ServiceMedizin Fotos:Frank Hafemann| fotolia.de Vitamine und Mineralstoffe sind wichtig, das weiß jeder. Aber wieviel davon braucht das Pferd? Sicher ist, dass Heu allein in den meisten Fällen nicht ausreicht, um den Bedarf eines Pferdes zu decken. Ergänzungsfuttermittel: Pellets und Pülverchen Was braucht das Pferd wirklich? Ob Muskelverspannungen, Gelenkprobleme, glanzloses Fell oder schwache Nerven – gegen jedes Problem, so scheint es, gibt es irgendein Pülverchen. Aber was bringen Ergänzungsfuttermittel eigentlich? 50 PferdeSport International | 7.2016 „D ie meisten Pferdebesitzer machen sich zu wenig Gedanken darum, was sie ihrem Pferd eigentlich füttern“, findet Anita Schwarz, die in München-Riem angehende Pferdewirte in Sachen Fütterung fit macht. „Sie müssten sich überlegen, warum sie was füttern und welche Ration für das Pferd angemessen ist.“ Ein roter Faden zieht sich dabei durch: Unsere Pferde sind heutzutage eher über- als unterversorgt. Die meisten Vierbeiner sind schlichtweg zu dick. Von Müsli hält die Pferdezüchterin deshalb nichts: zu viel Zucker und zu viel Energie. „Wichtig ist gutes Grundfutter, also Heu, Stroh oder Silagen, sowie pferdegerechtes Getreide, nämlich Hafer, Gerste oder Mais.“ Um Mangelerscheinungen vorzubeugen, sollte außerdem ein Salzleckstein zur Verfügung stehen und Mineralfutter gefüttert werden, um mit allen wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen zu versorgen. Schwitzen Pferde, verlieren sie sehr viele Elektrolyte – deshalb schäumt ihr Schweiß auch so. Aus diesem Grund enthalten manche Mineralfutter auch Elektrolyte. Für Pferde, die gerade zur Turniersaison im Sommer häufig trainiert werden, sind diese auf jeden Fall wichtig. „Ein schwerfuttriges, nerviges Pferd kann man mit energiereichem Futter wie Ölen oder Mais nicht nur dicker, sondern auch ruhiger machen“, sagt Schwarz und ermutigt alle Pferdebesitzer, sich mehr Gedanken zum Thema Fütterung zu machen. Eine gute Möglichkeit, die richtige Ration für das eigene Pferd zu errechnen, ist etwa das Computer-Programm „WINration“. Foto: Michael Brandel | HiM Schwitzende Pferde verlieren Elektrolyte und müssen mit zusätzlichen Vitaminen und Mineralstoffen versorgt werden. Foto: Lafrentz Problemen vorbeugen Viele Probleme könnten durch richtiges Training und artgerechte Haltung vermieden werden, ist die Futterexpertin überzeugt. „Das tägliche Training muss vernünftig erfolgen“, mahnt sie deshalb. „Ideal wäre es, ein Pferd zwei bis drei Mal täglich 20 Minuten lang zu arbeiten, anstatt einmal am Tag eine Stunde“, sagt sie. Das ist kaum umsetzbar. Aber: „Wenn ich von einem untrainierten Pferd 60 Minuten lang Leistung fordere, ist der Muskelkater vorprogrammiert. Diesen dann mit Pülverchen wieder weg zu füttern, ist Blödsinn“, sagt Schwarz. Lieber sollten sich die Reiter mehr Zeit für die Ausbildung ihrer Pferde nehmen. Der zweite wichtige Punkt zur Problemvermeidung ist für Schwarz eine pferdegerechte Haltung. „Würden die Pferde besser ge- Der Muskelaufbau kann durch verschiedene Zusatzstoffe wie Algenmehl oder Magnesium unterstützt werden, doch das Ergänzungsfutter kann ein gezieltes Training nicht ersetzen. halten, hätten sie viele Probleme gar nicht“, mit Überfütterung, ist Gift für die Pferde. sagt sie. Das Wichtigste: „Möglichst viel freie Diese Schäden können Sie auch mit ErgänBewegung in der Herde!“ Das hält Muskeln, zungsfuttermitteln nicht wieder beheben.