18 | kongressausgabe 2 Orthopädische Nachrichten | 04.2013 Von der Hyperurikämie zur Gicht Symptomatik, Diagnostik, Klassifikation und Therpiemöglichkeiten der Stoffwechselerkrankung D ausgelöst durch Thiazide, ASS, Cyc­ losporin A, Tacrolimus, Ethambutol/ Pyrazinamid oder L-Dopa. Zur Klassifikation der Gicht (Abb. 3) gelten weiterhin die vorläufi­ gen ARA-Kriterien (Wallace et al. 1977). Differenzialdiagnosen sind: septische Arthritis, Synovialitis durch Hydroxylapatit/basische Kalzium­ phosphate, Tendinosis calcarea (Abb. 4), Milwaukee-Schulter und die Pseudogicht (Abb. 5 und 6). Bei der Therapieentscheidung kön­ nen die Leitlinien des American Col­ lege of Rheumatology (ACR) von 2012 hilfreich sein. Der Gichtpatient kann im Anfall unterschiedlich therapiert werden: ie jährliche Gicht­ inzidenz beträgt 4,9 Prozent bei Männern mit HS-Serumkonzentratio­ nen über 9 mg/dl (Campion et al. 1987). In den USA wird die Prävalenz der Gicht mit 8,4/1000 Einwohnern ange­ geben (Benson & Marano 1992). Im Spontanverlauf ist der Gichtanfall innerhalb von ein Abb. 1: Großer Gicht-Tophus mit Teilen der Patella. bis zwei Wochen selbstlimi­ tierend. Ein weiterer Anfall tritt in 78 Prozent innerhalb von zwei Jahren auf. Bei chronischer Gicht werden in einem Drittel der Fälle Tophi sichtbar. Die Gicht manifes­ tiert sich oft pseudotumorös (Abb. 1 und 2) bei terminaler Niereninsuffizienz, Hyperpa­ rathyreoidismus, SLE und Sklerodermie. Die bildgeben­ Abb. 2: OP-Situs nach Exzision eines pseudotumorösen de Diagnostik mit CT und Gicht-Tophus vom ventralen Kniegelenk. MRT kann dabei Anlass zum Verdacht auf einen echten Tumor sein NSAR in Höchstdosis, Etoricoxib 120 und zu einer Übertherapie mit Exzi­ mg/d, Colchicum Dispert® Tbl. 0,5 mg, sionsbiopsie et cetera verleiten. max. 16 Tbl./d, 24 Tbl./Anfall). Nach Die primäre Gicht resultiert in zehn Terkeltraub et al. (2010) sind 1,8 mg Prozent aus einer HS-Überproduktion Colchicin in 1 h genauso wirksam wie und in 90 Prozent aus einer renal- 4,8 mg in 6 h. 35 mg orales Predniso­ tubulären Minderausscheidung. lon sind äquipotent mit zweimal Die durch Überproduktion ver­ 500 mg Naproxen/d für 5 d (Janssens ursachte sekundäre Gicht ist Folge et al. 2008). Triamcinolon 60 mg i.m. von Tumoren, Fruktose-Überfluss, sind äquipotent mit Indomethacin Alkohol, schwerer körperlicher Betäti­ dreimal 50 mg oral. Intraartikuläres gung, Übergewicht oder Hypertrigly­ Triamcinolon ist eine weitere Option zeridämie. Die auf Minderausschei­ (Fernandez et al. 1999). Neuere Thera­ dung beruhende sekundäre Gicht wird pieansätze sind der Einsatz von IL- 1-Antagonisten (Anakinra®; Canaki­ numab). HS-Senker sollten im Anfall nicht abgesetzt werden. Die chronische Gicht (Abb. 7) kann mit Urikostatika behandelt werden. Der HS-Serumspiegel sollte unter 6,0 mg/dl gesenkt werden. Dazu wird bis 800 mg/d Allopurinol eingesetzt. Das neuere Febuxostat/Adenuric® ist wirksamer als Allopurinol, erfordert keine Dosisanpassung bei mäßiger Niereninsuffizienz und hat keine ver­ mehrten kardiovaskulären uner­ wünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). Ähnlich wie bei Allopurinol wurden nach Einführung auch unter Überwachung der Leberfunktion, eine hohe tägliche Urinausscheidung und zur Vermeidung einer Urolithiasis eine Urat-Ausscheidung von weniger als < 700 mg/24 h. Der Harn sollte auf einen pH-Wert von 6,3–6,7 eingestellt werden. Zusätzlich indizierte Medika­ mente wie Losartan oder Fenofibrat Abb. 6: Pseudogicht am dorsomedialen IP-Gelenk der rechten Großzehe. Abb. 7: Tophische Usuren an der distalen Grundphalanx der 3. Zehe rechts. Febuxostat schwere Hypersensitivi­ tätsreaktionen, darunter auch das ­Stevens-Johnson-Syndrom und akute anaphylaktische Reaktionen mit Schock, berichtet. In den meisten Fäl­ len traten diese Reaktionen während des ersten Anwendungsmonats