Tierheilkunde Karsten Kulms Chronischer Leistungsverlust beim Pferd Haltungsbedingte Erkrankungen in naturheilkundlichem Kontext Im tierheilkundlichen Praxisalltag sind chronische oder rezidivierende Erkrankungen mit ungünstiger Prognose die am häufigsten zu beobachtenden Fallkonstellationen. Schulmedizinisch als „austherapiert“ geltende Tiere sprechen jedoch auf viele naturheilkundliche Verfahren überraschend gut an. Jedoch verlangen verschiedene Krankheitsbilder bezüglich der Prognose ihres Therapieerfolges unter tierheilkundlichen Maßgaben ein gewisses Fingerspitzengefühl des Behandlers, um die Erwartungen des Tierhalters nicht zu hoch ansetzen zu lassen. Die Praxis zeigt, dass die Naturheilkunde für viele Patientenbesitzer immer noch den Nimbus der „Wundertätigkeit“ hat. Der Tierheilpraktiker wird in der Regel erst dann zu Rate gezogen, wenn konventionelle (schulmedizinische) Verfahren nicht mehr greifen oder greifen können, da die Selbstregulationsmöglichkeiten des Tierkörpers weitgehend behindert oder stark eingeschränkt sind. Eine naturheilkundlich ausgelegte, sachgerechte Einschätzung eines chronisch angelegten Leistungsabfalls bedingt neben der genauen Kenntnis der physiologischen und pathogenen Abläufe und Zusammenhänge der verschiedenen Säugetierspezies auch das Wissen um die umfangreichen Einsatzmöglichkeiten und Variabilitäten der unterschiedlichen naturheilkundlichen Verfahren. Am Beispiel verschiedener, vom Autor willkürlich gewählter Beispiele soll anhand häufig auftretender Krankheitsbilder am Pferd auf den Charakter und die Zielsetzung der Behandlung chronischer Erkrankungen, die zu Leistungsverlusten führen, hingewiesen werden. Beispiel 1: Rheumatischer Formenkreis / Spat Erkrankungen der Knochen, Muskeln, Sehnen, Sehnenscheiden und vor allem der Gelenke zählen zu den „Berufskrankheiten“ vieler Pferde und Ponys. In der Praxis zu beobachtende Erkrankungen der Gelenke, vor allem an den Beinen, sind oft das Ergebnis eines fehlerhaften, weil asymmetrischen Beschlages oder Beschnitts der Hufe. Das Krankheitsbild entwickelt sich in der Regel erst allmählich, oft über Jahre hinweg, und manifestiert sich – neben einer ungleichen Abnutzung des Hufhorns – hauptsächlich im Bereich der Karpal- und Tarsalgelenke, weniger in den Fessel- oder Oberarm- bzw. Hüftgelenken. Eine der häufigsten Lahmheitsursachen bei Pferden ist eine als 02/08 schont. Im fortgeschrittenen Stadium ist ein „Zuckfuß“ möglich, weiterhin sind Knochenzubildungen zu beobachten, die allerdings im Anfangsstadium noch schwer zu erkennen sind. Diagnose Die häufigste Form der Diagnosestellung ist die so genannte „Spatprobe“. Ähnlich der Beugeprobe wird hierbei das kranke Bein für zwei bis drei Minuten angehoben und stark gebeugt. Nach Absetzen des Beines ist das Tier sofort anzutraben. Die Spatsymptomatik äußert sich vor allem in Zucken des Beines und Vermeidung des festen Aufsetzens auf den Boden. Therapie Abb. 1: Die gelbliche Verfärbung des Augapfels ist oft ein deutlicher Hinweis auf das Vorhandensein einer anämischen Erkrankung. Differenzialdiagnostisch ist hierbei jedoch von einer Hypotonie zu unterscheiden, die sich ebenfalls in blassen Schleimhautverfärbungen manifestieren kann. „Spat“ bezeichnete, chronische Schleimhautentzündung der Sprunggelenksinnenfläche, welche sich aus einer Überbeanspruchung des Gelenkes in Folge einer übermäßigen Belastung des Pferdes entwickelt. Die Ursachen sind häufig zu großes Reitergewicht, plötzliche schwere Anstrengungen oder auch zu rasches Durchparieren beim Absolvieren gelenkbelastender Lektionen. Auch ein zu früher Einsatz des noch jungen Pferdes im Reitbetrieb, vor allem im Springsport, kann in der Folge durch chronische Überbelastung der noch nicht voll entwickelten Gelenke zu Spat führen. Es entwickelt sich eine allmähliche Lahmheit, die meistens beim Übergang vom Schritt zum Trab sichtbar