Eigentlich lässt sich nur bei einem Backofen eine
Temperatur einstellen, und zwar in Form einer «Solltemperatur». Aber kann man auch sicher sein, dass
ein auf «200 Grad Celsius» eingestellter Ofen auch
tatsächlich 200 Grad heiß wird? Ist die Temperatur
über die Zeit konstant und im Ofen überall gleich
groß? Beim Kühlschrank lässt sich die Solltemperatur oft nur in Form von «Kältestufen» regeln. Bei
einer Herdplatte ist es noch schwieriger, hier gibt es
nur wenige Einstellungen ohne explizite Angabe einer Temperatur. Wo sollte man sie auch messen? Auf
der Herdplatte, im Topf? Die Angabe der Leistung (in
Watt) jeder Kochplatte wäre hilfreich, um zumindest
die Platten verschiedener Herde vergleichen zu können. Ein einfaches Back- oder Bratthermometer ist
bereits ausreichend, um die eingestellte Temperatur
von Öfen und Kühlschränken zu überprüfen. Ich
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habe in meinem Kühlschrank immer ein kleines
Thermometer griffbereit.
Die Temperatur ist meiner Meinung nach der
wichtigste Parameter beim Kochen, denn Kochen
hat fast immer mit dem Erhitzen von Nahrungsmitteln zu tun. Aber es ist schwer, ein intuitives Gefühl
für Temperatur zu entwickeln. Wie fühlt sich 80
Grad heißes Wasser an? Wie breitet sich im Ofen
die Temperatur in einem Braten aus? Und wie werden Muskelfasern gar oder wie «schmilzt» Bindegewebe? Die aktive Bestimmung der Temperatur ist
der wichtigste Schritt zum «sicheren» Nachkochen.
Wenn Sie zusätzlich noch wissen, was bestimmte
Temperaturen bewirken, dann können Sie schon
viel «Gefühl» durch Wissen und Messen ersetzen.
Zeitangaben für einen Braten von «2-3 h» können
Sie mit einer aktiven Kontrolle der Temperatur viel
genauer vorhersagen. Sie «wissen» dann einfach,
wann das Fleisch im Ofen den optimalen Gargrad
hat und müssen sich weder auf Ihr Glück noch auf
die Angaben im Rezept verlassen.
Thermometer
Bratthermometer gibt es heute in jedem Küchengeschäft. Sie sind hitzebeständig und können deshalb zusammen mit dem Braten auch in einen 200
Grad heißen Ofen geschoben werden. Auch beim
Kuchen- und Brotbacken sind diese Thermometer
nützlich! Die innere Temperatur des Bratens, seine
Kerntemperatur, kann so kontinuierlich gemessen
werden. Auch Thermometer zum Milchschäumen
sind nicht nur für Cappuccino praktische Helfer.
Sie haben in der Regel einen Klipp und lassen sich
damit auch an Kopftöpfen leicht befestigen. Ich
kontrolliere damit zum Beispiel die Temperatur,
wenn ich einen Fond zubereite. Digitale Messgeräte
haben den Vorteil, dass sie die Temperatur genauer
bestimmen. Bei Laborausstattern, zum Beispiel bei
NeoLab, Omnilab und Testo oder im Elektronikhan-
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del wie etwa Conrad, gibt es digitale Thermometer
unter 50 Euro.
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Digitale Geräte messen Temperaturen in der Regel im Abstand von 1 Grad in einem Bereich, beispielsweise von -50 Grad bis 300 Grad. Bei Temperaturschwankungen reagieren die Geräte meist
etwas langsam, also etwas Geduld ist nötig, bis sich
der Wert im Display nicht mehr ändert. Das kann
machmal auch ein Vorteil sein, zum Beispiel bei der
Kontrolle eines Wasserbads, weil das Thermometer
nicht sofort auf jede kleine Turbulenz reagiert und
über mehrere Messwerte mittelt. Wichtig ist, dass
die Messsonde spitz zuläuft und dass der Durchmesser der Sonde möglichst klein ist. So können
Sie leicht in ein Stück Fleisch oder Fisch einstechen
und es bleibt nur ein kleines Loch zurück. Spitze
Sonden können natürlich auch die Temperatur von
Flüssigkeiten und Luft messen. Die besten Sonden
sind solche, die eine Messung beim Vakuumgaren
zulassen. Sie haben extrem dünne Nadeln und reagieren aufgrund ihrer Bauart sehr schnell auf Temperaturänderungen (innerhalb einer Sekunde). Sie
können diese Sonden (und ein passendes Messgerät
dazu) beispielsweise bei Meilleur du Chef bestellen.
