40 MARKETING & VERTRIEB Geht es auch ohne sie? Energieversorger im Dilemma der Energiewende Die Energiewelt befindet sich im Umbruch. Die Anforderungen der Kunden wandeln sich, neue Unternehmen treten in den Markt. Zwar wird es das Commodity-Geschäft auch in Zukunft geben, aber dessen Bedeutung wird kontinuierlich abnehmen. Energieversorgungsunternehmen sollten daher Trends aufspüren, neue Geschäftsfelder besetzen und sich für zukünftige Anforderungen positionieren. VON MICHAEL PRINZ UND DR. ROMAN DUDENHAUSEN Ressourcenknappheit sowie Steuern, Subventionen und Abgaben immer weiter erhöhen werden. Um weiterhin Mit dem Energiekonzept 2010 hat die Bundesregierung (ihrer Ansicht nach) Sich verändernde Rahmenbedingungen eine bezahlbare Energieversorgung zu gewährleisten, ist deshalb ein Umdenken erforderlich – eine weitsichtige Be- einen Meilenstein für einen Übergang trachtung ist daher angezeigt. in eine umweltschonende, zuverlässige Vor dem Hintergrund des Atomausstiegs und des be- und bezahlbare Versorgung gelegt. In wussten Einsatzes erneuerbarer Energien als Ersatz den dort benannten Handlungsfeldern spielt die Frage nach der Entwicklung der Energie- Dementsprechend wird ein Schlüssel sind bereits eine Vielzahl von Punkten preise heute und in Zukunft eine immer bedeutendere der neuen Energiewelt die Energieeffi- genannt worden, die im Zusammen- Rolle. Es ist davon auszugehen, dass sich die Energie- zienz sein und in Zukunft eine immer spiel miteinander dieses angestrebte preise auch in Zukunft aufgrund des erhöhten Roh- stärkere Bedeutung erlangen. Neben Ziel erreichen sollen. stoffbedarfs aufstrebender Länder oder schlicht durch ersten Diskussionen und mit bereits HEFT 3| 12 MARKETING & VERTRIEB existierenden Förderungen von Sanie- Abb. 1 Der sechste Zyklus „Lebensqualität“ (eigene Darstellung nach Leo A. Nefiodow) rungsmaßnahmen im Altbau sind die ersten zaghaften Schritte getan. Viel stärker und schneller als von der „Energiewende“ Bedarf Kleidung Transport Massenkonsum Information Kommunikation Individuelle Mobilität Gesundheit Lebensqualität Politik wird der Prozess hin zu mehr Energieeffizienz vor allem von den eigenen Kunden und auch den Wettbewerbern vorangetrieben. Aus der Historie lässt sich ein Zusammenhang beobachten zwischen wirtschaftlichen Entwick- Innovation Textilindustrie Dampfmaschine Stahl Eisenbahn Elektrizität Chemie Automobil Petrochemie Informationstechnik Biotechnologie Green Energy lungen und bedeutenden Innovationen. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung des MP3-Formats für die Musikbran- Urbanes Zeitalter che. Eine ganze Industrie wurde unvorhergesehen grundlegend verändert und Teile sind sogar ganz verschwunden. Zeitalter 1750 1800 Frühe Industrialisierung Der Grund für die MP3-Entwicklung 1850 1900 Späte Industrialisierung 1950 Dienstleistung 2000 Globalisierung 2050 Life Science war ursprünglich ein ganz banaler: Die Sportübertragungen aus den Stadien in tungen auch für den zukünftigen Markt ausreichend Von vielen Unternehmen und heutigen die Hörfunkstudios waren über Telefon- sind. Und können die Unternehmen diese Frage heute Marktplayern werden diese Autarkie- leitungen nur in einer sehr schlechten wirklich überzeugend mit „Ja“ beantworten…? bestrebungen als großer Unsinn abgetan oder aus Angst vor der Kannibalisierung Qualität möglich und Standleitungen