“ Gelenke und Knorpel gesund und ist auch wichtig für die Psyche. „Stellt man ein nerWann sind Ergänzungsfuttermittel viges Pferd in einer Gruppe auf die Koppel, sinnvoll? erledigt sich das Problem meist von selbst“, sagt sie. Es gibt aber auch Fälle, in denen Schwarz Schonendes Training in Verbindung mit viel Ergänzungsfuttermittel für sinnvoll hält. freier Bewegung sei gerade für junge Pferde „Junge Pferde im Wachstum oder Hengste, wichtig. „Steht ein junges Pferd in der Box die auf die Körung vorbereitet werden und und wird dann eine Stunde lang trainiert, dadurch einem besonderen Leistungsdruck schädigen Sie damit langfristig Knorpel und ausgesetzt sind, können durch ErgänzungsGelenke“, sagt Schwarz. „Dieser Stop-and- futtermittel gut unterstützt werden. Oder Go-Betrieb, vielleicht noch in Verbindung Zuchtstuten, die Milch produzieren, sowie 7.2016 | PferdeSport International 51 ServiceMedizin Das soll helfen! Hier einige Beispiele von gesundheitlichen Problemen und den entsprechenden Inhaltsstoffen, die unterstützend wirken können: Husten- und Atembeschwerden: Boxhornkleesamen (gegen Atemwegserkrankungen allgemein), Echinacea (gut für die Lunge), Thymian (schleimlösend), Süßholzwurzel (entzündungshemmend), Spitzwegerich (gegen Husten). Verdauung und Stoffwechsel: Bierhefe (gut für die Darmflora), Leinsamen (regt die Verdauung an), Flohsamen (reinigt den Darm), Topinambur (gut gegen Kotwasser), Kieselgur (entgiftet den Verdauungstrakt), Mönchspfeffer (reguliert den Hormonhaushalt, hilft bei Cushing), Weißdorn (gut fürs Herz, hilft bei angelaufenen Beinen), Mariendistel (verbessert die Leberfunktion). Haut, Fell und Hufe: Omega-3-Fettsäuren in Ölen (gut für Zellschutz und Blutgefäße), Zink (entzündungshemmend, stärkt Haut und Horn), Biotin (stärkt Haut und Horn), Kieselgur (stärkt das Bindegewebe und kräftigt die Hufe). Immunsystem: Schwarzkümmel (stärkt das Immunsystem, entzündungshemmend), Ingwer (stimuliert das Immunsystem), Zink (unterstützt die Produktion von Antikörpern), Vitamin C (Radikalenfänger), Selen (Radikalenfänger), Eisen (bekämpft Krankheitserreger). Sehnen- und Gelenkprobleme: Teufelskralle (schmerzlindernd und entzündungshemmend), Ingwer (hilft gegen Arthrose), MSM (Methylsylfonylmethionin = organischer Schwefel, unterstützt den Knorpelaufbau), Collagenpräparate (fördern Knorpelaufbau), GAG (Glykosaminoglykane = Wirkstoff aus der neuseeländischen Grünlippmuschel, unterstützt Knorpelaufbau). Nervenstärke und Ausgeglichenheit: Magnesium (gegen Nervosität), Baldrian (wirkt beruhigend), Tryptophan (senkt den Wert des Stresshormons Cortisol). Leistung und Muskulatur: Algenmehl (enthält viele wichtige Aminosäuren), L-Carnitin (natürlich vorkommende Verbindung der Aminosäuren Lysin, Methionin und Tryptophan), Magnesium (gegen Verspannungen), Vitamin E (stärkt Muskeln und Nervenzellen), Selen (unterstützt den Muskelstoffwechsel), Gamma-Oryzanol (unterstützt den Muskelaufbau). Erschöpfung und Rekonvaleszenz: Folsäure (hilft bei Erschöpfung, Abgeschlagenheit und Depression), Vitamin-B-Komplexe (hilft bei Erschöpfung, Abgeschlagenheit und Depression) Quelle: Pferdepraxis Karlsfeld Hat das Pferd ein Problem, lockt der Griff zum Ergänzungsfuttermittel – das Angebot ist riesengroß. Worauf muss man bei der Auswahl des richtigen Zusatzfutters achten? Foto: Castronovo 52 PferdeSport International | 7.2016 ältere Pferde, die vielleicht schon Gebissprobleme haben und ihr Raufutter nicht mehr so gut zerkauen können. Auch im Fellwechsel, der im Grunde eine Stoffwechsel-Überbeanspruchung ist, kann man das Pferd sinnvoll unterstützen.