Leider haben die meisten Sonden eine Kabelverbindung, die nicht hitzebeständig ist. Bei Gasherden
kann es schnell passieren, dass das Kabel dem Gasbrenner zu nahe kommt und schmilzt. Besser sind
Kabel, die gegen hohe Temperaturen geschützt sind.
In diesem Fall können Sie die Sonde in einen Braten
stechen, das Kabel mit dem schließen der Backofentür einklemmen, mit dem Messgerät verbinden
und bequem ablesen. Sonst müssen Sie den Braten
jedes Mal aus dem Ofen holen, um die Kerntemperatur zu bestimmen.
Ich habe zu Hause einen Backofen von Gaggenau,
der von Haus aus mit zwei Messsonden ausgestattet
ist. Die eine misst die tatsächliche Ofentemperatur und die zweite die einer Messspitze, die sich
über ein flexibles, hitzebeständiges Kabel direkt im
Ofen anschließen lässt. Das Ofendisplay zeigt beide
Temperaturen an, die Ofentür kann beim Messen
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die ganze Zeit geschlossen bleiben. Jeder moderne
Backofen sollte diese Möglichkeit bieten!
Meine Helfer, die ich beim Kochen benutze.
Wie Wärme übertragen wird
Stellen Sie sich vor, Sie erhitzen Wasser in einem
Topf. Je höher die Temperatur des Wassers ansteigt,
desto schneller schwingen und bewegen sich die
Wassermoleküle und umso häufiger stoßen sie
aneinander. Durch die Zusammenstöße ändern
die Wassermoleküle wie Billardkugeln ihre Bewegungsrichtung und tauschen Bewegungsenergie
aus. Es gibt deshalb immer Moleküle, die sich praktisch nicht bewegen und andere, die sehr schnell
unterwegs sind. Die mittlere Geschwindigkeit aller Moleküle nimmt beim Erhitzen zu. Bei etwa 65
Grad steigen die ersten Dampfwolken aus dem Topf
auf. Die Wassermoleküle bewegen sich bei dieser
Temperatur im Mittel schon so heftig, dass viele
der sich schneller bewegenden Moleküle die Wasseroberfläche verlassen, um in der kälteren Luft zu
Dampf zu kondensieren. Wasser verdunstet auch
bei geringeren Temperaturen, allerdings wesentlich langsamer (und «unsichtbar»), weil sich bei
der geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit nur
wenige Moleküle genügend schnell bewegen, um
den Topf verlassen zu können.
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Die ungeordnete Bewegung der Moleküle und
Atome eines Stoffes wird oft mit der Temperatur
oder Wärme des Stoffes in Verbindung gebracht,
was physikalisch betrachtet nicht ganz richtig
ist. Die Temperatur eines Stoffes kann mit einem
Thermometer gemessen werden, sie wird in Kelvin,
Fahrenheit, Grad Celsius (in dieser Kochanleitung,
wenn auch physikalisch nicht ganz korrekt, kurz als
«Grad») angegeben. Wärme dagegen tritt nur bei
einem Temperaturunterschied auf und bestimmt
die thermische Energie, die von dem Stoff mit der
höheren Temperatur zum dem Stoff mit der niedereren Temperatur transportiert wird, solange bis
die beiden Stoffe schließlich die gleiche Temperatur
haben.
Wärme kann auf drei Arten übertragen werden,
durch Wärmeleitung, Konvektion und Wärmestrahlung. Alle Arten spielen beim Kochen eine Rolle.
Steht der Topf auf einer heißen Herdplatte, so führt
diese dem Topf durch Wärmeleitung Wärmeenergie
zu. Dadurch, dass die Herdplatte und der Topfboden
miteinander Kontakt haben, regen die energiereichen Moleküle der Herdplatte die benachbarten
Moleküle des Topfes an und übertragen so ihre
Bewegungsenergie: der Boden des Topfes wird
warm. Mit dem gleichen Prinzip wird die Wärme
zunächst an die Innenseite des Topfes weitergeleitet
und schließlich an das Wasser abgegeben: die Wassermoleküle beginnen sich (im Mittel) schneller zu
bewegen. Ein guter Kontakt den Topfbodens mit
der Herdplatte ist für eine effiziente Wärmeleitung
wichtig, der Topf muss eben auf der Platte stehen.
Edelstahltöpfe haben deshalb oft einen Sandwichboden mit einer zusätzlichen Schicht aus Kupfer.
