Leitungswasser und Kontaktlinsen

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Leitungswasser und Kontaktlinsen
Imre Kovats
Ein Thema das unerschöpflich scheint: Die Verwendung von Leitungswasser bei
formstabilen Kontaktlinsen. Im Folgenden werden einige immer wieder auftretende
Fragen beantwortet. Ebenso sollen falsche Behauptungen widerlegt werden.
Quellen werden vom Autor gerne bei Bedarf abgegeben, Es soll aber keine
wissenschaftliche Arbeit, sondern eine einfache Erklärung des Sachverhaltes sein.
Dabei geht es auch um Acanthamöben, die die Deutsche Gesellschaft für
Protozoologie zum Einzeller des Jahres 2012 gekürt hat.
(http://www.protozoologie.de/Einzeller_des_Jahres/2012_Acanthamoeba/Acanthamo
eba_castellanii_Flyer_final_version.pdf)
Wie es dazu kam
In der Norm ISO 11978 vom März 2000, wurde im Abschnitt 4.3, o) festgelegt, dass im
Beipackzettel von Kontaktlinsen stehen muss, dass kein Leitungswasser zum Spülen von
Kontaktlinsen und Kontaktlinsenbehälter verwendet werden darf. Es kam natürlich sofort
der Verdacht auf, dass die Pflegemittelindustrie hier etwas gemacht hat, um ihr eigenes
Geschäft zu fördern.
In der Normungsgremien arbeiten neben den Industrievertretern auch Behörden und in
diesem Fall auch Konsumentenschützer und Linsenanpasser zusammen. Die Industrie hat
deshalb nur dann die Möglichkeit etwas durchzusetzen, wenn sie sehr gute Argumente
hat. Was sind das für Argumente? Geht es um die Sicherheit des Kontaktlinsentragens
oder doch um Pflegemittelumsätze?
Was ist im Leitungswasser?
Leitungswasser ist nie steril und schon gar nicht desinfizierend. Es sind immer
verschiedene Keime im Wasser. Die Art der Keime und die Keimdichte sind sehr
unterschiedlich je nach Klima, Wasseraufbereitung, Installation usw. Zudem hat es oft
Substanzen im Wasser, die wir am Auge und an den Linsen nicht gerne sehen,
beispielsweise Chlor und Kalk. Abgesehen davon ist am Auge, insbesondere für
Weichlinsen-Träger der pH-Wert des Leitungswassers ungünstig. Für das Wasser im
öffentlichen Netz gibt es Hygiene-Vorschriften, die meist aber nur Coliforme Bakterien
betreffen.
Für Kontaktlinsentragende Augen gibt es vorallem zwei Keimarten, die im Zusammenhang
mit Wasser Probleme verursachen können. Das sind Bakterien und Amöben. Pilz- und
Vireninfektionen sind im Zusammenhang mit Wasser weniger von Bedeutung.
Bakterielle Infektionen am Auge treten vorallem im Zusammenhang mit warmen
Sprudelbädern (Whirlpools, Jacuzzis) auf. Oft sind die Düsen so ausgerichtet, dass auch
der Darmausgang gespült wird. Die Keimdichte, insbesondere von Kolibakterien, ist
deshalb in diesem warmen Wasser oft so hoch, dass die angelegte Desinfektion nicht
ausreicht. Reine bakterielle Infektionen am Auge sind aber in der Regel leicht zu
behandeln und ergeben auch keine Folgeprobleme.
Acanthamöben
Das grössere und gravierende Problem sind Acanthamöben. Sie verursachen Infektionen
die erheblich gravierender und folgeschwerer sind. Das hat auch damit zu tun, dass hier
die Behandlung sehr rasch erfolgen muss und sehr oft Fehldiagnosen den effektiven
Behandlungsstart verzögern. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Da diese Infektionen
seltener sind als virale Infekte, werden sie oft verwechselt, insbesondere mit Herpes
Simplex- Infektionen. Zudem gibt es eine Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen, je nach
Quelle auch mehr. Obwohl sie nur indirekt von den üblichen Desinfektionsmethoden im
öffentlichen Netz mit Chor und UV beeinflusst werden, ist das öffentlich Netz in Bezug auf
die Acanthamöben meist nicht das Problem, sondern die Hausinstallation.
Sie treten in zwei Formen auf: Als Zysten sind sie sehr langlebig und widerstandsfähig. Die
aktive Form nennt man Trophozoiten.
Acanthamoeba-Infektionen sind selten. In der Schweiz rechnet man mit etwa zwölf
Infektionen pro Jahr. Die Zahlen von anderen Ländern sind mir nicht bekannt. In 85% bis
90% der Fälle sind Linsenträger betroffen. Die Behandlung dauert in der Regel Wochen
bis Monate. Die Folge ist fast immer eine bleibende, stark reduzierte Sehschärfe, sie kann
aber auch zum Erblinden führen.
Was nicht genügend bekannt ist: Acanthamöben ernähren sich von Bakterien und können
nur mit Bakterien zusammen (als Trophozoiten) aktiv sein. Das heisst eine Acanthamöbeninfektion ist sehr oft auch von einer leicht diagnostizierbaren bakteriellen Infektion
begleitet.
Das ist auch der Grund, dass auch Linsenbehälter nicht mit Leitungswasser gespült
werden dürfen. Da sich in den Behältern immer Keime befinden, kann ein Linsenbehälter
einen sehr guten Nährboden für Acanthamöben bilden.
Acanthamöben können als Zysten zeitlich fast unbeschränkt überleben. Erst Hitze ab 65°
während 30 Minuten kann sie töten. In 3% Wasserstoffperoxid werden je nach Spezies bis
sieben Stunden benötigt (A.Castelanii, 6 Logs Reduktion). Im Trophozoitenstadium
braucht es weniger als eine Stunde .
Um sich am Auge einnisten zu können, braucht die Acanthamöbe zusätzlich zu den
erwähnten Punkten auch eine (wenn auch nur sehr kleine) Verletzung der
Augenoberfläche. Das Einnisten in der Hornhaut ist leichter möglich als in der Bindehaut,
da hier die entsprechenden Abwehrfunktionen, wegen der fehlenden Blutgefässe relativ
schwach sind. Da ein solches blutarmes, heikles Gewebe sonst am gesunden Körper nicht
vorkommt, ist die Hornhaut am weitaus stärksten gefährdet.
Für eine Acanthamöbeninfektion am Auge braucht es demnach folgende
Voraussetzungen:
-
Leitungswasser
-
Bakterien
-
Oberflächendefekte an der Hornhaut
Das sind die Gründe, weshalb vorallem Linsenträger von dieser Infektion betroffen sind!
Leitungswasser alleine, beispielsweise beim Duschen, kann kaum zu einer Infektion
führen. Hingegen eine Kontaktlinse und/ oder ein Linsenbehälter mit Ablagerungen bilden
eine sehr gute Basis für eine Acanthamöbeninfektion. Dazu kommt die lange Kontaktzeit
der Linse auf dem Auge mit einer erhöhten Gefahr von kleinen Verletzungen,
insbesondere von Stippen bei formstabilen Linsen oder Dehydratationsstippen bei
weichen Kontaktlinsen.
Risiken und was dagegen getan werden kann
Um Risiken von Acanthamöbeninfektionen zu minimieren, sollte man sich bewusst sein,
dass folgende Umstände und Einrichtungen, das Risiko erhöhen:

