100226_CfP Societas Ethica 2010

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Call for Papers zur Jahrestagung der Societas Ethica 2010
19.–22. August 2010 in Arnoldshain
Die heuristische Funktion der ›Supererogation‹ für die
ethische Beurteilung ökonomischen Effizienzdenkens
PD Dr. Arne Manzeschke, Arbeitsstelle für Theologische Ethik und Anthropologie, Universität
Bayreuth 95440 Bayreuth, [email protected]
Die vor allem in der Scholastik entwickelte Figur der Supererogation spielt in der Tradition
evangelischer Ethik eine eher marginale Rolle. Gleichwohl vermag diese in der jüngeren
philosophischen Tradition wieder entdeckte Figur erhellend wirken, wenn es um die
ethische Beurteilung ökonomischer Vorgänge geht. Der inaugurierte Vortrag will anhand
der ethischen Figur der Supererogation einen neuen Blick auf das Engagement von Mitarbeitenden in Not-for-Profit-Organisationen werfen und ein erweitertes Verständnis für ihr
Handeln sowie die spezifischen Anforderungen an diesen Organisationstyp gewinnen.
Supererogation bezeichnet ein Handeln, das als moralisch gut qualifiziert wird, aber über
das hinausgeht, was billigerweise von einem Handelnden gefordert werden könnte. Aus der
Beobachtungsperspektive genießt dieses Handeln zumeist große Anerkennung und Bewunderung; aus der Binnenperspektive des Handelnden versteht es sich dagegen oft als
eine ›Selbstverständlichkeit‹, als das, ›was getan werden musste‹. In der Regel wird hier
nicht ein Bewusstsein artikuliert, etwas besonders Verdienstmäßiges geleistet zu haben – darin unterscheidet sich eine heutige, oft säkulare Interpretation der Supererogation
von dem scholastischen Verständnis des späten Mittelalters, das sehr genau um den Unterschied zwischen meritum de congruo und meritum de condigno wusste und diesen Unterschied auch strategisch einzusetzen suchte.
Not-for-Profit-Organisationen, ganz besonders auch kirchliche Einrichtungen in der Trägerschaft von Diakonie oder Caritas, beziehen ihre Reputation wesentlich aus dem besonderen
Engagement ihrer Mitarbeitenden, die weit stärker als Mitarbeitende in For-Profit-Organisationen Arbeitsleistungen erbringen, die über das vertraglich Vorgeschriebene hinausgehen. Diese Mehrleistung lässt sich als eine moralische Verpflichtung begreifen, die sowohl
im Selbstverständnis der Organisation wie auch ihrer Mitarbeitenden verankert ist. Diese
moralische Mehrleistung hat nichts mit supererogatorischen Leistungen zu tun. Vielmehr
beruht sie auf der spezifischen Funktionslogik von Not-for-Profit-Organisationen und vielleicht auch auf der besonderen Tradition kirchlicher Einrichtungen. Sie hat einmal damit
zu tun, dass Leistungen solcher Organisationen in der Regel weniger genau beschrieben
und gemessen werden können. Zum anderen gründet die Mehrleistung in der ›Natur‹ des
Arbeitsfeldes; eine Arbeit die am Menschen (als Patientin, Klient, Bewohnerin, Hilfebedürf-
tiger) erbracht wird und diesem ganzen Menschen gerecht zu werden sucht und darin tendenziell unabschließbar ist – anders als die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen
im For-Profit-Sektor, die über einen mehr oder weniger eindeutigen Qualitäts- oder Normbegriff relativ klar und damit abschließbar definiert werden können.
In Not-for-Profit-Organisationen lässt sich im Zuge ihrer Ökonomisierung beobachten, dass
die Mitarbeitenden immer stärker in Konflikt geraten zwischen ihrem moralischem Anspruch, dem ganzen Menschen als Empfänger ihrer Dienstleistung gerecht zu werden, und
dem ökonomischen Imperativ, der die Organisation und damit auch ihr professionelles
Handeln bestimmt: Verluste bei der Leistungserstellung in jedem Fall zu vermeiden und
nach Möglichkeit sogar Gewinne zu erwirtschaften. Es lässt sich beobachten, wie die bisher
erbrachte freiwillige Mehrleistung der Mitarbeitenden im auf Effizienz getrimmten System
gewissermaßen ›eingepreist‹ wird und trotz Arbeitsverdichtung und Arbeitsvermehrung
eine weitere moralische Mehrleistung gefordert wird. Die Folge ist über weite Strecken ein
Motivationsverlust bei den Mitarbeitenden, innere oder äußere Kündigung, burn-out,
Krankheiten oder Mobbing.
In dem Maße, in dem die bisher freiwillig erbrachte moralische Mehrleistung in die Leistungsforderung der Organisation eingepreist wird, in dem Maße nimmt das moralische Engagement und die Motivation der Mitarbeitenden ab, in Teilen lässt sich darüber hinaus
sogar ein Rückgang der Leistungsqualität beobachten. Eine Folge der Ökonomisierung von
Not-for-Profit-Organisationen ist es, dass die expliziten Vertragsbestandteile immer stärker
(und umfangreicher) definiert werden und dabei die moralischen Forderungen gleichwohl
in ihrer Implizität unverändert aufrecht erhalten werden. Damit geraten die Mitarbeitenden
an eine physische, psychische und moralische Grenze. Als besonders schwierig erweist
sich in diesem Zusammenhang, dass die moralischen Forderungen (zentrales Element der
Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrer Arbeit) über das Leistbare und Forderbare in
das Supererogatorische hinübergleiten, also in den Bereich dessen, was man billigerweise
von den Mitarbeitenden nicht mehr fordern kann.
Als ›pervertierte Supererogation‹ bezeichne ich das Phänomen, dass im Zuge der
Ökonomisierung von Not-for-Profit-Organisationen von den Mitarbeitenden (immer) mehr
verlangt wird, als mit ihnen vertraglich ausgemacht worden ist. Das zeitigt kontraproduktive Effekte in Bezug auf die Motivation der Mitarbeitenden, die Qualität der Arbeit und das
Klima in der Organisation.
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