Der menschliche Einfluss auf das Klima ist eindeutig Die Erderwärmung nimmt zu, Politiker müssen handeln aber auch jedes Einzelnen. Die dazu verwendeten Szenarien bilden mögli­ che «Geschichten über die Zukunft» ab (Prof. Dr. Reto Knutti, Mitautor des Berichts). Sie reichen von drasti­ schen Emissionsreduktionen über eine Stabilisierung bis zu weiterem Emissionswachstum. Aus diesen grossen Unterschieden in den angenommenen menschlichen Aktivitäten resultieren auch grosse Unterschiede im weiteren Tempera­ turanstieg von 1 bis 3,7 Grad bis Ende Jahrhundert, wobei die seit der In­ dustrialisierung bereits erfolgte Er­ wärmung von zirka 0,85 Grad noch dazukommt. von Franziska Siegrist* D ie Klimaproblematik bleibt wichtigste Herausforderung und darf nicht kleingeredet werden.» Mit ­diesen Worten rief Nationalrats­ präsidentin Maya Graf im Eröff­ nungsreferat zur Tagung «IPCC ­K limaänderung 2013. Wissenschaft­ liche Grundlagen» zum Handeln auf. ProClim von der Akademie der ­Naturwissenschaften, die Universität Bern und das Bundesamt für Umwelt hatten am ­vergangenen Montag in Bern zu dieser Tagung geladen, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse des aktuellsten Klimaberichts des In­ tergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Schweizer Öffent­ lichkeit vorzustellen und um den ­Dialog zwischen Wissenschaft, Wirt­ schaft und Gesellschaft zu fördern. Bereits vor einer Woche wurde in Stockholm die 36-seitige «Zusam­ menfassung für politische Entschei­ dungsträger» dieses fünften Sachstands­berichts vorgestellt. Seit dem letzten Bericht 2007 haben sich die Aussagen zwar nicht grundlegend geändert. Diese sind nun aber deut­ lich besser abgesichert dank robuste­ rer Modelle, grösserer Datenmengen und Verbesserung der Datenqualität, insbesondere im Bereich der Satelli­ tendaten. CO2 -Werte markant gestiegen Hinter folgenden Kernaussagen dieser Zusammenfassung stehen sowohl die mehreren Hundert Wissenschaftler, die am Bericht mitgearbeitet haben, als auch – und das ist bemerkenswert – die Vertretungen aller 195 beteilig­ ten Staaten: Die ­Erwärmung des Kli­ masystems ist eindeutig. Atmosphäre und Ozeane werden wärmer, Schneeund Eisbedeckung nehmen ab, der Meeresspiegel steigt. Die Konzentrati­ on der Treibhausgase Kohlendioxid (CO2), Methan und Stickoxide in der 22 CO2-Budget fast aufgebraucht Auf dünnem Eis: Klimamessungen beim Pastoruri-Gletscher in Peru, der in den vergangenen 30 Jahren um ein Fünftel geschrumpft ist. Foto: Reuters Atmosphäre ist höher als jemals in den letzten 800 000 Jahren. Die CO2 Werte haben sich vor allem durch fos­ sile Energien und teilweise auch durch Landnutzungsänderungen (Abhol­ zung) seit Beginn der Industrialisie­ rung um 40 Prozent erhöht. Modelle zeigen Zusammenhänge Diese Aussagen beruhen auf Mess­ daten und Beobachtungen. Um die Prozesse im komplexen Klimasystem zu verstehen, das Klima der Erde über vergangene Jahrtausende zu ­rekonstruieren und vor allem Prog­ nosen für die Zukunft zu machen, werden Modelle eingesetzt. Inzwischen hat man einen Gross­ teil der physikalischen Hintergründe und die statistischen Zusammenhän­ ge so gut verstanden, dass die Model­ le grundsätzlich vertrauenswürdig sind und ähnliche Resultate liefern. Auch einige daraus abgeleitete Aussa­ gen gelten in der Fachwelt und bei den Unterzeichnerstaaten nun als ­gesicherter Stand des aktuellen Wis­ sens: Der menschliche Einfluss auf das Klimasystem ist klar. Das Klimasystem ist nicht im Gleichgewicht, sondern nimmt zusätz­ liche Energie auf, die grösstenteils durch die CO2 -Zunahme in der Atmo­ sphäre seit 1750 begründet werden kann. Eine Fortsetzung der Treib­ hausgasemissionen wird zu einer wei­ teren Erwärmung und zu anderen Veränderungen im Klimasystem ­führen. Der globale Wasserhaushalt wird sich ebenfalls verändern, wobei die Auswirkungen regional und saiso­ nal unterschiedlich sind. Tendenziell wird sich der Gegensatz zwischen ­Trockengebieten und niederschlags­ reichen Regionen verstärken. Ozeane werden sich im Laufe die­ ses Jahrhunderts weiter erwärmen. Dadurch werden auch die Zirkulation in den Ozeanen und die Meeresströ­ mungen beeinflusst. Die Gründe und Folgen des Klimawandels sind bekannt und werden kaum mehr bestritten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das arktische Meereis weiter ab­ schmilzt und das globale Gletscher­ volumen weiter abnimmt. Der Meeresspiegel wird aufgrund der Eisschmelze und der Volumen­ ausdehnung des wärmeren Wassers weiter ansteigen. Detaillierte Prognosen sind ab­ hängig von der Entwicklung der menschlichen Aktivitäten wie Ener­ gieverbrauch, Treibhausgasausstoss oder Landnutzungsänderungen und somit von politischen Entscheiden und vom Verhalten ganzer Staaten, Erstmals wurde in diesem Bericht ein «globales CO2 -Budget» berechnet. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die gesamten Emissionen seit der industriellen Revolution sich in der Atmosphäre anreichern und des­ halb noch weit über das 21. Jahrhun­ dert hinaus das Klima beeinflussen werden, selbst wenn es gelänge, den Ausstoss gänzlich zu stoppen. Um das von der Weltgemeinschaft er­ klärte Ziel einer maximalen Erhö­ hung der globalen Mitteltemperatur um 2 Grad gegenüber dem vorindus­ triellen Zustand zu erreichen, dürfen die gesamten in Vergangenheit und Zukunft ausgestossenen Treibhaus­ gase eine bestimmte Menge nicht überschreiten. Zwei Drittel dieses global zulässigen CO2 -Budgets wur­ den bis heute bereits verbraucht. Die Fakten sind also bekannt. Dass der aktuelle Bericht in den ­Medien und auch unter den über 350 Tagungsteilnehmenden aus Wissen­ schaft, Verwaltung, Politik und Wirtschaft kaum kontroverse Dis­ kussionen auslöste und die sogenann­ ten Klimaskeptiker langsam ver­ stummen, lässt hoffen, dass sich die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik nun darauf konzentrieren können, Massnahmen zur Verminde­ rung des Klimawandels, aber auch zur Anpassung an die bereits stattfin­ denden globalen und regionalen ­Veränderungen zu ergreifen. Mutiges, zukunftgerichtetes Han­ deln auf nationalem und internatio­ nalem Parkett ist angezeigt. tageswoche.ch/+bhkyn *Franziska Siegrist ist Geografin und Klimatologin; www.frasuk.ch TagesWoche 40