Es weht wieder NORDWIND durch Kampnagel. Das größte deutsche Festival für Darstellende Künste und Musik aus den nordischen Ländern geht in die dritte Runde. Neben Hamburg zeigt das Festival auch in Berlin, Dresden und Bern herausragende künstlerische Arbeiten aus Skandinavien, Island, dem Baltikum und in diesem Jahr erstmals auch aus Russland. Im Programm sind unter anderem die weltweit erste Retrospektive des Radikalkünstlers Pjotr Pawlenski, der mit seinen spektakulären Aktionen weltberühmt wurde; mittlerweile Kampnagel-Stammkünstlerin, Erna Òmarsdóttir, die mit ihrer bildgewaltigen Choreigrafie BLACKMARROW bereits zum vierten Mal auf Kampnagel zu Gast ist; Andrej Sowlatschkow und Michael Patlasow, die den Neo-Faschismus in Russland unter die Lupe nehmen; der Shootingstar der finnischen Performanceszene Elina Pirinen mit PERSONAL SYMPHONIC MOMENT und viele mehr. Kommen Sie und lassen Sie sich vom NORDWIND berauschen! RUSSLAND SCHWERPUNKT Pjotr Pawlenski, St. Petersburg FIGURES OF SILENCE Ausstellung Die Bilder von Pawlenskis Aktionen gingen um die Welt: Er nähte sich den Mund zu, nagelte sich nackt am Hodensack auf den Roten Platz und schnitt sich auf dem Dach der BotinskijPsychiatrie ein Ohrläppchen ab. Drastisch und lang geplant sind die Performances, radikal einfach ihr Aufbau. Die Reaktionen der russischen Gerichte, Medien und Öffentlichkeit sind maximal vehement – und als Antworten der Autorität Teil von Pawlenskis Kunst. Anders als viele Künstler in Russland, die von den politischen Entwicklungen im Land und den zunehmenden Repressionen wie überrumpelt wirken, bleibt Pawlenski aktiv. Kampnagel zeigt nun die weltweit erste Retrospektive von Pawlenskis Arbeiten: Die Ausstellung aus Videos der Aktionen, Bildern, Dokumenten, sowie Reaktionen von Medien und Justiz, illustriert ein gespaltenes Land, in dem sich die zunehmend regierungskonformen Institutionen und eine kritische Minderheit unversöhnlich gegenüberstehen. Fr 27.11. bis Sa 05.12. / an allen Vorstellungsabenden / ab 18:00 Foyer, Eintritt frei Ausstellungseröffnung: Fr 27.11. / 18:00 Gespräch mit Pjotr Pawlenski und Ted Gaier um 19:00 KAMPNAGEL PRESSE: Mareike Holfeld / 040 270 949 17 / [email protected] Andrej Sowlatschkow & Michail Patlasow, St. Petersburg ANTIKÖRPER Theater 2005 wurde in Petersburg der junge Antifaschist Timur Katscharawa von Neonazis ermordet. Die Tat schlug hohe Wellen, Zeitungen diskutierten über den zunehmenden Extremismus im Land, viele sahen den Petersburger Geheimdienst involviert, der die Strukturen der Rechtsextremisten unterwandert hatte. Der Prozess gegen die Täter, der erst nach massiven Studentenprotesten ins Rollen kam, wurde zum Meilenstein in der Aufarbeitung ideologisch motivierter Verbrechen in Russland. Der Stücktext zu ANTIKÖRPER entstand auf Grundlage von Interviews, die der Journalist Andrej Sowlatschkow mit in den Prozess involvierten Personen führte. Die Inszenierung von Michail Patlasow gewährt dem Publikum Einblick in die gesellschaftlichen und persönlichen Hintergründe der Tat und lässt nicht ohne sarkastischen Humor die verschiedenen Weltbilder aufeinander prallen. Bakunin trifft auf Nietzsche, antifaschistischer Idealismus auf die nihilistische Wut der Skindheads. ANTIKÖRPER wurde beim Moskauer Golden Mask Festival mit dem Preis für die beste kleine Produktion ausgezeichnet. Sa 28.12. /21:00 und So 29.11. / 19:00, ca. 105 Min. Deutsche Erstaufführung, Russisch mit deutschen Übertiteln k2, 12 Euro (erm. 8 Euro) Olga Jitlina, St. Petersburg TRANSLATION Theater In TRANSLATION singen Opernsänger die Asylanträge von Flüchtlingen als Arien. Die Behauptung: Europäer können die große Fülle an Tragödien, Hoffnungen und Illusionen in dieser Form besser verstehen. Und das ist von existenzieller Bedeutung, denn die Überzeugungskraft des Asylantrags bestimmt über Bleiben oder Gehen. Olga Jitlina arbeitet seit mehreren Jahren mit Migranten in Petersburg zusammen, um eine neue Sprache für Migration und Identität zu finden. Denn jedes Wort, sei es „Flüchtling“, „Migrant“ oder „Europa“, bestimmt den Blick auf die Zusammenhänge. In ihrem neuen Projekt TRANSLATION geht Jitlina der Frage nach der Übersetzbarkeit von Biographien und Schicksalen nach Menschen, die sich um einen offiziellen Flüchtlingsstatus in Europa bewerben, müssen Interviews durchlaufen. Mi 02.12. und Do 03.12. / 20:00 Uraufführung p1, 12 Euro (erm. 8 Euro) KAMPNAGEL PRESSE Mareike Holfeld / 040 270 949 17 / [email protected] Andrey Kuzkin, Moskau THE PHENOMENON OF NATURE OR OR LANDSCAPES WITH TREES Kunstperformance Andrey Kuzkin ist der Anarchist