mit höheren Übertragungsraten zu teu- Die Zukunft der „Energie“ des traditionellen Commodity-Geschäfts abgelehnt. Dennoch sollte man die Be- er. Aus diesem Grund hat man nach einer Möglichkeit gesucht, „Sprache“ Paradigmenwechsel Nachhaltigkeit dürfnisse der Kommunen und Bürger zu komprimieren und über bestehende Schaut man sich die verschiedenen Entwicklungen aus ernst nehmen und entsprechende Ener- Leitungen zu übertragen. Alle nachfol- den Bereichen Gesellschaft, Umwelt und Technologie giekonzepte erarbeiten und erläutern. genden Geschäftsmodelle haben darauf an, stellt man fest, dass hier ein Wandel stattfindet. Das Denn die Kunden werden diese Themen aufgesetzt: MP3-Player, Music Stores, eigene Leben wird bereits heute in vielen Gesellschafts- umsetzen – mit oder ohne „ihren“ Ener- Musiktauschbörsen wie Napster etc. schichten von nachhaltigem und ökologischem Denken gieversorger. Das Schlimmste, was den Mittlerweile ist eine Milliarden-Dollar- geprägt. Die Konsumenten entscheiden sich individuell stark regional verbundenen Versorgern Industrie entstanden. Dieses und viele und ganz bewusst für die Produkte, die ihren Bedürf- passieren kann, ist eine arrogante Ab- andere Beispiele zeigen, wie wichtig es nissen entsprechen und die ihr Lebensgefühl am besten lehnung dieser Wünsche und Bedürfnis- sein wird, sein eigenes Geschäftsmo- widerspiegeln. se. Zahlreiche Wettbewerber und neue Dienstleister sind mit diesen Themen dell insbesondere vor dem Hintergrund technologischer Entwicklungen grund- Ein Aufzwängen von vermeintlich guten Produkten bereits bei den Kunden und Kommunen legend und kontinuierlich zu hinterfra- ist aufgrund der Informiertheit und der bestehen- unterwegs. Da ist die „Abwarten-“ oder gen und sich mit den Zukunftstrends den Transparenz heute nicht mehr möglich und wird „Rechnet-sich-nicht-Strategie“ der Ener- zu beschäftigen, auch wenn sie aus auch in Zukunft sehr viel schwieriger. Kunden agie- gieversorger ohne intensive Beschäfti- heutiger Sicht nicht ökonomisch dar- ren immer mehr nach dem Motto: „Vom Wohlstand gung nicht passend für eine dauerhafte stellbar sind. zum Wohlgefühl“. und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Aber sollen sich Energieversorger des- Auf die Energiewirtschaft übertragen kann dies eben- Hilfreich ist auch ein Blick auf den Kon- wegen auf neue Technologien ausrichten falls zu einem Umdenken führen. Neben einem gerin- dratieff-Zyklus bzw. die Interpretation und nach der zukünftigen „Killerinnova- geren Energieverbrauch rückt für die Bürger auch die durch Nefiodow (Abb. 1). Hier ist zu tion“ Ausschau halten? Nein, das nicht. eigene grüne „Autarkie“ zunehmend in den Vorder- erkennen, dass wir uns in der Anwen- Was aber zwingend für einen weiteren grund. Und wenn diese nicht auf das eigene Haus zu dungsphase des Zyklus der „Informati- Geschäftserfolg nötig sein wird, ist die beziehen ist, dann sind regionale Erzeugungsanlagen on und Kommunikation“ befinden. Dies Beschäftigung mit der Frage, ob die heu- zu nutzen und der restliche Bedarf über bekannte und bedeutet, dass wegweisende Innovati- te angebotenen Produkte und Dienstleis- zertifizierte Quellen zu beziehen. onen in diesem Bereich nicht mehr zu HEFT 3| 12 41 42 MARKETING & VERTRIEB Abb. 2 Maßnahmen im Bereich des Marketing) Herausforderungen im urbanen Raum das Thema Infrastruktur, zusätzlicher