Kapitel 8 Thermodynamik 8.1 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik Das zentrale Konzept der Thermodynamik ist die Existenz der Temperatur (der sogenannte “nullte” Hauptsatz der Thermodynamik). Wir betrachten z.B. zwei Körper A und B. Der Körper A erscheint uns heiss, und der Körper B erscheint uns kalt. Wir bringen A in Kontakt mit B: Nach einer gewissen Zeit erscheinen uns beide Körper gleich warm. Beide Körper besitzen über ihre ganze Ausdehnung die gleiche Temperatur. Wir sagen, dass beide Körper sich im thermischen Gleichgewicht befinden. 339 Vom makroskopischen Standpunkt aus stellt die Temperatur eine Grösse dar, die in verschiedenen Systemen schliesslich Physik 340 Thermodynamik denselben Wert annimmt, wenn diese Systeme miteinander in Kontakt gebracht werden. Vom mikroskopischen Standpunkt aus ist die Temperatur ein Mass für die thermische Bewegung der Atome oder der Moleküle. Diese entspricht der inneren Energie U des Körpers, die die kinetische und die potentielle Energie aller Moleküle beinhaltet. 8.1.1 Definition der inneren Energie U = U ( p,V , T ,...) Die innere Energie U wird als eine Zustandsfunktion des Körpers bezeichnet. Sie hängt vom Zustand des Körpers ab und wird durch den Druck, das Volumen, die Temperatur, usw... des Körpers charakterisiert: Die Thermodynamik beschreibt thermische Vorgänge, in denen ein Körper aufgrund seiner Wechselwirkung mit seiner Umgebung von einem thermischen Gleichgewichtszustand (Anfangszustand) in einen anderen (Endzustand) gelangt. → U E = U ( pE ,VE , TE ,...) Während des Vorganges kann sich die innere Energie U des Körpers ändern: U A = U ( pA ,VA , TA ,...) Wir bemerken, dass die Änderung der inneren Energie nur vom Anfangs- und Endzustand abhängt, und nicht von den Zwischenzuständen ∆U ≡ U E − U A Wir definieren noch einmal (Siehe Kap. 7.5): Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Der erste Hauptsatz der Thermodynamik Die Wärme Q ist eine Form der Energie, die allein aufgrund eines Temperaturunterschiedes zwischen zwei Körpern ausgetauscht wird. Wenn wir einem Körper die Wärme Q zuführen, wird sich seine innere Energie ändern. In gleicher Weise kann man dem Körper Energie durch mechanische Arbeit W zuführen. Der erste Haupsatz der Thermodynamik sagt voraus, dass Energie dem Körper durch Wärme oder mechanische Energie zugeführt werden kann. 1. 2. Demonstrationsexperiment: Blei hämmern Temperaturmessung (°C) 341 Wegen den mechanischen Schlägen wird sich die Temperatur eines Körpers erhöhen: ein Bleistab wird verwendet. Wir messen die Temperatur des Stabes. Wir beobachten, dass seine Temperatur sich drastisch erhöht, wenn wir ihn hämmern. Physik 342 Thermodynamik Demonstrationsexperiment: Fallende Kugel erzeugt Wärme Eine Kugel wird losgelassen und fälllt auf einen Körper. Wir beobachten, dass die Temperatur des Körpers sich drastisch erhöht. Mechanische Energie wurde in Wärme umgewandelt. Temperaturmessung 8.1.2 Der erste Hauptsatz Die mechanische Arbeit und die Wärmeenergie stellen nur verschiedene Formen der Energie dar (Äquivalenz von mechanischer Arbeit und Wärme, Joule (1850)). Der erste Hauptsatz der Thermodynamik drückt die Äquivalenz und die Energieerhaltung aus. Er sagt: Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Mechanische Arbeit eines expandierenden Gases Die innere Energie U eines Körpers kann sowohl durch Zufuhr von Wärme als auch durch Leistung von mechanischer Arbeit verändert werden. dU = dQ + dW Wird der Körper einer infinitesimal kleinen Zustandsänderung unterzogen, gilt wobei dU die infinitesimale Änderung der inneren Energie U, dQ die zugeführte Wärme und dW die vom Körper geleistete Arbeit ist.1 8.2 Mechanische Arbeit eines expandierenden Gases Thermodynamik Die mechanische Arbeit, die benötigt wird, um den Kolben zu bewegen, wird vom Gas geleistet. Die vom Gas geleistete Arbeit während der Expansion dV. Der Druck des Gases ist als p bezeichnet. Wenn der Kolben eine Verschiebung dx nach rechts ausführt, ist die vom Gas geleistete Arbeit gleich Figur 1. Das Gas bewirkt eine nach aussen gerichtete Kraft F auf den Kolben, wobei dW = − Fdx = −( pA) dx Wir beginnen mit einer idealisierten Anordnung, in der sich ein Gas bei einem Druck p in einem Behälter befindet. Der Behälter wird mit einem reibungsfrei beweglichen Kolben der Fläche A verschlossen. Siehe Abb. 1. F = pA Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Bei einer Kompression des Gases ist dx negativ und dW positiv, d.h. seine innere Energie U erhöht sich. Beachte das negative Vorzeichen! Wir definieren die vom Gas geleistete Arbeit so, dass seine innere Energie U abnimmt, wenn das Gas expandiert. 344 Wegen dieser Kraft wird sich der Kolben in der Abb. 1 nach rechts bewegen. Das Gas expandiert. 