Leben am Siedepunkt - Institut für Allgemeine Mikrobiologie

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Leben am
Siedepunkt
Manche Mikroben vermehren sich bei Temperaturen,
mit denen man normalerweise Keime abtötet. Kieler
Mikrobiologen analysieren die Besonderheiten.
Hyperthermophil – mit diesem
Adjektiv beschreiben Wissenschaftler das
Unvorstellbare: Leben in siedendem Wasser.
Normalerweise kocht man Lösungen ab, um
sie keimfrei zu machen. Hyperthermophile
Mikroben wie Pyrococcus oder Methanopyrus hingegen brauchen Temperaturen von
100 Grad Celsius und mehr, um optimal zu
gedeihen. Sie sind so gut an hohe Temperaturen angepasst, dass sie bei 60 bis 80 Grad in
eine Art »Kältestarre« fallen. Ihre ursprünglichen Lebensräume sind vulkanisch geprägte
Zonen wie Geysire oder Sulfatarenfelder (heiße Oberflächengewässer mit Schwefel, siehe
Foto). Auch aktive Unterwasservulkane und
Hochdruck-Heißwasserkamine der Tiefsee,
so genannte »Schwarze Raucher«, sind ihr
Revier.
Für Wissenschaftler wie Professor Peter
Schönheit vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie sind die Hochtemperatur-Lebewesen
vor allem deshalb interessant, weil sie sehr
ursprüngliche Organismen sind. Die meisten
von ihnen gehören zu den Archaebakterien
(Archaea). Archaeen sind wie normale Bakterien Prokaryoten, also Organismen ohne
echten Zellkern. Sie unterscheiden sich aber
entwicklungsgeschichtlich und in vielen
Eigenschaften voneinander. Im Stammbaum
der Organismen bilden die Archaea neben
den Eukaryoten (Pilzen, Pflanzen, Tieren,
Menschen) und den Bacteria (den normalen
Bakterien) die dritte Domäne des Lebens.
Die Archaeen sind an extreme Lebensräume
angepasst. Besonders spektakulär sind diejenigen, die in sehr heißen Lebensräumen
existieren. Andere wachsen in sehr saurem
Milieu (Acidophile) oder bei hohem Salzgehalt
(Halophile).
Unser Leben ist vermutlich unter Bedingungen entstanden, wie sie heute noch in den
Lebensräumen der hyperthermophilen Mikroben vorherrschen. Möglicherweise standen
diese Organismen am Anfang allen Lebens
auf unserem Planeten. »Sie zu untersuchen
kann uns Hinweise geben auf die Evolution
von Stoffwechselwegen und deren Enzyme«,
erklärt Schönheit. »Am Beispiel der Glykolyse,
einem zentralen Stoffwechselweg zum Abbau
von Zucker, suchen wir nach Besonderheiten
im Stoffwechsel dieser hyperthermophilen
Organismen. Dabei haben wir chemische
Reaktionen entdeckt, die man bisher noch
nicht kannte, und verschiedene neuartige
Enzyme charakterisiert, die diese Reaktionen
ablaufen lassen.«
Zu den Verdiensten der Kieler Arbeitsgruppe
um Professor Schönheit zählt die erstmalige Beschreibung eines völlig neuartigen
Typs der Phosphoglukose-Isomerase. Dieses Enzym im Zuckerstoffwechsel steuert
den Umbau von Glukose (Traubenzucker) zu
Fruktose (Fruchtzucker), ein Vorgang, den es
auch in unserem Stoffwechsel gibt. Die neu
entdeckte Phosphoglukose-Isomerase unterscheidet sich jedoch im Aufbau und der räum-
lichen Struktur grundsätzlich von der bisher
bekannten. Schönheit: »Auf diesem Globus ist
das Enzym zweimal erfunden worden. Alle
Eukaryoten sowie die ›normalen‹ Bakterien
haben den einen Typ von Isomerase, während
ein Großteil der Archaea den von uns neu
entdeckten Typ haben.«
Darüber hinaus ergründen Schönheit und seine Mitarbeiter die Frage, was die Enzyme hitzebeständig macht; sie erforschen sozusagen
die molekularen Ursachen der Thermostabilität. Normalerweise werden Proteine (Enzyme sind Proteine, also Eiweißverbindungen)
bei Temperaturen zwischen 40 und 50 Grad
Celsius denaturiert, das heißt, sie werden
unbrauchbar. »Viele Proteine aus hyperthermophilen Organismen können dagegen bei
100 Grad Celsius drei Stunden gekocht werden, und sie sind anschließend immer noch
voll aktiv«, erklärt der Kieler Mikrobiologe.
Das macht sie attraktiv für die Anwendung in
der Biotechnologie, zum Beispiel als fettlösender Waschmittelzusatz. Einen allgemeinen
Bauplan für hitzestabile Eiweißverbindungen
gibt es nicht. Schönheit: »Es sind viele kleine
Änderungen in der Struktur, die den Unterschied zwischen hitzestabilen und hitzeempfindlichen Proteinen ausmachen.«
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