Kommunikation/IT Ökostromabsatz und sogar Abrechnung Ernährung Sicherheit gesehen. Branchenfremde Unternehmen Mobilität u. Ver kehrsmanagement Urbane Produktion Gebäude und Wohnen gehen das Thema anders an: Sie denken in ganzheitlichen urbanen Lösungen von der nutzerspezifischen Mobilitätsanalyse über die Bereitstellung bedarfsgerechter Politik und Verwaltung Mobilität bis hin zur Auswertung der Umwelt und Klima im Fahrzeug gewonnenen Daten (z. B. innerstädtische Stauprognosen, realtime informationsgestützte Bildung Intermodalkon- zepte etc.). Hier verfolgt man bereits den Transport und Logistik Katastrophenschutz etwas weiter gefassten Gedanken, die Gesundheit Mobilität in den Städten nachhaltig und ganzheitlich zu betrachten. Service und DL Energie -/Ressourcen-Infrastruktur … Welche Betrachtungsweise ist nun aus Kundensicht die interessanteste? Wichtig für den Erfolg eines Geschäftsmodells ist erwarten sind, und dass nun die Basi- gehenden Betrachtung von Kommunen bzw. urbanen schließlich die Befriedigung der Kunden- sinnovation der Informationstechnik als Räumen. Die althergebrachte Sichtweise von Commo- bedürfnisse – und nicht das, was man Grundlage für weitere Zyklen dient. Im dity-Verkauf und Commodity-nahen Dienstleistungen selbst als Unternehmen als vermeintlich sechsten Zyklus steht dabei die Lebens- hat dabei ausgedient. Vielmehr sollte die Sicht auf die gutes eigenes Produkt wahrnimmt! qualität im Vordergrund. Herausforderungen im urbanen Raum gelegt werden. Aber warum denken viele Energiever- Vor diesem Hintergrund wird auch klar, Als ein Beispiel sei hier das bei Energieversorgern be- sorger nicht in diese Richtung? Dies ist dass die zur Zeit zu beobachtenden und liebte Thema der Elektromobilität genannt. Als Ge- sicherlich der Situation geschuldet, dass stattfindenden Entwicklungen der „grü- schäftsmodell der Zukunft wird heute (neben den man bisher als ganzheitlich integrierter Dienstleister für das Thema Energie über- nen Energie“ die (z. T. schon bestehende) Technik als Basis nutzen. Die immer wieder diskutierte Verknüpfung zwischen Energie- und Informations- und Kommunikationsthemen unterstreicht diese Sichtweise. Die technischen Voraussetzungen sind da, der sechste Zyklus kann beginnen und einen ähnlichen Umbruch markieren wie die vorhergehenden Zyklen auch. Treiber des gesamten Prozesses sind die Bedürfnisse der Kunden und damit auch der Gesellschaft und die findige Bedienung dieser Bedürfnisse durch Unternehmen, die diese Chance verstanden haben. Aber auch wenn man die Kommunen nicht in der Umsetzung von alternativen unterstützen Die Ökostadt Masdar City wird zurzeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten errichtet. Hier sollen später auf sechs Quadratkilometern knapp 50.000 Menschen wohnen und arbeiten. Die Stadt soll sich rein aus erneuerbaren Energien versorgen. Müll und Wasser werden wiederverwendet und kann oder möchte, liegen die Chancen und gleichzeitig auch die Herausforderungen für die Energieversorger in der weiter- all und immer „gesetzt“ war. Mit einer immer weiter voranschreitenden Vernetzung der Themen wird das Thema Energie/ Commodity zukünftig immer weniger losgelöst zu betrachten sein. Und damit wird sich auch die integrierte Sichtweise der Unternehmen auflösen (Abb. 2). es soll keine fossil betriebenen Fahrzeuge geben. Verglichen mit heute