Das Ende der Eiszeit?

Werbung
20 LÄNDERSPEZIAL: RUMÄNIEN
2
Rumänien
UA
MD
Bukarest
Schwarzess
Meer
BG
SER: Serbien
BG: Bulgarien
GR: Griechenland
TR: Türkei
UA: Ukraine
MD: Moldawien
Ausgebremst
Rumänien bietet Investoren wegen seiner
Lage und seines großen Binnenmarktes
großes Potenzial. Die Folgen der EuroKrise, politisches Gerangel und Misswirtschaft bremsen die Wirtschaft in diesem
Jahr aber stark.
Kennzahlen
Bruttoinlandsprodukt
Veränderung zum Vorjahr in Prozent
+7,3 %
+2,5 %
2009
2008
+0,5 %
2010
2012
2011
-1,6 %
Prognose
-6,6 %
Inflationsrate in Prozent
Prognose
8
3,1 %
Das Ende der
Eiszeit?
Der Machtkampf zwischen Präsident
und Premier hat Rumänien gelähmt. Die
Wirtschaft hofft jetzt auf neuen Schwung.
ä Anstehende Parlamentswahl
bringt wohl klare Verhältnisse.
handlungsfähige Regierung gerade jetzt so wichtig, da mit der Euro-Zone der wichtigste Handelsä Stagnierende Wirtschaft soll
partner in der Rezession versinkt.
2013 wieder spürbar wachsen.
Die Paralyse schlägt sich in den
ä Firmen drängen auf
Zahlen nieder: Die Direktinvestiwichtige Reformen.
tionen aus dem Ausland sind stark
rückläufig, das WirtschaftswachsTill Hoppe
tum lahmt. Der Internationale
Berlin
Währungsfonds (IWF) senkte seioch im Sommer lieferten ne Prognose für dieses Jahr von 1,5
sich Rumäniens Premier- auf 0,9 Prozent, die Europäische
minister Victor Ponta und Bank für Wiederaufbau und EntStaatspräsident Traian Ba- wicklung erwartet in ihrer neuen
sescu den lautstärksten Macht- Prognose nur noch ein Plus von eikampf in ganz Europa: Ponta ver- nem halben Prozent. „Wirtschaftsuchte, seinen Rivalen aus dem lich war das ein verlorenes Jahr“,
Amt zu vertreiben, Basescu be- sagt Sebastian Metz, Geschäftsfühzichtigte ihn des versuchten rer der Deutsch-Rumänischen
Staatsstreichs und alarmierte die Handelskammer (AHK).
EU. Seit einigen Wochen herrscht
Für 2013 rechnen Volkswirte
nun Waffenstillmit einem Wachsstand, und die
tum von immerhin rund zwei
Kontrahenten geProzent. Viele Unhen sich lieber
ternehmen setzen
aus dem Weg –
Wachstum für 2013
darauf, dass die
das Getöse um die
erwartet die Europäische Neuwahl des Parschließlich
geEntwicklungsbank –
laments am 9. Descheiterte Amtsdeutlich mehr als 2012.
zember frischen
enthebung
hat
Quelle: EBRD
Schwung bringt.
dem Ansehen beiVieles spricht dader schwer geschadet.
für, dass Pontas linksliberale KoBürger wie Investoren hoffen, alition einen klaren Sieg einfährt,
dass sich die politische Elite des in Umfragen erhält sie rund die
Landes jetzt wieder ihrer eigentli- Hälfte der Stimmen. Die Konserchen Aufgabe zuwendet: dem Re- vativen um den formal parteilosen
gieren. Rumänien hatte sich nach Präsidenten Basescu bleiben undem EU-Beitritt 2007 Schritt für ter 20 Prozent. Mit einem eindeuSchritt den Standard der Gemein- tigen Wählervotum im Rücken
schaft angenähert, in diesem Jahr könnte sich die Regierung Ponta
aber stockt die Aufholjagd: Vor ans Werk machen.