wird. In Ruhestellung zeigt sich bereits ein verspannter Rücken. Sind beide Sprunggelenke betroffen, wird der Trab insgesamt unsauber. Ein typisches Merkmal des akuten Spat ist eine deutliche Erwärmung der medialen Tarsalgelenkseite, so dass sich als Therapiemaßnahme in erster Linie durchblutungsfördernde Umschläge und Einreibungen anbieten. Um den Regenerationsprozess weiter voran zu treiben, ist eine deutliche Schonung des Pferdes angezeigt. Hierbei gilt es jedoch, die Balance zu finden zwischen absoluter Boxenruhe mit den hierfür typischen Begleit- und Folgeerscheinungen (Herabsetzung des Stoffwechsels, Körpergewichtszunahme, Atrophie der nicht belasteten Muskulatur, Unarten durch Langeweile etc.) und einer möglichen Überforderung der betroffenen Tarsalgelenke auch bei leichter Bewegung. Bei einer deutlich chronischen Ausprägung des Spat erfolgt eine Futterreduzierung auf etwa drei Viertel der normalen Ration mit dem Ziel der Gewichtsreduktion, zusätzlich ist von der Nutzung des Pferdes bis auf weiteres abzusehen; zudem entfällt ein Hufbeschlag zunächst komplett. Begleitend bieten sich in der Homöopathie hierbei etwa Harpagophytum procumbens, Symphytum und Hekla Lava zur täglichen Gabe an, um den Teil des noch unversehrten Gelenkknorpels möglichst optimal zu versorgen und zu unterstützen. Nach mehreren Wochen der Stallruhe kann zusätzlich ein entsprechender orthopädischer Beschlag in Betracht gezogen werden. Die Hufvorderwand ist häufig stärker abgenutzt, das erkrankte Bein wird im Stehen ge- 1 Tierheilkunde Es bleibt zu beachten, dass bei einem chronischen Verlauf der Erkrankung, gerade bei Pferden höheren Alters, keine vollständige Heilung zu erwarten, sondern lediglich eine mehr oder weniger deutliche Besserung des Krankheitszustandes anzustreben ist. Beispiel 2: Anämie (Blutarmut) Auf Grund der Vielfalt der Ursachen ist die Anämie bei Pferden therapeutisch nur schwer zu fassen und zu behandeln. Dabei ist auch diese Erkrankung in der naturheilkundlichen Praxis ein sehr „typischer“ Befund, da gerade das Befundbild der Anämie durch den Tierarzt rasch mit dem Makel „austherapiert“ versehen wird. Bei Pferden spricht man von einer Anämie, wenn der Gehalt des Hämoglobins im Blut des Pferdes um mehr als 15 % unter den Normalwert von 9-18 g/dl sinkt. Durch die reduzierte Menge der Erythrozyten sinkt der Sauerstoffgehalt des Blutes (Hypoxie), da weniger rote Blutkörperchen zur Sauerstoffbindung verfügbar sind. Anämie tritt meist als Folge von Erkrankungen oder schweren Verletzungen ein, wenn durch die äußere Verletzung großer Blutgefäße ein hoher Blutverlust entstanden ist. Auch ein übermäßiger Parasiten-, Pilz-, Bakterien oder Virenbefall kann eine Anämie auslösen. Durch den beschleunigten Zerfall der Erythrozyten sinkt der Sauerstoffgehalt im Blut ebenfalls. Auch innere Verletzungen, z. B. die Zerstörung von Gefäßen durch Pilzbefall (Luftsackmykose etc.) führen zu Blut- und somit Sauerstoffverlust im Gefäßsystem. Eine weitere Ursache für das Auftreten einer Anämie sind Bakterien, die durch ihre Stoffwechselgifte einen beschleunigten Erythrozytenzerfall verursachen, ebenso wie einige Medikamentenwirkstoffe (z. B. Phenotiazine, Phenazetin-, Salizylsäure- und Nitrafuranabkömmlinge). Auch Pflanzengifte, wie etwa die Saponine des Bingelkrautes, der Hahnenfußgewächse und diverser Kreuzblütlerarten beschleunigen den Zerfall der Erythrozyten, ebenso wie tierische und mineralische Gifte und Substanzen (Bienenstiche, Schlangenbisse, Arsen-, Kupfer- und Bleivergiftungen etc.). Die Symptome einer Anämie äußern sich in einer allgemeinen Schwäche und Teilnahmslosigkeit des Pferdes, rascher Ermüdung und / oder unsicherer Bewegung. Die Schleimhäute sind blass oder gelblich verfärbt (vgl. Abb. 1) und trocken. Der Puls ist nur schwach, aber schneller als bei einem gesunden Pferd (physiologisch 30-44 Schläge/min), die Atemfrequenz