Printausgabe vom 04.10.13

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Der menschliche Einfluss auf das Klima ist eindeutig
Die Erderwärmung nimmt zu,
Politiker müssen handeln
aber auch jedes Einzelnen. Die dazu
verwendeten Szenarien bilden mögli­
che «Geschichten über die Zukunft»
ab (Prof. Dr. Reto Knutti, Mitautor
des Berichts). Sie reichen von drasti­
schen Emissionsreduktionen über
eine Stabilisierung bis zu weiterem
Emissionswachstum.
Aus diesen grossen Unterschieden
in den angenommenen menschlichen
Aktivitäten resultieren auch grosse
Unterschiede im weiteren Tempera­
turanstieg von 1 bis 3,7 Grad bis Ende
Jahrhundert, wobei die seit der In­
dustrialisierung bereits erfolgte Er­
wärmung von zirka 0,85 Grad noch
dazukommt.
von Franziska Siegrist*
D
ie Klimaproblematik bleibt
wichtigste Herausforderung und darf
nicht kleingeredet werden.» Mit
­diesen Worten rief Nationalrats­
präsidentin Maya Graf im Eröff­
nungsreferat zur Tagung «IPCC
­K limaänderung 2013. Wissenschaft­
liche Grundlagen» zum Handeln auf.
ProClim von der Akademie der
­Naturwissenschaften, die Universität
Bern und das Bundesamt für Umwelt
hatten am ­vergangenen Montag in
Bern zu dieser Tagung geladen, um
die wissenschaftlichen Erkenntnisse
des aktuellsten Klimaberichts des In­
tergovernmental Panel on Climate
Change (IPCC) der Schweizer Öffent­
lichkeit vorzustellen und um den
­Dialog zwischen Wissenschaft, Wirt­
schaft und Gesellschaft zu fördern.
Bereits vor einer Woche wurde in
Stockholm die 36-seitige «Zusam­
menfassung für politische Entschei­
dungsträger» dieses fünften
Sachstands­berichts vorgestellt. Seit
dem letzten Bericht 2007 haben sich
die Aussagen zwar nicht grundlegend
geändert. Diese sind nun aber deut­
lich besser abgesichert dank robuste­
rer Modelle, grösserer Datenmengen
und Verbesserung der Datenqualität,
insbesondere im Bereich der Satelli­
tendaten.
CO2 -Werte markant gestiegen
Hinter folgenden Kernaussagen dieser
Zusammenfassung stehen sowohl die
mehreren Hundert Wissenschaftler,
die am Bericht mitgearbeitet haben,
als auch – und das ist bemerkenswert
– die Vertretungen aller 195 beteilig­
ten Staaten: Die ­Erwärmung des Kli­
masystems ist eindeutig. Atmosphäre
und Ozeane werden wärmer, Schneeund Eisbedeckung nehmen ab, der
Meeresspiegel steigt. Die Konzentrati­
on der Treibhausgase Kohlendioxid
(CO2), Methan und Stickoxide in der
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CO2-Budget fast aufgebraucht
Auf dünnem Eis: Klimamessungen beim Pastoruri-Gletscher in Peru, der in den
vergangenen 30 Jahren um ein Fünftel geschrumpft ist. Foto: Reuters
Atmosphäre ist höher als jemals in
den letzten 800 000 Jahren. Die CO2 Werte haben sich vor allem durch fos­
sile Energien und teilweise auch durch
Landnutzungsänderungen (Abhol­
zung) seit Beginn der Industrialisie­
rung um 40 Prozent erhöht.
Modelle zeigen Zusammenhänge
Diese Aussagen beruhen auf Mess­
daten und Beobachtungen. Um die
Prozesse im komplexen Klimasystem
zu verstehen, das Klima der Erde
über vergangene Jahrtausende zu
­rekonstruieren und vor allem Prog­
nosen für die Zukunft zu machen,
werden Modelle eingesetzt.