Kupfer leitet die Wärme schneller und gleichmäßiger als Stahl. Bei einem Induktionsherd gibt es keine
Heizplatte mehr, hier wird der Topfboden direkt
durch elektrische Wirbelströme erwärmt, die von
einem magnetischen Wechselfeld erzeugt werden.
Ein «wackeliger» Topf funktioniert auch auf einem
Induktionsherd einwandfrei.
Im Vergleich zu Metallen sind Flüssigkeiten und
insbesondere Gase schlechte Wärmeleiter. In einen
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100 Grad heißen Ofen kann man noch gut die Hand
hineinstecken, während man in 100 Grad heißem
Wasser schmerzhafte Verbrühungen bekommt. Die
unterschiedliche Leitfähigkeit von Luft und Wasser
erklärt auch unterschiedliche Garzeiten: eine Ofenkartoffel muss bei 200 Grad in der heißeren Ofenluft
wesentlich länger garen als eine Pellkartoffel bei
100 Grad im siedenden Wasser.
Ohne die zweite Art der Wärmeübertragung, der
Konvektion, würde es sehr lange dauern, bis sich
Flüssigkeiten erwärmen. Durch Konvektion wird
Wärme an eine Flüssigkeit oder ein Gas übertragen,
als Energie beim «Fließen» mitgeführt und wieder
abgegeben. Dadurch wird mehr Wärme transportiert als durch reine Wärmeleitung. Die Strömungsvorgänge werden von lokalen Temperatur- und
Dichteunterschieden ausgelöst. Das warme Wasser
am Topfboden dehnt sich aus und steigt im Topf wegen der geringeren Dichte nach oben, während kälteres Wasser von der Oberfläche nach unten strömt.
Kühlere und wärmere Bereiche im Topf werden so
ständig vermischt, was die Erwärmung wesentlich
beschleunigt. Bei der Zubereitung von sehr zähfließenden oder inhomogenen Flüssigkeiten, wie
zum Beispiel einer Polenta oder einem Gulasch,
muss der Vermengung durch Umrühren mit einem
Kochlöffel nachgeholfen werden, ansonsten kann
es zu heftigem Spritzen und zum Anbrennen am
Topfboden kommen.
Der Topf mit Wasser kann auch in einem heißen
Backofen erwärmt werden. Hier sorgt Konvektion
der Luft und vor allem des Wasserdampfes, der sich
nach einiger Zeit durch Verdunstung im Backofen
gebildet hat, für die Übertagung der Wärme. Die Luft
wird an den Seiten des Backofens durch Wärmeleitung erhitzt und strömt von Dichteunterschieden
geleitet durch den Backofen. Dabei gibt die Luft
die aufgenommene Wärme wieder durch Wärmeleitung ab, wenn sie an der kühleren Außenseite
des Topfes vorbei strömt, um schließlich wieder an
heißen Backofenseiten erneut erhitzt zu werden. Die
Umschichtung zwischen der kalten und heißen Luft
kann durch ein Gebläse, ähnlich dem Umrühren
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mit einem Kochlöffel in einem Topf, gesteigert werden. Sie müssen deshalb die im Rezept angegebene
Ofentemperatur für Unter- und Oberhitze um etwa
20 Grad verringern, wenn Sie Umluft zuschalten.
Ein weiterer Vorteil der zusätzlichen Verwirbelung
ist, dass man zwei Blechkuchen auf einmal fertig
backen kann. Auch Wasserdampf aus dem Gargut
(oder einem Schälchen mit Wasser) im Backofen
trägt zur Wärmeübertragung bei. Das Öffnen der
Ofentür stört das Gleichgewicht, das sich im Ofen
gebildet hat. Warme und feuchte Luft strömen aus
dem Backofen, die Ofentemperatur sinkt etwas ab
und unter Umständen schaltet der Thermostat den
Ofen wieder an. Ich öffne die Ofentür immer nur
dann, wenn es unbedingt sein muss.
Im Backofen trägt auch Wärmestrahlung zur Wärmeübertragung bei. Wärmestrahlung spielt beim
Grillen und Überbacken eine wichtige Rolle. Die
Übertragung erfolgt direkt durch elektromagnetische Wellen im infraroten Spektrum. Bei Temperaturen im Backofen unter 250 Grad trägt die
Wärmestrahlung aber nur zu einem kleinen Teil
bei. Die Strahlung nimmt außerdem stark mit der
Entfernung ab und dringt nur wenige Millimeter
in das Gargut ein. Deshalb muss ein Auflauf dicht
unter die glühenden Heizdrähte des Backofengrills
platziert werden und der Ofen muss gut heiß sein.