343 1. dU ist ein totales Differential der Zustandsfunktion U. W und Q sind keine Zustandsfunktionen. dW und dQ sind im mathematischen Sinn keine totalen Differentiale, sie stellen nur sehr kleine Grössen dar. Man bezeichnet sie häufig als δQ und δW. Physik Thermische Prozesse des idealen Gases Thermodynamik Ve Va dW = − ∫ pdV Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) nRT dV V Diese Arbeit ist gleich der von der Bewegung des Kolbens geleisteten Arbeit. dW = − pdV = − Wenn das Gas expandiert, leistet es eine mechanische Arbeit W auf den Kolben. Für eine kleine Expansion dV ist die vom idealen Gas geleistete Arbeit gleich Die Geschwindigkeit der Expansion wird mit Hilfe der Kraft F kontrolliert, die auf den Kolben wirkt. Siehe Abb. 2. Wenn T=Konst., ist für das ideale Gas pV=Konst., und der Druck p and das Volumen V ändern sich gleichzeitig während des gesamten Expansionsvorgangs. Die Temperatur T des Gases wird in einer isothermen Expansion konstant gehalten. Wir betrachten die isotherme Expansion eines idealen Gases von einem Gasvolumen V1 zu V2. Wir haben in Kap. 8.1 ein Beispiel gesehen, in dem die Temperatur T eines Körpers durch eine Zufuhr von mechanischer Energie W erhöht wurde. Nun betrachten wir ein Beispiel, in dem eine Wärme Q mit einem Wirkungsgrad von 100% in mechanische Arbeit W umgewandelt wird. 8.3.2 Isotherme Ausdehnung und Umwandlung von Wärme in mechanische Arbeit dV = Adx Ve Va W=∫ die Anfangs- und Endvolumen des Gases sind. bei konstantem Druck 346 Arbeit der Expansion: Nach dieser Expansion hat sich das Volumen des Gases vergrössert und wir finden dW = − pdV Diese Beziehung gilt für eine beliebige Expansion eines Gases. Wenn das Volumen eines Gases von V bis V+dV expandiert, ist die vom Gas geleistete Arbeit gleich pdV, unabhängig von der Form des Behälters. 8.3 Thermische Prozesse des idealen Gases Wir betrachten die thermischen Prozesse von idealen Gasen. 8.3.1 Isobare Zustandsänderung und Ve Ein expandierendes Gas leistet die Arbeit W wobei Va Va Ve W = − p ∫ dV = − p(Ve − Va ) 345 Bei isobaren Zustandsänderungen wird der Druck p konstant gehalten Physik Thermische Prozesse des idealen Gases V1 Temperatur T (Wärmereservoir) Q V2 Temperatur T (Wärmereservoir) Q F F Figur 2. Isotherme Expansion eines Gases. Um die Temperatur des Gases während der Expansion konstant zu halten, muss Wärme zugeführt werden. Würden wir dem Gas keine Wärme zuführen, käme die Energie von der inneren Energie des Gases. Die Abnahme der inneren Energie würde als Temperaturabnahme des Gases beobachtet. Es folgt: Um die Temperatur des Gases während der Expansion konstant zu halten, müssen wir gleichzeitig Wärme zuführen. Da die innere Energie des idealen Gases nur von der Temperatur abhängt2, folgt T = Konst. ⇒ U ≡ U (T ) = Konst. ⇒ dU = 0 347 2. Im Fall des idealen Gases werden die intermolekularen Wechselwirkungen vernachlässigt und daher gibt es keinen Beitrag der potentiellen Energie zur inneren Energie. Die innere Energie für eine bestimmte Menge Gas bei einer festen Temperatur ist daher unabhängig vom Volumen (oder Druck) des Gases. Physik 348 Thermodynamik dU = dQ + dW = 0 und mit der Energieerhaltung ⇒ dQ = − dW Weil die Temperatur des Gases konstant ist, wird die gesamte zugeführte Wärme in mechanische Arbeit umgewandelt! V2 V1 V2 ⎛V ⎞ dV =nRT ln⎜ 2 ⎟ V ⎝ V1 ⎠ Für die ganze isotherme Expansion ist die gesamte zugeführte Wärme Q gleich V1 Q = ∫ dQ = − ∫ dW = −W = ∫ pdV = nRT ∫ isotherm T V2 Volumen pV=Konst. Eine solche Expansion kann mit Hilfe eines sogenannten pV-Diagramms graphisch dargestellt werden. Siehe Abb. 3. Druck p1 p2 V1 pV-Diagramm der isothermen Expansion. Der Betrag der geleisteten Arbeit ist gleich der getönten Fläche. Figur 3. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Thermische Prozesse des idealen Gases Thermodynamik ⇒ ∆U = ∫ dW = W Druck p1 p2 T1 V1 T2 V2 Volumen pV-Diagramm der adiabatischen Expansion des idealen Gases. und Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) CdT + pdV = CdT + dU = dQ = CdT nRT dV = 0 V Mit der Zustandsgleichung des idealen Gases erhalten wir dU = dQ + dW = 0 − pdV Nun bestimmen wir die pV-Kurve der adiabatischen Expansion. Es gilt Figur 4. adiabatisch Bei der adiabatischen Expansion nimmt der Druck p stärker ab als bei der isothermen Expansion mit gleicher Volumenzunahme, weil die Temperatur T abnimmt und pV=nRT gilt. Wir nehmen an, dass die Anfangs- und Endtemperaturen gleich T1 und T2 sind. Siehe Abb. 4. dU = dW 350 Im pV-Diagramm entspricht jeder Punkt (x=V,y=p) der Ebene einem bestimmten Zustand des Gases. Im Fall des idealen Gases entspricht eine Kurve pV=Konst einer bestimmten Temperatur oder inneren Energie. Weil die geleistete Arbeit gleich Ve Va W = − ∫ pdV ist, ist in einem pV-Diagramm der Betrag der geleisteten Arbeit gleich der Fläche unter der Kurve. 