Inzwischen hat man einen Gross­
teil der physikalischen Hintergründe
und die statistischen Zusammenhän­
ge so gut verstanden, dass die Model­
le grundsätzlich vertrauenswürdig
sind und ähnliche Resultate liefern.
Auch einige daraus abgeleitete Aussa­
gen gelten in der Fachwelt und bei
den Unterzeichnerstaaten nun als
­gesicherter Stand des aktuellen Wis­
sens: Der menschliche Einfluss auf
das Klimasystem ist klar.
Das Klimasystem ist nicht im
Gleichgewicht, sondern nimmt zusätz­
liche Energie auf, die grösstenteils
durch die CO2 -Zunahme in der Atmo­
sphäre seit 1750 begründet werden
kann. Eine Fortsetzung der Treib­
hausgasemissionen wird zu einer wei­
teren Erwärmung und zu anderen
Veränderungen im Klimasystem
­führen. Der globale Wasserhaushalt
wird sich ebenfalls verändern, wobei
die Auswirkungen regional und saiso­
nal unterschiedlich sind. Tendenziell
wird sich der Gegensatz zwischen
­Trockengebieten und niederschlags­
reichen Regionen verstärken.
Ozeane werden sich im Laufe die­
ses Jahrhunderts weiter erwärmen.
Dadurch werden auch die Zirkulation
in den Ozeanen und die Meeresströ­
mungen beeinflusst.
Die Gründe und Folgen
des Klimawandels sind
bekannt und werden
kaum mehr bestritten.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass
das arktische Meereis weiter ab­
schmilzt und das globale Gletscher­
volumen weiter abnimmt.
Der Meeresspiegel wird aufgrund
der Eisschmelze und der Volumen­
ausdehnung des wärmeren Wassers
weiter ansteigen.
Detaillierte Prognosen sind ab­
hängig von der Entwicklung der
menschlichen Aktivitäten wie Ener­
gieverbrauch, Treibhausgasausstoss
oder Landnutzungsänderungen und
somit von politischen Entscheiden
und vom Verhalten ganzer Staaten,
Erstmals wurde in diesem Bericht ein
«globales CO2 -Budget» berechnet.
Die Wissenschaft geht davon aus,
dass die gesamten Emissionen seit
der industriellen Revolution sich in
der Atmosphäre anreichern und des­
halb noch weit über das 21. Jahrhun­
dert hinaus das Klima beeinflussen
werden, selbst wenn es gelänge, den
Ausstoss gänzlich zu stoppen. Um
das von der Weltgemeinschaft er­
klärte Ziel einer maximalen Erhö­
hung der globalen Mitteltemperatur
um 2 Grad gegenüber dem vorindus­
triellen Zustand zu erreichen, dürfen
die gesamten in Vergangenheit und
Zukunft ausgestossenen Treibhaus­
gase eine bestimmte Menge nicht
überschreiten. Zwei Drittel dieses
global zulässigen CO2 -Budgets wur­
den bis heute bereits verbraucht.
Die Fakten sind also bekannt.
Dass der aktuelle Bericht in den
­Medien und auch unter den über 350
Tagungsteilnehmenden aus Wissen­
schaft, Verwaltung, Politik und
Wirtschaft kaum kontroverse Dis­
kussionen auslöste und die sogenann­
ten Klimaskeptiker langsam ver­
stummen, lässt hoffen, dass sich die
Entscheidungsträger in Wirtschaft
und Politik nun darauf konzentrieren
können, Massnahmen zur Verminde­
rung des Klimawandels, aber auch
zur Anpassung an die bereits stattfin­
denden globalen und regionalen
­Veränderungen zu ergreifen.
Mutiges, zukunftgerichtetes Han­
deln auf nationalem und internatio­
nalem Parkett ist angezeigt.
tageswoche.ch/+bhkyn
*Franziska Siegrist ist Geografin
und Klimatologin; www.frasuk.ch
TagesWoche 40
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