Integration als gesellschaftliche Herausforderung begreifen

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Kolpingwerk Deutschland
- Bundesvorstand
Integration als gesellschaftliche Herausforderung begreifen
Forderungen des Kolpingwerkes Deutschland zur Integration von Geflüchteten
Viele Mitglieder des Kolpingwerkes Deutschland engagieren sich in der Arbeit für
Geflüchtete und mit Geflüchteten. Mittlerweile liegen erste wichtige Erfahrungen aus der
aktiven Integrationsarbeit des Verbandes sowie der verbandlichen Einrichtungen und
Unternehmen vor. Das Kolpingwerk Deutschland will sich an der notwendigen
politischen Debatte beteiligen und seine Erfahrungen in die Fachdebatten einbringen. Es
betrachtet die Integration von Geflüchteten als eine der größten gesellschaftlichen
Herausforderungen seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, die uns die
nächsten Jahre und Jahrzehnte begleiten wird.
Mit der Schaffung des Kolping-Netzwerks für Geflüchtete, einem Zusammenschluss
des Kolpingwerkes Deutschland, dem Verband der Kolpinghäuser und dem Verband
der Kolping-Bildungsunternehmen, wurde ein Integrationssystem geschaffen, das mit
seinen Strukturen und den vier Säulen „wohnen, begleiten, bilden und zusammenleben“
bundesweit Vorbildcharakter besitzt. Im Engagement für unbegleitete, minderjährige
Geflüchtete sieht das Kolpingwerk einen besonderen Auftrag.
Das im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbriefte Menschenrecht auf
Asyl sowie die weiteren europäischen und globalen Abkommen1 sind bei sämtlichen
politischen Aktivitäten und Maßnahmen einzuhalten.
Das Kolpingwerk Deutschland hält folgende Punkte zur Integration von Geflüchteten für
dringend geboten:
I.
Integration als Aufgabe
Die Integration von Geflüchteten ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten
1
Wie die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (1948), die „Genfer Flüchtlingskonvention“ (1951), die „Europäische Menschenrechtskonvention“ (1998), die „Beschlüsse des Europäischen Rates“ (1999), die „UN‐
Kinderrechtskonvention“ (1989) und die „Europäische Konvention über die Ausübung der Rechte des Kindes“ (1996). Seite 1
und muss in der Konsequenz Anliegen aller gesellschaftlichen Gruppen und staatlichen
Institutionen sein. Integration ist nicht als ein Selbstläufer zu verstehen. Sie gelingt nur,
wenn sich beide Seiten aktiv darum bemühen. Integration muss die gesellschaftliche
Teilhabe zum Ziel haben. Sie bedarf einer interkulturellen Öffnung von Verwaltungen und
sozialen Diensten.
Um
die
Aufgabe
der
Integration
zu
bewältigen,
ist
die
Schaffung
eines
Bundesministeriums für Integration und Zuwanderung zu begrüßen. In Bund, Ländern
und Kommunen ist Integrationspolitik in der Verwaltung als Querschnittsaufgabe zu
etablieren.
Eine intensive Debatte über die gesetzliche Verankerung einer mittel- und langfristigen
kontrollierten Zuwanderung wird zudem für notwendig erachtet, denn das Asylrecht
schließt nicht automatisch das Recht auf Zuwanderung und Einbürgerung ein.
II.
Asylverfahren
Die Asylverfahren müssen signifikant verkürzt werden, dazu müssen bürokratische
Hürden abgebaut werden. Jedoch müssen Einzelfallprüfungen weiter Standard bleiben.
Entsprechende Hilfestellungen (Übersetzung und Begleitung) bei der Bearbeitung von
Anträgen und Behördengängen sind sicherzustellen. Familien mit Kindern sind vorrangig
zu registrieren.
III.