soll der Energieaufwand pro Kopf auf 25 Prozent sinken. Da es zu erheblichen Bauverzögerungen gekommen ist, verzögert sich die Fertigstellung von Masdar City um mindestens vier Jahre auf 2020. Innovation City Bottrop Im Süden der Ruhrgebietsstadt Bottrop – hier lebt etwa die Urbane Räume als Dreh- und Angelpunkt Energiekonzepten Masdar City Hälfte der insgesamt 120.000 Einwohner – soll der Energiebedarf bis 2020 halbiert werden. Geplant sind unter anderen die energetische Sanierung von Häusern, die intelligente Steuerung von Strom- und Wärmenutzung sowie die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen und ein UntertagePumpspeicherkraftwerk. Nur wenige zukünftige Themen werden aus einer Hand kommen – diese Kompetenz haben die wenigsten Unternehmen und ein eigener Aufbau (einer vermeintlich) allumfassenden Kompetenz ist auch schädlich. Der Erfolg im zukünftigen Geschäft wird sich vielmehr daran festmachen lassen, inwieweit die Kundenbedürfnisse unter Zuhilfenahme von Partnern und Dienstleistern schnell befriedigt werden können. Die Betrachtung der ganzheitlichen Kundenbedürfnisse wird damit zur dau- HEFT 3| 12 MARKETING & VERTRIEB erhaften Kernaufgabe der Energieversor- sammenhang, lassen sich folgende maßgebliche Treiber bis zu 500.000 Kombinationen für ein ger gehören müssen! feststellen, an denen sich die verschiedenen Themen Auto möglich – von der Beschriftung der Zukunft ausrichten lassen: am Heck bis hin zur Farbauswahl der einzelnen Pedale; Weitere Treiber und Bedürfnisse aus dem urbanen Umfeld können dabei sein: Commodity-Geschäft ! Betrachtung der Umwelt und des Kli- Das Geschäft mit der Commodity wird auch weiter das destens auch die individuelle Nut- mas in den Städten und Regionen zur Geschäftsfeld mit den mittelfristig noch höchsten Ergeb- zung selbst bestimmter lokaler Erzeu- Steigerung der Lebensqualität (vom nisbeiträgen bleiben. Hierzu gehören neben der Stan- gungskapazitäten, die sich der Kunde Wohlstand zum Wohlgefühl); dardbelieferung mit Strom und Gas auch Commodity- aussucht oder bereitstellt. ! Stromversorgung: in der Zukunft min- ! die Bevorzugung von urbanen und nahe Dienstleistungen. Jedoch sollte man sich hierbei regionalen Produkten (gilt sowohl für vor Augen führen, dass heute alle Energieversorger mehr Effizienz Lebensmittel als auch für Energie); oder weniger das gleiche Produkt anbieten. Bei einem Auch der Begriff der Effizienz muss erst ! der bewusste Umgang mit den Roh- Ökostromprodukt von einem Alleinstellungsmerkmal einmal weiter gefasst werden, um aktu- stoffen der Natur und der schonende oder von einer signifikanten Differenzierung zu spre- elle gesellschaftliche Entwicklungen zu Einsatz derselben; chen, ist daher falsch. verstehen und weiterzudenken. Einen ! eine neue Mobilität in den Städten Vorschub in Sachen Effizienz erfahren verstehen und nutzen (Eco-Mobilität, Vor diesem Hintergrund ist ein Halten oder gar Steigern wir immer dann, wenn Zeitaufwand Shared Space etc.). der Kundenzahlen und die Erreichung eines angemes- und Kosten sich in eine Richtung bewe- senen Ergebnisbeitrages maßgeblich von der eigenen gen, die für Kunden nicht mehr tragbar Der Blick Richtung Masdar City in den internen Leistung abhängig. Das Commodity-Geschäft ist. Bei den Energiekosten findet dieses Vereinigten Arabischen Emiraten ist si- wird es weiter geben, jedoch wird es