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LEIBNIZ | BIODIVERSITÄT
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Hitzekoller
und Atemnot
Die Tierwelt in den deutschen Hausmeeren steht unter Druck. In
der sich erwärmenden Nordsee verdrängen Neuzuwanderer aus
see macht den Meeresbewohnern vor allem der SauerstoffmanJHOLQÅ7RGHV]RQHQ´]XVFKDIIHQ9HUDQWZRUWOLFKIUEHLGHVGHU
Mensch.
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Der rote Sandsteinfelsen kommt
mehr und mehr ins Schwitzen.
Seit 1962 hat sich das Nordseewasser vor Helgoland, Deutschlands einziger Hochseeinsel,
um 1,7 Grad Celsius aufgeheizt.
Tendenz: steigend. Der Grund:
die globale Erwärmung in Folge
des menschengemachten Klimawandels.
Knapp zwei Grad Celsius.
Das klingt zunächst nach wenig.
Doch als Folge der Erwärmung
hat in der Nordsee eine regelrechte Völkerwanderung eingesetzt.
„Ihre Fauna verändert sich
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die Abteilung Marine Zoologie
am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in
Frankfurt am Main leitet. Vielen
heimischen Kaltwasserarten ist
es in der südlichen Nordsee inzwischen zu warm geworden.
So ist zum Beispiel der Kabeljau
– einer der beliebtesten Speiseϐ‹•…Š‡ƒ—ˆ†‡—–•…Š‡‡ŽŽ‡”Ȃ‹
den kühleren Norden ausgewichen. „Vor der norwegischen
Küste gibt es ihn nun in rauen
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Gegenzug wandern verstärkt
mediterrane Warmwasserarten
wie Streifenbarbe und Sardelle
in die Nordsee ein.
Foto: Sven Tränkner/Senckenberg
Gekommen,
um zu bleiben
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Dabei handelt es sich keineswegs nur um Einzelfälle bei Fischen. „Der Wandel zieht sich
durch die gesamte marine Lebensgemeinschaft von Fischen
über Quallen, Krebse, Schnecken bis hin zum Plankton“, erŽ¡—–‡”–ò”ƒ›Ǥ
Die Neulinge untergliedern
sich in zwei Gruppen. Gruppe
eins wandert direkt in die Nordsee ein, indem sie schlicht ihren
Lebensraum nach Norden aus-
dehnt. So wie der winzige Einsiedlerkrebs Diogenes pugilator,
der ursprünglich im Mittelmeer
und im angrenzenden Atlantik
beheimatet war. „Der Krebs hat
2002 die Deutsche Bucht er”‡‹…Š–Dzǡ „‡”‹…Š–‡– ò”ƒ›Ǥ Ƿ‡‹–
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stabile Populationen vor und
auf der Nordsee-Insel Wangerooge.“ Die andere Gruppe wurde von Schiffen aus weit entfernten Regionen eingeschleppt
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zu Zuchtzwecken eingeführt.
Lange ging man davon aus, dass
sich die exotischen Gäste mit
den klangvollen Namen – Australische Seepocke, Amerikanische Schwertmuschel, Japanischer Gespensterkrebs – wegen
des kalten Wassers der Nordsee
nicht dauerhaft ansiedeln könnten. In Folge der Erwärmung
gilt jedoch mehr und mehr: Sie
sind gekommen, um zu bleiben.