liegt über dem Normalwert von 8-20 Atemzüge/min. Die Behandlung der Anämie richtet sich nach der Ursache: Liegt ein Blutverlust durch großflächige Verletzungen vor, müssen Elektrolytlösungen, Plasmaexpander oder sogar Transfusionen eingesetzt werden, um den Hämatokritwert (= Anteil der Erythrozyten am Blutvolumen) zu erhöhen. Eine hämolytische Anämie hingegen behandelt der Tierarzt durch Behandlung der ursächlichen Erkrankung, die beim Patienten eine Anämie ausgelöst hat. Der Tierheilpraktiker setzt bei hämolytischen Anämien je nach vorliegender Konstitution des Patienten sowie Ätiologie und Ausprägung der Anämie etc. z. B. Lachesis, Crotalus oder Bothrops lanceolatus ein. Eine zu geringe Erythrozyten-Produktion wird mit Natrium chloratum angeregt. Bei akuten, heftigen Blutungen kommt Erigeron canadensis zum Einsatz, bei chronischem Blutverlust und Schwäche ist China officinalis („große Schwäche und Hinfälligkeit“) angezeigt. Bei Blutungsanämien durch Verletzungen ist außerdem Arnica sehr hilfreich. EisenmangelAnämien können durch Ferrum phosphoricum angegangen werden (Cave: gelegentlich Neigung zu Epistaxis, gemäß Arzneimittelbild), Phosphorus wirkt erhöhter Blutungsneigung entgegen. Beispiel 3: Herzerkrankungen Wenn auch Herzerkrankungen beim Pferd eher selten eine naturheilkundliche Behandlung durch einen Tierheilpraktiker erfahren, sind sie doch oftmals in Form leichter Insuffizienzen gewissermaßen als „Begleiterscheinung“ im Kontext anderer Erkrankungen (z. B. Erkrankungen im Bereich des Respirationstraktes oder Anämie) vorzufinden. Abb. 2: Schnitt durch ein physiologisches Pferdeherz (nach Pavord, T., 1993, S. 45). Als die häufigste vererbte Herzerkrankung bei Pferden ist ein Ventrikelseptumdefekt (im Bild zwischen f und e zu lokalisieren) zu beobachten. 2 Dabei bleibt zu beachten, dass nur etwa 0,3 % aller Pferde einen angeborenen Herzfehler 02/08 Tierheilkunde Karsten Kulms ist ausgebildeter Tierheilpraktiker mit eigener Praxis in Kerken am Niederrhein. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Akupunktur, Homöopathie, Magnetfeldtherapie, Fachvorträge zu tierheilkundlichen Themen. In Mülheim / Ruhr baut er ein naturheilkundliches Therapiezentrum für Pferde auf. Er ist Mitglied im Arbeitskreis klassische Homöopathie Niederrhein und betreut in CO’MED die Rubrik Tierheilkunde. Lungenvolumen eingeengt. In Folge muss die rechte Herzkammer gegen einen erhöhten Widerstand anpumpen. Durch die permanente Belastung vergrößert sie sich. Das Herz kann schließlich versagen. Die schulmedizinische Behandlung arbeitet vornehmlich darauf hin, mit dem Einsatz von Kontakt: Herzglykosiden die HerztätigObereyller Str. 6a, D-47647 Kerken keit zu verbessern, gleichzeitig Tel. / Fax: 02833 / 573513 werden mögliche Infektionen [email protected]; www.tierheilpraxis-kulms.de mit Antibiotika und Sulfonamiden bekämpft. Bei entzündlihaben, der sich häufig in Form eines Ventrikelchen Prozessen (Myokarditis, Endokarditis septumdefekts äußert. oder Perikarditis) werden zusätzlich entzündungshemmende Medikamente gegeben, verbunden mit absoluter Stallruhe und möglichst Die meisten Herzerkrankungen viel frischer Luft. haben exogene Ursachen, etwa als Folge von akuten Erkrankungen oder übermäßiger Belastung durch latent vorhandene Krankheitserreger. Herzkranke Pferde haben eine schwache Kondition und ermüden schneller als gesunde Pferde. Ein häufig zu beobachtendes Symptom bei Herzerkrankungen ist eine akute Atemnot. Die Atemfrequenz steigt über 30-40 Züge/min (phys. 8-20 Züge/min). Weitere Indikatoren sind Fieber, Abmagerung, geringe Appetenz, zuweilen auch Ataxie der Bewegungen. Hinweise auf die so genannte „Herzbeutelwassersucht“ (Hydroperikard) sind das Anschwellen der Unterbrust, des Unterbauchs und der Beine. Krankhafte Herzrhythmusstörungen bezeichnen meist einen Herzmuskelschaden, der durch Sauerstoffmangel oder