in Zukunft immer Umdenken schon statt. Eine großange- cherlich etwas weit gegriffen und die größere Anstrengungen benötigen, um kontinuierlich legte Sanierungswelle im Altbaubestand Voraussetzungen sind dort auch andere Geld zu verdienen. Das heißt, im Bereich der Commo- ist zwar momentan noch nicht zu erwar- als in Deutschland. Was man aber aus dity wachsen können nur Unternehmen, die ihre eige- ten, eine individuelle „Betrachtung“ der diesem Projekt lernen kann und soll, ist ne Leistung ständig hinterfragen und alle Prozesse des eigenen Energieverbräuche gehört je- die vernetzte Herangehensweise zur Errei- Unternehmens kontinuierlich effizienter gestalten. Das doch heute schon in den meisten Haus- chung des Ziels. Dort wurde erkannt, dass fängt beim Vertrieb an und hört bei der Abrechnung halten zum ganz normalen Verhalten. Energie nie losgelöst und allein betrachtet auf. Dazu gehört auch die unbedingte Bereitschaft zu Hierbei ist die Sensibilität in erster Li- werden kann. Natürlich wurde dort eine harten Einschnitten und Outsourcing von Themen, wie nie bei den Heizkosten vorhanden. Das Stadt auf der „grünen Wiese“ – oder bes- IT und Abrechnung, an Spezialisten. heißt, es werden in Baumärkten elektronische Thermostatsteuerungen gekauft, ser mitten im Sand – geplant. Aber die urbanen Herausforderungen in heutigen, Dezentralität und Individualisierung die eine Anpassung der Heizleistung an etablierten Städten sind meist die gleichen Unter Dezentralität wird oftmals direkt die regenera- die Gewohnheiten der Bewohner ermög- – nur auf einem anderen Niveau. Genau tive und dezentrale Erzeugung verstanden. Man kann lichen. Wenn man so will – ein erster das führt jedoch wieder zu verschiedenen allerdings noch einen Schritt weiter gehen. Guckt man Schritt ins „Smart Home“. Lösungen unabhängig von der Größe der sich das Verhalten der Gesellschaft an, kann man fest- Stadt und unabhängig von der Größe des stellen, dass viele angebotene Produkte das Leben im- Eine interessante Entwicklung ist aller- Energieversorgers. Und wenn man genau- mer individueller gestalten lassen. Die fortschreitende dings auf industrieller und gewerblicher er hinschaut, gibt es bereits in Deutsch- Transparenz ermöglicht weitergehende Möglichkeiten. Ebene zu beobachten. Die Energiekos- land erste „ähnliche Projekte“ (z. B. In- Die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass die individu- ten werden immer stärker zum Wettbe- novation City Bottrop), die bisher aber elle Befriedigung der Bedürfnisse des Kunden oberste werbs- und zum Imagefaktor. Neben der eher belächelt und nur unzureichend un- Priorität hat: Etablierung von Energiemanagement- terstützt werden. Aber auch Amsterdam ! Reisebuchungen: früher als Pauschalreise im Paket systemen werden auch die eigenen Fir- und Kopenhagen zeigen hier schon eine gebucht, heute über verschiedenste Anbieter völlig men- und Bürogebäude immer effizien- Vielzahl an guten Ideen auf dem Weg zu individuell unter Einbeziehung dezentraler Angebote ter ausgelegt. Dieser Trend zur Effizienz einer smarten City. am Reiseort zusammenstellbar; wird sich auch in den nächsten Jahren ! Fotografie: die Digitalisierung hat dazu geführt, dass weiter fortsetzen und auch durch die Treiber der Energiewelt von morgen Fotos jederzeit und in jedem Drogeriemarkt oder von der EU geforderte Effizienzrichtlinie