8.3.3 Adiabatische Ausdehnung adiabatisch Während der adiabatischen Ausdehnung des Gases wird keine Wärme ausgetauscht dQ ≡ 0 Wir betrachten die Expansion eines idealen Gases, das sich in einem thermisch isolierten Behälter befindet. ⇒ Weil das Gas keine Wärme aufnehmen oder abgeben kann, ist die geleistete Arbeit gleich der Abnahme der inneren Energie U: dU = dQ + dW Es folgt, dass die Temperatur des Gases während der adiabatischen Expansion abnimmt. 349 Bei der adiabatischen Expansion wird die Wärmeenergie, die im Gas gespeichert ist, in mechanische Arbeit umgewandelt. Physik C Thermische Prozesse des idealen Gases oder und daher dT dV + nR =0 T V dT nR dV + =0 T C V nR nR ⇔ γ − 1 = C C dT nR dV dT dV =0 + = + (γ − 1) T C V T V γ ≡ 1+ Wir definieren den Koeffizient γ als das Verhältnis und damit ∫ dT dV = − (γ − 1) ∫ ⇒ln T = − (γ − 1) ln V + Konst T V Durch Integration erhalten wir Daher TV γ −1 = Konst. pV γ = Konst. ln T + (γ − 1) ln V = Konst. ⇒ pV γ −1 V = Konst. ⇒ nR Mit pV=nRT finden wir noch Physik 351 352 Thermodynamik Die Koeffizienten γ für die Gase sind die folgenden: Helium He, Argon Ar γ=1,66; Stickstoff N2, Sauerstoff O2 γ=1,40; Kohlendioxid CO2 γ=1,28; Methan CH4 γ=1,29. Vergleich der isothermen und adiabatischen Expansion des idealen Die adiabatische und isotherme Expansionen sind in Abb. 5 gezeigt. Die vom Gas geleistete Arbeit ist gleich der Fläche unter der Kurve im pV-Diagramm. In beiden Fällen sinkt der Druck p mit zunehmenden Volumen. Figur 5. Gases. Die während der adiabatischen Expansion geleistete Arbeit ist kleiner als die der isothermen Expansion (für gleiche Volumenänderungen). Das ist zu erwarten, weil bei der adiabatischen Expansion die mechanische Arbeit auf Kosten der inneren Energie geleistet wird, und bei der isothermen Expansion die zugeführte Wärme in mechanische Arbeit umgewandelt wird. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Wärmemaschine 8.4 Wärmemaschine isotherm ⎛V ⎞ = −W isotherm = nRT ln⎜ 2 ⎟ ⎝ V1 ⎠ Mit der Methode der isothermen Expansion (Siehe Kap. 8.3.2) des Gases wird Wärme in mechanische Arbeit umgewandelt. Q wobei V1 das Anfangs- und V2 das Endvolumen des Gases ist. Thermodynamik Wärmepumpe W Wärmemaschine QK QW Wärmereservoir TW W Wärmereservoir TW QW Wärmereservoir TK Prinzip der Wärmemaschine und Wärmepumpe. Es gilt TW > TK. Wärmereservoir TK QK Figur 6. Demonstrationsexperiment: Wärmemaschine von Stirling Eine Maschine, die Wärme in mechanische Arbeit umwandelt, heisst eine Wärmemaschine. In einer periodischen Wärmemaschine wird ein Zyklus durchgeführt und die Maschine operiert periodisch. Am Ende des Zykluses befindet sich die Maschine wieder im Ursprungszustand. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) 3. R. Stirling (1790-1878). Er hat seine Maschine erfunden, als er 26 Jahre alt war. Dadurch wird die Luft periodisch zwischen dem “heissen” (TW) und dem “kalten” (TK) Teil der Maschine verschoben. Das Arbeitsgas der Maschine ist Luft. Die Maschine operiert zwischen zwei Temperaturen. Zwei Kolben (der Verdrängerkolben V und der Arbeitskolben A) werden vom Schwungrad S bewegt. Siehe Abb. 8. Der Kolben V ist um eine Phasendifferenz von 90° gegenüber dem Kolben A verschoben. Stirling3 hat um 1816 eine periodische Maschine erfunden und gebaut. Wir demonstrieren eine solche Maschine. Siehe Abb. 7. 354 Jede Maschine entählt eine Substanz (das Arbeitsmedium). In einer Wärmemaschine nimmt diese Substanz bei der höheren Temperatur TW die Wärme QW auf, verrichtet eine Arbeit W und gibt bei der tieferen Temperatur TK die Wärme QK ab. 353 Eine Wärmepumpe ist eine Wärmemaschine mit umgekehrter Arbeitsrichtung: die Substanz nimmt bei der tieferen Temperatur TK eine Wärme QK auf, und gibt unter Ausnutzung der Arbeit W die Wärme QW an das wärmere Reservoir der Temperatur TW ab. Siehe Abb. 6. Physik Illustration des Zykluses der Wärmemaschine von Stirling. Demonstrationsexperiment: die Stirling-Maschine Wärmemaschine Figur 7. Figur 8. Physik 355 356 Thermodynamik In der Praxis können das kalte Wärmereservoir Kühlwasser und das heisse Wärmereservoir die Flamme eines Bunsenbrenners sein. Wir messen die Temperatur im unteren Teil des Gasbehälters. Sie beträgt ca. 400°C. Das Kühlwasser hat eine Temperatur von ca. 20°C. Wir beobachten: 1. 