Innerhalb weniger Minuten verdampft das Wasser
in der Nähe der Oberfläche und der Auflauf bekommt eine Kruste. Ein Stück Aluminiumfolie reflektiert einen Großteil der Strahlung und schützt so
vor einem Verbrennen der Oberfläche. Aus diesem
Grund nimmt man für die Zubereitung eines Bratens meistens dunkle, schwere Bräter aus Gusseisen,
die viel Wärme speichern und wenig strahlen und
so Unterschiede der Ofentemperatur noch besser
ausgleichen können. Für Kuchen nimmt man besser dünne Blechformen, die sich schnell aufheizen
und nach dem Backen wieder abkühlen und so den
Kuchen nicht unnötig austrocknen.
Bei Backöfen können Sie sich nie ganz sicher sein,
ob der Backinnenraum genau den gewünschten
eingestellten Temperatursollwert hat. Zum einen
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liegt das an Messungenauigkeiten, zum anderen
aber auch an der Art und Weise wie der Thermostat die Ofentemperatur regelt. Der Ofen heizt sich
zunächst so lange auf, bis der Thermostat die Ofenheizung nach Erreichen des Sollwertes abschaltet. In
der Regel steigt die Temperatur danach noch etwas
weiter an, um dann wieder zu sinken, weil der Ofen
trotz guter Isolierung Wärme an die Umgebung abgibt. Die Frage ist nun, wie weit die Temperatur sinken
muss, bevor der Thermostat die Ofenheizung wieder
einschaltet. Die eingestellte Temperatur ist deshalb
nur ein Mittelwert, die tatsächliche Ofentemperatur
kann um diesen Wert beträchtlich schwanken. In
der Regel ist es in einem Ofen unten auch immer
etwas kühler als oben, bei einem guten Ofen machen
das allerdings nur ein paar Grad aus. Auch schadet
es nicht, den Ofen lange vorzuheizen bis sich alle
Komponenten gut erwärmt haben. Wenn Sie Ihrem
Ofen nicht trauen, dann nehmen Sie einfach mit
Ihrem Thermometer eine Ofenkurve auf.
Ofenkurve
Nun endlich das erste Experiment: nehmen Sie alle
Bleche bis auf den Grillrost aus dem Ofen. Setzen Sie
ein Ofenthermometer so auf den Rost, dass Sie die
Temperatur gut von außen ablesen können. Wärmen Sie den Ofen zunächst auf 100 Grad vor, dabei
lesen Sie alle 5 min die Temperatur im Ofen ab. Nach
45 min erhöhen Sie den Sollwert um 20 Grad, wieder
alle 5 min die Temperatur ablesen. Notieren Sie
sich in 25 min insgesamt 5 Messpunkte. Nach dem
letzten Ablesen den Sollwert um 20 Grad erhöhen
und wieder von neuem 5 Messpunkte aufnehmen.
Diese Prozedur wiederholen, bis Sie schließlich bei
200 Grad angelangt sind. Dann weitere 10 Messpunkte bei 200 Grad aufnehmen und schließlich den
Ofen ausschalten, dabei weiter messen bis der Ofen
wieder auf etwa 100 Grad abgekühlt hat. Sie sollten
für Ihren Ofen eine ähnliche Kurve erhalten wie in
der Grafik für meinen Gaggenau-Ofen zu sehen ist.
Sehr schön ist das «Einschwingen» der Kurve bei
einer Temperaturerhöhung zu sehen. Auch zeigt
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Kerntemperatur, Wärme und Temperatur
die Kurve nach dem Ausschalten des Ofens, dass es
lange dauert bis sich der Ofen wieder abkühlt. Brotbackrezepte schreiben manchmal vor, die Ofentemperatur während des Backens zu reduzieren. Gut
isolierte Öfen brauchen dazu oft länger als die noch
verbleibende Backzeit zulässt.
Temperaturkurve meines Gaggenau-Backofens
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Wärmeübertragung im Backofen
Füllen Sie ein 1 Liter fassendes Becherglas mit zimmerwarmen Wasser und stellen Sie es in den auf 120
Grad vorgeheizten Backofen (auf ein Gitter, untere
Einschubleiste). Messen Sie mit einem ofenfesten
Thermometer alle 10 min die Wassertemperatur im
Becherglas, lassen Sie die ganze Zeit die Tür geschlossen. Nach mehr als 2 h hat das Wasser die 95 Grad
Marke erreicht. Selbst 5 h reichen nicht aus, um das
Wasser zum Kochen zu bringen, das Thermometer
zeigt nur um die 97 Grad. Ein kleineres Becherglas
mit 0,5 Liter Fassungsvermögen hat dagegen schon
nach 2 h die 99 Grad Marke erreicht.