Der Machtkampf wäre damit
dem Konflikt zwischen Ponta und
Basescu hatte das Land bereits wohl entschieden. „Eine eindeutizwei Regierungswechsel gesehen, ge Mehrheit wäre gut für die politidie vielen drängenden Probleme sche Stabilität“, sagt die Politikbleiben liegen. Dabei wäre eine wissenschaftlerin Alina Mungiu-
N
1,9 %
6
4
2
0
2008
2009
2010
2012
2011
Arbeitslosenquote in Prozent
Prognose
8
7,2%
6
4
2
0
2008
2009
2010
2012
2011
Haushaltssaldo in Prozent des BIP
+9,0 %
+6,8 %
+5,7 %
+5,2 %
+2,8 %
2008
2009
2010
2011
2012
Prognose
Deutsche Importe/Exporte in Mrd. Euro
10
6
Importe
4
2008
2009
2010
2011
Deutsche Direktinvestitionen
in Rumänien, in Mio. Euro
608
490
336
242
2008
Handelsblatt
2009
2010
2011
Quellen: Eurostat,
Destatis, Bundesbank
Suspendierung Anfang Juni
beschließt die Koalition von
Premier Ponta im Parlament,
Präsident Basescu zu suspendieren. Sie wirft ihm vor, seine
verfassungsmäßigen Rechte
überschritten zu haben, indem
er sich in die Arbeit der Regierung einmische. Eine Volksabstimmung soll über Basescus
Schicksal entscheiden.
EU-Intervention Ponta zeigt
in seinem Vorgehen wenig
Respekt vor den Gesetzen des
Landes. Von Basescus Lager
alarmiert, schreitet EU-Kommissionspräsident Barroso ein
und ermahnt Ponta mehrfach,
den Rechtsstaat zu achten.
Der Sturz Basescus scheitert
schließlich, weil sich zu wenige
Wähler am Referendum beteiligen. 87 Prozent stimmen
aber gegen den Präsidenten.
Pippidi. Viele Beobachter fürchten
aber, dass die Wahlsieger ihre
Macht nicht nur konstruktiv einsetzten: Ohne starkes Gegengewicht sei davon auszugehen, dass
die Parteien die Bürokratie noch
tiefer als ohnehin üblich mit ihren
Anhängern besetzten.
Die Wunschliste von Unternehmen und Volkswirten an eine neue
Regierung ist lang: Anders als in
vielen südeuropäischen Staaten
sind nicht die Staatsfinanzen das
Hauptproblem, Bukarests Haushaltsdefizit bleibt in diesem Jahr
voraussichtlich unter drei Prozent
der Wirtschaftsleistung. Der IWF
drängt aber auf eine Reihe von
Strukturreformen, die „seit langem überfällig“ seien. Der Fonds
fordert etwa immer wieder, dass
der Staat sich von den vielen Firmen in seinem Besitz trennt.
Die Privatisierungen kommen
aber kaum voran. Zugesagte Verkäufe wurden immer wieder verschoben, der vorerst letzte Versuch endete in einem Eklat: Der
Leuchttürme und Pannenbrücken
Rumänien hat sich EU-Mittel für ein hochmodernes Laserforschungszentrum gesichert. Mit den meisten Geldern
E
Exporte
p
8
DER MACHTKAMPF
s ist eines dieser Projekte, mit
denen sich jeder Politiker gerne schmückt: hochmodern
und äußerst prestigeträchtig. Am
südlichen Stadtrand von Bukarest
entsteht
eine
Laser-Großforschungsanlage, deren Energie alles Dagewesene um das Zehnfache
übertreffen soll. Die Wissenschaft
erhofft sich ganz neue Erkenntnisse in der Nuklearphysik, wenn die
Technik 2017 an den Start geht.
Finanziert wird die Anlage mit
dem Namen Extreme Light Infrastructure – Nuclear Physics (ELINP) von der EU. Die ersten 180 Millionen des insgesamt 356 Millionen Euro teuren Projekts wurden
im September freigegeben. ELI-NP
ist Teil einer Offensive, mit der die
EU die zukunftsträchtige Lasertechnik vorantreiben will. Weitere
Forschungsanlagen entstehen in
Prag und im ungarischen Szeged.
Brüssel hat bewusst Standorte im
Osten Europas ausgewählt, um
der High-Tech-Forschung dort auf
die Beine zu helfen.
Rumänische Politiker werden
sich gegenseitig auf den Füßen stehen, wenn die Fotos beim ersten
Spatenstich zu der Anlage geschossen werden: Seht her, was in
Rumänien mit EU-Mitteln alles
möglich ist! Allzu lautstark sollte
das Triumphgeheul aber besser
nicht ausfallen.
