Prekarisierung und Politik

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Prekarisierung und ihre Folgen
Roland Atzmüller (Abteilung für
theoretische Soziologie und Sozialanalysen/
JKU)
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Prekarisierung, Prekarität, prekär, Prekariat
§  Was ist prekär:
—  Definition laut Duden: in einer Weise geartet, die es äußerst schwer macht, die
richtigen Maßnahmen, Entscheidungen zu treffen, aus einer schwierigen Lage
herauszukommen; schwierig, heikel, misslich
—  Ursprung lat. Precarius: bittend bzw. von fremder Gabe abhängig oder
—  precor (Verb): bitten (oder auch verwünschen(!))
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Bestimmungen
§  Begrifflichkeit (Prekarisierung) verweist auf einen Prozess
gesellschaftlicher Veränderung.
§  Immer mehr Menschen werden wachsender Unsicherheit ausgesetzt:
zunehmende Armut, Erwerbsarbeitslosigkeit, instabile Arbeits- und
Beschäftigungsverhältnisse,
§  Verweisen diese Veränderung auf die Herausbildung einer neuen sozialen
Klasse oder einer neuen Erscheinungsform des „Proletariats“ in Form
des Prekariats?
Oder handelt es sich um „abgehängte Unterschichten“, die aufgrund
individueller und gruppenspezifischer Defizite zu ModernisierungsverliererInnen werden?
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Thesen
§ 
§ 
§ 
§ 
§ 
Prekarisierung verweist auf gesellschaftliche Entwicklungen, die einerseits auf
weitreichende Veränderungen auf den Arbeitsmärkten (Stichwort: Zunahme von
atypischer und prekärer Arbeit) verweisen.
Prekarisierung geht aber weit darüber hinaus und betrifft Veränderungen im
Wohlfahrtsstaat und den sozialen Sicherungssystemen (Stichwort Sozialabbau und
Aktivierung) und den darin institutionalisierten Formen von Solidarität.
Prekarisierung muss auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive diskutiert
werden (Stichwort: Neuorganisation von Sorgearbeiten, Veränderung der
Arbeitsteilungen zwischen den Geschlechtern, Migration und soziale Ungleichheit
zwischen den Geschlechtern und ethnischen Gruppen in Einwanderungsgesellschaft)
Prekarisierung muss als politisches Problem diskutiert werden, da es einerseits als
neue Organisationsform von Herrschaft aufgefasst werden kann, andererseits Fragen
aufwirft wie und ob Prekarisierte sich dagegen wehren können.
Prekarisierung muss als internationaler/transnationaler Prozess aufgefasst werden,
da die Mobilität von Menschen Erscheinungsform von Prekarisierung ist, aber auch
genutzt wird, um Prekarisierung voranzutreiben bzw. (Mehrheits-)Gesellschaft zu
stabilisieren
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Aufbau des Vortrags
§  Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und Zunahme atypischer und
prekärer Beschäftigung
§  Auswirkungen der Prekarisierung – das Zonenmodell
§  Erweiterungen der Prekarisierungsdebatte
§  Prekarisierung als politisches Problem
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Eine neue Herrschaftsform?