“ So viel zur Theorie. Der Alltag sieht jedoch oft anders aus: Hat das Pferd irgendein Problem, lockt der Griff zum Futterzusatz. Das Angebot der Ergänzungsfuttermittel ist riesengroß – von glanzlosem Fell über Verdauungsprobleme bis hin zu Gelenkbeschwerden, für jedes Problem gibt es irgendein Pülverchen, meist für relativ wenig Geld auch freiverkäuflich zu haben. Was viele Pferdebesitzer nicht wissen: Die Produkte, die der Tierarzt verkauft, sind meist auch nicht viel teurer als Ergänzungsfuttermittel aus dem Reitsportladen, aber oft effektiver. Der entscheidende Vorteil ist aber: „Der Tierarzt kennt Ihr Pferd und sein Problem und kann Sie entsprechend beraten“, sagt Tierärztin Dr. Anna Braunert aus Karlsfeld. Erstmal den Tierarzt fragen Grundsätzlich gilt für die Tierärztin: „Ergänzungsfuttermittel sollen immer nur eine Unterstützung sein – und zeitlich begrenzt gefüttert werden. Denn halten Beschwerden an, liegt in der Regel ein ernsthaftes Problem vor, das gelöst werden muss – da hilft es nichts, nur die Symptome abzumildern.“ Das können zum Beispiel Haltungsfehler beim dauerhaft nervösen Pferd sein oder ernsthafte Erkrankungen, die hinter einem Verdauungsproblem stecken. „Pferde reagieren sehr individuell auf Fütterung – was bei swm einem Pferd zu Durchfall führt, macht dem anderen mitunter nichts aus.“ Dazu kommt: Verdauungsstörungen können ihre Ursache auch in Leber-, Nieren- oder Magenproblemen haben – oder stressbedingt sein. Geht es wirklich nur darum, die Verdauung zu unterstützen, empfiehlt Braunert, im Frühjahr und Herbst Flohsamen zuzufüttern, um den Darm zu reinigen. Gegen Kotwasser hilft die Knolle Topinambur und auch Bierhefe und Leinsamen fördern eine gesunde Verdauung. Soll ein Pferd jedoch Muskeln aufbauen, muss es in erster Linie trainiert werden. Hier kann ein Ergänzungsfuttermittel zwar gut unterstützen, aber das gezielte Training nicht ersetzen. „Muskulatur ist aus Proteinen aufgebaut“, erklärt Braunert. „Und die bestehen aus Abertausenden von Aminosäuren.“ Algenmehl ist beispielsweise ein guter Lieferant für viele wichtige Aminosäuren und kann den Muskelaufbau gut unterstützen. Außerdem braucht sich aufbauende Muskulatur vermehrt Eiweiß. Den Stoffwechsel unterstützen hingegen Mönchspfeffer (reguliert den Hormonhaushalt, hilft bei Cushing), Mariendistel (verbessert die Leberfunktion) oder Weißdorn (gut fürs Herz, hilft bei angelaufenen Beinen). Das sind nur einige Beispiele (siehe Kasten, S. 52). Wer auf Nummer sicher gehen will, lässt eine Blutuntersuchung machen. Dabei kann auch festgestellt werden, ob ein Magnesium-Mangel vorliegt. „Magnesium wird gerne zur Nervenberuhigung und zur Muskelentkrampfung eingesetzt“, erklärt Braunert. „Es funktioniert aber nur, wenn auch wirklich ein Mangel vorliegt.“ Ein Zuviel an Magnesium wird nämlich einfach wieder ausgeschieden und bleibt völlig wirkungslos. Foto: Lafrentz Auch die Gabe von Ergänzungsfuttermitteln sollte mit dem Tierarzt abgesprochen werden, da hinter vermeintlich harmlosen Beschwerden ernsthafte Erkrankungen schlummern können. Nicht selbst mischen Waage, um Futterkomponenten abzuwie- vor einem Turnierstart es abgesetzt werden gen. Zudem ist in Reinprodukten nicht in je- muss. Eine Liste dopingrelevanter SubstanLiest man die – meist zahlreichen – Inhalts- dem Stück dieselbe Konzentration an Wirk- zen finden Sie auf der Homepage der FN unstoffe auf der Futterdose, von denen man stoffen enthalten.