Infektionskrankheiten (Influenza, Herpes, Druse etc.) entsteht. Die Auslöser für eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) sind z. B. Blutwurmlarven oder Pilze. Auch Medikamente oder Mineralstoffe (z. B. Selen) können zu einer Myokarditis führen, ebenso falsche Futtermittel (z. B. das Rindermastmittel Monensin). In der Naturheilkunde versucht der Tierheilpraktiker z. B. mittels Akupressur, die Herzpunkte zu aktivieren, um Einfluss auf den Herzmuskel und die Herzklappen zu nehmen. In der Arbeit mit Homöopathika bieten sich bei beginnender Herzerweiterung auf Grund ihres jeweiligen Arzneimittelbildes typbezogen z. B. Aconitum, Cactus oder Spigelia an. Bei bestehender Herzinsuffizienz kommen Digitalis purpurea, Cactus oder Crataegus zur Anwendung. Endokarditiden sprechen gut an auf Kalmia, Spongia, Digitalis oder Phosphorus. Bei der Einrichtung eines entsprechenden Behandlungsplanes ist nicht zuletzt auch den Möglichkeiten des Tierbesitzers, vor allem hinsichtlich dessen zeitlicher und finanzieller Ressourcen, Rechnung zu tragen. In der Praxis erweisen sich oftmals Therapiekonzepte, die neben einer sehr erfolgversprechenden Qualität auch eine recht umfangreiche Behandlungsintensität aufweisen, in ihrer Umsetzung auf Grund der Gegebenheiten (zeitlich / räumlich / finanziell usw.) als nicht umsetzbar. Ein chronisch ausgeprägter Krankheitsverlauf kann jedoch nur in einem kontinuierlichen, konsequenten und langfristig angelegten Behandlungsprozess zu einem dauerhaft tragbaren Ergebnis führen. Abschließend ist an dieser Stelle anzumerken, dass sich die genaue Diagnose und Behandlung in den oben geschilderten Beispielen stets auf eine vorab erfolgte umfangreiche und gründliche Anamnese stützen muss, um die entsprechende Behandlung individuell typund situationsgerecht durchführen zu können. Fazit Das Problem des chronischen Leistungsverlustes beim Pferd liegt fast immer in der Irreversibilität der pathogenen Vorgänge innerhalb des Krankheitsgeschehens. Parasitenbefall durch Blutwurmlarven oder Bakterien, z. B. Streptokokken oder Staphylokokken, kann eine Endokarditis auslösen. Die Erreger gelangen dann aus eitrig entzündeten Gelenken, Sehnenscheiden und Hufen über die Blutgefäße ins Herz. Vor allem der z. T. recht langsam verlaufende Prozess der Krankheitsentwicklung bedingt, dass der frühzeitige Zeitpunkt eines langfristig ausgelegten Therapieansatzes übersehen wird, vor allem, da schulmedizinische Behandlungen und Medikationen nicht oder nur selten auf einen langfristigen Behandlungszeitraum angelegt sind oder sich durch ihre Nebenwirkungen (z. B. dauerhafte Cortison-Gaben) einer längeren Anwendung entziehen. Eine Herzinsuffizienz ganz anderer Art zeigt sich beim so genannten „Cor pulmonale“: In Folge einer COB (chronisch obstruktiven Bronchitis, s. o.) ist die Lunge ‚gebläht‘. Diese drückt auf den Lungenkreislauf des Herzens, d. h. der Blutkreislauf des venösen Blutes, das vom rechten Herz in die Lunge gepumpt wird, um dort mit Sauerstoff angereichert zu werden, ist durch das pathogen vergrößerte Hier erweist sich sehr deutlich der nachhaltige, individuumsbezogene Ansatz der Naturheilkunde als deutlicher Vorteil. Denn in der Kombination der verschiedenen, nicht zuletzt auch auf der psychischen Ebene des Tieres wirksamen Arzneimittel, Heilanwendungen und -verfahren lassen sich sehr effektive Resultate erzielen. Stets ist jedoch auch die Akzeptanz und Mitarbeit des Tierhalters, vor al- 02/08 lem bezogen auf die unter Umständen recht langfristige Behandlungsdauer, zu erwirken und auf die Kleinschrittigkeit der Heilungsoder zumindest Besserungsergebnisse hinzuweisen. Literaturhinweise Pavord, Tony (1993): Pferdekrankheiten. Vorbeugung, Symptome, Behandlung. Franckh – Kosmos – Verlag, Stuttgart Salomon, Walter (2002): Naturheilkunde für Pferde. Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München, S. 186 ff. 3