„Die Prekarität ist Teil einer neuartigen Herrschaftsform, die auf der
Errichtung einer zum allgemeinen Dauerzustand gewordenen
Unsicherheit fußt und das Ziel hat, die Arbeitnehmer zur Unterwerfung,
zur Hinnahme ihrer Ausbeutung zu zwingen. Zur Kennzeichnung dieser
Herrschaftsform, die, obschon sie in ihren Auswirkungen stark dem
wilden Kapitalismus aus den Frühzeiten der Industrialisierung ähnelt,
absolut beispiellos ist, hat jemand das treffende und aussagekräftige
Konzept der Flexploitation vorgeschlagen.“ (Bourdieu 1998)
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Referenzfolien der Prekarisierungsdebatte
§  Ausgangspunkt: Beobachtung einer Erosion des sogenannten
„Normalarbeitsverhältnisses“ (NAV) seit den 1980er Jahren in den westlichen
Industriestaaten aufgrund des Endes der Vollbeschäftigung und der
Zunahme sog. Atypischer Arbeitsverträge
§  Definition des Normalarbeitsverhältnisses
—  Langfristige Arbeitsverträge
—  Geregelte „Normal“arbeitszeit (40h Woche oder weniger) und Urlaubsansprüche
—  Kollektivvertraglich geregelte Lohnfindung (Verhandlungssysteme zwischen
Gewerkschaften und Kapital)
—  Sozialrechtliche Absicherung: Erwerb sozialer Rechte (Arbeitslosenversicherung,
Krankenversicherung, Pensionsansprüche) ergibt sich aus dauerhafter Teilnahme
am Erwerbsleben – zentrale Bedeutung des Wohlfahrtsstaates
—  Betriebliche Mitbestimmung
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Referenzfolien der Prekarisierungsdebatte
§ 
Gesellschaftliche Integration der
ArbeitInnenklasse und der
Unterschichten in den
Nachkriegskapitalismus („Fordismus“)
—  Biographien werden auch für diese
soziale Gruppen planbar
—  Steigerung des Lebensstandards
—  Aufstieg und soziale Mobilität
§ 
Spezifische Form der
gesellschaftlichen Anerkennung
(Hintergrund: Stärke der
Organisationen der
ArbeiterInnenbewegung)
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§  Integration ist aber nur zu haben unter Anerkennung der kapitalistischen
Eigentumsverhältnisse
—  Hegemonie des männlichen, weißen Industriearbeiters
—  Frauen: bestenfalls als Zuverdienerinnen, Integration v.a. über Rolle in
Kleinfamilie (unentgeltliche Reproduktionsarbeit)
—  MigrantInnen: werden als Flexibilitätspuffer (Rückführung aus den
Gastarbeiterregimen in den 1970ern eingesetzt; sind am unteren Ende der
Arbeitsmarkthierarchien verortet
—  (Widersprüchlichkeit der wohlfahrtsstaatlichen Integration liegt den sozialen
Bewegungen seit 1968 zugrunde: Einforderung des „utopischen Versprechen“ des
Wohlfahrtsstaates
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Gesellschaftlicher Strukturwandel und Prekarisierung
§  Krisenerscheinungen seit den 1970ern werden vom Neoliberalismus auf
überregulierte Arbeitsmärkte und ausgebaute Wohlfahrtsstaaten
zurückgeführt
§  Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitsmärkte
§  Privatisierung und Liberalisierung (Öffnung von Märkten)
§  Rückbau und Umbau des Wohlfahrtsstaates und der sozialen
Sicherungssysteme –
—  Aktivierung,
—  Senkung des sog. Kostendrucks,
—  Rekommodifizierung der Arbeitskraft (Stärkung ihres Warenstatus)
—  Re-privatisierung von Sorgearbeiten unter Ausnutzung ethnisch und
geschlechtsspezifischer Arbeitsmärkte
—  Schwächung der Gewerkschaften
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Gesellschaftlicher Strukturwandel und Prekarisierung
§  Ökonomische Veränderungen:
—  Wachstum der Dienstleistungssektoren: v.a. auch Einfach-DL
—  Shareholder Value fokussiert auf kurzfristige, hohe Gewinne – Anpassung auf
Belegschaft verlagert
—  Starke Rolle des Exportsektors wird durch Ausbau des Niedriglohnbereichs (DL)
flankiert (v.a. Dt.)