Der Erfolg, die Laseranlage ins
Land geholt zu haben, wurde zuletzt von peinlichen Ermahnungen
aus Brüssel überdeckt. Die EUKommission stoppte erst vergangene Woche Zahlungen aus ihren
milliardenschweren Geldtöpfen,
aus denen strukturschwache Regionen gefördert werden sollen.
Bereits ausbezahlte Gelder über
rund 175 Millionen Euro muss Bukarest zurückerstatten.
Die Brüsseler Experten hatten
im Sommer die Bücher geprüft —
und große Missstände entdeckt:
„Die Probleme liegen bei der öffentlichen Auftragsvergabe, im Finanzmanagement und in der Prävention sowie der Aufdeckung von
Betrug und Interessenkonflikten“,
teilte die Kommission mit. Neues
Geld werde erst fließen, wenn die
Regierung die Mängel beseitige.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected].
Neue Donaubrücke bei Calafat:
Das Bauwerk ist auch nach zwölf
Jahren nicht fertig.
21
DIENSTAG, 30. OKTOBER 2012, NR. 210
2
TITUS CORLATEAN
„Nicht immer nur Sparen“
Der rumänische Außenminister sprach mit Mathias Brüggmann über einseitige
Sparpolitik, den Euro und die harte EU-Kritik an seiner Regierung.
afp (2), Reuters
Herr Minister, macht Premier Ponta aus Rumänien eine Diktatur,
wie einige Christdemokraten ihm
vorwerfen?
Absolut nicht. In einem Land, in
dem es den Präsidenten Traian Basescu gibt, kann man wohl kaum
von einer Ponta-Diktatur sprechen. Vieles, was jetzt an Rumänien kritisiert wird, wurde auch
schon während der Herrschaft der
Konservativen bemängelt. Nun
wirft man es mit voller Härte uns
Sozialdemokraten vor. Das ist
reinste Parteipolitik.
Medienunternehmer und Politiker
Dan Diaconescu ersteigerte in einer Auktion die Mehrheit am Chemieunternehmen Oltchim, die Regierung ließ den Deal aber platzen. Diaconescu habe nicht nachweisen können, dass er über die
nötigen Mittel verfüge, hieß es.
Der Unternehmer bestreitet das
vehement. Bukarest will nun 2013
einen neuen Anlauf nehmen, dabei hatte die Regierung dem IWF
zugesagt, Oltchim bis Ende September zu privatisieren.
Firmen eröffnen Forschungslabore
Viele ausländische Firmen wünschen sich vor allem, dass die
Rechtslage zum Schutz geistigen
Eigentums klarer geregelt wird.
Bislang sind die Gesetze schwammig, sie klären nicht eindeutig,
welche Ansprüche der Erfinder
selbst und welche sein Arbeitgeber
geltend machen können. „Wir
brauchen einen klaren und verlässlichen Rechtsrahmen, wenn Rumänien als Standort für Forschung
Premier Ponta (links) und
Präsident Basescu: Erst
knallharter Machtkampf,
jetzt Waffenstillstand.
und Entwicklung ausgebaut werden soll“, sagt AHK-Chef Metz.
Rumänien hat sich bei deutschen Firmen vor allem wegen der
niedrigen Lohnkosten als Produktionsstandort etabliert. 360 Euro
brutto verdient ein Arbeiter im
Schnitt, in der EU sind die Löhne
lediglich in Bulgarien noch niedriger. Konzerne wie Bosch oder Continental fertigen vor Ort, immer
mehr Firmen eröffnen aber auch
Forschungslabore.
Viele der von den Universitäten
kommenden Ingenieure oder Manager seien gut qualifiziert, berichtet Metz. Dagegen hapert es an
Facharbeitern. Die Firmen drängen deshalb darauf, die Schulen
stärker auf ihre Bedürfnisse auszurichten – als Muster gilt die duale
Berufsausbildung in Deutschland.
Aber diese Politik, dass Sozialdemokraten in Europa den christdemokratischen Regierungschef von
Ungarn, Viktor Orban, scharf angreifen oder europäische Christdemokraten den rumänischen
Premier Ponta attackieren, bringt
Europa doch nicht weiter.
