Insulintherapie: Endlich eine neue Beta

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Insulintherapie: Endlich eine neue Beta-Version
Ein halbes Jahr oder länger ohne Insulininjektionen – für viele Typ-1-Diabetiker kaum
vorstellbar. Amerikanische Forscher wollen genau dies ermöglichen und umhüllen dazu
Beta-Zellen mit einem Algenpolymer. Ein Erfolg der Methode wäre nicht nur für Typ-1Diabetiker ein Gewinn.
Die Langerhans-Inseln sind eine Ansammlung von endokrinen Zellen in
der Bauchspeicheldrüse. Sie machen etwa zwei bis drei Prozent der Organmasse aus. Etwa
60 bis 80 Prozent davon sind Betazellen, die das blutzuckersenkende
Peptidhormon Insulin produzieren, in β-Granula speichern und – wenn nötig – in das
Gefäßsystem abgeben. Ermöglicht wird die Insulinfreisetzung aufgrund
der fenestrierten Endothelzellen, die die Innenseite der Blutkapillaren des endokrinen
Pankreas auskleiden. Über die „Fenster“ (lat. fenestra) stehen die Betazellen mit dem Blut in
Verbindung, wodurch sie den Blutzuckerspiegel „messen“ und bei Bedarf reagieren können.
Genau diese Zellen werden bei Diabetes mellitus Typ 1 vom Immunsystem angegriffen und
zerstört. Die Folge ist ein absoluter Insulinmangel. Betroffene müssen sich daher lebenslang
mehrmals am Tag das fehlende Insulin spritzen. Hinzu kommen – je nach Therapie – ein
strikter Essensplan oder eigenständige Blutzuckermessungen. Dies erfordert von den
Patienten ein gutes und verantwortungsvolles Management. Denn unterlaufen Fehler, wie
beispielsweise eine falsche Berechnung des benötigten Insulins oder das Abweichen vom
Essensplan, können akut lebensbedrohliche Komplikationen wie Hypoglykämien oder das
gefürchtete ketoazidotische Komaauftreten.
Das Zauberwort heißt Inselzelltransplantation
Diese Insulintherapie behandelt jedoch nur die Auswirkungen und nicht die Ursache der
Erkrankung. Ein kausaler Therapieansatz ist die Transplantation von Inselzellen. Hierfür
werden die Langerhans-Inseln aus einem Spenderorgan mithilfe eines enzymatischen
Verdauungsprozesses isoliert, aufgereinigt und über die Pfortader in die Leber eingebracht.
Grund hierfür ist, dass sich die Bauchspeicheldrüse bei Diabetikern im Laufe der Zeit
zurückbildet. Die fremden Inselzellen verteilen sich in den Gefäßen, siedeln sich an und
synthetisieren Insulin. Im besten Fall würde die Insulinversorgung der implantierten Zellen
jener der Betazellen in den Langerhans-Inseln entsprechen.
Wenn da nicht das Immunsystem wäre
Hauptnachteil der Inselzelltransplantation ist, dass die Patienten
dauerhaft Immunsuppressivaeinnehmen müssen, da das Immunsystem die fremden
Inselzellen sonst angreifen und zerstören würde. Die unerwünschten Wirkungen dieser
Medikamente sind jedoch gravierender als sich täglich Insulin zu injizieren. Hinzu kommt,
dass viele Diabetiker nach einer Inselzelltransplantation zwar vorübergehend
insulinunabhängig sind, die Insulinproduktion der eingebrachten Zellen jedoch mit der Zeit
nachlässt. Grund hierfür sollen chronische Abstoßungsreaktionen und das Wiederauftreten
der ursächlichen Autoimmunität sein. Ein weiteres Problem stellt die begrenzte Anzahl an
Spenderorganen, aus denen Inselzellen gewonnen werden können, dar. Denn laut Gesetz
hat die Transplantation der Bauchspeicheldrüse als ganzes Organ Vorrang. Erst wenn diese
nicht transplantierbar ist, dürfen Inselzellen isoliert werden. Verkompliziert wird das Ganze
noch durch die Tatsache, dass für eine ausreichende Anzahl an Inselzellen zwei oder mehr
Spender erforderlich sind.
Man nehme Algenpolymere …
Ein Forscherteam um Daniel Anderson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT)
[Paywall]hatte nun die Idee, medizinische Geräte, die implantiert werden sollen, in eine
Polymerkapsel zu verpacken, um sie so vor den Abwehrzellen zu schützen. Sie entschieden
sich, eines der am häufigsten verwendeten Hydrogel-Biomaterialen zu verwenden, Alginate.
Jedoch werden auch diese vom Immunsystem als körperfremd eingestuft und in einer
sogenannten Fremdkörperreaktion von einem Narbengewebe umschlossen und so isoliert.
Auf der Suche nach einem Polymer mit reduzierter Immunerkennung untersuchten die
Wissenschaftler systematisch mehr als 600 verschiedene, auch chemisch veränderte
Alginate in vivo an Mäusen. Das beste Ergebnis erhielt die Gruppe mit
drei triazolhaltigen Verbindungen. Die Vermutung der Autoren ist, dass diese drei Materialien
die Oberfläche der Immunzellen so verändern, dass dadurch auch ihre Aktivität inhibiert wird.