2. Bewegen wir das Schwungrad S im Gegenuhrzeigersinn, dann läuft die Maschine nicht. Bewegen wir das Schwungrad S im Uhrzeigersinn, dann beginnt die Maschine frei zu laufen. Die Laufgeschwindigkeit wird schliesslich durch Reibungsverluste begrenzt. warme Temperatur (°C) Figur 9. Stirling-Maschine: das kalte Wärmereservoir ist Kühlwasser und das heisse Wärmereservoir ist eine Flamme eines Bunsenbrenners Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Wärmemaschine Natürlich kann die Stirling-Maschine auch “umgekehrt” laufen: 3. Die Stirling-Maschine kann auch umgekehrt laufen. Wir ersetzen die Flamme durch flüssigen Stickstoff mit einer Temperatur von ca. –200°C. Siehe Abb. 10 Figur 10. Schliesslich kann die Maschine als eine Wärmepumpe verwendet werden: 4. 357 Wir halten nun die Maschine an und bewegen das Schwungrad mittels einem Griff. Wir leisten Arbeit von aussen und die Maschine wird als Wärmepumpe betrieben: sie entnimmt Wärme aus dem kälteren Reservoir, um sie an das wärmere abzugeben. Physik 358 Thermodynamik 8.5 Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik Die thermische Energie der einzelnen Atome oder Moleküle in der gewöhnlichen Materie ist nicht sehr gross. Jedoch ist die thermische Energie einer relativ grossen Menge von Stoff nicht vernachlässigbar. Wir können z.B. die gespeicherte Energie in Wasser bestimmen. Bei Zimmertemperatur ist die Wärmekapazität von Wasser ungefähr 75 J/ mol/K (Siehe Kap. 7.5.3). Ein Mol Wasser enthält 18 g. Ein Kilogramm oder ein Liter Wasser entspricht ungefähr 55 Mol. Ein Schwimmbad der Länge 25m, der Breite 10m und der Tiefe 2m hat ein Volumen von 500 m3 oder 500’000 Liter. Die Wärmekapazität des Schwimmbads ist deshalb gleich 5 9 (5 × 10 l) × (55mol / l) × (75J / mol / K ) = 2 × 10 J / K oder 1 Giga-Joule pro Kelvin! Kann man diese grosse Menge thermischer Energie dem Schwimmbad entziehen? Wenn es so viel thermische Energie in unserer Umgebung gibt, warum brauchen wir Kohle- oder Kernkraftwerke? Warum können nicht Schiffe die thermische Energie von Seen nutzen, um sich zu bewegen? Die Antworten können mit Hilfe des Konzeptes der Entropie und des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik gefunden werden. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik 8.5.1 Der Carnotsche Kreisprozess Im Jahr 1824 hat Carnot4 Ideen zum Konzept der Entropie entwikkelt. Demonstrationsexperiment: Heissluftmotor - p(V)-Diagramm Wir betrachten wieder die Stirling-Maschine (Siehe Abb. 7 und 9). Die Maschine läuft als Wärmemaschine mit der Flamme als warmes Wärmereservoir. Der gemessene Druck des Arbeitsgases wird als Funktion des Volumens aufgetragen. Damit beobachten wir direkt das p(V)-Diagramm einer realen periodischen Maschine (Siehe Abb. 11). Die beobachtete Kurve entspricht einem komplizierten thermodynamischen Prozess. Carnot hat einen “idealisierten” Zyklus erfunden, um das Laufen von Wärmemaschinen zu modellieren. Carnot wollte den Wirkungsgrad von Wärmemaschinen verbessern. Carnot hat gefunden, dass es eine (theoretische) Wärmemaschine gibt, deren Wirkungsgrad nur von der Temperatur der Wärmereservoirs abhängt und dass dieser Wirkungsgrad für gegebene Temperaturen der maximal mögliche ist. Um diesen Satz zu beweisen, hat Carnot eine idealisierte Wärmemaschine erfunden: die Carnotsche Wärmemaschine. Diese Maschine ist eine idealisierte Anordnung, bei der die isotherme und die (reversible) adiabatische Expansion und Kompression eines idealen Gases benutzt werden. 359 Der Zyklus der Maschine (der Carnotsche Kreisprozess) wird mit Hilfe eines reibungsfrei beweglichen Kolbens durchgeführt. Das entsprechende pV-Diagramm ist in Abb. 12 gezeigt. 4. S. Carnot (1796-1832). Physik 360 Thermodynamik Figur 11. Das während der Vorlesung gemessenen pV-Diagramm der Stirling-Wärmemaschine. 1. Schritt 1: Das Gas befindet sich zu Anfang in einem Gleichgewichtszustand, der durch p1,V1,T1 charakterisiert ist. Das Gas expandiert isotherm (und langsam) in den Zustand p2,V2,T1. Um seine Temperatur konstant zu halten, muss das Gas eine Wärmemenge QW aus einem warmen Reservoir aufnehmen (QW>0). Der Kreisprozess läuft so: 2. Schritt 2: Das Gas wird abiabatisch weiter expandiert, bis es den Zustand p3,V3,T3 erreicht hat. Da keine Wärme ausgetauscht wird, fällt die Temperatur auf T3. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) 3. Schritt 3: Das Gas ist mit dem kälteren Wärmereservoir (T3<T1) der Temperatur T3 in Kontakt und wird auf das Volumen V4 komprimiert. Dabei gibt es die Wärme QK an das Reservoir ab (QK<0). Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik 4. Thermodynamik In einem Zyklus kehrt die Maschine zum Anfangszustand p1,V1,T1 zurück. Es folgt, dass die innere Energie U zu Beginn und am Ende des Zykluses denselben Wert hat. Aus der Energieerhaltung folgt ∆U = U E − U A = 0 = Q + W = QK + QW + W Weil die geleistete Arbeit gleich ion ns io n xpa ress e E omp er m adiab. K a di ab xp .E ⇒ a Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) W = QW − QK wobei wir die folgenden Ergebnisse benutzt haben: 1) QW>0 (die Wärme wird vom warmen Reservoir abgeben und wird vom Gas aufgenommen). 