Integrationsförderung
Integration
gelingt
dann,
wenn
geflüchtete
Menschen
mit
kulturspezifischen
Alltagssituationen umgehen können. Informations- und Bildungsangebote sind zu
entwickeln und zu unterstützen. Hierbei ist die Vermittlung von Kenntnissen,
Hintergrundwissen und interkulturellen Informationen sowohl für Bürgerinnen und
Bürger als auch für die Geflüchteten zwingend erforderlich. Zu solchen Angeboten
gehören Informationen über Herkunftsländer der Geflüchteten und über Deutschland.
Sie sind ggf. auch in der Muttersprache der Geflüchteten durchzuführen. Die im
Integrationsgesetz beschlossene Mitwirkungspflicht an Integrationsmaßnahmen ist zu
begrüßen.
Es muss sichergestellt werden, dass es ausreichende Möglichkeiten zur Teilhabe an
Maßnahmen
gibt,
damit
es
nicht
aus
Seite 2
einem
Unverschulden
heraus
zu
Leistungseinschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz kommt. Mit den betroffenen
Personen muss zusammen nach Lösungen gesucht werden. Sollte es dennoch zu
Kürzungen auf Grund von „Integrationsverweigerung“ kommen, dürfen die Geflüchteten
aber nicht unter ein menschenwürdiges Existenzminimum fallen.
Integrationsfördernde Maßnahmen müssen folgende Kriterien erfüllen:

Die Maßnahmen müssen in einer verständlichen Sprache oder in leichter
Sprache durchgeführt werden.

Bildungsmaterialien müssen kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Eine räumliche Nähe zur Unterkunft muss gegeben sein.

Die Erhöhung der Höchstteilnehmerzahl bei Integrationskursen darf sich nicht auf
die Qualität der Angebote auswirken.
Durch lang andauernde Asylverfahren darf es nicht zu einer Verzögerung der
Möglichkeit
des
Beginnes
eines
Sprach-
oder
Integrationskurses
kommen.
Orientierungsangebote sind - wie im Integrationsgesetz vorgeschlagen - gesetzlich zu
verankern.
Integrationsmaßnahmen und Angebote sind unabhängig von der Bleibeperspektive
zugangsfrei zu gestalten. Die Ausweitung der Verpflichtungsmöglichkeit zur Teilnahme
am Integrationskurs ist grundsätzlich zu fordern und zu fördern. Passgenaue
Integrationskurse müssen angeboten werden, um Personen mit fortgeschrittenen
Deutschkenntnissen besser zu fördern.
IV.
Integration durch Bildung und Qualifizierung
Ein ganzheitliches Bildungskonzept für geflüchtete Menschen ist zu schaffen bzw. das
bestehende Bildungssystem dahingehend zu öffnen. Der Zugang zu Sprachkursen
muss allen Personen von Beginn ihres Aufenthaltes an ermöglicht werden. Weitere
Angebote an Sprachkursen, unabhängig von den Integrationskursen, sind zu schaffen.
Der Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung muss auch für
geflüchtete Kinder beibehalten und umgesetzt werden, damit Bildung frühzeitig
beginnen kann.
Die Bundesländer und Kommunen müssen die Schulen in die Lage versetzen, dass die
Geflüchteten an der Beschulung ohne Zugangsprobleme teilnehmen können. Ein
primäres Ziel ist die sofortige Beschulung aller geflüchteten Kinder und Jugendlichen.
Für Geflüchtete, die keinen Schulabschluss oder beruflichen Abschluss haben, muss
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schnellstmöglich der nachträgliche Erwerb ermöglicht werden. Die gesellschaftlichen
und soziologischen Veränderungen, die sich durch die Geflüchteten ergeben, sind in
den Schulen zu thematisieren. In den Lehrplänen müssen Fragen von Integration,
interkulturellem
Lernen,
Religionsfreiheit
und
Gleichstellung
der
Geschlechter
aufgenommen werden.
Angebote an Kursen zur Potentialanalyse von Asylbewerber/innen, Kurse zur
Berufsorientierung und Berufseinmündung sowie Angebote von Umschulungen und
Anpassungsqualifikationen müssen noch verstärkter angeboten werden.
Für Geflüchtete müssen Berufsperspektiven fernab des Niedriglohnsektors bestehen.