Wie nachhaltig sich die
Nordseefauna verändert, haben
die Senckenberg-Forscher in
einer großangelegten Langzeitstudie bewiesen. „Seit 1990 untersuchen wir mithilfe unserer
Forschungsschiffe regelmäßig
die Veränderungen der marinen
Tierwelt im Bereich der Doggerbank, einer riesigen, teilweise nur wenige Meter unter der
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Sandbank mitten in der
Nordsee“, berichtet
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An 40 Stationen
sammeln die Wissenschaftler seither mit Schleppnetzen Meerestiere
und bestimmen die
Artenzusammensetzung. Im Bereich der Doggerbank treffen verschiedene
Wassermassen aufeinander: stationäres Wasser aus der Deutschen Bucht, atlantisch geprägtes Wasser aus dem Ärmelka-
nal und kaltes Wasser aus dem
Norden. „Alle drei Bereiche beherbergen eine ganz eigene Lebensgemeinschaft mit teilweise
unterschiedlichen Arten“, erläutert der Frankfurter Meeresforscher. „Seit 2000 stellen wir
allerdings an allen 40 Stationen
einen massiven Regime-Wechsel zugunsten der Warmwasserarten fest.“
Vereinheitlichung
der Tierwelt
Das Ergebnis ist eine Vereinheitlichung der Tierwelt: Eine
über viele Jahrtausende gewachsene heimische Fauna mit
großen regionalen Unterschieden weicht einer eher eintönigen Warmwasserfauna. „Die
Folge der Erwärmung in der
Nordsee ist also eine lokale
Abnahme der Artenvielfalt und
eine dadurch bedingte geringe”‡–ƒ„‹Ž‹–¡–†‡•Y‘•›•–‡•‰‡‰‡ò„‡” ‰”‘釐 –Ú”‡‹ϐŽò••‡
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Und wie ergeht es den Auswanderern im kühleren Norden? Viele schaffen die Umstellung, doch einige Arten könnten
auf der Strecke bleiben, glaubt
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Driftbojen, die sich einfach hin
und her schieben lassen.
Sie haben über die
Temperatur hinaus
Bedürfnisse. Wenn
die am neuen Ort
nicht erfüllt werden, verschwinden
sie eben.“ Ein Beispiel ist die nordpaœ‹ϐ‹•…Š‡ ڐ‹‰•”ƒ„„‡ǡ
die aus dem Beringmeer
zwischen Alaska und Sibirien
nach Norden in die kühlere Beringstraße gewandert ist. Ihre
Bestände schrumpfen, weil es
das Plankton, von dem sie sich
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Probennahme: Regelmäßig fährt Alexander Darr raus auf die Ostsee, um die Benthosgemeinschaft
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selhaften Bedingungen machen
es Meeresbewohnern schwer, in
der Ostsee zu überleben“, sagt
Alexander Darr, Meeresbiologe
Atemnot im
am Leibniz-Institut für OstseeMare Balticum
forschung Warnemünde (IOW).
„Die Artenvielfalt ist deshalb
Anders als die Nordsee ist das von Natur aus geringer als in
zweite Meer vor der bundes- anderen Meeren.“ Trotzdem ist
deutschen Haustür schon ohne die Unterwasserwelt im Mare
Zutun des Menschen ein hartes Balticum alles andere als langϐŽƒ•–‡” ˆò” ‡‡”‡•„‡™‘Š‡”Ǥ weilig. Auch hier gibt es von
Seit der Geburt der verhält- Schnecken, Würmern, Muscheln
nismäßig jungen Ostsee vor und Krebsen bis hin zu Fischen,
12.000 Jahren schwankten die Robben und Walen Vertreter
Lebensbedingungen beständig: aus allen Organismengruppen.
Mal war die Ostsee salziges NeAlexander Darr befasst sich
benmeer des Weltozeans, dann am IOW mit dem sogenannten
von Süßwasser geprägtes Bin- Benthos, einer Gemeinschaft
nenmeer ohne Verbindung zur am Meeresboden lebender OrNordsee. Die heutige Situation ganismen. Regelmäßig fahren
entspricht einer Zwischener und seine Arbeitsgruppe mit
form. Salzwasser, das
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dem
Forschungsschiff
durch die schma„Elisabeth Mann Borilen Passagen zwigese“ raus auf die
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Ostsee.
nischen Inseln
Mit Bodengreifern
in die Ostsee
nehmen sie Proben
strömt, mischt
des Meeresbodens
sich mit Süßwasund überwachen die
ser aus unzähligen
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Benthosgemeinschaft
in die Ostsee münmit UnterwasserkameD
denden Flüssen. Das
ras. „Der Boden der deutErgebnis ist ein riesiges Brack- schen Ostsee ist ein sehr heterowassermeer mit stetig schwan- genes Gelände“, berichtet Darr.