Warum erhitzt sich das Wasser im dem kleineren
Gefäß schneller? Sollte sich das Wasser nicht gleich
schnell erwärmen? Wärme wird über die Oberfläche
des gesamten Glases auf das Wasser übertragen. Die
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Wassermenge hat sich im Becherglas halbiert, die
Oberfläche des kleineren Becherglases ist aber nur
etwa 30% kleiner geworden, wie man über Durchmesser und Höhe nachrechnen kann. Deshalb geht
die Erwärmung beim kleineren Becherglas schneller. Genauer gilt: die Erhitzungszeit ist proportional
zum Quadrat der Größe (Oberfläche) des Becherglases, das Volumen (oder das Gewicht) ist dabei
nicht entscheidend. Ein doppelt so schwerer Braten
(der aus fast 70% Wasser besteht) braucht im Ofen
deshalb nicht doppelt so lange, sondern deutlich
länger bis er den gleichen Garzustand erreicht hat.
Warum kocht das Wasser im Becherglas bei 120 Grad
Ofentemperatur nicht? Das Becherglas strahlt einen
Teil der Wärme wieder ab und es verdunstet zusätzlich Wasser aus dem Glas, was die Temperatur an
der Oberfläche etwas reduziert. Die «Verdunstungskälte» kann man im Sommer nach einem Bad auf
der nassen Haut spüren: sie fühlt sich frisch und
angenehm kühl an. Bei einem Experiment mit 160
Grad Ofentemperatur beginnt aber das Wasser allerdings nach einiger Zeit tatsächlich zu blubbern
und zu dampfen. Hier sind die Verluste an Wärme
geringer als die Wärme, die durch die heiße Backofenluft zugeführt wird.
Wiederholen Sie nun den Versuch mit dem 1 Liter
Becherglas, doch jetzt stellen Sie die Ofentemperatur
auf 80 Grad ein. Nach 5 h zeigt das Thermometer
nur 71 Grad im Becherglas. Auch das ist ein sehr
interessantes Ergebnis, das das Prinzip des Niedertemperaturgaren, also des Garens von Fleisch
bei Ofentemperaturen zwischen 70 Grad und 100
Grad, illustriert. Das Fleisch gart bei diesem Verfahren über einen langen Zeitraum bei etwa 70
Grad Kerntemperatur, die ideal zum Schmelzen
von Bindegewebe ist, wie in Kapitel über Fleisch
noch genauer erklärt werden wird. Das Interessante
dabei ist: ob Sie das Fleisch noch 1 h länger im Ofen
lassen spielt keine Rolle, denn nach einer weitere
Stunde hat sich die Kerntemperatur kaum mehr
erhöht. Der Braten bleibt deshalb zart und saftig.
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Kerntemperatur, Wärme und Temperatur
dass Stärke aufquillt und dass Fleisch in einem Fond
langsam auslaugt. Wasser überträgt Wärme und
wirkt durch seine Siedetemperatur von 100 Grad
gleichzeitig als ein «Temperaturbegrenzer»: ein Topf
mit Wasser lässt sich nicht über 100 Grad erwärmen,
unabhängig davon auf welche Stufe die Herdplatte
eingestellt ist. Natürlich wird das Wasser heftig sieden, dennoch bleibt die Temperatur im Topf unter
100 Grad. In Kapitel über das Anbraten werde ich
erklären, wie man diese Eigenschaft nutzen kann,
um beim Anschwitzen und Anbraten entweder gezielt eine «Bräunungsreaktion» hervorzurufen oder
durch kontrollierte Zugabe von «Lösch»-Flüssigkeit
zu verhindern.
Die Ofenkurven zeigen sehr schön, dass Erwärmen
kein linearer Prozess ist. Doppelt so langes Erwärmen bedeutet nicht, dass sich dabei auch die Wassertemperatur im Becherglas verdoppelt.