Stimmt. Wir müssen endlich wieder über Inhalte reden. Unsere sozialliberale Koalition will eine politische Richtungsänderung: Wir
können nicht nur immer Sparprogramme durchpauken. Wir brauchen endlich Wachstumspakete,
öffentliche Investitionen, die Jobs
schaffen. Wir lehnen ja Sparen gar
nicht ab, aber das darf nicht alles
sein. Sonst gehen unsere Gesellschaften kaputt. Und wir leisten
uns auch nicht nur solche Machtkämpfe.
Sondern? Was tun Sie denn für die
Wirtschaft?
Wir haben viele wirtschaftliche
und soziale Probleme angepackt.
Und wir haben Wachstum. Ein
Prozent
Wirtschaftswachstum
hört sich vielleicht nicht nach viel
an, aber 2012 ist das erste Jahr wieder mit Wachstum. Der IWF rechnet 2013 in Rumänien mit 2,5 Prozent
Wachstum. Unsere
jüngste Anleihenemission war kräftig
überzeichnet. Die
Auslandsinvestoren
haben wieder Interesse an unserem
Land.
Also hoffen Sie nun auf einen
Wahlsieg?
Wir sind auf dem
richtigen Weg. Im
Dezember können
die Menschen bei
der Wahl entscheiden, wer Rumänien
führt. Wenn wir gewinnen, gibt es zwei
weitere Jahre Kohabitation mit Präsident Basescu. Aber
man braucht zwei
zum Tango-Tanzen.
Steigen denn die
ausländischen Direktinvestitionen?
Ja, wir sehen einen Titus Corlatean: Seit
Will Rumänien den
Euro noch?
Restart. Die Dyna- August Außenminister.
Wir wollen definitiv
mik ist positiv. Unsere Währung ist stabil. Die Regie- in die Euro-Zone, wenn die ökonorung hat unfaire Renten- und mischen Bedingungen es zulassen.
Wir haben als eines der ersten EULohnkürzungen ausgebügelt.
Länder den Fiskalpakt ratifiziert.
Und wir wollen über die Regeln für
Kann sich Rumänien das leisten?
Wir haben durch Korruption er- die Euro-Zone mitreden. Wir akwirkte Stromverträge des früheren zeptieren definitiv kein Europa
Kabinetts gestoppt. So bekommen der zwei Geschwindigkeiten, sonwir mehr Geld ins Budget. Wir dür- dern wollen ein vereintes und stärfen nicht nur sparen, sondern ker integriertes Europa mit gleimüssen auch neue Mittel mobili- chen Rechten für alle Mitgliedstaasieren, um Renten und Löhne zu ten.
aus Brüssel weiß Bukarest dagegen nichts anzufangen.
Die Ermahnung wirft erneut ein
Licht darauf, wie schwer sich Rumänien mit EU-Geldern tut. Fast
20 Milliarden Euro an Fördermitteln hat die Kommission für den
Zeitraum 2007 bis 2013 bereitgestellt – eine enorme Summe für
das zweitärmste Land der Union.
Bis heute hat Bukarest davon aber
nur vier Milliarden abrufen können, die Absorptionsrate von 20
Prozent ist die niedrigste in der gesamten EU. Misswirtschaft und eine überforderte Verwaltung sind
die wichtigsten Hindernisse.
Dabei braucht die Infrastruktur
dringend Investitionen. Vor allem
das Straßennetz ist in schlechtem
Zustand. In einer Umfrage der Außenhandelskammern unter Fir-
erhöhen – ohne die ökonomische
Stabilität zu gefährden. Dazu gehört auch, dass wir die uns an EUFördergeldern zustehenden Summen viel besser abrufen. Das haben wir teilweise verdoppelt.
men in Mittel- und Osteuropa landete Rumänien für seine Infrastruktur auf dem letzten Platz, nur
zwei Prozent der Unternehmen
waren zufrieden mit der Qualität.
Wie langsam der Ausbau vorankommt, demonstriert eine neue
Brücke über die Donau bei der
Stadt Calafat, die Rumänien und
Bulgarien verbinden soll. Die Eröffnung des vor zwölf Jahren beschlossenen Bauwerks wurde gerade erst auf 2013 verschoben. Bei
seinem Besuch vor Ort fand Premier Victor Ponta offene Worte:
„Ich bin der fünfte Ministerpräsident seit der Vertragsunterzeichnung – das sagt eine Menge darüber, wie die öffentliche Verwaltung
hier arbeitet.“ Till Hoppe
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected].
Herunterladen