Bundesanstalt für Wasserbau Forschungskompendium Verkehrswasserbau 2015 Sicherheitskonzept für bestehende Wasserbauwerke (SiBeWa) Netzplan-Nr.: A39510070001 Projektleiter: Dipl.-Ing. C. Kunz, Abteilung Bautechnik E-Mail: [email protected] 1 Problemdarstellung und Ziel 1.1 Ingenieurwissenschaftliche Fragestellung und Stand des Wissens Die derzeit in Deutschland gültigen Bemessungsnormen gelten für Neubauten. Die Normen basieren auf einem semi-probabilistischen Sicherheitskonzept, bei dem die Streuungen von Einwirkungen (z. B. Lasten) und Widerständen (z. B. Material-Festigkeiten) jeweils über charakteristische Werte und dazugehörige Teilsicherheitsbeiwerte berücksichtigt werden. Mit Hilfe der daraus resultierenden Bemessungswerte wird innerhalb von Grenzzustandsgleichungen E d < Rd das gewünschte Sicherheitsniveau (z. B. nach DIN EN 1990) sichergestellt. Bestehende Wasserbauwerke genügen vielfach nicht mehr den aktuellen Normen, die Fortschreibungen und Erkenntniszuwächse sowie auch neue Zuverlässigkeitskonzepte enthalten. Bei bestehenden Bauwerken können gesellschaftlich adäquate Zuverlässigkeitsziele und Erkenntnisse aus qualifizierten Bestandsaufnahmen (z. B. Geometrie, Kenntnisse über das statische System, Messungen von Einwirkungen, Erkundung von Materialeigenschaften, ...) genutzt werden, um die im Normkonzept enthaltenen Unsicherheiten zu reduzieren. 1.2 Bedeutung für die WSV Die bestehenden, im Mittel rund 70 Jahre alten Wasserbauwerke der WSV (Wasser- und Schifffahrtsverwaltung) lassen sich mit Regelwerken für den Neubau schwer nachweisen, obwohl manche Bauwerke keine signifikanten Auffälligkeiten zeigen. Stilllegungen einerseits und generelle Grundinstandsetzungen andererseits strapazieren unverhältnismäßig Sachmittel- und Personalressourcen der WSV und behindern den Wasserstraßenverkehr. Ein unverhältnismäßiges Versagen von Wasserbauwerken muss dennoch ausgeschlossen sein. Eine Nachrechnungs-Unterlage nach dem aktuellen Sicherheitskonzept, das die Erkenntnisse aus dem Betrieb und Bestand des Bauwerks (Informationen über die tatsächliche Nutzung, vorhandene Bauwerkseigenschaften, …) angemessen berücksichtigt, soll das baurechtliche und nachweisrechnerische Defizit beseitigen, eine, ggf. auch quantitative Auskunft über die Sicherheit der Anlagen geben und zu einer Priorisierung von Instandhaltungsmaßnahmen führen. 1.3 Untersuchungsziel Ziel des FuE-Vorhabens ist für bestehende Wasserbauwerke die Ermittlung eines angemessenen Sicherheitsniveaus sowie die Bestimmung von modifizierten Teilsicherheitsbeiwerten, ggf. in Abhängigkeit von Randbedingungen, so dass die in Normen verankerten übliche Nachweisformate genutzt werden können. Damit soll eine praxisgerechte, sichere und wirtschaftliche Nachweisführung von bestehenden Wasserbauwerken bei Anwendung des semi-probabilistischen Sicherheitskonzeptes ermöglicht werden und eine a.a.R.d.T. für bestehende Wasserbauwerke erstellt werden. 2 Untersuchungsmethoden Die Untersuchung beinhaltet nach einem Literaturstudium über einschlägige Bearbeitungen die Durchführung von probabilistischen Analysen von Einwirkungen (Lasten) und Widerständen (Baustoffe), die im (Verkehrs-)Wasserbau von Bedeutung sind, mit Hilfe der Zuverlässigkeitstheorie. Weitere Methoden sind Zuverlässigkeitsberechnungen nach FORM/SORM (vereinfachte Verfahren) sowie probabilistische Berechnungen, jeweils mit einschlägiger Fachsoftware. Zur Durchführung der Zuverlässigkeitsanalysen sind Grenzzustandsfunktionen für die maßgebenden Versagensarten bei (Verkehrs-)Wasserbauwerken aufzustellen und innerhalb von Parameterstudien zu analysieren. - 49 - Bundesanstalt für Wasserbau Forschungskompendium Verkehrswasserbau 2015 3 Ergebnisse Aus Überlegungen wurde das Zuverlässigkeitsniveau für neue Wasserbauwerke zu = 3,8 über die geplante Nutzungsdauer TN = 100 Jahre identifiziert. Aus dem Sicherheitskonzept nach DIN