Wirtschaft und Kammern, Gewerkschaften und Arbeitgeber/innen müssen kooperieren
und die Chancen nutzen, die sich angesichts einer abnehmenden Erwerbsbevölkerung
durch Geflüchtete mittel- und langfristig eröffnen.
Die Heranführung und Eingliederung in das Berufsleben muss durch zusätzliche
intensive
Sozial-
und
Netzwerkarbeit,
Beratungs-
und
Coaching-Prozesse,
psychosoziale Unterstützungsleistungen und durch projektbezogenes Arbeiten und
arbeitsplatzbezogene Qualifizierungsmaßnahmen erfolgen.
Die
Änderungen
im
Integrationsgesetz
bezüglich
der
Sonderreglung
für
die
Ausbildungsförderung von Personen mit guten Bleibeperspektiven sind zu begrüßen.
Aber auch für geduldete Personen muss es die Möglichkeit für berufsvorbereitende
Bildungsmaßnahmen einschließlich paralleler Berufsausbildungshilfen geben. Diese
dürfen nicht erst, wie im Integrationsgesetz beschlossen, nach sechs Jahren möglich
sein.
Bürokratische
Hemmschwellen
der
beruflichen
Integration
(Praktika,
Berufsvorbereitungsmaßnahmen etc.) müssen werden. Anerkennungsverfahren für
Berufsqualifikationen, Hochschulzeugnisse und Weiterbildungen aus dem Herkunftsland
müssen vereinfacht werden.
Für Geflüchtete mit einem nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt müssen gesonderte
Maßnahmen bereitgestellt werden. Ein System, welches versucht, sie zu aktivieren
sowie stufenweise und nachhaltig in Arbeit oder Ausbildung zu integrieren, wird
gefordert. Im Zuge dessen ist das Aussetzen der Vorrangprüfung im Integrationsgesetz
zu begrüßen.
Die im Integrationsgesetz beschlossene Rechtssicherheit für den Aufenthalt während
einer Ausbildung und die Duldung während der Arbeitsplatzsuche ist zu begrüßen und
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konsequent durchzusetzen. Sollte es zu einem Ausbildungsabbruch kommen, sind die
Hintergründe jedoch genau zu prüfen, bevor es zu einem Erlöschen des
Aufenthaltstitels kommt. Besondere Unterstützung von jungen Geflüchteten, die einen
Ausbildungsplatz abgebrochen haben, ist notwendig.
V.
Unterbringung
In dezentralen Unterbringungsformen muss eine soziale Begleitung gewährleistet sein.
Es
bedarf
zudem
einer
Gemeinschaftsunterkünften.
Begrenzung
Familien
mit
der
Kindern
Verweildauer
benötigen
eine
in
den
schnelle
Unterbringung in Wohnungen, die es ihnen ermöglicht, auch als Familie zu leben.
Besonders Jugendliche brauchen hier eine intensivere Betreuung. Eine längere
Verweildauer
von
unbegleiteten
minderjährigen
Geflüchteten
in
betreuten
Wohneinrichtungen muss ermöglicht werden.
Hürden bei dem Übergang in den regulären Wohnungsmarkt sind mit Hilfe der Städte
und Gemeinden abzubauen. Kommunale Konzeptentwicklung für eine integrierte
Wohnunterbringung sind erforderlich. Investitionen in den sozialen Wohnungsbau sind
zwingend notwendig.
Die im Integrationsgesetz beschlossene Wohnsitzzuweisung ist als Lenkungsinstrument
positiv zu bewerten. Sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 26 GFK) als auch die
Qualifikationsrichtlinie der EU (Art. 33) garantieren das Recht auf Freizügigkeit für
Geflüchtete. Dieses Recht gilt es einzuhalten.
VI.
Familiennachzug
Der Familienzusammenhang ist zu schützen und zu stärken. Familiennachzug muss für
alle Personen mit Bleibeperspektive, auch für Geduldete ermöglicht werden. Dazu
gehört, dass der Familiennachzug zügig ermöglicht wird und Geflüchtete mit
Verwandten in Deutschland in deren Nähe untergebracht werden.
