Auswirkungen und Höhe der Infraschall-Emissionen durch Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von über 7 Megawatt im Vorranggebiet V4 Wetzen von Kirsten Geldmacher Von jeder Windkraftanlage gehen Infraschall und niederfrequente Schallemissionen aus. Der Schall entsteht unter anderem durch Wind, der an den Rotorblättern vorbeiströmt, hinter dem Turm verwirbelt oder durch das Abreißen des Luftstroms an den Rotorblattspitzen, welche sich bei Großanlagen mit bis zu 300 km/h auf der Kreislinie bewegen. Schallemissionen gehen auch von der Eigenvibration des Turms und der Rotorblätter aus. Bei den neueren Anlagen spielen weitere betriebsbedingte Schallemissionen (Getriebegeräusche) nur noch eine untergeordnete Rolle (Ceranna et al., 2009). Welche Auswirkungen Infraschallemissionen auf den Menschen haben und in welcher Höhe sie bei den geplanten Großanlagen im Vorranggebiet V4 in Wetzen/Neu Oerzen zu erwarten sind, soll Inhalt folgender Betrachtungen sein. Infraschall besteht aus Schallwellen nicht hörbare Tonfrequenzen kleiner als 20 Hertz (Hz), die jedoch körperlich (extraaural) wahrnehmbar sind (Kuck, 2012). Extrem sensible Menschen können Infraschall bis 12 Hz bewusst als Vibrationen und Druckstörungen im Ohr oder als körperlich als Vibration wahrnehmen (extraaural). Die Schallwellen breiten sich in der Luft gleichförmig aus und sind extrem langwellig. So hat die Schallwelle bei einer Frequenz von 1 Hz eine Wellenlänge von 340 m, die bei 5 Hz eine Wellenlänge von 68 m (RKI, Bundesgesundheitsblatt, 2007). Der Infraschall und seine Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit werden zurzeit von keiner Norm berücksichtigt. Die TA Lärm berücksichtigt nur den vom Ohr hörbaren Schall von über 20 Hz bis 20.000 Hz. Gemessen wird der Schall nach der TA Lärm als sogenannte A-gewichetete Messung.. Sie erfolgt mit einem Verfahren, welches dem Hörvermögen des menschlichen Gehörs angepasst ist und berücksichtigt, bedingt durch das Messverfahren, nicht den niederfrequenten und Infraschall. Der Punkt 7.3 der TA-Lärm bezieht sich auf den Frequenzbereich von 10 – 80 Hz. Die dafür vorgesehenen Messverfahren sind eine sogenannte C-bewertete Schallmessung. Wird nun eine emittierende Schallquelle nach beiden Verfahren vermessen (A- und C-), so dürfen die beiden Messwerte nicht mehr als 20 dB auseinander liegen. So werden auch Frequenzen berücksichtigt, die nur nicht über das Ohr vom Körper wahrgenommen werden. Werden Werte im C-gewichteten Verfahren gemessen, so ist davon auszugehen, dass eine unverhältnismäßig hohe Belastung im tieffrequenten und Infraschallbereich vorliegt (Kuck, 2013). Die Messung des Infraschalls kann mittels seismologischer Messverfahren mit Mikrobarometern unter der Erfassung von Druckwellen erfolgen (nach Ceranna, 2009). Tieffrequenter Schall unterhalb von 100 Hz bis 20 Hz beschreibt den Übergang vom normalen Hören zum Fühlen und ist in der DIN 45680 (Deutsches Institut für Normung, 2007) dargestellt. Die DIN 45680 berücksichtigt in ihrem neuesten Entwurf die Messung und Beurteilung tieffrequenter Geräuschimmissionen von 8 bis 125 Hz, lässt aber wiederum die Infraschallbereiche von 0 bis 8 Hz außer acht. Natürliche und technische Infraschallquellen sind z.B. Gewitter, Erdbeben, große Maschinen und Flugzeuge. Damit eine aktive Wahrnehmung des Infraschalls durch den Menschen stattfinden kann, muss bei tieferen Frequenzen von unter 20 Hz der Schalldruck über 120 dB betragen (Klug, H. 2002). Nach Klug wird der Infraschall noch nicht im niederfrequenten Bereich (4-20 Hz) direkt wahrgenommen, äußert sich aber als Ohrendruck, Vibrationen oder Unsicherheitsgefühl (Babisch, 2002). Kuck (2013) beschreibt, dass die Wirkung von nicht gehörten, aber über die äußeren Haarzellen des Innenohrs (OHC) schon bei einem Schalldruck von 60 dB bei 10 Hz angeregt werden, unabhängig vom Hörvorgang. Die vom Menschen bewusste Wahrnehmungsgrenze für Infraschall liegt zwischen 0,5 bis 2 Hz. Die von den niederfrequenten und Infraschall (Infrasound + Low-Frequency-Noise, ILFN) ausgelösten Impulse auf den Hörnerv werden lauter und stärker weitergeleitet als hörbarer, normaler Schall. Das Gleichgewichtsorgan, welches direkt mit dem Gehirn verknüpft ist, nimmt bestimmte Frequenzen (100 Hz) um 15 dB empfindlicher auf als das Hörorgan selbst. Es liegen keine Studienergebnisse für Auswirkungen von Infraschallemissionen auf den Menschen im Terzbereich von 0 bis 10 Hz vor. Infraschall und niederfrequenter Schall werden aufgrund ihrer Wellenlänge von den üblichen Schalldämmungsmaßnahmen nicht gemindert, sondern durchdringen Mauern und setzen sich dahinter fort. Wirksames Dämmmaterial müsste die Stärke von „ein Viertel der Wellenlänge des Infraschalls haben, da hier die Schallschnelle ihr Maximum hat“ (Borgmann, 2005). Für eine 5Hz-Welle mit 68 m Länge würde das eine erforderliche Schalldämmung-Materialstärke von 17 m bedeuten. 2 Gesundheitliche Gefährdungen sind bei Dauerbeschallung durch niederfrequenten und Infraschall relativ wenig erforscht. (Kuck, 2013). Quambusch und Lauffer (2008) fassen die Gesundheitsgefahren wie folgt nach Schust zusammen: „durch tieffrequenten Schall kann das Gehirn zur Resonanz angeregt und auf diese Weise Bewusstseinsänderungen herbeigeführt werden. Das Hirn wird von sog. Hirnwellen prädestiniert. … Sie bewegen sich im Bereich von 40 Hz bis hin zum Infraschallbereich. Sie sind zuständig für Bewusstseinszustände und Emotionen“. Das Hirn verarbeitet solche Schallwellen vielfältig: Die ILFN versetzen das Hirn in einen sog. „Alarmzustand“, der zu Schlafstörungen, Panik, Blutdruckanstieg, Konzentrationsstörungen Empfindlichkeitsänderungen im Innenohr (verursacht Pulsation, Unwohlsein, Stress) Unsicherheit, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Übelkeit („Seekranhkeit“), Tinnitus, Druckgefühl im Ohr führt. Letztere entstehen durch Reaktion des Gleichgewichtsorgans auf die ILFN (Kuck, 2013). Eine Studie des Bayrischen Landesamt für Umwelt (2014) weißt darauf hin, dass Infraschall zu Belästigungen führen kann, wenn die Pegel die Wahrnehmungsschwelle des Menschen nach Entwurf DIN 45680 (2013) überschreiten. Bei Schallpegeln von 133 und 140 dB wurden im Tierversuch Hörschäden nachgewiesen. Zu erwartende Emissionen im Vorranggebiet V4 Wetzen Im Vorranggebiet V4 in Wetzen/Neu Oerzen sind acht Windkraftanlagen mit bis zu 200 m Gesamthöhe und einer Nennleistung von jeweils 7,5 MW geplant. Tab. 1 Technische Daten des Windrades E 126 Fa. Enercon (Quelle: Enercon, 2014) > Nennleistung: 7.580 kW > Rotordurchmesser: 127 m > Nabenhöhe: 135 m > Windzone (DiBt): WZ III > Windklasse (IEC): IEC/NVN IA > Überstrichene Fläche: 12.668 m² > Drehzahl: variabel, 5 – 11,7 U/min Am Beispiel des Windrades Typ E 126 der Fa. Enercon, welches den geplanten Windkraftanlagen entspricht, simulierte Ceranna, L. (2014) die Höhe der Schalldruckpegel bei einer mittleren Windgeschwindigkeit von 8 m/s, entsprechend der Windzone III (DiBt). 