—  Veränderung der Unternehmensstrukturen: z.B. „flexible firm“ mit Rand- und
Kernbelegschaften
—  Entgrenzung von Arbeit durch neue Arbeitsorganisation, Technologien (IKT) –
Grenze Arbeit und Leben verschwimmt. Abgrenzung wird schwieriger, Subjektivität
der Arbeitskräfte wird gefordert (Gefühlarbeit usw)
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Gesellschaftlicher Strukturwandel und Prekarisierung
„Die Natur der großen Industrie bedingt daher Wechsel der Arbeit, Fluss der
Funktion, allseitige Beweglichkeit des Arbeiters. Andererseits reproduziert sie in
ihrer kapitalistischen Form die alte Teilung der Arbeit mit ihren knöchernen
Einseitigkeiten. Man hat gesehen, wie dieser absolute Widerspruch alle Ruhe,
Festigkeit, Sicherheit der Lebenslage des Arbeiters aufhebt, ihm mit dem
Arbeitsmittel beständig das Lebensmittel aus der Hand zu schlagen und mit
seiner Teilfunktion ihn selbst überflüssig zu machen droht ...“ (Marx, Das Kapital
1972, 510f)
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Eine sozialwissenschaftliche Definition
§  „Als prekär kann ein Erwerbsverhältnis bezeichnet werden, wenn die
Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-,
Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das in der
Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert und mehrheitlich anerkannt
wird. Und prekär ist Erwerbsarbeit auch, sofern sie subjektiv mit
Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem
Ausmaß verbunden ist, das gesellschaftliche Standards deutlich
zuungunsten der Beschäftigung korrigiert.“ (Brinkmann u.a. 2006: 17)
§  Fokus:
—  Absinken Zusammenhang Erwerbsarbeit und Absinken unter ein Standardniveau
– enger Zusammenhang mit „atypischer Beschäftigung“
—  Statusverlust der Arbeit: Unsicherheit, Entwertung von Arbeitstätigkeiten,
mangelnde Anerkennung
—  Abhängig von gesellschaftlicher Situation
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Fokus atypische Beschäftigung (in Österreich)
§ 
§ 
Zunehmend regulierte Ausdifferenzierung des Beschäftigungssystems in Österreich
Nicht jede atypische Beschäftigung führt in Prekarität
—  Teilzeitarbeit: Beschäftigung im Ausmaß von weniger als 36h – massives Wachstum in den
letzten Jahren, v.a. Frauen, oft unfreiwillig
—  Geringfügig Beschäftigung: <12h/Woche Beschäftigung, Grenze: €406, Unfallversicherung;
freiwillige Kranken- und Pensionsversicherung (Dienstgeber zahlt Abgabe, wenn 1,5
geringfügig Beschäftigte).
•  Massives Wachstum in den letzten Jahren,
— 
— 
— 
— 
•  weiblich dominiert,
•  Mehr als Verdoppelung sei 1996
Befristete Verträge: oft bspw. im öffentlichen Sektor, (Problem der Kettenverträge)
Zeit- und Leiharbeit: v.a. in Industrie, eher männlich dominiert, etwa 65.000 (Zahl in letzen
Jahren stark schwankend)
Freie Dienstnehmer: zu Zt. knapp 18.000
Werkvertragsnehmer (neue Selbständige): etwa 45.000 – Verdoppelung seit 2000
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Woraus resultiert Prekarität
§  Unsicherheit der Beschäftigungsverhältnisse,
§  Schwankendes und/oder niedriges Einkommen,
§  erschwerter Aufbau sozialer Rechte (Pensionssystem, politisch forcierter
Trend zur Erschwerung des Zugangs zu vollen sozialen Rechten)
§  Schlechtere Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten in den
Betrieben; weniger Aufstiegschancen
§  Ev. häufiger Arbeitsplatzwechsel
—  Wechsel des Arbeitsortes,
—  erschwerter Aufbau sozialer Beziehungen und
—  Erschwerte Integration in Interessensvertretungen
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Teilzeitquote
50,0
45,0
40,0
35,0
30,0
Deutschland
Griechenland
Spanien
25,0
20,0
15,0
Frankreich
Italien
Österreich
Polen
Schweden
10,0
5,0
0,0
Quelle: Eurostat
Vereintes Königreich
Befristete Arbeitsverträge
Entwicklung atypischer Beschäftigung in Österreich
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Arbeitsmarkt und Prekarität
§  Ausmaß atypischer Beschäftigung: ca 1/3 aller unselbständig Beschäftigten
(fast 1,2 Mio; Frauen: etwa 50% wegen TZA). Frage der Übergänge in
Normalarbeitsverhältnis?
