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Informationen für Ärztinnen, Ärzte und medizinische Fachberufe
Spritzenabszess in einer
orthopädischen Gemeinschaftspraxis
Kann durch die sachgerechte Organisation und Koordinierung
des Behandlungsgeschehens das hygienische Behandlungsrisiko
objektiv voll beherrscht werden, kommt der Rechtsgedanke der
Beweislastumkehr zum Tragen, wonach die Darlegungs- und Beweislast für Verschuldensfreiheit bei der Behandlungsseite liegt.
Einleitung
Die Einhaltung der Grundsätze der Hygiene und die Durchführung darauf aufbauender allgemeiner und spezifischer
Maßnahmen gehören zu den elementaren Bestandteilen der
modernen Medizin und Pflege. Hygienemaßnahmen sind
darauf ausgerichtet, das Risiko zu minimieren, sich während
eines Aufenthalts in einer Gesundheitseinrichtung eine Infektion zuzuziehen. Die sach- und fachgerechte Durchführung
von Hygienemaßnahmen gehört deshalb zu dem Pflichtenheft, dessen Einhaltung ein Patient von dem medizinischen
Personal regelmäßig erwarten kann. Schadensereignisse aus
dem Bereich der Hygiene können, sofern sie in unmittelbarem
Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung stehen, zu
Beweiserleichterungen zugunsten der klagenden Seite führen.
Denn die Einhaltung der Hygienestandards wird regelmäßig
zu den betrieblichen Risiken gezählt, die von den Ärzten und
ihrem Hilfspersonal voll zu beherrschen sind. Der Bundesgerichtshof hatte über einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem
die Infektion des Patienten auf ein keiminfiziertes Mitglied des
ambulanten OP-Teams zurückzuführen gewesen ist (BGH in
RDG 2007, S. 148 – Az.: VI ZR 158/06).
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz materieller und
immaterieller Schäden wegen eines Spritzenabszesses in
Anspruch. Im Juni 1999 begab sie sich in eine orthopädische
Gemeinschaftspraxis, deren Inhaber zwei der beklagten Ärzte
sind. Zwei andere – gleichfalls beklagte Orthopäden – waren zu dieser Zeit dort als Vertretungsärzte tätig. Einer der
Praxisinhaber setzte der Klägerin am 9. und 11. Juni 1999, der
andere Praxisinhaber am 15. Juni 1999 jeweils eine Spritze im
Nackenbereich.
In der Folgezeit entwickelte sich ein Spritzenabszess, der eine
zweiwöchige stationäre Behandlung der Klägerin erforderlich
machte. Die klagende Patientin, die Leiterin eines CateringBetriebes war und diese Tätigkeit zunächst wieder aufnahm,
hat geltend gemacht, sie leide aufgrund des Spritzenabszesses
an anhaltenden Schmerzen, Schlafstörungen und Depressivität
und sei deshalb arbeitsunfähig. Der Spritzenabszess beruht auf
einer Staphylokokkeninfektion. Ausgangsträgerin der Keime
war eine von den beiden Vertragsärzten angestellte Arzthelferin, die seinerzeit an Heuschnupfen litt und bei der Verabreichung der Spritzen assistierte. Gleichartige Infektionen traten
zeitnah bei anderen Patienten in der Praxis auf, die ersten
Fälle am 2., 8. und 10. Juni 1999. Das von den Vertragsärzten
Mitte Juni 1999 eingeschaltete Gesundheitsamt beanstandete
die Hygieneprophylaxe in der Praxis.
Das Landgericht Bad Kreuznach hat der Klägerin ein Schmerzensgeld von 25 000 € zuerkannt, die bezifferten Schadensersatzansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt
und dem Feststellungsbegehren hinsichtlich der Ansprüche auf
Ersatz des materiellen Schadens entsprochen. Die Berufung
der Beklagten hatte vor dem OLG Koblenz keinen Erfolg. Mit
der Revision verfolgen alle vier beklagten Ärzte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidung
Die Revision ist nicht begründet. Im vorliegenden Fall steht
es außer Frage, dass es zu dem infektiösen Geschehen kam,
weil die Arzthelferin Trägerin des Bakteriums Staphylococcus
aureus war und dieses Bakterium – auf welchem Weg auch
immer – mittels einer Injektion auf die Klägerin übertragen
werden konnte. Damit steht fest, dass das verwirklichte Risiko
aus einem Bereich stammt, dessen Gefahren ärztlicherseits objektiv voll ausgeschlossen werden können und müssen. Kann
durch die sachgerechte Organisation und Koordinierung des
Behandlungsgeschehens das Behandlungsrisiko objektiv voll
beherrscht werden, kommt der Rechtsgedanke des § 282 BGB
a. F. (nunmehr § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) zum Tragen, wonach
die Darlegungs- und Beweislast für Verschuldensfreiheit bei
der Behandlungsseite liegt.