Beschäftigt man sich weitergehend mit sogar zu Hause sofort bearbeitet und ausgedruckt in allen Bereichen weiter verstärken. den Trends und Bedürfnissen der Kun- werden können („Polaroid reloaded“); den und führt die Ergebnisse in einen ! Autokauf: hier ist eine ganz besondere Individua- Der ganze urbane Raum wird einer „Ef- für die Energiewirtschaft relevanten Zu- lisierung festzustellen. Bei einigen Herstellern sind fizienzüberprüfung“ unterzogen. Und HEFT 3| 12 43 MARKETING & VERTRIEB 44 kann für eine Vielzahl von weiteren Ideen und Modellen kontinuierliche interne Verbesserungs- marktreifen Ideen: genutzt werden (z. B. für innerstädtische Stausysteme). prozesse, Kostensenkung und günstige ! „kalte Nahwärmekonzepte“ auf Basis Auch hier ist der Profiteur der Kunde, dessen Bedürf- Beschaffung möglich (wie in manchen verschiedener regenerativer Energien, nisse nach Pünktlichkeit und Planbarkeit zur Erfüllung klassischen z. B. auch Wärme aus Abwasser, eines effizienten Tagesplans befriedigt werden. z. B. der Lebensmittelbranche). Gleich- bereits heute gibt es eine Vielzahl von ! Wärmepumpentechnologie für ganze Einzelhandelsbranchen, zeitig sind die Kunden immer besser Für die Energiewirtschaft lassen sich ebenfalls Ideen ent- informiert und können damit Entschei- wickeln, die die Vernetzung als Basis haben. Die heu- dungen einfacher treffen. Es ist eine te geführte Diskussion um Smart Meter und mögliche vollkommene Transparenz des Marktes lienhäuser, Datenstrecken ist dabei völlig fehlgeleitet und nur die vorhanden. Zudem muss bedacht wer- Kälte-Versorgung, abgeschottete Sicht der Energiewirtschaft auf die eige- den, dass Versorger das Kundenbedürf- moderne Intermodalkonzepte, nen Kernkompetenzen. Auch hier wird die Vernetzung nis bisher nur auf den Energiebedarf fo- Abfallmanagement, Einzug halten, denn die Smart Meter werden auf jeden kussieren – eine Fehleinschätzung der bedarfsgerechte Straßenbeleuchtung. Fall kommen. Eine übergreifende Entwicklung von Ge- eigenen, relevanten EVU-Kompetenzen schäftsmodellen wird möglich und notwendig sein. ist damit meist vorprogrammiert. nur in Bezug auf Energie festzustellen, So wird es in naher Zukunft vielleicht schon effizien- Im Zusammenhang mit den sich ver- sondern auch in anderen Bereichen (IT, tere dezentrale und regenerative Erzeugungsanlagen ändernden Kundenbedürfnissen muss Telekommunikation etc.). Diese Fort- geben, sodass die „Besitzer“ ihre Überschüsse ver- hinterfragt werden, welchen Nutzen schritte bieten einen idealen Nährboden markten oder mit anderen teilen wollen. Aber warum die EVU künftig für ihre Kunden er- für immer wieder neue und erweiterte geht man immer davon aus, dass diese überschüssige bringen können. Die Bedürfnisse sind Geschäftsmodelle in der Energiewirt- Energie auf einem Marktplatz verkauft werden soll? vernetzt und lassen sich, wie bereits schaft, aber auch für andere branchen- Was wäre, wenn es beispielsweise ein altruistisches erwähnt, nicht mehr nur auf die reine fremde und neue Unternehmen. Netzwerk geben würde, in dem man die Energie an- Commodity zurückführen. Dabei sind deren zur Verfügung stellen kann und bei Bedarf selbst Individualität, Transparenz und Nach- Das Thema der Effizienz wird ein weite- Energie von anderen beziehen kann? Dieser Peer-to- haltigkeit als Grundanforderung zu rer zentraler Treiber in der zukünftigen