kendem Salzgehalt. „Die wech- Einige Bereiche seien „wahre
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Hotspots“ der Biodiversität. Im
Bereich des Fehmarnbelts zwischen Fehmarn und Dänemark
bilden große Felsbrocken strukturreiche Riffe. Hier leben bis zu
120 Arten auf einem Quadratmeter, darunter Wellhornschnecken, Seeigel, Einsiedlerkrebse,
Islandmuscheln. In anderen Gebieten wie der Oderbank, deren
Meeresboden aus feinem Sand
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Meeresorganismen auf einem
Quadratmeter, aber auch sie
erfüllen eine bedeutende Funktion.
„Todeszonen“
in der Tiefe
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ernähren, dort nicht gibt. Die
Krabben sitzen in der Falle.
„Sie sind Nahrung für zahlreiche Fischarten“, sagt Darr. Für
den Forscher sind die Organismen aber vor allem wegen einer
weiteren Eigenschaft von Interesse: „Sie sind die besten Indiƒ–‘”‡ˆò”•…Š¡†Ž‹…Š‡‹ϐŽò••‡
menschlicher Aktivitäten, weil
sie anders als zum Beispiel Fische standorttreu sind“, erklärt
er. „Wir überwachen deshalb die
Entwicklung der benthischen
Organismen und kartieren ihre
Verbreitung.“
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Kaum ein Meer wird stärker
vom Menschen genutzt als die
Ostsee. Bauvorhaben wie der
geplante Fehmarnbelt-Tunnel
zwischen Deutschland und Dänemark, der Abbau von Kies
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ziehen lokale Bereiche des Meeresbodens stark in Mitleidenschaft. „Wirklich bedrohlich
für alle Ostseeorganismen ist
aber vor allem die Eutrophierung, also die Überdüngung
der Ostsee mit Nährstoffen aus
Landwirtschaft und Industrie“,
warnt der Warnemünder Meeresforscher.
Die Nährstoffe, die über
Flüsse in die Ostsee gelangen,
fördern das Wachstum einzelŽ‹‰‡” Ž‰‡ ‹ „‡”ϐŽ¡…Š‡wasser. Diese Algen sinken in
größere Tiefen und werden
von Mikroorganismen unter
Sauerstoffverbrauch abgebaut.
Auf diese Weise entstehen in
der tiefen Ostsee sogenannte
Todeszonen: Bereiche mit wenig oder gar keinem Sauerstoff,
in denen höheres Leben nicht
mehr existieren kann.
Klimawandel versus
Meeresschutz
Ende der 1980er Jahre war die
Ostsee stark eutrophiert. 1992
wurde deshalb die HelsinkiKommission gegründet, die verbindliche Reduktionsziele für
Nährstoffeinträge der Ostseeanrainer festlegt. Die Situation hat sich seither leicht
entspannt. Auch Schutzzonen
für besonders artenreiche Gebiete seien probate Mittel, um
die Biodiversität in der Ostsee zu erhalten. „Gerade Riffe
sind von großer Bedeutung“,
erklärt Darr. „Sie liegen meist
auf erhöhten Kuppen und sind
deshalb wichtige Reservoirs für
eine Wiederbesiedlung von tieferen Bereichen, die durch Sauerstoffmangel geschädigt wurden.“
Doch der Klimawandel, der
auch der Nordsee zusetzt, könnte diese Bemühungen zunichte
machen. Noch sind seine Effekte in der Ostsee kaum spürbar.
Aber in nicht allzu ferner Zukunft könnten die Erwärmung
und der verstärkte Süßwasserzustrom durch mehr Regenfälle
dazu führen, dass die positiven
Effekte der verminderten Nähr•–‘ˆϐ‘œ‡–”ƒ–‹‘ ƒ—ˆ‰‡Š‘„‡
werden und sich die „Todeszonen“ weiter ausbreiten.
Die Helsinki-Kommission berät schon jetzt, ob die Reduktionsziele verschärft werden
müssen, um die Artenvielfalt in
der Ostsee zu retten.
NILS EHRENBERG
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