§  50% der Niedrigqualifizierten sind atypisch beschäftigt
§  Entwicklung setzt sich in Krise fort und verschärft: Zunahme von Teilzeitarbeit,
geringfügiger Beschäftigung
•  Gleichzeitig massives Wachstum von Arbeitslosigkeit
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Arbeitsmarkt und Prekarität
§  atypische Beschäftigungsformen
erfassen nicht alle über
Veränderungen des Arbeitsmarktes
ausgelöste Prekarisierungsprozesse
—  Niedriglohnbeschäftigung und
Working Poor
—  Beschäftigung nach
Ausländerbeschäftigungsgesetz
—  Bspw. Dequalifizierungsprozesse
etwa von MigrantInnen
—  Arbeits- und
Beschäftigungslosigkeit: stärkere
Betroffenheit von
Niedrigqualifizierten,
MigrantInnen, 19-24jährigen
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Niedriglohnbeschäftigung (>2/3 des Medianeinkommens)
•  Bei Niedrigqualifizierten liegt der Anteil bei über 35%
•  Nichtösterreicher: 28,6%
•  8% sind „working poor“ (<60% des Medianeinkommens),
14%, max. Pflichtschule, 22% der EU/EFTA MigrantInnen
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Gesellschaftliche Auswirkungen der
Prekarisierung - das Zonenmodell
„Ich habe eine allgemeine Hypothese vorgeschlagen, die der
Komplementarität zwischen dem, was sich auf einer Achse der Integration
durch Arbeit – stabile Beschäftigung, prekäre Beschäftigung, Ausschluss
durch Arbeit – und durch die Dichte der Integration in den
Beziehungsnetzwerken der Familie und der Gemeinschaft – solide
Verankerung in den Beziehungsnetzwerken, Brüchigwerden der Beziehungen,
soziale Isolation – abspielt. Das so aufgespannte Koordinatensystem umfasst
Zonen unterschiedlicher Dichte der sozialen Verhältnisse, die Zone der
Integration, die Zone der Verwundbarkeit, die Zone der Fürsorge und die
Zone der Exklusion oder viel mehr der Entkoppelung.“ (Castel 2000a:
360f.)
23
Das Zonenmodell nach Klaus Dörre u.a.
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Gesellschaftliche Auswirkungen
§  „Destabilisierung des Stabilen“ erfordert „Sich-Einrichten in der Prekarität“
nach Robert Castel
§  Soziale Spaltung – Abkoppelung und Marginalisierung eines Teils der
Bevölkerung
§  Verlust an Planbarkeit und Perspektive in Gesellschaft
§  Mangelnde Teilhabe an gesellschaftlichem Leben und Gefahr der
Stigmatisierung
—  Bewährungsproben
—  Soziale Kontrolle
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Kritische Erweiterungen der Prekarisierungsdebatte
§  Feministische Analysen weisen darauf hin, dass Prekarisierung erst Thema
wird, als männliches Normalarbeitsverhältnis (Ablösung des
Familienernähermodells) erodiert
—  Frauen auch im Fordismus am Arbeitsmarkt (eher) marginalisiert
—  Integration v.a. über Rolle in Kleinfamilie
—  Unentgeltliche Reproduktionsarbeit und Sorgearbeit
—  Struktur der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung und des Steuersystems stärkt
traditionelle familiäre ARbeitsteilungen
§  Auch aus migrationstheoretischer und rassismustheoretischer Perspektive
Kritik an Fokus auf männlich, weißen Familienernährers in
Prekarisierungsdebatte
—  Ausblendung der Erfahrung von MigrantInnen und people of colour
—  Prekäre Teilnahmechancen am Arbeitsmarkt, im Sozialsystem und im politischen
Bereich
—  Historisch Kontinuität prekärer Position am Arbeitsmarkt