Peer-Energy-Gedanke kommt dem Gedankengut der verstehen. Die Commodities Strom und Entwicklung sein. Vor diesem Hinter- damaligen Musiktauschbörse Napster schon sehr nahe Gas werden zunehmend nur Teil eines grund ist auch hier die ganzheitliche und wird durch die starke Vernetzung noch eher mög- größeren Pakets sein. Die Befriedigung Betrachtung der Effizienzentwicklungen lich sein. Das sogenannte „Sharing“ von Gütern und ganzheitlicher Kundenbedürfnisse sind für die lokalen und regionalen Energie- Dienstleistungen ist in der heutigen Gesellschaft ein für ein lokales oder regionales Energie- versorger von entscheidender Bedeu- schnell wachsender Trend. Das Car-Sharing mit bereits versorgungsunternehmen ohne Partner tung, um eigene und auch neue Ge- mehreren Hunderttausend Nutzern in Deutschland ist allerdings nicht realistisch. Eine Zu- schäftsmodelle zu entwickeln. ein gutes Beispiel. sammenarbeit von Energieexperten wie Vernetzung Aber auch wenn man diese Ideen als groben Unfug für die neuen Herausforderungen wird Das vielfach zitierte „Internet der Din- oder ferne Zukunft klassifiziert, sollte jedes Energie- zum entscheidenden Wettbewerbsvor- ge“ wird auch weiterhin zu einer immer versorgungsunternehmen sich fragen, was es für das teil in der Zukunft führen. weitreichenderen Vernetzung von Men- eigene Geschäftsmodell heißt, wenn jemand die Ener- schen, Geräten und Produkten führen. gieversorgung an ihnen vorbei organisiert. Stadtviertel, ! Nutzung Stadt- und Häuserwinde, ! Solarthermie – nicht nur für Einfami! ! ! ! Der Drang zur Effizienz ist aber nicht den Energieversorgern mit Spezialisten immer interessantere Geschäftsmodelle Eine weitere, anhaltende und wichtige Entwicklung ist, dass neue Player in Mithilfe dieser Vernetzung lassen sich Fortbestand des klassischen EVU den klassischen Markt der Energieversorger drängen. Damit sind Energiethe- entwickeln, die für die Kunden einen Das klassische EVU wird fortbestehen und das immer men kein „Hexenwerk“ mehr und nicht wieder angesprochene Stadtwerkesterben wird es in mehr nur von Spezialisten zu bedienen. Beispielsweise existieren bereits Model- den nächsten Jahren nicht geben. Dennoch sollte man Aufbrechende le, die auf Basis aus- und zusteigender sich über einige Aspekte im Klaren sein. So wird es das ermöglichen auch in der Zukunft eine Personen an den einzelnen U-Bahn-Stati- klassische Commodity-Geschäft zwar auch in Zukunft Vielzahl von Angriffspunkten. Auch Un- onen dynamische Fahrplan- und Verspä- geben. Allerdings agieren in diesem Geschäftsfeld ternehmen der erneuerbaren Energien tungsinformationen entwickeln. Dieses alle Unternehmen gleich und alle verkaufen die glei- drängen immer stärker in Richtung End- passive Crowdsourcing über Mobilfunk chen Produkte. Die Unterscheidung erfolgt nur über kunde und erweitern so ihr ursprüngli- ohne einzelne Aktivität des Individuums Preisdifferenzierung. Wachstum ist damit nur über ches Geschäft. speziellen Nutzen darstellen. Wertschöpfungsketten HEFT 3| 12 Handlungsmöglichkeiten ! Nach Partnern und guten Ideen Ausschau halten und Klassische Energieversorgungsunterneh- Kooperationen schmieden. Die komplexen Anforde- men haben auch in der Zukunft eine rungen können oft nur Kooperationen von Spezialis- Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten. ten meistern. Neue Geschäftsmodelle entstehen