Wie Wärme wirkt
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Alles was in der Küche verarbeitet wird besteht
aus Wasser, Fetten, Kohlenhydraten und Proteinen
und in geringen Mengen aus Vitaminen, Aromamolekülen und Mineralstoffen. Wenn man versteht, wie Wärme auf die entsprechenden Moleküle
dieser Grundbausteine wirkt und man weiß, wie
sich Fleisch, Gemüse und Brot aus diesen Bausteinen zusammensetzen, dann sollten sich daraus auf
einfache, logische Weise Hinweise für das Kochen
gewinnen lassen.
Zum Beispiel Wasser. Es ist der am meisten verwendete Stoff in der Küche, denn Nahrungsmittel
bestehen im Wesentlichen aus Wasser. Spargel hat
einen Wasseranteil von etwa 95%, bei magerem
Fleisch sind es um die 70%, Brot enthält bis zu 45%
Wasser, Butter enthält noch fast 20% Wasser und
selbst Kaffeebohnen sind mit einem Anteil von 5%
durch das Rösten nicht vollständig ausgetrocknet.
Durch seine elektrischen Eigenschaften ist Wasser
Lösungsmittel für feste und flüchtige Stoffe, wie
Zucker, Proteine und Aromen. Wasser sorgt dafür,
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Chemisch betrachtet besteht ein Wassermolekül aus
zwei Wasserstoff- und und einem Sauerstoffatom.
Die Bindungselektronen werden vom Sauerstoffatom dabei etwas angezogen, was dazu führt, dass
das Wassermolekül zwar elektrisch gesehen neutral
bleibt, aber ein negatives und ein positives Ende
bekommt. Diese Dipol-Eigenschaft verleiht Wassermolekülen ausgeprägte zwischenmolekulare
Anziehungskräfte. Über so genannte Wasserstoffbrücken lagern sich Wassermoleküle zu räumlichen Strukturen zusammen und können andere
Moleküle entlang polarisierte Stellen wie Magnete
miteinander verbinden und stabilisieren.
Eine interessante Eigenschaft von Wasser ist die Abhängigkeit der Siedetemperatur vom Luftdruck. Auf
der Zugspitze in knapp 3000 m beispielsweise siedet
Wasser wegen des geringen Luftdrucks bereits bei
einer Temperatur von etwa 90 Grad. Wenn Sie ein
Frühstücksei kochen, dauert es ein bisschen länger. Die Druckabhängigkeit des Siedepunktes wird
beim Schnellkochtopf (oder Dampfkochtopf) ausgenutzt, allerdings um den Siedepunkt von Wasser zu
erhöhen und dadurch die Garzeiten zu verkürzen
(und dadurch Energie beim Kochen zu sparen). Über
einen besonderen Verschlussmechanismus wird der
Deckel luft- und wasserdicht verschlossen. Im Betrieb verdoppelt sich dadurch der Druck, was die
Siedetemperatur des Kochwasser auf etwa 120 Grad
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Kerntemperatur, Wärme und Temperatur
erhöht. Dadurch laufen alle Reaktionen schneller
ab und das Gargut wird rascher gar.
Grundsätzlich gilt, dass die Aktivität der Moleküle
bei Zufuhr von Wärmeenergie zunimmt: sie beginnen stärker zu schwingen, sich schneller zu bewegen. Gleichzeitig nimmt auch die Geschwindigkeit
chemischer Reaktionen zu. Eine Faustregel, das Van’t
Hoffsche Gesetz, besagt, dass sich die Reaktionsgeschwindigkeit bei einer Temperaturerhöhung von
10 Grad verdoppelt bis verdreifacht. Für hohe Temperaturen oder drastische Temperaturänderungen
wird die Regel allerdings sehr ungenau.
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Durch das Van’t Hoffsche Gesetz und durch die Physik der Wärmeausbreitung sind Zeit und Temperatur beim Kochen oft korreliert. Bei weniger Temperatur dauert es länger, um einen gewünschten
Gargrad oder die Kerntemperatur zu erreichen,
bei höherer Temperatur geht es schneller, denn
die Reaktionen, die beim Garen eine Rolle spielen,
laufen schneller ab und auch das Gargut erwärmt
sich schneller. Ein Filet, das im Ofen bei 160 Grad
gar zieht, ist übergart, wenn es 5 min zu lange im
Ofen bleibt, bei 80 Grad spielen 5 min mehr oder
weniger keine große Rolle.