“ Teufelskrallen-Wurzeln ter www.pferd-aktuell.de/fairersport. selbst vielleicht noch nie gehört hat, drängt können Stück für Stück höchst unterschied- All das sind Gründe, warum Tierärztin Braulich wirken. nert empfiehlt, lieber fertig gemischte ErAuch beim Spurenelement Selen ist Vorsicht gänzungsfuttermittel zu verwenden. „Die Foto: Lafrentz geboten. In manchen Böden kommt wenig Hersteller sind Profis auf ihrem Gebiet, sie Selen vor, so dass Heu den Bedarf an Selen wissen genau, welche Kombinationen sinnhäufig nicht abdeckt. „Im Mineralfutter ist voll sind, was gut wirkt, ohne Schaden anein bisschen Selen enthalten, in Müsli auch“, zurichten. Dahinter steckt jahrzehntelange erklärt Braunert. Das kann reichen. „Hat ein Forschung. Außerdem müssen sie bestimmPferd trotzdem einen Selenmangel, müssen te Grenzwerte einhalten und die FuttermitSie ohnehin hochdosiertes Selen vom Tier- tel durchlaufen Qualitätsprüfungen.“ arzt zufüttern. Freiverkäufliche Produkte rei- Worauf soll man also achten, wenn man Karotten schnippeln, Leinsamen kochen, Mash chen nicht aus, denn um Vergiftungen zu das richtige Ergänzungsfuttermittel aus anrühren – kein Problem. Kräuter und Wirkstoffe selbst zusammenmischen, ist aber aufgrund vermeiden, sind sie in der Regel viel zu nied- dem reichhaltigen Angebot auswählen will? ungewisser Konzentrationen nicht ratsam. rig dosiert.“ Zuviel Selen ist nämlich giftig. „Überlegen Sie sich, welche Komponente für Auch gut zu wissen: Bestimmte Stoffe kön- Sie am wichtigsten ist, im Falle von Gelenksich unweigerlich die Frage auf: Braucht nen nur mithilfe eines anderen Stoffes auf- schmerzen wäre das die Teufelskralle“, empmein Pferd das wirklich alles? Oder ist es genommen werden. „Wenn man nur Zink zu- fiehlt Braunert. „Dann vergleichen Sie, welschonender für den Geldbeutel, einzelne füttert, wird dieser mit dem Urin wieder aus- ches Ergänzungsfuttermittel gegen GelenkKomponenten zu kaufen und selbst zusam- geschieden“, nennt Braunert ein Beispiel. probleme die größte Menge an Teufelskralle „Das Pferd benötigt Biotin, um den Zink auf- enthält.“ Prozentangaben seien dabei allermenzumischen? dings nicht aussagekräftig, sondern nur An„Vorsicht!“, warnt Tierärztin Braunert. „Es zunehmen.“ gaben in Milligramm. Achtung: Manche gibt einige Futtermittel, die an sich sehr gut Angaben werden auch in Microgramm gesind, zum Beispiel Teufelskralle bei GelenkAchtung Doping! macht! „Grundsätzlich kann man den Futterbeschwerden. Füttert man diese allerdings in ihrem Urzustand, können sie zu schweren Nicht zuletzt ist auch die Doping-Relevanz mittelherstellern vertrauen“, sagt Braunert. Magenproblemen führen.“ Deshalb sollte von Bedeutung: Einige Futterzusätze dür- „Wie gut ein bestimmtes Präparat dem eigeman immer die Form wählen, die bereits für fen nicht vor Turnierstarts gefüttert werden, nen Pferd mit seinem individuellen Problem die Pferdefütterung weiterverarbeitet ist – dazu gehören Ingwer, Teufelskralle, Trypto- hilft, muss man ausprobieren. Aber schaden in diesem Fall flüssig. Auch die Dosierung ist phan oder MSM (Methylsylfonylmethionin). können freiverkäufliche Ergänzungsfutterso eine Sache. „In der Regel wissen Sie nicht Auf der Packung eines Ergänzungsfuttermit- mittel auf keinen Fall.““ genau, wie viel Ihr Pferd genau wiegt, und tels muss angegeben werden, wenn ein Fut- Text: Anna Castronovo verwenden auch keine Milligramm-genaue termittel dopingrelevant ist und wie lange 7.2016 | PferdeSport International 53