Wie die Natur den Klimawandel mildert Bild: (c) Die Presse (Clemens Fabry) Trotz steigender Emissionen hat sich die CO2-Zunahme in der Luft stabilisiert. Die Pflanzen sorgen dafür. 09.11.2016 | 09:20 | Von Jürgen Langenbach (Die Presse) Im März 2015 haben die Konzentrationen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre erstmals global die hoch symbolische Grenze von 400 Teilchen pro Million (ppm) überschritten (vorindustriell: 280). In den Monaten darauf sanken die Werte wieder, das tun sie jedes Jahr, wenn die Wachstumsperiode der Pflanzen einsetzt, und wenn die vorbei ist, steigen sie wieder, im heurigen September lagen sie bei 401. In der bösen Nachricht steckte aber auch etwas Gutes: Die Werte in der Atmosphäre waren nicht so rasch angestiegen wie die Emissionen, irgendetwas steuerte gegen, so wie irgendetwas die Erwärmung eingebremst hatte: Von 1998 bis 2013 sind die globalen Temperaturen nicht gestiegen, obwohl mit China ein neuer Großemittent gekommen war. Man nannte dieses Rätsel „Hiatus“, man suchte die Lösung vor allem tief in den Meeren, dort muss die Wärme stecken, die sich an der Erdoberfläche nicht zeigt. Und in den Meeren, weiter oben, zeigten sich erste Rückkoppelungen beim CO2: Um die Antarktis herum ist das Meereis seit 1979 langsam gewachsen – ja, gewachsen –, nur in manchen Bereichen ist es geschwunden, dort gedeihen nun Moostierchen. Die holen so viel Kohlenstoff aus der Luft wie 50.000 Hektar Regenwald (Current Biology 25, R789). Noch größere Effekte zeigten sich im Atlantik bei Mitgliedern des Phytoplankton, die sich in Kalkschalen hüllen. Sie haben sich stark vermehrt, und sie nehmen den Kohlenstoff, den sie in ihre Schalen einbauen, nach dem Tod mit zum Meeresgrund (Science, 350, S. 1533). Aber an diesen Feedbacks kann nicht liegen, was Trevor Keenan (Berkeley) nun bemerkt hat: Die Menge des CO2, die Jahr für Jahr in die Atmosphäre kommt, hat sich seit 2002 stabilisiert: Es kommt also schon jedes Jahr neues CO2 in die Luft – und treibt die ppm nach oben –, es kommt aber nicht jedes Jahr mehr. Sondern es sind konstant 1,9 ppm/Jahr. Und das, obgleich die Emissionen ständig gestiegen sind. Irgendetwas hat dafür gesorgt, dass heute doppelt so viel CO2 wieder aus der Atmosphäre verschwindet wie in den 1950erJahren, derzeit sind das zwei bis vier Petagramm Kohlenstoff pro Jahr, emittiert werden neun bis zehn (Nature Communications 8. 11.). Die Erde ist ergrünt, und wie! Was steht dahinter? Die Pflanzen, für sie ist CO2 Nährstoff, das ist das eine. Zum anderen nehmen Pflanzen CO2 nicht nur auf, sie geben es auch ab, nächtens, abhängig von der Temperatur: je wärmer, desto mehr. Des „Hiatus“ wegen haben sie nicht mehr abgegeben, während sie durch das steigende CO2 durchaus kräftiger gewachsen sind. Das sind sie aller Umweltzerstörung zum Trotz, Zaichun Zhu (Peking) hat es im Frühjahr gezeigt: „Das von uns berichtete Ergrünen über die vergangenen 33 Jahre ist äquivalent mit einem zusätzlichen Kontinent von der doppelten Fläche der USA: 18 Millionen Quadratkilometer“ (Nature Climate Change 6, S. 791). Zhu zog eine globale Bilanz, Keenan vermutet regionale CO2-Senken: „Die müssen wir rasch finden und schützen.“ Denn auf Dauer wird das CO2 überwiegen, fürchtet der Forscher. Oder irgendwann doch nicht mehr? Optimal gedeihen viele Pflanzen nicht unter den derzeitigen 401 ppm, sondern unter 600: In vielen Gewächshäusern wird Erdgas verbrannt, um diesen Wert zu erreichen. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2016)