Klimawandel Klimaschutz und Anpassung als Herausforderung und Chance für die Wirtschaft Stürme, Hochwasser und Überschwemmungen nehmen ständig zu, die Gletscher in den Bergregionen dieser Welt schrumpfen unaufhaltsam, und im Sommer 2003 gab es in Europa 35.000 Hitzetote zu beklagen – die globale Erwärmung zeigt ihre unausbleiblichen Folgen. Welche Vorkehrungen für den Klimaschutz müssen jetzt getroffen werden und welche Anpassungsmaßnahmen hat die Wirtschaft einzuleiten? Folgt man der Berichterstattung in den Medien, so werden die Auswirkungen des Klimawandels immer dramatischer. Alle Branchen sind mittlerweile durch die sich ändernden Wetterverhältnisse in Mitleidenschaft gezogen: die Automobilindustrie, die Banken und Versicherungen, der Tourismus oder die Wohnungswirtschaft. Die Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen aber auch Chancen. Einige Strategien gibt es bereits – den Emissionshandel beispielsweise oder die UNEP-Finanzinitiative der Banken und Versicherer zur Unterstützung des Kyoto-Prozesses oder den Hybridmotor in der Automobilbranche, der den Wandel zu einer post-fossilen Mobilität einleiten soll. In einem interdisziplinären Tagungsprojekt erörterten Studienleiter Martin Held, Professor Peter Höppe, Münchner Rück / GeoRisikoForschung, München, und Professorin Claudia Kemfert, European Climate Forum, Berlin, geeignete Anpassungsmaßnahmen und wirtschaftliche Strategien für einen nachhaltigen Klimaschutz. Professor Peter Höppe setzte sich in seinem Vortrag mit den Erfahrungen der Versicherungswirtschaft auseinander: Peter Höppe -------------------------- Änderungsrisiko Klimawandel – Erfahrungen aus der Versicherungswirtschaft Seit mehr als 30 Jahren analysieren Naturwissenschaftler der Münchener Rück die weltweiten Naturgefahren. Heute sind in dem Bereich GeoRiskoForschung mehr als 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Gerade in den letzten Jahren haben sich die Indizien verstärkt, dass die sich abzeichnende Klimaänderung Einfluss auf die Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen gewinnt. Die vergangenen Jahre waren durch eine besondere Häufung von solchen Ereignissen geprägt: • die Jahrhundertflut im Elbegebiet im Sommer 2002 • das 450-Jahresereignis des Hitzesommers 2003 mit über 35.000 Hitzetoten in Europa • die bis dahin höchsten Schäden durch Hurrikane in einer Saison 2004 • die Taifun Rekordsaison 2004 in Japan (10 Landfalls) • der erste Hurrikan überhaupt im Südatlantik im März 2004 (Schäden in Brasilien) • die größte Niederschlagsmenge innerhalb von 24 Stunden für Indien mit 944 mm am 26. Juli 2005 in Mumbai • die höchste Zahl tropischer Wirbelstürme (26) und Hurrikane (14) in einer Saison im Nordatlantik seit Beginn der Aufzeichnungen (1851) im Jahr 2005 • der absolut stärkste (Wilma - 882 hPa Kerndruck), viertstärkste (Rita) und sechststärkste (Katrina) Hurrikan seit Beginn der Messungen in nur einer Saison (2005) • Hurrikan Katrina, das absolut schadenträchtigste Einzelereignis aller Zeiten mit über 125 Mrd. US$ volkswirtschaftlichen und ca. 45 Mrd. US$ versicherten Schäden • der nördlichste und östlichste Hurrikan (Vince), der sich im Oktober 2005 bei Madeira bildete • der erste Tropensturm, der die Kanarischen Inseln erreichte (Delta im November 2005) Die GEO-Experten der Münchener Rück recherchieren seit über 30 Jahren alle weltweiten Naturereignisse, die Schäden verursachen und dokumentieren diese in der NatCatSERVICE Datenbank. Retrospektiv wurden auch die Daten aller großen historischen Naturkatastrophen in die Datenbank aufgenommen. Mittlerweile sind im Münchener Rück NatCatSERVICE mehr als 20.000 Einzelereignisse dokumentiert. Aus den Analysen dieser Daten geht klar hervor, dass Naturkatastrophen weltweit stark zugenommen haben und immer