Humboldt-Universität zu Berlin Wintersemester 2005/06 Hauptseminar: „Demokratieförderung: Lässt sich Demokratie von außen fördern und erzwingen?“ Seminarleitung: Prof. Dr. W. Merkel, S. Grimm Referentin: S. Grimm 2. Sitzung: Die internationale Dimension des Systemwechsels (26.10.2005) Textrekonstruktion I: Burnell, Peter (2000): Democracy Assistance: The State of the Discourse, in: ders. (Hrsg.): Democracy Assistance. International Co-operation for Democratization. London-Portland, Frank Cass: 3-33. 1. Thema: Internationale Demokratieförderung, Definition von Demokratieförderung, Rolle des internationalen Kontextes. 2. Kernargument: Es existiert kein einheitliches Konzept von Demokratieförderung. Mittel und Wege erfolgreicher Demokratieförderung sind vielfältig. Der internationale Kontext kann den Systemwechsel unterstützen, aber ohne interne Zustimmung ist Demokratieförderung nicht erfolgreich. 3. Kernthesen: • Demokratieförderung wird in der Debatte in verschiedenen Begriffen und Konzepten zusammengefasst: democracy assistance, democracy-related assistance, democracy promotion, political aid, political assistance, political development aid, support for democratic development (4). Demokratie als Konzept wird dabei sehr unterschiedlich verstanden. Kern von Demokratieförderung: 1) Verbesserung von Demokratie ist das wichtigste, nicht aber das einzige Ziel des Förderers, 2) Förderung erfolgt mit friedlichen Mitteln und ist nicht gewinnorientiert, 3) Demokratieförderung ist weder notwendig noch hinreichend für Demokratisierung. • Demokratieförderung tritt in verschiedenen Formen auf: 1) mit gutem Beispiel vorangehen, 2) Demokratie in internationalen Diskussionsforen propagieren, 3) gewaltsame Durchsetzung demokratischer Mittel/Intervention, 4) demokratische Prinzipien erzwingen durch Embargo/Sanktionen, 5) Demokratie ist Voraussetzung für Mitgliedschaft, 6) Unterstützung demokratischer Kräfte/einer aktiven Opposition, 7) Konditionalität: Wirtschaftshilfen an Demokratisierungsforderungen koppeln (7-9). • Die weite Definition subsumiert unter Demokratieförderung alle Formen von Entwicklungshilfe und wirtschaftlicher Hilfe, die für die Verbesserungen der Vorbedingungen von Demokratie (z.B. wirtschaftliche Entwicklung, soziale Gerechtigkeit) wichtig sind (11). Dies ist zu undifferenziert. Daher ist die enge Definition der weiten vorzuziehen. • Die enge Definition fasst als Demokratieförderung ausschließlich die Förderung politischer Institutionen auf (12). Menschenrechtsfragen, Governance-Fragen, Wirtschaftsfragen sollen zur Definition von Demokratieförderung besser ausgeklammert werden (19-20). • Eine Intervention, d.h. Eingriff in die staatliche Souveränität (14), kann Demokratie befördern oder behindern (15); allerdings ist auch eine Einladung keine Garantie für Erfolg. Hier kann Demokratieförderung erfolgen durch 1) technische Hilfe: Ideenaustausch, Hilfe bei Verfassungsformulierung, 2) finanzielle und materielle Hilfe, 3) institutionelle Entwicklung, 4) politische Stärkung: Unterstützung einzelner oppositioneller Gruppen, Einbindung in ein internationales Netzwerk, 5) Sicherheitsunterstützung gegen externe Bedrohung, z.B. Nachbarländer (29-30). 1 • • Demokratieförderung muss dem Transformationsstand des Landes (Liberalisierung, Demokratisierung, Konsolidierung) angemessen sein; erfordert genaue Einzelfallstudien, bevor Strategien vorgeschlagen werden können. Wichtige Themen für Demokratieförderung bleiben: 1) Erforschung von Demokratisierung/Austausch von Ideen „Wie demokratisieren?“, 2) Formen finanzieller und materieller Hilfe, 3) Stärkung der politischen Opposition, 4) formelle und informelle Institutionen: Recht und Gesetz, demokratische Normen, 5) Sicherheit für die junge Demokratie/Einbindung in den regionalen Kontext. 