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Wohlfahrtsstaatliche Regulation von Prekarität – Veränderungen in
der Zone der Fürsorge
§  Aktivierung der sozialen Sicherungssysteme, v.a. im Bereich der
Arbeitsmarktpolitik aber auch in der Sozialhilfe (Zusammenführung der
Systeme)
—  Kürzung von Leistungen und Erschwerung des Zugangs zu Leistungen
(verlängerte Durchrechnungszeiträume)
—  Ausbau des Sanktionsinstrumentariums des AMS zur Sicherung der
Arbeitsbereitschaft
—  Ausbau aktivierender Maßnahmen zur Anpassung der Arbeitslosen an die
Erfordernisse des Arbeitsmarktes
•  Coachings und Bewerbungstraining
•  Umschulungen und Qualifizierung
•  „Bewährungsproben“
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Wohlfahrtsstaatliche Regulation von Prekarität – Veränderungen in
der Zone der Fürsorge
§  Vermarktlichungs- und Privatisierungstendenzen etwa im Bildungssystem
verstärken Reproduktion sozialer Ungleichheit – Unterschichten werden als
„bildungsfern“ stigmatisiert
§  Zentral auch bspw. Entwicklungen auf Wohnungsmarkt (Leistbarkeit und
Qualität) und im Gesundheitssystem
§  Bezug von Sozialleistungen ist zentral für Überleben der Prekären
—  Z.B. Aufstocker in BMS oder bei Hartz IV (Stützung des flexiblen
Arbeitsmarktsegmentes)
§  Erschwerung des Zugangs zu Leistungen und Leistungskürzungen:
—  Z.B. Pensionsreformen lassen Zunahme der Altersarmut erwarten
§  Staatliche Förderung der Vermarktlichung von Care-Arbeiten (Bsp. 24h
Pflege) auf Basis eines ethnis geschichteten Arbeitsmarktes
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Wohlfahrtsstaatliche Regulation von Prekarität –
Veränderungen in der Zone der Fürsorge
§  Wohlfahrtsstaat wechselt von Ziel
des Statuserhalts und der
Sicherung des Lebensstandards
zur Armutspolitik
§  These der Dualisierung der
Wohlfahrtsstaaten: Social
Investment für die Mittelschichten
– reduzierte Leistungen und
erhöhte Kontrolle für die
Unterschichten
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Prekarisierung und Politik
„Die Prekarität hat also nicht nur direkte Auswirkungen auf die von ihr
Betroffenen (die dadurch außerstande geraten, sich zu mobilisieren), sondern
über die von ihr ausgelöste Furcht auch indirekte Folgen für alle anderen –
eine Furcht, die im Rahmen von Prekarisierungsstrategien systematisch
ausgenutzt wird, wie etwa im Falle der Einführung der vielzitierten
»Flexibilität«, von der wir ja wissen, daß sie ebenso politisch wie ökonomisch
motiviert ist. Man wird den Verdacht nicht los, daß Prekarität gar nicht das
Produkt einer mit der ebenfalls vielzitierten »Globalisierung« gleichgesetzten
ökonomischen Fatalität ist sondern vielmehr das Produkt eines politischen
Willens.“ (Bourdieu 1998)
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Prekarisierung und Politik
§  Feindbild „abgehängte Unterschicht“ – aus den Überzähligen werden
Unproduktive und unnütze Esser, die den Erfolg des Wirtschaftsstandortes
behindern
—  Abhängigkeit vom Sozialstaat als Ausdruck „spätrömischer
Dekadenz“ (Westerwelle)
—  Thilo Sarrazin: „Daneben hat sie (Berlin, R.A.) einen Teil von Menschen, etwa
zwanzig Prozent der Bevölkerung, die nicht ökonomisch gebraucht werden,
zwanzig Prozent leben von Hartz IV und Transfereinkommen (Sozialhilfe);
bundesweit sind es nur acht bis zehn Prozent. Dieser Teil muss sich auswachsen.