2) QK<0 (die Wärme wird vom Gas an das kalte Reservoir abgegeben). W = −W = QK + QW Aus der Energieerhaltung folgt, dass der Betrag der geleisteten Arbeit gleich dem Betrag der aufgenommenen Wärme QW minus der Betrag der abgegebenen Wärme QK ist Wir bemerken, dass die Arbeit mit einem negativen Vorzeichen definiert wurde (siehe Kap. 8.2), deshalb besitzt die Nettoarbeit einen negativen Wert (W<0). Ein negativer Wert entspricht einer vom Gas an seiner Umgebung geleisteten Arbeit, d.h. die Wärmemaschine leistet Arbeit an ihrer Umgebung. i s ot h 361 Volumen W = − ∫ pdV V4 V2 i n p4V4T3 Kosother sio m n pre m e s s io n V1 Das pV-Diagramm des Carnotschen Kreisprozesses. V3 p1V1T1 362 ist, ist der Betrag der Nettoarbeit während des Kreisprozesses gleich der Fläche innerhalb der Kurvenzüge. p2V2T1 p3V3T3 Schritt 4: Das Gas wird adiabatisch auf sein Anfangsvolumen V1 komprimiert. Die Temperatur steigt auf T1. Druck p1 p2 p 4 p3 Figur 12. Physik Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik Wir bemerken, dass die Maschine von Carnot, wie alle anderen Maschinen, die wir kennen, immer Wärme von einem warmen Reservoir aufnimmt, mechanische Arbeit leistet, und Wärme an die kältere Umgebung abgibt. Der Wirkungsgrad einer Wärmemaschine ist definiert als Verhältnis der geleisteten Arbeit und der zugeführten Wärme Q −Q Q W K ε= = W = 1− K QW QW QW Er gibt an, wieviel Wärme QW vom warmen Reservoir aufgenommen werden muss, um die mechanische Arbeit W zu leisten. Wie erwartet ist der Wirkungsgrad einer Wärmemaschine, die die ganze Wärme QW in mechanische Arbeit W umwandelt, d.h. W=QW und gleich 100%. QK=0, QK W In einer ähnlichen Weise ist die Leistungzahl einer Wärmepumpe definiert als Verhältnis der vom kalten Reservoir entnommenen (und an das warme Reservoir abgegebenen) Wärme und der mechanischen Arbeit, die dem Gas zugeführt werden muss. cL = 8.5.2 Der Wirkungsgrad der Carnotschen Wärmemaschine 363 Der Vorteil des Kreisprozesses von Carnot mit einem idealen Gas ist, dass wir die Wärme QW und QK bestimmen können. Physik 364 Thermodynamik Während der isothermen Expansion (Schritt 1) ist die aufgenommene Wärme gleich der geleisteten Arbeit (siehe Kap. 8.3.2) QW = nRT1 ln(V2 / V1 ) Während der isothermen Kompression (Schritt 4) ist die abgegebene Wärme gleich QK = nRT3 ln(V4 / V3 ) (Bemerke, dass V3 > V4, so dass QK < 0) Das Verhältnis der Gleichungen gibt QW T1 ln(V2 / V1 ) = QK T3 ln(V4 / V3 ) Nun müssen wir das Verhältnis der Volumina während der adiabatischen Expansion und Kompression bestimmen. und p4V4γ = p1V1γ Wir bemerken, dass für den adiabatischen Prozess gilt p2V2γ = p3V3γ p2 = RT1 / V2 ; p4 = RT3 / V4 γ −1 ⇒ TV = T3V3γ −1 1 2 p3 = RT3 / V3 ; Schliesslich benutzen wir die Zustandsgleichung des idealen Gases pV=nRT p1 = RT1 / V1; und erhalten RT RT 1 V γ = 3 V3γ V3 V2 2 Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik Thermodynamik V2 V3 = V1 V4 T3 <1 T1 ⎧T1 → ∞ ⇔⎨ ⎩T3 → 0 Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) es ist unmöglich, eine periodisch arbeitende Maschine zu bauen, die nichts anderes bewirkt, als durch Abkühlung eines Wärmereservoirs Wärme in mechanische Arbeit umzuwandeln. Thomson und Planck haben dieses Ergebnis so formuliert: Wäre der Wirkungsgrad einer Maschine gleich 100%, würde Wärme vom warmen Reservoir komplett in Arbeit umgewandelt. Das Theorem von Carnot sagt, dass eine solche (periodische) Maschine nicht existieren kann. Es folgt: und deshalb kann ein Wirkungsgrad von 100% nicht erreicht werden. εCarnot → 1 Der Wirkungsgrad einer idealen, reversiblen Wärmemaschine von Carnot könnte 100% nur erreichen, wenn T3 nach null oder T1 nach unendlich geht ε real < ε Carnot = 1 − Wir bemerken nun: Aus dem Theorem von Carnot folgt, dass eine reale Wärmemaschine nie einen höheren Wirkungsgrad als die Maschine von Carnot erreichen kann, und dass der Wirkungsgrad der Carnot-Maschine nur von den Temperaturen der Wärmereservoirs abhängt. Weil T3>0, ist der Wirkungsgrad immer kleiner als 100%: Reversibilität und Irreversibilität werden in den folgenden Abschnitten diskutiert. γ −1 TV = T3V4γ −1 1 1 γ −1 ⇒ 366 und γ −1 ⎛V ⎞ = ⎜ 3⎟ ⎝ V4 ⎠ Wenn wir beide Gleichungen durcheinander dividieren, folgt ⎛ V2 ⎞ ⎜ ⎟ ⎝ V1 ⎠ Mit diesem Ergebnis ist das Verhältnis einfach gleich QW T1 ln(V2 / V1 ) T ln(V2 / V1 ) T = =− 1 =− 1 QK T3 ln(V4 / V3 ) T3 ln(V3 / V4 ) T3 Q W T = 1− K = 1− 3 QW QW T1 Der Wirkungsgrad der Wärmemaschine von Carnot ist dann gleich εCarnot = Der Wirkungsgrad der idealisierten Wärmemaschine von Carnot hängt nur von den Temperaturen der Wärmereservoirs ab! Da 0<T3<T1 folgt, dass für den Wirkungsgrad 0<ε<100%. 