größere Schäden verursachen. Die Trendberechnung für die Anzahl der jährlichen großen Naturkatastrophen (Tausende Tote, Schäden in Mrd. US$ Höhe) ergibt einen Anstieg von weltweit zwei pro Jahr zu Beginn der 1950-er Jahre auf heute acht pro Jahr (Abb. 1). Die bereits inflationsbereinigten volkswirtschaftlichen und versicherten Schäden aus diesen großen Naturkatastrophen sind noch weit stärker angestiegen – im Rekordjahr 2005 auf 165 Mrd. US$ volkswirtschaftliche bzw. 65 Mrd. US$ versicherte Schäden (Abb. 2). Die starken Anstiege bei den Schäden liegen vor allem am Bevölkerungswachstum, der Besiedelung und Industrialisierung hochgefährdeter Regionen und der erhöhten Schadenanfälligkeit moderner Technologien. Da jedoch der Zunahmetrend von Naturkatastrophen hauptsächlich durch die wetterbedingten Ereignisse wie Stürme und Überschwemmungen verursacht ist und sich nicht in ähnlicher Weise bei den geophysikalisch bedingten Ereignissen, wie Erdbeben, Tsunamis oder Vulkanausbrüchen abzeichnet, besteht ein berechtigter Grund zur Annahme, dass anthropogene Veränderungen in der Atmosphäre, insbesondere die Klimaänderung hier die Ursachen sind. Für diese Hypothese gibt es in den letzten Jahren immer mehr Indizien: • Aus Analysen von in Eisbohrkernen aus der Antarktis eingeschlossenen Luftblasen geht hervor, dass die Kohlendioxidkonzentration – des wichtigsten der Treibhausgase – in den vergangenen 750.000 Jahren bei weitem nie so hoch war wie heute. • Die letzten fünf Jahre (einschließlich 2005) nehmen unter den global gesehenen sechs wärmsten Jahren seit 1861 die Plätze zwei bis sechs ein (WMO, 2005). Das bisher wärmste Jahr war 1998. Der dritte Status-Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, 2001) misst dem Zusammenhang zwischen der globalen Erwärmung und der Häufung bzw. Intensivierung atmosphärischer Extremereignisse besondere Bedeutung bei. Die erwartete Zunahme der globalen Durchschnittstemperaturen um – je nach Emissions- und Klimamodell – 1,4 bis 5,8 °C bis zum Ende des Jahrhunderts lässt die Wahrscheinlichkeit von Temperaturhöchstwerten außerordentlich stark ansteigen. Die Erwärmung erhöht generell auch die Aufnahmefähigkeit der Luft für Wasserdampf und damit die Niederschlagspotenziale. Zusammen mit verstärkten Konvektionsprozessen führt dies zu häufigeren und extremeren Starkregenereignissen, die heute schon für einen Großteil der Überschwemmungsschäden verantwortlich sind. Die milderen Winter, wie sie in Mitteleuropa inzwischen typisch geworden sind, lassen die Schneeflächen, über denen sich früher stabile Kältehochs als Barriere gegen die aus dem Atlantik heranziehenden Sturmtiefs bildeten, schrumpfen. Die Barriere ist deshalb häufig schwach oder nach Osten verschoben, so dass verheerende Orkanserien wie 1990 und 1999 nicht mehr als seltene Ausnahmeerscheinungen gelten können. In den Windregistrierungen einiger repräsentativer deutscher Wetterstationen zeigt sich in den letzten drei Jahrzehnten eine deutliche Zunahme der Zahl der Sturmtage (z. B. Flughafen Düsseldorf von ca. 20 auf 35 p.a.; Quelle: U. Otte, Deutscher Wetterdienst 2000). Noch nicht wissenschaftlich bestätigt ist ein im Nordatlantik beobachteter Trend zu häufigeren und extremeren Sturmtiefs, also eine Zunahme der Sturmaktivität selbst. Immer mehr wissenschaftliche Fachpublikationen der letzten Jahre zeigen einen Zusammenhang zwischen der Klimaänderung und der Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen auf: • Britische Wissenschaftler schätzen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit (>90%) der menschliche Einfluss das Risiko einer Hitzewelle wie 2003 in Europa wenigstens verdoppelt hat (Stott et al., Nature 2004). • Modellrechnungen der zukünftigen Hurrikanaktivität unter Berücksichtigung des Klimawandels