Eine große Zahl an Arabern und Türken in dieser Stadt, deren Anzahl durch
falsche Politik zugenommen hat, hat keine produktive Funktion, außer für den
Obst- und Gemüsehandel, und es wird sich vermutlich auch keine Perspektive
entwickeln. Das gilt auch für einen Teil der deutschen Unterschicht, die einmal
in den subventionierten Betrieben Spulen gedreht oder Zigarettenmaschinen
bedient hat.“ (Thilo Sarazzin in Lettre International)
—  Sloterdijk sieht die Unterschichten in Komplizenschaft mit dem „räuberischen
Staat“, der den produktiven Teilen der Bevölkerung auf der Tasche liegt
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Prekarisierung und Politik
§  Prekarisierung geht Hand in Hand mit Abwendung vom politischen Prozess –
Studien aus Deutschland zeigen zum Beispiel ein erheblich niedrigere
Wahlbeteiligung von Prekären und Arbeitslosen
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Prekarisierung und Politik
§  Das Prekariat als neue Erscheinungsform des Proletariats?
§  Lange Zeit reagieren Gewerkschaften eher abwehrend gegen neue
Beschäftigtengruppen – erhoffen Stabilisierung der Kernbelegschaften
(„exklusive Solidarität“)
§  Debatten um die Schwierigkeiten der „Organisation der Unorganisierbaren“
§  Im letzten Jahrzehnt vermehrte Aktivitäten von Gewerkschaften prekär
Beschäftigte stärker einzubinden
§  Diskussion um Entwicklung von Ent-Prekarisierungspolitiken: z.B.
Arbeitszeitverkürzung, Mindestlöhne usw.
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Prekarisierung und Politik
§  Organisationsversuche der Prekären: Euromayday, Precarias a la deriva,
Prekäre Superhelden – immer auch Interventionen in Aktivitäten der
traditionellen Organisationen
—  (Selbst-)mobilisierung anhand eigener Erfahrungen und des Austausches mit
anderen – kommen aus prekären Bildungsschichten
§  Grundproblem: Wie können Prekäre aus anderen Schichten erreicht
werden
§  Versuch des Umgangs mit heterogenen Erfahrungen zwischen
verschiedenen sozialen Gruppen und Beschäftigungssituationen
§  Überschreitung der Grenze klassischer Erwerbsarbeit und privat, informell,
undokumentiert verrichteten Arbeiten und v.a. Sorgearbeiten
§  Kritik an traditionellen Repräsentationsformen in der ArbeiterInnenbewegung
und Forderung nach direkteren, nicht-repräsentationistisch orientierten
Formen von Demokratie
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„Wir sind prekarisiert. Das bedeutet ein paar gute Dinge (die Akkumulierung
unterschiedlichen Wissens und von verschiedenen Fähigkeiten und
Kompetenzen durch eine sich ständig neu konstituierende Arbeit und
Lebenserfahrung) und eine Menge negativer Dinge (Verletzlichkeit,
Unsicherheit, Armut, soziale Gefährdung). Doch unsere Situationen sind so
unterschiedlich, so singulär, dass es uns schwer fällt, den gemeinsamen
Nenner zu finden, von dem wir ausgehen könnten, oder die eindeutigen
Unterschiede, durch die wir einander bereichern könnten. Es ist schwierig für
uns, uns auf der gemeinsamen Basis von Prekärität auszudrücken und zu
definieren, einer Prekarität, die auf eine eindeutige kollektive Identität verzichtet,
in der sie sich simplifiziert und verteidigt, die aber nach einer Form der
gemeinsamen Verortung verlangt. Wir müssen über die Entbehrungen und den
Exzess unserer Lebens- und Arbeitssituationen sprechen, um der neoliberalen
Fragmentierung zu entkommen, die uns von einander trennt, schwächt und zu
Opfern von Angst, Ausbeutung oder dem Egoismus des "jede für sich allein"
macht. Allem voran wollen wir durch die Aufnahme eines gemeinsamen und
kreativen Kampfs die kollektive Schaffung alternativer Lebensentwürfe
ermöglichen.“ (Precarias a la deriva)
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