Beim Kochen ist es wichtig, ein Gefühl zu entwickeln,
wie sich Wärme von außen nach innen vor arbeitet,
wie sie sich ausbreitet. Zeitangaben, wie zum Beispiel «das Filet 40 min bei 120 Grad im Ofen lassen»
sind in Wirklichkeit Angaben über eine erwünschte,
optimale Kerntemperatur. Die Physik kennt für die
Ausbreitung von Wärme Differentialgleichungen
und abgeleitete, vereinfachte Formeln, die unter
bestimmten Bedingungen Gültigkeit haben. «40
min bei 120 Grad» ist nichts anders als die Lösung
eine dieser Gleichungen, die nach der Unbekannten
«Zeit» aufgelöst und in die die Temperatur (außen
und innen) als Parameter eingesetzt wird. Auch die
Materialkonstante «Fleisch» wird dabei entsprechend berücksichtigt. Oder aber «40 min bei 120
Grad» ist nichts anderes als das Ergebnis aus systematischen Experimenten und den gesammelten
Erfahrungen beim Kochen. Wie auch immer, messen
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Sie einfach die Temperatur und nehmen Sie die 40
min als ungefähre Angabe, wann Sie das Fleisch in
den Ofen geben müssen.
In den verbleibenden Kapiteln dieser Kochanleitung
werde ich systematisch erklären, wie Wärme auf
die Grundbausteine der Nahrungsmittel wirkt. Im
nächsten Kapitel geht es wieder um Wasser und
zwar um heißes Wasser und das Lösen von Aromastoffen. Im darauf folgenden Kapitel wird gebraten
und das geht am besten, wenn alles Wasser zuvor
«verdampft» ist, denn nur so wird das Bratgut in einer Pfanne richtig heiß, eine wichtige Voraussetzung
für eine schmackhafte braune Bratenkruste. Dann
gibt es einige Kapitel zum Thema Fleisch und Fisch,
Proteine und die Art und Weise wie Wärme zu ihrer
«Denaturierung» stehen hier im Mittelpunkt. Nach
einem Exkurs über Fette und Öle folgt ein langes
Kapitel über Kohlenhydrate (Pasta!) und das letzte
Kapitel rundet die Anleitung ab. Dann geht es darum, was Erhitzen bei Gemüse und Früchten für
Folgen hat.
Literatur
Ich habe in dieser Kochanleitung mit Absicht auf
die konsequente Angabe von Quellen verzichtet,
denn ich wollte keine Abhandlung über das Kochen schreiben, die strengen wissenschaftlichen
Ansprüchen genügt. Ich habe gründlich recherchiert, viel selbst ausprobiert und mich natürlich
bemüht, möglichst keinem Küchenlatein auf den
Leim zu gehen, was mir hoffentlich auch gelungen
ist. Ich möchte an dieser Stelle jedoch die wichtigsten Bücher nennen, die ich immer wieder herangezogen haben, wenn es mir beim Forschen und
Aufschreiben nicht gelungen ist, alle möglichen
Erklärungen für ein Kochphänomen unter einen
Hut zu bekommen. Interessante Links aus dem Internet und weiterführende Literatur habe ich oft
direkt an entsprechender Stelle in den einzelnen
Abschnitten angegeben. Und wie bereits erwähnt,
es gibt nichts, was bereits an anderer, kompetenter
Stelle beschrieben wurde.
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Kerntemperatur, Wärme und Temperatur
http://www.aurant.de/kochanleitung/waerme
Doch zurück zu den Büchern, die sich wie diese
Anleitung mit den physikalischen und chemischen
Grundlagen beim Kochen auseinander setzen. Allen voran möchte ich Die letzten Geheimnisse der
Kochkunst von Peter Barham nennen. Das kleine
Taschenbuch für 12 Euro ist eines meiner Lieblingsbücher, wenn es um die Hintergründe beim Kochen
geht. Insbesondere das Kapitel über das Gelingen
und Nichtgelingen eines Souffles ist sehr unterhaltsam und für jegliche Art von Experimenten zu Hause
eine Inspiration. Die kulinarischen Geheimnisse und
Rätsel der Kochkunst von Herve This sind zwei etwas
«betagte» Klassiker aus Frankreich, aber immer
noch sehr lesenswerte Bücher. On Food and Cooking
von Harold McGee und das erste Buch Cookwise
von Shirley Corriher sind zwar nur in englischer
Sprache zu haben, dennoch sollte insbesondere das
Buch von McGee in keinem Kochbuchregal fehlen.
Und natürlich die aktuellen Bücher von Thomas
Vilgis, zum Beispiel Die Molekül-Küche und Das Molekül-Menü. Thomas Vilgis ist Professor am MaxPlanck-Institut für Polymerforschung und bekannt
aus zahlreichen Kolumnen, wie zum Beispiel die
Küchen-Uni in der Essen&Trinken. Und wenn nichts
mehr hilft, dann bleibt nur noch das Lehrbuch der
Lebensmittelchemie, ein Buch für das Studium mit
über 1000 Seiten voller Moleküle.