gera- Natürlich kann das klassische Geschäft de. Diese sind zurzeit unsicher, aber nur jetzt kann weiter wie bisher profitabel betrieben man sich kostengünstig positionieren. Das Risiko einer Fehlinvestition besteht, ist aber Unternehmertum. werden – jedoch sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden: ! Das „Abwarten“ auf den ersten Schritt eines Wettbe- ! Kontinuierlichen Verbesserungspro- werbers, um dann zu folgen, ist der falsche Ansatz, zess einleiten (niemals ausruhen) – wenn man sich in dem schnell verändernden Markt in anderen Branchen ist dies schon positionieren und etablieren will. Das heißt auch nicht, lange üblich, aber für die Energie- dass man immer große Investitionen tätigen muss. wirtschaft ist es (über alle Wertschöpfungsstufen) Neuland. Die Energieversorgungsunternehmen werden in ihrem ! Nur durch Verwaltung des bestehenden bisherigen Kerngeschäft schrumpfen. Weiter sinkende Geschäftsmodells und Senkung von Kos- Margen, rückläufige Mengen bei hohen nicht einfach ten ist kein Wachstum möglich. zu verändernden Kostenstrukturen machen das Ge- ! Neue Bedürfnisse, Trends und Ideen werden von Wettbewerbern entwi- schäft aber nicht unprofitabel. Sie erfordern jedoch große Anstrengungen und Einschnitte. ckelt und führen zu einer kontinuierlichen Reduzierung des eigenen Will man sich als Unternehmen weiterentwickeln Geschäfts und werden die Konkur- und auch andere Geschäftsmodelle durchdenken, so renzsituation in allen Belangen bele- gibt es rund um die oben dargestellten Treiber eine ben. Eine aktive Mitgestaltung sollte Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten für die Unter- daher das Gebot der Stunde sein. nehmen. Insbesondere, wenn man diese Treiber auf ! Die Kundenbedürfnisse sind kontinu- den gesamten urbanen Raum bezieht, ergeben sich ierlich, auch über die Energiethemen dort eine Vielzahl von zukünftigen Fragestellungen, hinaus zu hinterfragen (nicht abzufra- die gelöst werden wollen. Jedes Unternehmen sollte gen) und zu entwickeln. Dabei sind sich daher mit der Frage beschäftigen, wie sich die auch branchenfremde Geschäftsmodel- regional anstehenden Probleme und Herausforderun- le und Möglichkeiten anzudenken, um gen zukünftig gemeinsam mit anderen Partnern lösen zumindest einen möglichen Einfluss lassen. Dieser „neue Markt“ für die Energieversorger auf das Kerngeschäft abzuleiten. bedeutet aber zudem den Umgang mit Risiken und ! Der urbane Raum sollte als Betäti- möglichen Fehlinvestitionen. Auch in den Unterneh- gungsfeld der Zukunft zu verstehen men muss somit zwingend eine „Wende“ stattfinden. sein. Politik ist dabei nicht das ge- Aber nur so werden Energieversorger auch in Zu- staltende Element, sondern als „zu kunft eine wesentliche Rolle in der urbanen Versor- gestaltendes Element“ zu verstehen. gung spielen. zur Person Michael Prinz Dr. Roman Dudenhausen • Jahrgang 1972 • Jahrgang 1969 • Studium der Elektrotechnik und des Wirtschaftsingenieurwesens • seit 2001 con|energy ag • Studium der Betriebswirtschaftslehre in Essen und Toronto mit anschließender Promotion • 1996 Gründung der con|energy ag und Vorstand des Unternehmens • seit 2009 Geschäftsführer der con|energy unternehmensberatung HEFT 3| 12 D;H=?;M;D:;Þ 78;HÞH?9>J?= :;D7D;H=?;;<<?P?;DP AED=H;IIÞÖÔÕÖ ÕÜÞKD:ÞÕÝÞ);FJ;C8;HÞÖÔÕÖ EJ;BÞDJ;HEDJ?D;DJ7BÞ;HB?D *>;C;DÞD<EIÞDC;B:KD= MMM:;D7AED=H;II:;