Neue Gesetze- Neue Wege in der Pflege? Heimgesetz und Pflege-Qualitätssicherungsgesetz auf dem Prüfstand 8. März 2001 Berlin Kurzzusammenfassung: Psychopharmakotherapie: Behandlung oder Sedierung? Dr. med. Claudia Wilhelm-Gößling, Medizinische Hochschule Hannover Als Leitsatz für die Behandlung könnte gelten: Psychopharmaka für ältere demente Menschen, sollten die psychischen, physischen und geistigen Funktionen nicht noch weiter reduzieren. Hieraus abzuleiten wäre, daß Neuroleptika und Substanzen mit sedierenden Eigenschaften obsolet wären. Die Behandlungspraxis zeigt jedoch, daß gerade Neuroleptika dementen Menschen am häufigsten verordnet werden! Im Folgenden wird die Problematik einer neuroleptischen Behandlung dargestellt, daran anschließend erfolgt der Versuch Richtlinien zu formulieren, wie mit diesen Substanzen sinnvoller umgegangen werden kann, d.h. wie Neuroleptika zur Therapie und nicht ausschließlich zur Sedierung eingesetzt werden können. (In Ausnahmefällen könnte allerdings auch eine kurzfristige Sedierung sinnvoll sein.) Metaanalysen kontrollierter Studien haben ergeben, daß sich in etwa 20% der Fälle eine Behandlung mit Neuroleptika bei Agitation und psychotischer Symptomatik therapeutisch günstig auswirkt. Ebenso häufig trat allerdings unter der Behandlung mit Neuroleptika eine Symptomverschlechterung auf. Neuroleptika reduzieren kognitive Funktionen. Bei gesunden Erwachsenen sinkt bereits nach einmaliger Gabe von 1mg Haloperidol die Vigilanz signifikant und nach einmaliger Gabe von 2mg Haloperidol werden Lernprozesse signifikant vermindert. Diese Funktionsbeeinträchtigungen werden bei längerfristiger Applikation sogar noch verstärkt. Bei älteren Menschen treten die typischen neuroleptischen Nebenwirkungen früher und schon nach niedrigeren Dosierungen als bei jüngeren Menschen auf. Neben einer Reduktion kognitiver Funktionen treten extrapyramidalmotorische Symptome auf. Frühdyskinesien (Zungen-Schlund-Krämpfe) können zu Schluckstörungen und verminderter Flüssigkeitsaufnahme führen. Durch ein Parkinsonoid werden die Menschen immobiler und stürzen leichter, mit dem Risiko einen Schenkelhalsbruch oder eine Pneumonie zu erleiden. Eine Akathisie kann zu vermehrter Bewegungsunruhe führen und dies kann als Zunahme des agitierten Verhaltens verkannt werden, mit der fatalen Folge einer Erhöhung der Medikation. Zusätzlich treten Spät-Dyskinesien innerhalb von 5 Behandlungsjahren deutlich häufiger als bei jüngeren Menschen in 35% der Fälle auf. An der Medizinischen Hochschule Hannover wurden 49 demente Alterspatienten (w 34, m 15) mit einem Durchschnittsalter von 81,4 Jahren, untersucht, die nach stationär-psychiatrischer Behandlung in Altenpflegeheime entlassen wurden. Über 90% litten bereits an fortgeschrittener Demenz und bei allen waren neben den kognitiven Defiziten psychiatrisch-akzessorische Symptome aufgetreten: in 55% Verhaltensauffälligkeiten, in 29% paranoid-halluzinatorische Symptome, vereinzelt Delir oder Depression und zusätzlich in 47% Störungen des Tag-Nachtrhythmus und in 41% aggressive Verhaltensweisen. Nach genauer Diagnostik und Beobachtung wurden 20% der Patienten mit einem Neuroleptikum behandelt. In 32% wurde eine vorbestehende neuroleptische Therapie abgesetzt, teilweise mit deutlicher Befundverbesse- rung. In den Heimen nahmen drei Monate nach der Entlassung 66% Neuroleptika ein. Die durchscnittliche Tagesdosis bei stationärer Entlassung lag bei 0,32mg und drei Monate später in den Heimen bei 1,57 mg Haloperidol-Äquivalent. Die Überlebensanalyse ergab, daß diejenigen, die mehr als 1mg Haloperidol-Äquivalent pro Tag erhielten, signifikant kürzer überlebten. Wurden alle verabreichten psychopharmakologischen Substanzen mit sedierender oder neuroleptischer Wirkung summiert, so ergab sich, daß diejenigen ohne oder mit einer geringen Dosis signifikant länger überlebten als diejenigen, die Psychopharmaka in mittlerer Dosierung erhielten, diese wiedrum überlebten signifikant länger als diejenigen, die hochdosiert mit Psychopharmaka behandelt wurden. Für die Behandlungspraxis können folgende zwei Punkte abgeleitet werden, die selbstverständlich klingen mögen, es jedoch leider nicht sind: 1. Die Dosierung und die Dauer der Therapie muß beachtet und überwacht werden. Niedrige Dosierungen von Neuroleptika u.a. Psychopharmaka können durchaus einen positiven Effekt haben. Dauertherapien sind zwar leider die Regel lassen sich jedoch nicht rechtfertigen, da psychiatrische Auffälligkeiten bei Demenz fluktuieren und nur selten dauerhaft vorhanden sind. 2. Eine fachkompetente psychiatrische Pflege und Behandlung ist notwendig, um Wirkungen und Nebenwirkungen zu beobachten, gegeneinander abzuwägen und Konsequenzen für die weitere Therapie daraus abzuleiten. Dies belegen auch Untersuchungen in verschiedenen US-amerikanischen Altenheimen. Schulungen führten zu einem signifikanten Rückgang der Neuroleptika- Verordnungen, ohne daß andere Substanzen vermehrt eingesetzt wurden oder häufiger Verhaltensauffälligkeiten auftraten. Zusätzlich verringerte sich sogar die Fixierungsrate. Desweiteren sollte ein dritter Aspekt in die heutige Behandlungspraxis Einzug erhalten. Bis Mitte der 90iger Jahre resümierten Metaanalysen noch, kein Neuroleptikum sei einem anderen überlegen. Heute scheint die verordnete Substanz doch eine größere Rolle zu spielen. Neuere Studien belegen, daß unter einer Therapie mit neueren, sog. atypischen Neuroleptika, o.g. Nebenwirkungen geringer sind und seltener auftreten. Risperidon ist mit einem für den gerontopsychiatrischen Bereich günstigen Nebenwirkungsprofil bereits offiziell zugelassen. Auch hier sind nur niedrige Dosierungen erforderlich und erfolgversprechend. Bereits eine Tagesdosis von 0,5-1mg Risperidon kann aggressives Verhalten signifikant reduzieren, ohne daß eine Sedierung auftritt. 1mg Risperidon wirkt sich positiv auf psychotische Symptome aus. Andere neuere Substanzen scheinen ebenfalls erolgversprechend, jedoch sind diese noch nicht ausreichend untersucht worden. Quelle: Verein "Handeln statt Misshandeln. Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter" HsM