3 Die nachstehend in Abbildung 1 dargestellten Schalldruckpegel für den "reinen Ton" der 1. und 3. Flügelharmonischen (BPH) bei den angegebenen Frequenzen - die Grundfrequenz ist F = 1/60 min/s * 11.7 U/min * 3 (Flügel) = 0.585 1/s = 0.585 Hz. Die übrigen Harmonischen sind das ganzzahlige Vielfache von F. Mit "reinem Ton" ist genau diese eine Frequenz gemeint und keine Mittelung oder Verschmierung über ein Frequenzband. Es handelt sich bei den Flügelharmonischen um die Vibration der Rotorblätter und des Turms im Betrieb bei genannten Bedingungen. Die Werte wurden nicht gewichtet und sind das Ergebnis des von verwendeten Modells mit den entsprechenden Annahmen und Vereinfachungen. Sie beziehen ausdrücklich nicht das Hintergrundrauschen und Windgeräusche mit ein. Quelle: Dr. Lars Ceranna, B4.3, Seismological Central Observatory / Nuclear-Test-Ban Treaty, Federal Institute for Geosciences and Natural Resources (BGR) in Hannover (Stand 14.05.2014), persönliche Mitteilungen So geht aus der Simulation hervor, dass die nahezu 200 m Gesamthöhe messenden Windkraftanlagen bei ihren Eigenfrequenzen von 1,76 Hz in einer Entfernung von 5 km mit 65 dB emittieren. Die Frequenz von 0,59 Hz erscheint in 5 km Entfernung mit 85 dB. Bei einer Abstandstiefe von einem Kilometer von der Anlage ertönen die Grundfrequenzen von 0,59 Hz und 1,76 Hz mit ca. 97 dB, bzw. mit ca. 80 dB. 4 Ceranna et al., (2009) kamen bei Messungen an einer 1 MW-Anlage in der Nähe von Hannover zu der Vermutung, dass bei einer Abstandstiefe von 2 km von der Windkraftanlage keine störenden/messbaren Infraschall-Druckpegel auftreten. Im Vergleich der Messergebnisse von 2004 und den aktuellen Simulationen von einer 7,5 MW-Anlage kann nicht von einer Analogie gesprochen werden. Heutige Windkraftanlagen generieren Impulse mit deutlich größerer Reichweite aufgrund ihrer Höhe (Narbenhöhe bei E 126 135 m). Die 3. Flügelharmonische wäre in 2 km Entfernung noch mit ca. 73 dB messbar. Ebenfalls nimmt mit der wachsenden Anzahl der aufgestellten Windräder (Windparks) der Schalldruck zu (Ceranna et al., 2009). So ist bei einer höheren Anzahl von Windkraftanlagen mit einer größeren Reichweite der Schalldruckpegel zu rechnen. Der Schallpegel erhöhte sich im Vergleich von einer 600 kW Windkraftanlage von 115 dB Ausgangspegel auf 135 dB bei 12 Windkraftanlagen. Der Schalldruck verringerte sich nach 1 km bei einer Anlage auf ca. 75 dB, bei 12 Anlagen nur auf ca. 88 dB. Nach Kuck (2013) erhöht sich der Gesamtpegel um 3 dB je Anlagenpaar. Bei den 8 geplanten Anlagen in Wetzen würde sich der simulierte Schallpegel der Einzelanlage noch um 18 dB erhöhen. Die modellhafte Simulation unterstreicht allerdings die Gefahr der eingangs erwähnten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die bei in der Nähe von solchen Windkraftanlagen wohnenden Menschen dokumentiert wurden. Die Bewohner einer Splittersiedlung im Abstand von 800 m wären einer Infraschalldauerbelastung der 3. Flügelharmonischen von ca. 80 dB ausgesetzt, die 1. Flügelharmonische erreicht nahezu 100 dB. So ist bei den Anrainern innerhalb der genannten Abstandstiefe nicht unmittelbar von einer Hörschädigung auszugehen, es können aber die zuvor bereits erwähnten gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie z. B. Müdigkeit, Schlafstörungen, Störungen des craniosacralen Systems oder das Belästigungsgefühl, nicht ausgeschlossen werden. Die Flügelharmonischen 1 und 3 emittieren in ihren Frequenzbereichen bei über 65 dB. Würden die Infraschallemissionen nun mit einem erweiterten C-gewichteten Verfahren gemessen und mit dem A-gewichteten Verfahren verglichen, so lägen die zu erwartenden Infraschallbelastungen 20 dB höher als die für Mischgebiete/Dorfgebiete zulässigen Dauerbeschallungen von 45 dB. Demzufolge ist laut Kuck (2013) mit einer unverhältnismäßig hohen Infraschallbelastung zu rechnen. 