EN 1990 lässt sich für bestehende Bauwerke ein restnutzungsdauer-orientiertes Konzept ableiten, das nach schadensfreien Jahren zu modifizierten Zuverlässigkeiten für die Restnutzungsdauern führt, vgl. Bild 1. Untersuchungen zu Modellunsicherheiten, Variationskoeffizienten und Umrechnungsbeiwerten wurden angestellt. Zum Nachweis bestehender Wasserbauwerke ist ein angepasstes Zuverlässigkeitskonzept in Arbeit, um die Besonderheiten bestehender Tragwerke innerhalb der Nachweisgleichungen berücksichtigen zu können. Auf Basis der Beziehungen in DIN EN 1990 wurden modifizierte Teilsicherheitsbeiwerte für einige Einwirkungen und Widerstände erarbeitet, die in Bild 2 a) und b) abgebildet sind. Als Restnutzungsdauer gilt dabei T RN = 30 Jahre. äqu. Zuverlässigkeitsindex b 4,00 3,80 3,60 3,40 3,20 3,00 2,80 2,60 2,40 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Bezugszeitraum [Jahre] Bild 1: äquivalenter Zuverlässigkeitsindex über den Bezugszeitraum 1,4 1,85 1,75 1,65 1,55 1,45 1,35 1,25 1,15 1,05 1,35 1,3 1,25 1,2 1,15 1,1 1,05 0 Bild 2: 0,2 0,4 0,6 Variationskoeffizient des Wasserstands 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 Variationskoeffizient der Betonfestigkeit Modifizierte Teilsicherheitsbeiwerte für a) die Einwirkung Wasserdruckkraft ɣQ= f(Vi) und b) für die Betonfestigkeit ɣM = f(Vi), jeweils für eine Restnutzungsdauer T RN = 30 a. In einem ersten Teilbericht „Sicherheitstheoretische Studie“, BAW (2014), sind Grundlagen, Literaturübersichten, einige Konzept-Ideen für die Anpassung des Zuverlässigkeitsniveaus, probabilistische Parameterstudien an einer exemplarisch unbewehrten Gewichtsstützmauer, angepasste Teilsicherheitsbeiwerte für einige relevante Einwirkungen und Widerstände dargestellt. Ergebnisse flossen in die Bearbeitung eines BAW-Merkblatt-Entwurfs „Tragfähigkeit bestehender Wasserbauwerke (TbW)“, BAW (2015) ein. In Vergleichsberechnungen an Wasserbauwerken wurden die modifizierten Teilsicherheitsbeiwerte bereits angesetzt und ließen dadurch bestehende Wasserbauwerke als rechnerisch standsicher bewerten. Ergänzungen und Verallgemeinerungen der FuE-Bearbeitung sowie Praxis- 50 - Bundesanstalt für Wasserbau Forschungskompendium Verkehrswasserbau 2015 Bezüge sind noch anzuschließen. In 2015 konnte eine befristete Forschungsstelle noch nicht besetzt werden, so dass vom Bearbeitungsfortschritt Verzögerungen eingetreten sind. 4 Arbeitsprogramm und Zeitplan 2016: − Weitere Analysen zu den relevanten Einwirkungen Erddruck und Eigenlasten, Überlegungen zu einem gesellschaftlich adäquaten Zuverlässigkeitsniveau, − Ableitung/Kalibrierung von (modifizierten) Teilsicherheitsbeiwerten nach der Zuverlässigkeitsmethode I. Ordnung (FORM/SORM), − Vergleichsrechnungen für ausgewählte Fälle mit der (voll-)probabilistischen Methode, − Zuverlässigkeitstheoretische Bewertung von nach früheren Normen erstellten (Verkehrs)Wasserbauwerken, − Probabilistische Betrachtung bestehender Wasserbauwerke aus Stahlbeton, Laufzeit des Vorhabens: 2011 bis 2016. 5 Literatur BAW (2015). BAW-Merkblatt „Tragfähigkeit bestehender massiver Wasserbauwerke (TbW)“ – Entwurf April 2015, Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. 6 Veröffentlichungen Kunz, C.; Stauder, F. (2013): Sicherheitskonzept für bestehende Wasserbauwerke. In: BautechnikTag 2013, Tagungsband, Hamburg, 11. bis 12.04.2013. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein. BAW (2014): FuE-Bericht: „Sicherheitskonzept für bestehende Wasserbauwerke – Teil 1: Sicherheitstheoretische Studie“, BAW-Nr. A39510070001-01, Dezember 2014. th Kunz, C.: (2015a): Reliability of existing structures. In: 36 IAHR World Congress, 28 June – 3 July, 2015, The Hague, the Netherlands (e-proceedings). Kunz, C.: (2015b): „Ein Konzept für Teilsicherheitsbeiwerte für bestehende Wasserbauwerke“. In: Bautechnik 92 (2015), Heft 8. Verlag Ernst & Sohn, Berlin 2015. - 51 -