8.5.3 Wärmemaschine mit maximalem Wirkungsgrad Carnot wollte die folgende Frage beantworten: wie gross ist der maximale Wirkungsgrad einer realen Wärmemaschine? Er stellte das folgende Theorem auf: 365 Der Wirkungsgrad aller zwischen zwei Temperaturen reversibel arbeitenden Wärmemaschinen ist gleich gross, und alle irreversiblen Wärmemaschinen haben einen kleineren Wirkungsgrad. Physik Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik Es wird immer ein zweites kälteres Wärmereservoir gebraucht und der Wirkungsgrad einer Wärmemaschine hängt von den Temperaturen beider Wärmereservoirs ab. Dieses fundamentale Ergebnis erklärt z.B. warum Schiffe die thermische Energie von Seen nicht nutzen können, um sich zu bewegen! Man kann nicht periodisch Energie von einem wärmeren Wärmereservoir entziehen, ohne einen Teil dieser Energie einem zweiten kälteren Wärmereservoir abzugeben. In einem Schiff könnte man z.B. Eis als zweites kälteres Wärmereservoir benuzten: der Motor des Schiffes würde dem See Wärmeenergie entziehen, mechanische Energie leisten und die bleibende Wärmeenergie dem Eis abgeben. Als Folge würde das Eis schmelzen und neues Eis müsste das geschmolzene ersetzen. Der Wirkungsgrad wäre nicht sehr gross (hängt von der Temperaturdifferenz zwischen Eis und See ab) und die Methode in der Praxis nicht sehr brauchbar! 8.5.4 Das Konzept der Irreversilibität Um sein Theorem herzuleiten, entwickelte Carnot das Konzept der reversiblen und irreversiblen Wärmemaschine: Das Konzept der Reversibilität und Irreversibilität ist grundlegend für die Thermodynamik. Man könnte a priori sagen: Ein nicht-reversibler Prozess ist ein Prozess, der nicht in umgekehrter Richtung ablaufen kann. Demonstrationsexperiment: Irreversibler Prozess mit farbigen Kugeln 367 Wir beginnen mit Kugeln in einem Behälter, die ganz nach Farben geordnet sind (Siehe Abb. 13). Sie werden gemischt durch Schütteln Physik 368 Thermodynamik des Behälters. Wir beobachten, dass die Kugeln gemischt werden. Sie sind nicht mehr nach Farben geordnet. Werden sie weiter geschüttelt, werden sie sich nicht mehr ordnen. Die Kugeln bleiben in einem “nicht geordneten” Zustand. Die Unordnung des Systems hat sich erhöht. Man muss die einzelne Kugel betrachten und jede Kugel ordnen, um wieder einen geordneten Zustand herzustellen. Der Prozess wird daher als irreversibel bezeichnet. Figur 13. Geordneter Anfangszustand der Kugeln. Das Papier wird weggenommen und der Behälter wird geschüttelt. Die idealisierte Maschine von Carnot läuft reversibel. Reale Maschinen laufen irreversibel. Im Allgemeinen sind Prozesse, bei denen mechanische Energie aufgrund von Reibung (oder anderen dissipati- Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ven Effekten wie z.B. viskose Kräfte, usw.) in Wärme umgewandelt wird, nicht reversibel. Reversible Prozesse müssen quasistatisch ablaufen, d.h., das System muss sich immer im Gleichgewichtszustand befinden. Prozesse wie Explosionen sind nicht reversibel. Vom Standpunkt der Thermodynamik kann die Reversibilität eines thermischen Prozesses so ausgedrückt werden: Ein thermodynamischer Prozess ist reversibel, wenn am Ende des Prozesses, der reversibel durchgeführt wurde, das System und seine lokale Umgebung in ihren Anfangszuständen wieder hergestellt werden können, ohne Änderung des Rests des Universums. 8.5.5 Thermische Irreversibilität Wir beobachten das Schmelzen von Eis in Wasser experimentell: Ein Stück Eis wird in eine Tasse mit Wasser eingetaucht. Das Eis schmilzt. Die Temperatur des Wassers in der Tasse sinkt. Ein solcher Prozess ist irreversibel. Es gibt nur eine Richtung für den Vorgang. Man beobachtet nie, dass ein Teil des Wassers sich spontan abkühlt, um sich in Eis umzuwandeln während das restliche Wasser sich erwärmt. Obwohl die Energieerhaltung den Prozess in beiden Richtungen erlaubt (d.h. er stimmt mit dem ersten Hauptsatz überein), wird er nur in eine Richtung beobachtet! Im Allgemeinen ist die Wärmeleitung nicht reversibel: 369 Werden zwei gleiche Körper verschiedener Temperatur miteinander in Berührung gebracht, nehmen sie beide nach einer gewissen Zeit die gleiche Zwischentemperatur an. Physik 370 Thermodynamik Der Prozess ist irreversibel. Man beobachtet nie, dass einer der Körper sich spontan abkühlt und der andere sich erwärmt, obwohl das von der Energieerhaltung auch erlaubt ist. 8.5.6 Mechanische Irreversibilität Wir betrachten einen kleinen mit Gas (oder Parfum) gefüllten Behälter, der sich in der Mitte eines Zimmers befindet und der geöffnet wird. Das Gas (das Parfum) expandiert im ganzen Zimmer. Der Prozess ist irreversibel. Man beobachtet nie, dass sich das Gas (das Parfum) nach einer gewissen Zeit spontan wieder im Behälter befindet. In ähnlicher Weise ist die freie Expansion eines Gases im Vakuum irreversibel. Wir betrachten einen Behälter, der zwei identische Volumen besitzt. Am Anfang befindet sich das Gas nur in einem Volumen (Siehe Abb. 14). Eine Klappe wird geöffnet und als Folge sind die zwei Volumen nicht mehr getrennt. Die Gasmoleküle bewegen sich und können die Trennung zwischen den Gasvolumen überqueren. Das Gas fliesst in das zweite Volumen und schliesslich werden sich die Gasmoleküle in beiden Volumen befinden. Wir bemerken: Die Gasmoleküle bewegen sich während der Expansion, ohne miteinander zu wechselwirken. Die Temperatur des Gases bleibt konstant während der Expansion. Der einzige Effekt der freien Expansion ist die Änderung des Volumens des Gases von VA bis VE (mit VE > VA) bei einer konstanten Temperatur T. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Klappe T=Konst. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik Volumen: VA Volumen: VE Figur 14. Die (irreversible) freie Expansion eines Gases im Vakuum. Die Klappe wird zu einer bestimmten Zeit geöffnet und das Gas expandiert. Die Temperatur des Gases ändert sich nicht während der Expansion. Um den Anfangszustand des Gases wieder herzustellen, muss das Gas isotherm komprimiert werden. In der idealen Situation könnte diese isotherme Kompression mit Hilfe eines reibungsfrei beweglichen Kolbens durchgeführt werden (Siehe Kap. 8.3.2). Eine mechanische Arbeit W muss geleistet werden, um das Gas zu komprimieren, und eine gleiche Wärmemenge Q muss einem Wärmereservoir abgegeben werden, um die Temperatur des Gases während der Kompression unverändert zu behalten. 371 Diese Wärme Q muss von der Umgebung oder dem Universum absorbiert werden: Physik 372 Thermodynamik Es ist daher unmöglich, die Kompression durchzuführen, ohne das Universum zu ändern. Die freie Expansion des Gases ist irreversibel. Diese Irreversibilität kann auch von einem mikroskopischen Standpunkt analysiert werden. Am Anfang befinden sich diese Moleküle nur im Volumen VA (Siehe Abb. 14). Die Klappe wird geöffnet und als Folge können die Gasmoleküle die Trennung zwischen den Gasvolumen überqueren. Sie fliessen in das zweite Volumen und schliesslich werden sie sich in beiden Volumen befinden. Wir betrachten nun die zufällige Bewegung dieser Gasmoleküle für eine gewisse Zeit. Man beobachtet nie, dass sich die Gasmoleküle zu einer späteren Zeit alle wieder im ersten Volumen befinden. Daher wird die freie Expansion als nicht reversibel betrachtet. Die zwei Gasmoleküle befinden sich im Volumen links Die zwei Gasmoleküle befinden sich im Volumen rechts Das erste Gasmolekül befindet sich im Volumen rechts und das zweite befindet sich im Volumen links Das erste Gasmolekül befindet sich im Volumen links und das zweite befindet sich im Volumen rechts Diese Art von Irreversibilität kann mit dem Demonstrationsexperiment mit farbigen Kugeln verglichen werden. Die Gasmoleküle können sich in Prinzip so bewegen, dass sie sich zu einer gewissen Zeit alle im ersten Volumen befinden. In diesem Fall wäre der Prozess nicht mehr irreversibel. Eine solche Situation ist nicht verboten! Es ist im Prinzip nicht unmöglich, dass alle Gasmoleküle sich zu einer gewissen Zeit im ersten Volumen befinden. Wenn wir z.B. ein Gas mit zwei Gasmolekülen betrachten, erhalten wir vier unterschiedliche Situationen: 1. 2. 3. 4. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik Wenn die Bewegung der Gasmoleküle zufällig ist, besitzt das einzelne Gasmolekül eine gleiche Wahrscheinlichkeit von 50%, sich im Volumen “links” oder “rechts” zu befinden. Die Wahrscheinlichkeit, beide Gasmoleküle im Volumen “links” zu finden, ist daher 25%. Wir erinnern uns nun daran, dass ein Mol von Gas mehr als 6×1023 Gasmoleküle enthält. Die Wahrscheinlichtkeit, dass alle Gasmoleküle sich wieder im ersten Volumen befinden, ist sehr klein! Wir schliessen daraus: Der Prozess der freien Expansion wird als nicht reversibel bezeichnet, weil die Wahrscheinlichkeit, dass alle Gasmoleküle sich zu einer gewissen späteren Zeit wieder im ersten Volumen befinden, extrem klein ist (obwohl nicht null). 8.5.7 Freie und isotherme Expansion des Gases Wir haben gesehen (Siehe Abb. 14), dass bei der freien Expansion die Temperatur des Gases konstant ist. Wir können daher die isotherme Expansion des idealen Gases (Vergleich Abb. 15 mit Abb. 14) betrachten. Was ist der Unterschied zwischen der freien Expansion und der isothermen Expansion? In beiden wird die Temperatur konstant gehalten. 373 Wir bemerken, dass bei der isothermen Expansion der Kolben eine fundamentale Rolle spielt. Um die Temperatur konstant zu halten, muss Wärme während der Expansion zugeführt werden. Diese Wärme wird der Umgebung abgegeben, wenn das Gas langsam wieder komprimiert wird, so dass nach der Kompression das Gas und die Umgebung sich in ihrem ursprünglichen Zustand befinden. Der Prozess ist reversibel ! Physik 374 Thermodynamik Q T=Konst. Kolben Kolben Figur 15. Die reversible (d.h. langsame) isotherme Expansion des idealen Gases. Um die Temperatur konstant zu halten, muss Wärme während der Expansion zugeführt werden. 