Prof. Dr. R. Laging/Dr. Jörg Bietz WS 2005/2006 Vorlesung: Sport im Kontext von Bewegungstheorie und Pädagogik Blatt 5 Das dialogische Bewegungskonzept – Ein phänomenologischer Ansatz des Sich-Bewegens Vorbemerkungen zur Phänomenologie des Bewegens Phänomenologie bedeutet wörtlich „Lehre von den Erscheinungen“ und geht insbesondere auf die Arbeiten von Edmund Husserl (1859-1938) zurück. Mensch und Welt werden in ihrer ursprünglichen Verbundenheit betrachtet und es soll unabhängig von allen vorgefertigten Denkmustern möglichst unverstellt und unvoreingenommen verstanden werden, welche Erscheinungen unserer Lebenswelt wir wie erleben, wie diese Erlebnisse zustande kommen und wie wir sie als Phänomen identifizieren können. Auch das Bewegen ist insofern ein „Relationsphänomen“ des Mensch-WeltBezugs, das als solches nicht unabhängig von der Person, die sich bewegt, gewissermaßen als subjektlose Abstraktion verstanden werden. Als konkrete Erscheinung gibt es nur das Bewegen von Personen - und deshalb spricht die Phänomenologie vom Sich-Bewegen. Der „Gestaltkreis“ Als anthropologische Prämisse sind diese Zusammenhänge im „Gestaltkreis-Modell“ dargestellt. Die „Gestaltkreis-Theorie“ Victor von Weizsäckers entwirft das Mensch-Welt-Verhältnis oder genauer das Organismus-Welt-Verhältnis als eine „dialektische Einheit“, also als eine Einheit prinzipieller Wechselwirkung die untrennbar ist. Es sind die zwei Seiten einer Medaille, die sich gegenseitig bedingen und immer nur in Relation zueinander bestimmbar sind. Der Wechselbezug dieser relationalen Einheit ergibt sich durch die Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Bewegung - in beiden realisiert sich ein bestimmter Bezug zwischen Mensch und Welt. Wahrnehmen und Bewegen In der Mensch-Welt-Auseinandersetzung sind die Teilprozesse des Wahrnehmens und Bewegens in einer Einheit gegenseitiger Bedingung verbunden. Es ist keinesfalls nur von einem kausalen „Nacheinander“ auszugehen, sondern von einem dialektischen „Ineinander“ bzw. „Miteinander“. (Man weiß nicht, ob zuerst die Empfindung war, welche die Bewegung leitet, oder zuerst die Bewegung, welche die Empfindung bestimmt) Das „dialogische Bewegungskonzept“ Die Auseinandersetzung von Mensch und Welt wird als bewegungsbasierte Interaktion innerhalb einer unauflösbaren Einheit verstanden. „Dialog“ ist dabei allerdings lediglich eine veranschaulichende Metapher, die nicht wörtlich zu nehmen ist. Aus dieser Perspektive geht es nicht um die Bewegung eines Kindes als isoliert beobachtbarer Ablauf, sondern um das „sich bewegende Kind unter persönlich-situativen Umständen“, das sich mit seiner Welt auseinandersetzt. Die Welt erscheint dabei nicht als objektive Gegebenheit, sondern ist immer schon eine interpretierte und gedeutete Welt, eine sinnstrukturierte Welt, zu welcher der Mensch ein Feld vielfältiger Bedeutungen aufbaut. Es werden „Bedeutungsrelationen“ hervorgebracht. Anstelle des Körperbegriffs wird im dialogischen Bewegungskonzept der Begriff „Leib“ gebraucht. Leib bezeichnet das konkrete Weltverhältnis eines Subjekts und schließt sowohl dessen körperliche Erscheinungsform als auch dessen geistige Identität mit ein. Spezielle Literatur BIETZ, J.: Bewegung und Bildung. Eine anthropologische Betrachtung in pädagogischer Absicht. In: BIETZ, J./ LAGING, R./ROSCHER, M. (Hrsg.): Bildungstheoretische Grundlagen der Bewegungs- und Sportpädagogik. Baltmannsweiler 2005 PROHL, R.: Philosophie der Bewegung. In: Haag, Herbert (Hg.): Sportphilosophie. Ein Handbuch. Schorndorf 1996, 93 – 118 TREBELS, A. H.: Das dialogische Bewegungskonzept. Eine pädagogische Auslegung von Bewegung. In: sportunterricht. 41 (1992), 1, 20-29. 1