Nun zu den Grundkochbüchern. Hier findet mal
wenig Wissenschaftliches zum Thema Kochen, leider. Die Bücher begreifen Kochen eher als Handwerk aus der Sicht einer Restaurantküche. Dennoch bekommt man einen guten Überblick über
grundlegende Techniken und Basisrezepte. Eine
umfassende Darstellung neuerer Methoden wie
etwa Sous Vide oder Niedertemperaturgaren sucht
man hier aber vergeblich. Die «Bibel der Köche»,
so die Amazon Kurzbeschreibung, ist das Lehrbuch
der Küche von Philip Pauli. Das Buch gibt es seit
75 Jahren und kommt aus der Schweiz. Seit einem
Jahr ist es auch als iPhone App mit Rezepten und
Videos erhältlich. Sehr zu empfehlen sind auch die
Bücher Der junge Koch, die junge-Köchin und Das
Handbuch der Küche, die den Unterrichtsstoff für
die Kochlehre aufbereiten. Letzteres kommt ohne
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ein einziges Bild aus. Vollständige und reich bebilderte Darstellungen der Grundlagen für den Hobbykoch sind Die grosse Schule des Kochens von Anne
Willan, die in Frankreich seit 1975 ein Kochschule
betreibt, und das Buch von Jill Norman Kochen:
Grundtechniken, Rezepte und Profitipps internationaler Meisterköche. Aus dem Amerikanischen
kann ich die beiden dicken Wälzer Culinary Fundamentals der American Culinary Federation und The
Professsional Chef des Culinary Institute of America
sehr empfehlen. Beide Bücher zeichnen sich durch
eine klare Darstellung aus, die Fundamentals haben
sogar eine beiliegende DVD, die gar nicht mal so
schlecht ist. Und nicht zu vergessen «Das Buch mit
dem Löffel», 1984 erschienen und damals seiner
Zeit nicht nur wegen den Fotos weit voraus. Dieses
Buch hat mich zum Kochen gebracht.
Natürlich könnte ich auch einige schöne Rezeptsammlungen empfehlen, aber von Rezepten soll in
dieser Anleitung ja gar nicht die Rede sein!
Temperaturtabelle
Zum Schluss dieses Kapitels habe ich einige Ereignisse, die beim Kochen eine wichtige Rolle spielen,
in eine Temperaturskala eingeordnet:
• 30 Grad: Butter schmilzt
• 37 Grad: menschliche Körpertemperatur
• 40 Grad: explosionsartige Vermehrung von
Keimen
• 45 Grad: Muskelproteine im Fisch beginnen
zu denaturieren
• 50 Grad: Muskelproteine in Fleisch beginnen zu denaturieren
• 55 Grad: Muskelproteine im Fleisch kontrahieren, werden fester, Wasser wird herausgepresst
• 60 Grad: flüssiges Eiklar beginnt zu denaturieren
• 60 Grad: zum Baden zu heiß, aber die Hand
hält das noch aus
• 60 Grad: Stärke beginnt zu quellen und zu
verkleistern
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Kerntemperatur, Wärme und Temperatur
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• 65 Grad: Denaturierung von Muskelproteinen in Fleisch ist weitgehend abgeschlossen
• 65 Grad: fast alle Salmonellen sind nach
5 min gestorben, gleiches gilt für andere
Bakterien
• 65 Grad: aus einem Kochtopf mit Wasser
steigen erste Dampfwolken auf
• 70 Grad: Bindegewebe schmilzt zu Gelatine,
das dauert aber einige Zeit
• 70 Grad: Eigelb denaturiert
• 75 Grad: Alkohol verdampft
• 79 Grad: flüssiges Eiklar wird fest
• 80 Grad: Eigelb wird fest
• 100 Grad: Wasser kocht
• 120 Grad: Innentemperatur des
Schnellkochtopfes
• 140 Grad: Maillard-Reaktion wird stark
beschleunigt
• 170 Grad: ideale Temperatur zum Frittieren
von Pommes Frites
• 190 Grad: Zucker karamellisiert
• 200 Grad: Öl beginnt zu Rauchen, es bilden
sich krebserregende Stoffe
• 200 Grad: Zucker beginnt zu braunem Karamell zu schmelzen
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