5 Forderungen Weder wurden reale Messungen im Infraschallbereich für Windkraftanlagen in dieser Größenordnung vorgenommen, noch ist Literatur hierzu verfügbar. Hier stellt sich die Forderung zur Überprüfung der Simulation durch Messung an bestehenden Großanlagen über 7 MW auf. Des Weiteren müssten umfassende Studien zur Erforschung des Infraschallwirkung auf die menschliche Gesundheit durchgeführt werden. Die Betreiber der Windkraftanlagen haben deren Unbedenklichkeit nachzuweisen. Die Gefahr von sehr wahrscheinlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Windkraftanlagen im Vorranggebiet V4 lässt sich durch Einhaltung einer ausreichenden Abstandstiefe von Wohnbebauungen zu Windkraftanlagen umgehen, so dass die ILFN nicht mehr körperlich verarbeitet werden müssen. Kuck empfiehlt eine Obergrenze für die Infraschallbelastung von 60 dB. Bei der Anzahl der geplanten Windkraftanlagen und derer Größe von 135 m Turmhöhe, gemäß den Simulationen nach Ceranna (2014) entspricht das im ungünstigsten Fall einer Abstandstiefe von 8 km. Somit wäre die weitere Beplanung des Vorranggebietes hinfällig. Quellenangaben: Babisch, w. (2002): Physikalische Einflussfaktoren. Teil 1: Lärm. In: Beyer, A., Eis, D. (Hrsg,) Praktische Umweltmedizin, Bd. 2: Klinik, Methoden, Arbeitshilfen. Springer, Heidelberg. Borgmann, R. (2005): Fachverband Strahlenschutz: Infraschall. http://www.grueneebe.de/fileadmin/Speicherplatz/kv_ebersberg/Redaktion/OV_Anzing/PDF/Windpark/Infrasch all_Leitfaden_Fachverband_Strahlenschutz.pdf Stand: 06.05.2014 Robert-Koch-Institut (RKI) (2007): Empfehlungen. In: Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 12. Infraschall und tieffrequenter Schall – ein Thema für den umweltbezogenen Gesundheitsschutz in Deutschland. Pp 1582-1589, Quelle: http://www.apug.de/archiv/pdf/infraschall.pdf Stand: 05.05.2014 Cerrana, L. (2014): persönliche Mitteilungen, Federal Institute for Geosciences and Natural Resources (BGR), GEOZENTRUM HANNOVER, Stilleweg 2, 30655 Hannover, Germany Ceranna, L., Hartmann, G. und M. Henger (2009): Der unhörbare Lärm von Windkraftanlagen – Infraschallmessungen an einem Windrad nördlich von Hannover. http://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Erdbeben6 Gefaehrdungsanalysen/Seismologie/Downloads/infraschall_WKA.pdf?__blob=publicationFil e&v=2. Stand 06.05.2014 DIN 45680 (2013): Deutsches Institut für Normung: Messung und Beurteilung tieffrequenter Geräuschimmissionen, Ausgaben 2013-09. Quelle: http://www.nals.din.de/cmd?artid=191861636&contextid=nals&subcommitteeid=82995058& bcrumblevel=1&level=tpl-art-detailansicht&committeeid=54738835&languageid=de Kuck, E.,Ärzteforum Emissionsschutz (2013): Gefährdung der Gesundheit durch Windkraftanlagen (WKA). Aus: http://crussow.bplaced.net/dokumente/Infraschall_Aerzteforum.pdf, Stand 07.05.2014 Landesumweltamt Bayern (2014): Windkraftanlagen – beeinträchtigt Infraschall die Gesundheit? http://www.lfu.bayern.de/umweltwissen/doc/uw_117_windkraftanlagen_infraschall_gesundhe it.pdf, Stand 14.05.2014 Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundesimmissionsschutzgesetz (TA Lärm): http://de.wikipedia.org/wiki/Technische_Anleitung_zum_Schutz_gegen_L%C3%A4rm, Stand 14.05.2014 Quambusch, E. und Martin Lauffer (2008): Infraschall von Windkraftanlagen als Gesundheitsgefahr. In: http://docs.wind-watch.org/infraschall-Quambush-Lauffer-200808.pdf Verwendetet Abkürzungen. B: Flügelanzahl BPH: blade passing harmonic, Flügelharmonische (Frequenz) dB: Dezibel hZ: Hertz ILFN: Infrasound + Low-Frequency-Noise m/s: Meter/Sekunde Ω: Umdrehungsgeschwindigkeit OHC: äußere Haarzellen des Innenohrs Pa: Druck RMS: (root-means-square) Schalldruckpegel-Wert einer Windkraftanlage rpm: revolutions per minute SPL: Schalldruckpegel (Sound pressure level) Kirsten Geldmacher, MBA Dip.Ing.agr. Nachhaltigkeitsmanagement Bahnhofstr. 1a 21409 Embsen [email protected] 7