4. Kritische Bewertung: • Umfassende Einführung in das Thema, nennt zentrale Debatten und Probleme. • Unklar bleibt: Was heißt „Verbesserung“ von Demokratie („democracy advance“), die mit Demokratieförderung angestrebt wird? Auf welchem Level setzt Förderung an? • Analytische Unterscheidung zwischen engem und weitem Konzept von Demokratieförderung erscheint sinnvoll. Allerdings ist kritisch zu überdenken, inwieweit die Unterstützung der Institutionalisierung von Demokratie ohne ökonomische Unterstützung oder ohne Unterstützung von Rechtsstaatlichkeit erfolgreich sein kann. 5. Zentrale Fragen zur Diskussion: • Was ist „Demokratieförderung“? • Inwieweit kollidieren „externe Demokratieförderung“ und „staatliche Souveränität/Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten“? Wie lässt sich der Widerspruch auflösen? • Welche Rolle spielt Demokratieförderung bei der Liberalisierung eines Regimes, beim Systemübergang, bei der Konsolidierung von Demokratie? • Welche Rolle spielt Demokratieförderung, wenn sich ein Land gar nicht auf dem Weg zur Demokratie befindet? Textrekonstruktion II: Burnell, Peter (2000): Democracy Assistance: Origins and Organizations, in: ders. (Hrsg.): Democracy Assistance. International Co-operation for Democratization. London-Portland, Frank Cass: 34-64. 1. Thema: Historische Entwicklung von Demokratieförderung, Motive/Ziele/Ressourcen der beteiligten Akteure. 2. Kernargument: Demokratieförderung erfolgt immer aufgrund spezifischer Eigeninteressen des jeweiligen Demokratieförderers. Dementsprechend werden Nutznießer im jeweiligen Förderland sowie der Einsatz von Mittelen/Ressourcen ausgewählt. 3. Kernthesen: • Erste Versuche der aktiven Demokratieförderung erfolgten durch ehemalige Kolonialmächte, die postkoloniale Selbstbestimmung unterstützten. Take-off der Demokratieförderung nach 1990: Europas Staaten unterstützen SU-Nachfolgestaaten, internationale Organisationen unterstützen die weltweite Demokratisierung. Gründe: günstige Gelegenheit nach Zusammenbruch der SU, gute Möglichkeit der Imagebildung für Geber, öffentliche Forderung nach Demokratisierung, good governance als neues Konzept der Weltbank. • Die Motive des jeweiligen Demokratieförderers sind höchst heterogen und umfassen: 1) Mission zur Ausbreitung einer guten Idee: Demokratie und Menschenrechte, 2) strategisch im Sinne des demokratischen Friedens: Welt sicher machen für/durch Frieden 2 • • • • und Demokratie, 3) Festigung westlicher Hegemonie, durch die Vorherrschaft eigener Ideen, 4) Stabilisierung von Staaten, um so verlässliche Partner für Bündnisse zu erhalten, 5) Rechtfertigungsmöglichkeit vor der internationalen Gemeinschaft/öffentlichen Meinung: für "die gute Sache" eintreten, 6) Ausbreitung von Marktwirtschaft, Erschließung neuer Absatz- und Handelsmärkte. Zu den Demokratieförderern gehören: 1) internationale Organisationen: UN, World Bank, IMF, OSCE, European Commission, Commonwealth Secretariat, 2) Staaten/Geberländer: Ministerien, Regierungen, Entwicklungsagenturen (USAID, GTZ), 3) Stiftungen, Parteien, 4) NGOs. Kurz: Demokratieförderung kommt hauptsächlich aus den etablierten Demokratien (55), allerdings ohne einem koordinierten Masterplan zu folgen (51). Das Volumen der eingesetzten Ressourcen lässt sich nur schwer messen, ist eventuell aus den einzelnen Organisationsberichten ersichtlich. Weltweit wird eine unüberschaubare Anzahl von Programmen unterstützt, vor allem bezüglich Parteien, Zivilgesellschaft, Wahlen. Die Auswahl der Ziele lässt Rückschlüsse darauf zu, inwieweit Policy-Erwägungen in der Außenpolitik die Wahl der Strategien beeinflussen (50). Allerdings sind die gewählten Strategien oftmals schlicht das Ergebnis von speziellen außenpolitischen Interessen, von traditionellen außenpolitischen Beziehungen zwischen Gebern und Empfängern (51). Ziele der Förderung sind: 1) Zentralregierung: Verfassung, Verfassungsinstitutionen, Wahlsystem, Gesetzgebung, politische Exekutive, Gerichte, 2) Lokale Verwaltung, 3) Menschenrechtsgruppen, 4) Parteien und deren Unterorganisationen, Medien, 5) Interessensgruppen, Gewerkschaften, Minderheitengruppen, 6) unabhängige Think Tanks, Bildungseinrichtungen (57). 4. Kritische Bewertung: • Einteilung der Perioden, in denen sich Demokratieförderung verbreitet, ist nicht begründet. Unklar, inwieweit Entkolonialisierung bereits „Demokratieförderung“ ist. 5. Zentrale Fragen zur Diskussion: • Warum sollten wir die Motive der Demokratieförderer analysieren? • Wonach richtet eine internationale/regionale/nationale Organisation ihre Förderstrategie aus? • Inwieweit erfolgt Demokratieförderung in „Konjunkturen“? Wovon sind solche „Konjunkturen“ abhängig? 3