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Es ist daher Sache der Behandlungsseite, sich für fehlendes
Verschulden zu entlasten. Diesen Entlastungsbeweis hat das
Berufungsgericht vorliegend rechtsfehlerfrei als nicht geführt
angesehen. Steht fest, dass die Infektion aus einem hygienisch
beherrschbaren Bereich hervorgegangen sein muss, so hat der
Krankenhausträger bzw. der Arzt für die Folgen der Infektion
sowohl vertraglich als auch deliktisch einzustehen – es sei
denn, er vermag zu beweisen, dass ihn an der Nichtbeachtung der Hygieneerfordernisse kein Verschulden trifft, er also
darlegen kann, dass alle organisatorischen und technischen
Vorkehrungen gegen von dem Personal der Klinik oder der
Arztpraxis ausgehende vermeidbare Keimübertragungen
getroffen waren.
Auf Grundlage der Ermittlungen des Gesundheitsamts hat das
Berufungsgericht festgestellt, dass in der Arztpraxis elementare Hygienegebote missachtet wurden. Das Hygieneverhalten
der Arzthelferinnen ist nicht in erforderlichem Umfang durch
die Ärzte vermittelt und überprüft worden. Desinfektionsmittel
wurden nicht in ihren Originalbehältnissen aufbewahrt, sondern umgefüllt; zwei von vier überprüften Alkoholen waren
verkeimt; Durchstechflaschen mit Injektionssubstanzen fanden
über mehrere Tage hinweg Verwendung; Flächendesinfektionsmittel mit einer langen Einwirkungszeit wurden fehlerhaft
zur Hautdesinfektion eingesetzt. Auch war es nicht üblich,
dass Arzthelferinnen vor dem Aufziehen einer Spritze ihre
Hände desinfizierten; Arbeitsflächen wurden zudem nur einmal wöchentlich desinfiziert.
Beispiele für Mängel im Bereich der
Hygiene, die regelmäßig gegen einen
Entlastungsnachweis sprechen
• Erforderliches Hygieneverhalten des Personals wird nicht oder nur ungenügend vermittelt und überprüft.
• Keine Händedesinfektion vor Verabreichung von Spritzen.
• Desinfektionsmittel werden nicht in Originalbehältnissen aufbewahrt, sondern umgefüllt.
• Flächendesinfektionsmittel wird als Hautdesinfektionsmittel verwendet.
• Arbeitsflächen werden nicht oder nur wöchentlich desinfiziert.
• Durchstechflaschen mit Injektionssubstanzen bleiben zu lange in Verwendung.
• Desinfektionsmittelspender sind ungeeignet.
• Schriftlich fixierte Hygienepläne sind nicht vorhanden.
• Einwirkzeiten werden nicht berücksichtigt.
Autor
Rechtsanwalt Prof. Dr. jur. Volker Großkopf, Rechtsanwälte
GROSSKOPF + KLEIN, Köln
Unser Tipp
Bei dieser Sachlage ist die Beurteilung des Berufungsgerichts,
dass der den Beklagten obliegende Entlastungsbeweis angesichts der festgestellten gravierenden Hygienemängel nicht geführt sei, aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
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Fazit
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Sachverhalte, wichtige Urteile und Entscheidungen allgemeinverständlich und damit insbesondere für Nichtjuristen
aufzubereiten.
Das bloße Auftreten einer Infektion, die in engem zeitlichen
Zusammenhang mit einer Behandlung steht – eine sogenannte nosokomiale Infektion – stellt für sich alleine noch
kein pflichtwidriges Versäumnis im Bereich der Hygiene dar.
Besteht jedoch wahrend eines Behandlungsgeschehens eine
Infektionsgefahr, deren Quelle objektiv beherrschbar ist,
kommt eine Umkehr der Beweislast für den Nachweis des
fehler- und verschuldenfreien Handelns der Behandlungsseite
in Betracht. So auch im beschriebenen Fall der mit Staphylokokken infizierten Arzthelferin, die bei der Verabreichung von
Spritzen assistierte. Insofern wäre das Risiko der Keimübertragung durch organisatorische Maßnahmen voll zu beherrschen
gewesen. Die beklagten Vertragsarzte, zugleich Inhaber der
Arztpraxis, waren somit aufgefordert zu beweisen, dass die
Nichtbeachtung der Hygieneerfordernisse nicht auf ihr schuldhaftes Fehlverhalten zurückzuführen ist, sie also alle organisatorischen und technischen Vorkehrungen zur Vermeidung
von personalbedingten Keimübertragungen getroffen hatten.
Da dieser Entlastungsnachweis nicht erbracht werden konnte,
war die Haftung nicht zu vermeiden.
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