........................................................................................................................................................... Übergewicht bei Kindern – ein gesellschaftliches Problem Heidelberg/Berlin, 15. September 2003 – Das Auftreten von Übergewicht bei jungen Menschen hat auch in Deutschland epidemische Ausmaße erreicht. Aktuell ist hierzulande jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche betroffen. Nur eine gemeinsame Strategie von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Gesundheitswesen kann dieser Entwicklung Einhalt gebieten. So lautete das Fazit der Experten, die am 11. September in Heidelberg bei einer Vortragsveranstaltung der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke (wafg), Berlin, das Thema „Übergewicht bei Kindern: Gründe, Folgen, Prävention“ diskutierten. Eine der Ursachen für die verstärkte Diskussion des Themas ist der im April 2003 veröffentlichte WHO-Report „Diet, Nutrition and the Prevention of Chronic Diseases“. Dieser beleuchtet die Zusammenhänge zwischen ungesunder Ernährung, mangelnder körperlicher Aktivität und dem Auftreten von Übergewicht. Nach Ansicht der WHO kann Übergewicht durch eine gesunde Ernährungsweise und erhöhte sportliche Aktivität erfolgreich bekämpft werden. Neben einer verminderten Aufnahme energiereicher Lebensmittel empfiehlt die WHO der Politik, Beschränkungen der Werbung für zucker- und fettreiche Lebensmittel durchzusetzen und schlägt Extrasteuern auf Lebensmittel mit niedrigem ernährungsphysiologischem Wert vor. Die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke setzt sich für eine differenzierte Betrachtung des Themas ein. Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e.V. Friedrichstraße 231 10969 Berlin Telefon +49 30 /259258-0 Telefax +49 30/259258-20 E-Mail [email protected] Internet www.wafg.de Experten betonen sozio-ökonomische Ursachen Im Rahmen der wafg-Vortragsveranstaltung referierten Experten aus Wissenschaft, Werbewirtschaft, Marktforschung und Verbraucherberatung über ihre Erkenntnisse. Prof. Dr. med. Berthold Koletzko, Universität München, betonte: „Bestimmte Lebensmittel zu verbieten oder zu besteuern, hilft bei der Prävention von Übergewicht nicht weiter.“ Der Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin hat intensive Studien zum Thema betrieben ............................................................................................................................................................................................................. Seite 2 wafg . Presseinformation Aktueller Hintergrundbericht und festgestellt, dass sich bei normal- und übergewichtigen Kindern die Verzehrshäufigkeit von energiereichen Lebensmittel nicht signifikant unterscheidet. Für die steigende Anzahl übergewichtiger Menschen sind laut Koletzko Faktoren wie die sitzende Lebensweise, die veränderte Esskultur und die Zunahme der Portionsgrößen verantwortlich. Abhilfe schafft eine kohlenhydratreiche, fettarme Ernährung kombiniert mit ausreichender Bewegung, so Koletzko. Mit seinem Therapieprogramm PowerKids greift er diesen Ansatz auf und bringt Kindern spielerisch bei, weniger Fett zu essen und sich mehr zu bewegen. Prof. Dr. med. Manfred James Müller, Universität Kiel, untersucht seit 1996 die Lebensweise von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Kiel Obesity Prevention Study (KOPS). Wesentliche Ursachen für das Auftreten von Übergewicht sind aus seiner Sicht sozio-ökonomische Faktoren wie sozialer Status oder auch der Ernährungszustand der Eltern. „Das größte Risiko, dick zu werden, haben Kindern aus Familien, in denen die Eltern übergewichtig sind und eine geringe Schulbildung aufweisen“, so Müller. Hier sieht er wichtige Ansatzpunkte für Prävention und Therapie: „Wir müssen Maßnahmen entwickeln, die die Bedürfnisse aller gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigen und neben medizinischen auch soziale Aspekte mit einbeziehen.“ Werbung – Risiko oder Chance? „Dicke Kinder sind im wahrsten Sinne des Wortes arme Kinder“, nahm Ernährungswissenschaftlerin Christiane Manthey von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in Stuttgart den Faden auf. Auch nach ihrer Auffassung sind die Ursachen von Übergewicht vielschichtig: „Neben sozio-ökonomischen Faktoren und genetischer Veranlagung begünstigen in erster Linie eine zu energiereiche Ernährung kombiniert mit Bewegungsmangel die Entstehung von Übergewicht.“ Für die veränderte Ernährungsweise macht die Verbraucherschützerin vor allem so genannte Kinderlebensmittel verantwortlich und fordert die Ernährungsindustrie auf, die Rezepturen dieser Produkte zu überdenken sowie deren Bewerbung einzuschränken. „Häufig enthalten Kinderprodukte mehr Fett und Zusatzstoffe als vergleichbare, normale Lebensmittel. Für eine bedarfsgerechte Ernährung sind sie nicht notwendig“, erläuterte Manthey. In der täglichen Beratungspraxis legt sie besonderen Wert darauf, die Konsumkompetenz von Kindern und Jugendlichen zum Beispiel durch Sensorik-Schulungen zu stärken. Der Meinungs- und Marktforscher Ingo Barlovic, Geschäftsführer der iconkids & youth international research GmbH, München, erforscht seit Jahren die Lebensgewohnheiten junger Zielgruppen. „Kinder wissen durchaus, was gesund für sie ist“, erläuterte Barlovic im Rahmen seines Vortrags. „Auch die Ursachen von Übergewicht sind ihnen durchaus bekannt. Doch sie handeln nicht nach ............................................................................................................................................................................................................. Seite 3 wafg . Presseinformation Aktueller Hintergrundbericht ihrem Wissen, weil sie nicht an die Folgen denken. Das Thema ‚Gesunde Ernährung’ ist Kindern egal.“ Um die junge Zielgruppe trotzdem zu erreichen, müssten sich alle Beteiligten die Möglichkeiten der Werbung zu nutze machen. „Wir sollten Werbung und Marketing nicht verdammen, sondern versuchen, davon zu lernen und soziales Marketing zu betreiben“, fasste Barlovic in Heidelberg zusammen. Abschließend forderte Volker Nickel, Geschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft in Berlin, eine realitätsgetreue Betrachtung der Werbung: „In Deutschland ist Werbung durch Gesetze und freiwillige Regelungen von Seiten der Wirtschaft bereits ausreichend eingeschränkt. Trotzdem wird sie für viele Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht.“ Seiner Ansicht nach darf es nicht Ziel der ernährungspolitischen Debatte sein, einseitig Schuld zuzuweisen: „Die Ursachen für die Entstehung von Übergewicht sind komplex. Wir müssen alle Faktoren berücksichtigen.“ Ganzheitliche Betrachtung wichtig Die Diskussion im Rahmen der Vortragsveranstaltung machte deutlich, dass es für die Bekämpfung von Übergewicht keinen schnellen, universellen Lösungsansatz gibt. Dennoch zeigten die Referenten Möglichkeiten auf, das Thema im Dialog mit Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen und Öffentlichkeit offensiv anzugehen. Sie empfahlen den Unternehmen, die Inhaltsstoffe von Produkten umfassend zu deklarieren und mit den Verbrauchern offen über Ernährung und Gesundheit zu kommunizieren. Dazu Professor Müller: „Produktverantwortung muss auch Verantwortung für die Gesundheit der Verbraucher einschließen.“