Abgestandenes Wasser (Wasser aus Tanks). Wassertanks sind vorallem in
südlichen Ländern und in Grossbritannien sehr verbreitet. Das heisst langes
vorlaufen lassen kann hier das Problem nicht beheben. Die Lösung hierfür heisst
Wasserfilter, wobei darauf geachtet werden muss, dass der Filter fein genug ist
auch Zysten zurückzuhalten.

Erwärmtes Wasser (wegen dem Keimwachstum und dem Boiler als Wassertank).
Deshalb nie warmes, oder noch schlechter, lauwarmes Wasser verwenden.

Siebe an Wasserhähnen (Perlatoren). In diesen „Strahlreglern“, wie sie eigentlich
heissen, setzt sich unter Anderem Kalk an. Darauf können sich Acanthamöben –
Trophozoiten sehr leicht festsetzen. Dieses Problem kann durch langes Vorlaufen
mit heissem Wasser entschärft werden.
Die Verwendung von Mineralwasser im Notfall ist umstritten. Auch Mineralwasser ist nicht
keimfrei. Aber kohlesäurehaltiges Mineralwasser ist im Notfall wohl die beste Alternative,
wenn keine Linsenpflegemittel oder physiologische Kochsalzlösungen erreichbar sind.
Linsenetuis sollten mit einem Einmal-Papiertuch ausgerieben werden und die Linsen vor
dem Einsetzen nochmals gespült werden. Um Fussel an der Linse zu vermeiden, genügt
es meist schon den Linsenbehälter vor dem Herausnehmen der Linse zu schütteln. Nach
der Entnahme der Linse, sollte der Behälter sofort gereinigt, mit Lösung gefüllt und wieder
verschlossen werden. Neuere Untersuchungen zeigen in der Badezimmerluft sehr hohe
Keimdichten, deshalb soll der Behälter nicht offen gelassen werden.
Diese Massnahmen dienen nicht nur dazu Acanthamöben – Infektionen zu vermeiden. Sie
vermindern grundsätzlich Infektions- und andere Risiken, denn es hat im Leitungswasser,
wie bereits erwähnt, auch weitere Stoffe, wie Kalk, Chlor, Metallspuren aus den Leitungen
usw., die weder an die Kontaktlinse noch ans Auge gehören.
Das alles hat zur Folge, dass eine sichere Anwendung von Kontaktlinsen mit
Leitungswasser nicht möglich ist.
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