auf. Bei Therapiebeginn können die Uri­ kustatika mit Colchicin oder NSAR kombiniert werden. Bei den Urikosurika wird Proben­ ecid einschleichend bis auf 2000 mg/d dosiert und wirkt schlecht bei Nieren­ insuffizienz. Benzbromaron wird von 50 auf 100 mg/d dosiert, erfordert eine senken zudem die HS-Serumkonzen­ tration. Eine purinfreie Ernährung reduziert den HS-Serumspiegel um 25 Prozent nach 10 d. W Abb. 3: Klinischer Aspekt bei Podagra rechts Abb. 4: Tendinosis calcarea des linken Schultergelenkes. Pingsmann (7) BERLIN Die Gicht ist ein klinisches Syndrom, verursacht durch eine entzünd­ liche Reaktion auf Mononatriumurat­ monohydrat-Kristalle. Sie ist nicht gleich­ bedeutend mit der Hyperurikämie, selbst wenn letztere von einer Urolithiasis kom­ pliziert wird. Die Hyperurikämie hat eine Prävalenz von 2,3 bis 17,6 Prozent. Der Harnsäure (HS)-Serumspiegel wird wesentlich bestimmt durch Gewicht, Größe, Körperoberfläche, Nierenfunktion, arteriellen Blutdruck und Alkoholkonsum. Zur genetischen Disposition berichtete das Global Urate Genetics Consortium (GUGC) 2013 über zahlreiche vererbliche Riskofaktoren. Die HS-Serumspiegel sind nicht normalverteilt. Abb. 5: Chondrokalzinose des linken Kniegelenkes bei primärer Gonarthrose ( Autor: Dr. med. Andreas Pingsmann Orthopädische Gemeinschaftspraxis Gatower Str. 241, 14089 Berlin und Klinik für Orthopädie, Universitäts­ klinikum Essen E-Mail: [email protected] ( Freitag, 03. 05. Kongresssaal II (2.OG) 10.30–12.30 Uhr Entzündliche Gelenkerkrankungen BADEN-BADEN Der enorme Zuwachs von Kenntnissen über immunologische Erkrankungen und die Entwicklung neuer wirksamer Therapien hat die Rheuma­tologie zu einem der spannendsten Gebiete der Medizin gemacht. Insbesondere die Einfüh­ rung der TNF-alpha-Inhibitoren zur Therapie der Rheumatoiden Arthritis (RA) und der Spondyloarthritiden zu Beginn des letzten Jahrzehnts hat das therapeutische Arsenal der Rheumatologen enorm erweitert. D ie letzten Jahre wurden nun genutzt, die richtigen Thera­ piestrategien im Einsatz dieser www.ortho-online.de Fien TNF-alpha-Inhibitoren zur Therapie von Rheumatoider Arthritis, Ankylosierender Spondylitis und Spondylarthritis Christoph Fien Substanzen zu entwickeln. Darüber hinaus wurden mit dem Interleukin6-Hemmstoff Tocilizumab, und den Tbeziehungsweise B-Lymphozyten-Ant­ agonisten Abatacept und Rituximab neue Biologika zur Behandlung der RA zugelassen, welche im Gegensatz zu den TNF-Inhibitoren sehr spezifische Vor- und Nachteile haben. Erstmals ist daher bei dieser Erkrankung eine sehr individuelle und differenzierte Thera­ pieentscheidung mit einem großen Arsenal an Substanzen möglich. Dies wurde nun in einer neuen S1-Leitlinie zur Behandlung der RA festgelegt. Um das optimale Ergebnis zur Verhinde­ rung von Funktionsverlust zu errei­ chen, wird dabei nach dem Prinzip des „treat to target“ vorgegangen, bei dem das Erreichen einer Remission der Erkrankung im Fokus steht. Das thera­ peutische Arsenal wird außerdem sehr bald durch einen neuen Wirkstoff ergänzt: Tofacitinib wird oral gegeben und ist die erste Substanz aus der ­Klasse der Kinaseinhibitoren, welche in Deutschland kurz vor der Zulassung zur Behandlung der RA steht. Im Gegensatz zur RA sind bei den Spondyloarthritiden bisher die TNFInhibitoren immer noch die einzigen Biologika mit einer erwiesenen Wirk­ samkeit. Hier hat sich die Forschung auf das Erkennen von frühen Formen der axialen Spondyloarthritiden und ihre richtige Behandlung konzentriert. Erstmals konnte dabei nachgewiesen werden, dass nur der sehr frühe aber trotzdem gezielte Einsatz von TNFInhibitoren das Fortschreiten der Ankylose der Wirbelsäule verhindern kann. W ( Autor: Prof. Dr. med. Christoph Fiehn ACURA Rheumazentrum Baden-Baden E-Mail: [email protected] ( Freitag, 03. 05. Kongresssaal II (2. OG) 10.30–12.30 Uhr