ergeben, dass bis 2050 die maximalen Windgeschwindigkeiten in Hurrikanen um 0,5 auf der Saffir Simpson Skala und der begleitende Niederschlag sich um 18% erhöhen wird (Knutson und Tuleya, Journal of Climate 2004). • Aufgrund des Klimawandels haben sich die Oberflächentemperaturen der Weltmeere in den für die Entstehung von tropischen Wirbelstüme bedeutenden Regionen bereits im Mittel um 0,5°C erhöht (Barnett et al., Science 2005) • Zwei Veröffentlichungen von Emanuel (Nature 2005) und Webster et al. (Science, 2005) belegen, dass tropische Stürme sowohl im Nordatlantik als auch im Nordwestpazifik seit 1970 bereits an Dauer und Intensität um ca. 50% zugenommen haben; dieser Trend wird weiter anhalten. Eigene Analysen der GeoRisikoForschungs-Gruppe der Hurrikanhäufigkeiten in den letzten Jahrzehnten unter Berücksichtigung der natürlichen Klimazyklen (multidekadale atlantische Oszillation) deuten darauf hin, dass die erhöhten Frequenzen und auch Intensitäten der tropischen Wirbelstürme im Atlantik in den letzten Jahren zu etwa 2/3 durch den natürlichen Zyklus (seit 1995 sind wir in einer Warmphase) und zu ca. 1/3 durch die globale Erwärmung zu erklären sind. Vor dem düsteren Hintergrund der bereits eingetretenen Veränderungen und Vorhersagen für die nächsten Jahrzehnte, ist die entscheidende Frage nicht mehr, ob und wann die anthropogene Klimaänderung endgültig beweisbar sein wird, sondern ob die bisherigen Klimadaten bzw. die Klimamodellrechnungen ausreichende Anhaltspunkte liefern können, die künftigen Veränderungen sinnvoll abzuschätzen und die richtigen Anpassungs- und Vermeidungsstrategien rechtzeitig zu entwickeln. Die Naturkatastrophen-Risikomodelle der Versicherungsindustrie müssen den neuen Erkenntnissen angepasst werden. Um den sich beschleunigenden Klimawandel noch bremsen zu können – ihn zu stoppen ist bereits nicht mehr möglich - sind so genannte „no-regret“- bzw. „win-win“-Strategien, wie z.B. die Verringerung des Energieverbrauchs besonders hervorzuheben, da sie, selbst wenn die Klimarelevanz geringer als vermutet sein sollte, in jedem Fall zu einer wünschenswerten Schonung der Ressourcen (auch in finanzieller Hinsicht) führen und darüber hinaus geeignet sind, das Verantwortungsbewusstsein der Industrieländer gegenüber der Dritten Welt zu demonstrieren. Mit diesen Strategien nach dem Vorsorgeprinzip liegt man „auf der sicheren Seite“ und es gibt dabei hoffentlich nur Gewinner. Die Versicherungswirtschaft ist durch den Klimawandel in vielfältiger Weise betroffen: • mehr und stärkere Extremereignisse verursachen häufigere und größere Schäden, • die Volatilität der Schäden nimmt zu, • neuartige Expositionen entstehen (z.B. Hurrikane im Süd- oder Nordostatlantik), • bisher unbekannte Extremwerte treten auf (2005 der stärkste Hurrikan seit Beginn der Messungen), • Prämienanpassungen hinken den Schadensentwicklungen hinterher. Die Versicherungswirtschaft bietet trotz der ungünstigen Schadentrends nach wie vor ein breites Spektrum von Deckungen gegen Elementarschäden an; sie versucht gleichzeitig, ihre Kunden zu verstärkter Schadenvorsorge zu motivieren. Außerdem unternimmt sie große Anstrengungen, ihre eigenen Schadenpotenziale durch den Einsatz moderner geowissenschaftlicher Methoden zu kontrollieren. Nach wie vor problematisch ist die quantitative Prognose der Folgen künftiger Klimaänderungen für die Häufigkeit und Intensität atmosphärischer Extremereignisse. Die Versicherungsindustrie hat auch ein großes Potenzial, Klimaschutz zu fördern und damit zukünftige Schäden positiv zu beeinflussen, indem sie Aspekte des Klimaschutzes in ihren Produkten, Investments, Sponsoringaktivitäten und ihrer Kommunikation berücksichtigt. Die Münchener Rück wird in diesen Bereichen auch weiterhin eine führende Rolle spielen.