unter Russlands Konzeptkünstlern. Widerstand ist ein Schlüsselbegriff zu Kuzkins Arbeiten. Widerstand gegen Interpretationen, gegen Klassifi zierungen, gegen Vereinnahmungen, gegen die Begrenzungen der Sprache. Seine Performances ziehen mit Humor, Abgründigkeit und Leidenschaft in den Bann: So schrubbte er mit Lösungsmitteln Hochglanzmagazine leer oder lässt sich vom Publikum über eine Computertastatur steuern. In Hamburg gräbt er ein Loch und verkriecht sich so weit darin, dass wir nur noch seinen nackten Unterleib sehen – die 44. Aktion im Rahmen seiner Serie 99 LANDSCAPES WITH TREES. Zuvor buddelte er sich schon vor dem weiten Panorama sibirischer Hügel ein oder während einer Occupy-Demo neben Big Ben in London. Kuzkin knüpft mit dieser Arbeit an ein Projekt seines früh verstorbenen Vaters Alexander an, der zu Sowjetzeiten zu den konzeptualistischen Untergrundzirkeln von Moskau gehörte. So 29.11. / 15:00, ca. 60 Min. Ort wird auf www.kampnagel.de bekannt gegeben, Eintritt frei Marina Maraeva, St. Petersburg INTIMNOJE MESTO Festivalzentrum 2013 wurden in Russland die neuen Gesetze gegen homosexuelle Propaganda erlassen, diverse Künstler*innen wurden durch Gerichtsprozesse eingeschüchtert und viele kritische Stimmen reagierten mit Selbstzensur. Marina Maraeva, die Rechtsanwältin und Absolventin der Schule für engagierte Kunst (gegründet vom russischen Kunstkollektiv Chto Delat), eröffnete daraufhin den Kunstort INTIMNOJE MESTO in St. Petersburg. Der ist ein Labor, in dem die Grenzen zwischen kollektivem und individuellem Nutzen, zwischen Privatem und Öffentlichem verschwimmen. Während sonst die glatte Oberfläche und die langweilige Perfektion tonangebend sind, steht im INTIMNOJE MESTO das Unfertige im Mittelpunkt. Für NORDWIND ist Maraeva mit ihrem INTIMNOJE MESTO nach Hamburg gereist, samt einiger Stammgäste aus dem St. Petersburger Original und bereichert das Festival an drei Abenden mit verschiedenen künstlerischen Formaten. Abgerundet wird das Programm durch Konzerte von Mary Ocher und Anna von Hausswolff. [Fr] 27.11. bis [Do] 03.12. an allen Vorstellungsabenden kmh, Eintritt frei (außer Konzerte) KOTOVNIK KOTOVNIK, ist der etwas andere Liederabend im INTIMNOJE MESTO. Hier werden KAMPNAGEL PRESSE Mareike Holfeld / 040 270 949 17 / [email protected] musikalische Kindheitserinnerungen aus der kommunistischen Vergangenheit ausgegraben und mit russischen Volksliedern zu einem schrägen Gesamtkunstwerk verschmolzen. Fr 27.11. / ab 20:00 REPA ART GROUP Die REPA ART GROUP aus Saratow eröffnet eine Multi-Channel-Konferenz mit Künstlern und Kuratoren aus russischen Provinzen und einem internationalen Kontext. Mit ihrem Projekt »REPA can do it online« untersuchen sie die Auswirkungen, den die digitale Kommunikation auf den kreativen Prozess zwischen Künstlern, Kuratoren und die Kunst selbst hat. Sa 28.11. / ab 21:00 UTROVORTU Das Kollektiv UTROVORTU, angesiedelt zwischen Bildender Kunst, Musikperformance und Videoinstallation zeigt, welche Wege der russische Untergrund seit dem Errichten der Machtvertikale eingeschlagen hat. Do 03.12. / ab 18:00 (Pause von 19:30 bis 21:00) David Elliott, Berlin BALAGAN!!! Ausstellung BALAGAN!!! Das ist nicht nur Chaos, sondern auch künstlerische Strategie. Die herrschenden Zustände werden in ihr Gegenteil verkehrt, um eine bessere Gegenwart und Zukunft zu skizzieren. Die von David Elliott kuratierte Ausstellung gibt einen Einblick in das große Panorama der russischen Bildenden Kunst. Arsen Savadov stellt in der Foto-Serie DONBASSCHOCOLATE (1997) die einstigen Helden der Arbeit aus dem Kohlerevier von Donezk als erbärmlich und verletzlich dar; seine Serie COMMEDIA DELL’ARTE IN CRIMEA (2012) versetzt das traditionelle Brudermord-Motiv der Commedia auf die Krim. Olga Chernysheva dokumentiert in dem Video TRASHMAN die quasi unsichtbaren illegalen Wanderarbeiter aus Zentralasien bei der Verrichtung schlecht bezahlter Zeitarbeit. Der Video-Triptychon REQUIEM FOR ROMANTIC LOVE (2015) von Anastasia Vepreva zeigt das Romantische als perfekte Hintergrund-Deko für eine patriarchale, gewaltsame Ehe. Sergey Bratkov schließlich hat für die Foto-Serie CHAPITEAU MOSCOW (2012) Trouvaillen des Alltags in Zweier-Paarungen so montiert, dass Moskau erscheint, wie er es sieht: als unwirklicher, bisweilen grotesker, bisweilen bedrohlicher Zirkus. Fr 27.11. bis Sa 05.12. / ab 18:00 an allen Vorstellungsabenden Vorhalle, Eintritt frei KARTEN & VOLLSTÄNDIGE PROGRAMMINFOS 040 270 949 49 (montags bis freitags 13:00 bis 19:00) www.kampnagel.de KAMPNAGEL PRESSE Mareike Holfeld / 040 270 949 17 / [email protected]