… und verpacke darin Betazellen
Zeitgleich zu dieser im Fachmagazin Nature Biotechnology veröffentlichten Arbeit erschien
in Nature Medicine eine zweite Studie [Paywall], publiziert von der Gruppe um Anderson vom
MIT und Wissenschaftlern der Harvard Universität. Den Forschern der Harvard
Universität war es bereits im Oktober 2014 gelungen, Betazellen
aus humanen Stammzellen zu züchten. Um nun nachzuweisen, dass Kapseln aus TriazolThiomorpholindioxid (TMTD)-Alginat Betazellen vor Abwehrzellen schützen können, ohne
deren blutzuckersenkende Funktion zu behindern, verpackten die Wissenschaftler die Zellen
in drei unterschiedliche Kapseln: 500 µm Alginat-Mikrokapseln, 1,5 mm Alginat-Kapseln
sowie 1,5 mm TMTD-Alginat-Kapseln.
Für die Tests verabreichten die Wissenschaftler Mäusen mit einer starken
ImmunreaktionStreptozocin. Diese Substanz tötet endokrine Zellen wie Betazellen des
Pankreas ab. Anschließend wurden verpackte und unverpackte Betazellen in
die Bauchfellhöhle der Tiere injiziert. Während die insulinproduzierenden Zellen ohne
Algenpolymer den Blutzucker-Spiegel nicht normalisierten, schafften die in Mikrokapseln
befindlichen Betazellen dies für 15 Tage. Bei Tieren, die die 1,5 mm Alginat-Kapseln erhalten
hatten, verzeichneten die Wissenschaftler ganze 30 Tage Normalwerte. Das beste Ergebnis
lieferten jedoch die in den 1,5 mm TMTD-Alginat-Kapseln verpackten Betazellen. Die
Blutzuckerwerte entsprachen über 174 Tage denen von gesunden Tieren. Nach knapp sechs
Monaten wurden die Implantate wieder entfernt. Dabei fanden die Forscher eine
minimale kollageneund zelluläre Ablagerung, jedoch kein Narbengewebe.
Ein Gewinn für Diabetiker – und die Wissenschaftler
Sollte die Methode Erfolg haben, würden nicht nur Typ-1-Diabetiker profitieren. Denn aus
den Interessenkonflikten geht hervor, dass sich die Harvard Universität und das Howard
Hughes Medical Institute das Patentrecht für die Herstellung der Betazellen aus humanen
Stammzellen gesichert haben. Das Massachusetts Institute of Technology hat sowohl das
Material als auch die Hydrogelkapsel patentieren lassen.
Was macht die Konkurrenz?
Weltweit arbeiten auch andere Forschergruppen an einer kausalen Therapie. So gelang es
beispielsweise Anfang Januar der Gruppe um Sheng Ding vom Gladstone Institute in San
Francisco, Fibroblasten aus der menschlichen Haut in Betazellen umzuwandeln.
Anschließend wurden diesen Mäusen, die vorher mit Streptozocin behandelt worden waren,
transplantiert. Das Ergebnis: Die Betazellen schütteten bei einem erhöhten Blutzucker Insulin
in der richtigen Menge aus. Problematisch war jedoch die geringe Ausbeute sowie die
Tatsache, dass zur Herstellung der Betazellen Gene, die Krebs auslösen können, verwendet
wurden.
Einen anderen Ansatz entwickelte ein Wissenschaftlerteam der Universität Kalifornien in San
Francisco [Paywall]. Ihre Idee ist es, das Immunsystem nach einer Transplantation nicht zu
unterdrücken, sondern „umzuerziehen“, also die fremden Zellen zu tolerieren. Hierfür
vermehrten sie sogenannte regulatorische T-Zellen, die sie vorher Typ-1-Diabetikern
entnommen hatten, und verabreichten sie den Patienten wieder. Nach einem Jahr waren bis
zu 25 Prozent der injizierten Zellen noch im Blut nachweisbar. Regulatorische T-Zellen sind
die Gegenspieler der zytotoxischen T-Zellen und scheinen körpereigene Zellen vor dem
Immunsystem zu schützen. Weitere Studien müssen jedoch zeigen, wie effizient
diese Immuntherapie ist.
Heilung des Typ-1-Diabetes in Sicht?
Wenn alles gut geht, könnte diese Erfindung die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1
revolutionieren. „Wir glauben, dass die aus den humanen Stammzellen gezüchteten und in
Kapseln verpackten Betazellen das Potenzial haben, Patienten mit dieser Krankheit eine
Insulin-Unabhängigkeit zu bieten“, so die Autoren hoffnungsvoll. Allerdings ist es bis dahin
noch ein weiter Weg. Bevor die TMTD-Alginat-Kapseln mit den Betazellen in klinischen
Studien am Menschen getestet werden können, sind weitere Untersuchungen,
beispielsweise an Primaten, notwendig. Ob die Methode am Ende Erfolg hat, wird sich also
zeigen müssen.
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