VII.
Medizinische Versorgung
Geflüchteten ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung durch die Bereitstellung von
Gesundheitskarten
zu
ermöglichen.
Dies
Verwaltungsaufgaben der Gemeinden.
Seite 5
führt
zu
einer
Entlastung
von
VIII.
Integration von besonders schutzbedürftigen Personen
Geflüchtete bis zum 28. Lebensjahr haben Zugang zu Angeboten der Jugendhilfe (SGB
VIII) und auch für den Rechtsbereich SGB II und v.a. SGB III. Für Geflüchtete über 28
Jahren müssen spezielle Angebote geschaffen werden, die deren Alltagsintegration
fördern. Auch in diesem Alter ist oftmals noch eine Betreuung, zum Beispiel angelehnt
an die Jugendhilfe, notwendig.
Im Zuge der Sicherung des Kindeswohls sind die Hilfen bei der Aufarbeitung der
Fluchthintergründe und -geschichte, eine Klärung der asylrechtlichen Angelegenheiten
und die Prüfung einer Familienzusammenführung sicherzustellen.
Der Zugang zu Reha-Ausbildungen für traumatisierte und psychisch beeinträchtige - vor
allem jungen Geflüchteten - muss vereinfacht und das Angebot an solchen Plätzen
weiter ausgebaut werden.
Es bedarf einer besonderen Förderung von Integrationsmaßnahmen für Frauen.
Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter sind zu unterstützen und sichere
Räume für geflüchtete Frauen zu schaffen.
IX.
Finanzierung
Bundesweit agierende zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände gilt es durch
finanzielle Mittel des zu schaffenden Ministeriums für Integration und Zuwanderung zu
fördern. Die Kirchen sind gefordert, auch kirchliche Verbände finanziell zu unterstützen,
die nicht der Caritas oder der Diakonie zugeordnet sind.
Ehrenamtlich Engagierte, die sich in der Integration von Geflüchteten betätigen, müssen
kostenfreie
Weiterbildungsangebote
entsprechende
erhalten
Aufwandsentschädigung.
und
Ebenso
haben
Anspruch
müssen
diese
auf
eine
bestehende
Vergünstigungen der Kommunen – z.B. in den Bereichen Kultur und Soziales – erhalten.
X.
Fluchtursachenbekämpfung
Der Papst beschreibt in seiner Sozialenzyklika „Laudato Si“, dass der globale Norden
und jeder Einzelne eine besondere Verantwortung für die durch ungerechte und
ausbeuterische
Wirtschaftsstrukturen
hergestellte
Armut
trägt.
Globale
Fluchtbewegungen sind auch eine Antwort auf unseren Wohlstand. Diese sind u.a. in
Ressourcenausbeutung, Umweltkatastrophen und unfairem Handel begründet.
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Um der wachsenden Kluft zwischen den industrialisierten Staaten und den
Entwicklungsländern entgegenzutreten, wird eine Verdoppelung des Etats des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
gefordert. Zugleich sind auch alle anderen Staaten in Europa gefordert, in diesem
Bereich
ein
internationalen
erhöhtes
finanzielles Engagement
Partnerschaftsarbeit
steht
zu
das
leisten. Im Rahmen seiner
Kolpingwerk
mit
anderen
entwicklungspolitischen Fachorganisationen in der ersten Reihe, wenn es
darum geht, das Leid vieler Menschen vor Ort zu lindern.
Die Bundesregierung trägt eine besondere Verantwortung für die Folgen einer
expansiven Waffenpolitik. Waffengeschäfte in Krisen- und Kriegsgebiete müssen
unterbleiben. Gefordert wird eine höhere Besteuerung für Waffenexporte aller Art.
Genehmigte Waffengeschäfte sind zu veröffentlichen.
Das Kolpingwerk Deutschland wird die Integration von Geflüchteten als neuen
gesellschaftlichen Handlungsauftrag um- und fortsetzen.
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