8.6 Die Entropie Wie kann das Konzept der Reversibilität und Irreversibilität in mathematischer Form ausgedrückt werden? Gibt es eine Funktion, womit der zweite Hauptsatz der Thermodynamik in quantitativer Form beschrieben werden kann? Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Entropie 8.6.1 Die Definition der Entropie Mathematisch wird eine neue Zustandsfunktion, die Entropie S, eingeführt. Wie die innere Energie U ist die Entropie S eine Zustandsfunktion, die vom Zustand des Körpers abhängt. Sie wird durch den Druck, das Volumen, die Temperatur, usw... des Körpers charakterisiert: S = S ( p,V , T ,...) Wir unterscheiden die Entropie des Systems S und die seiner Umgebung SU ⎧S ≡ Entropie des Systems ⎨ ⎩SU ≡ Entropie der Umgebung Wie im Fall der inneren Energie U interessiert uns die Änderung der Entropie (und nicht der absolute Wert) ⎪⎧∆S = Änderung der Entropie des Systems ⎨ ⎩⎪∆SU = Änderung der Entropie der Umgebung dQ T Eine infinitesimale Änderung der Entropie wird definiert als dS = wobei T die Temperatur und dQ die bei der Temperatur T ausgetauschte Wärme ist. Einheit: Entropie [S] = J/K 375 Die genaue Berechnung einer endlichen Änderung der Entropie wird hier nicht behandelt5. Wir erwähnen nur einige Resultate. Physik 376 Thermodynamik Bei einer reversiblen isothermen Expansion eines Gases wird die gesamte Entropie des Gases und des Universums nicht geändert. Die Entropiezunahme des Gases wird von der Entropieabnahme des Universums kompensiert. Durch eine Berechnung würde man erhalten: ⇒ ∆S + ∆SU = 0 reversible isotherme Expansion: ⎧∆S = Q / T ⎨ ⎩∆SU = −Q / T wobei T die Temperatur ist und Q die gesamte übertragene Wärme. ⇒ ∆S + ∆SU = Q / T > 0 irreversible freie Expansion: Wenn wir nun die irreversible freie Expansion betrachten, wird die Entropieänderung des idealen Gases dieselbe wie bei der isothermen Expansion sein. Die Umgebung spielt keine Rolle während der Expansion und ihre Entropie bleibt daher unverändert. Es gilt in diesem Fall: ⎧∆S = Q / T ⎨ ⎩∆SU = 0 Wir bemerken, dass bei dem reversiblen Prozess die gesamte Entropie unverändert blieb, während sie bei dem irreversiblen Prozess zugenommen hat. 8.6.2 Entropie und Irreversibilität Mit der Entropie kann der zweite Hauptsatz der Thermodynamik als fundamentale Eigenschaften der Entropie ausgedrückt werden. Die fundamentalen Eigenschaften der Entropie sind die folgenden: 5. Da die gesamte Änderung der Entropie entlang einem reversiblen geschlossenen Weg gleich null ist, wird die gesamte Änderung der Entropie durch Integration über einen reversiblen Weg definiert. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Entropie 1) Die Entropie des Systems oder der Umgebung kann während eines thermodynamischen Prozesses zu- oder abnehmen. 2) Die gesamte Entropie (System und Umgebung) kann nie abnehmen ∆( S + SU ) ≥ 0 3) Bei reversiblen Prozessen bleibt die gesamte Entropie (d.h. System und Umgebung) konstant. Bei nicht-reversiblen Prozessen nimmt sie zu! 4) Die Entropie des Universums als ganzes kann nur zunehmen. Wir bemerken, dass in Prozessen, bei denen die gesamte Entropie zunimmt, eine Wärmemenge “entwertet” wird, weil diese Wärme einer Form von Energie entspricht, die nie mehr in mechanische Arbeit umgewandelt werden kann. Man kann sagen, dass die Entropie eine Richtung für die Zeit definiert. Sie fördert die Alterung des Universums. Das Universum entwickelt sich in diese Richtung. Nicht-reversible Prozesse geschehen und sie ändern das Universum in einer Weise, die nicht “ungeschehen gemacht” werden kann. Das Universum wird älter. Gibt es eine mikroskopische Interpretation der Entropie? Die Entropie ist ein Mass für die mikroskopische Unordnung eines Systems. Sie nimmt zu, wenn die Unordnung sich erhöht. 377 Der Zustand, bei dem alle Gasmoleküle sich im ersten Volumen befanden, entsprach einem geordneten Zustand. Die letzte Eigenschaft kann im Fall der freien Expansion eines Gases illustriert werden (Siehe Abb. 14). Als Folge der freien Expansion hat die Unordnung des Systems sich erhöht 1. Physik 378 Thermodynamik 2. Nach der Expansion ist der Zustand weniger geordnet. Um das System wieder zu ordnen, sollte man im Prinzip jedes Gasmolekül betrachten und alle nacheinander wieder im ersten Volumen anordnen. Diese Situation ist das Analog der Situation mit den farbigen Kugeln. Da ein Mol von Gas mehr als 6x1023 Gasmoleküle enthält, ist dieser Prozess in der Praxis unmöglich durchzuführen. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich)