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07
2014
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MEHR WISSEN – MEHR VERSTEHEN
ROBOTER-SCHIFFE
Drohnen erobern
die Meere
Ist unser
LEBEN
vorbestimmt?
Die wahre Macht der Gene und des Schicksals
ROHSTOFFE
Jetzt wird sogar
der Sand knapp
MEDIZIN
Hightech-Pflaster
ersetzen den Arzt
RAUMFAHRT
Mode für den
Ausflug ins All
Inhalt 07/14
TITELTHEMA
26
Ist unser Leben
vorbestimmt?
Raumfahrt
Wissenschaftler suchen nach Antworten –
und machen mit Gentests den klassischen
Wahrsagern Konkurrenz
12 Leicht bekleidet zum Mond
Forscher und Designer entwickeln für All-Touristen Raumanzüge,
die weniger schwer und aufwendig sind als die Profi-Modelle
Biologie
60 Auf der Schleimspur ins Labor
Schnecken sind Überlebenskünstler – und Inspirationsquelle für
Pharmaforscher, Materialtechniker sowie Neurologen
Gut zu wissen
Geologie
48 Das Geheimnis der magnetischen Anziehung 42 Auf Sand gebaut
Seit Jahrtausenden nutzen Menschen Magneten mit ihrem Nordund Südpol. Doch nach dem Monopol suchen Forscher noch immer
4 07/2014
Nicht nur für Sandburgen, auch für Häuser und Straßen wird der
Rohstoff benötigt – in so gewaltigen Mengen, dass er knapp wird
Normalerweise besitzt
jeder noch so kleine
Magnet einen Nord- und
einen Südpol. Dabei
spricht theoretisch
nichts gegen die Existenz eines Monopols.
Gefunden hat ihn noch
keiner – aber immerhin
gelang es Forschern, ihn
zu simulieren. Das Bild
zeigt eine künstlerische
Darstellung des Versuchs
48 07/2014
Gut zu wissen
P.M. BLICKT HINTER DIE KULISSEN DER FORSCHUNG
Die Kraft der
beseelten Steine
Wir verdanken ihm Kompass und Elektromotor, Festplatte und Teilchen­
beschleuniger. Seit mehr als zwei Jahrtausenden nutzen Menschen den
Magnetismus. Und doch gibt er Forschern immer neue Rätsel auf
TEXT: MAURITIUS MUCH
P
lötzlich kommt der
Hirte Magnes nicht
mehr vom Fleck.
Eben noch erklomm
er mit seiner Schaf­
herde den Berg Ida in
der Nähe der Stadt
Troja. Nun steht er
wie angewurzelt da:
Seine Schuhe, deren
Leder von Nägeln zu­
­sammengehalten wird, scheinen am
Boden festzukleben. Gleiches gilt für
seinen eisenbeschlagenen Stab. Eine
unsichtbare Kraft hält Magnes an
Ort und Stelle gefangen.
So schildert der römische Ge­
schichtsschreiber Plinius der Ältere
die Entdeckung des Magnetismus.
Ein halbes Jahrtausend vor Christus
soll sie sich zugetragen haben. Jenes
Phänomen, das den Hirten einst am
Weitergehen hinderte, mauserte sich
im Laufe der Jahrhunderte zu einem
Treiber des Fortschritts. Es bescher­
te der Menschheit präzise Naviga­
tion, kraftvolle Elektromotoren und
moderne Speichermedien.
Nils Röller, Autor eines Buchs über
die Geschichte des Magnetismus, be­
schreibt die geheimnisvolle Kraft so:
„Der Magnetismus ist eine Anziehungs­
kraft, durch die sich Körper, zwischen
denen ein räumlicher Abstand be­
steht, plötzlich und ohne äußere Ein­
wirkung aufeinander zubewegen.“
Thales von Milet meinte, dass
Magnete eine Seele besitzen
Unsere Vorfahren, so sagt der Pro­
fessor für Medien- und Kulturtheo­
rie an der Zürcher Hochschule für
Künste, wurden vermutlich erstmals
Mitte des ersten Jahrtausends vor
Christus auf die seltsamen Eigen­
schaften magnetischen Gesteins auf­
merksam. Vieles spricht dafür, dass
dies in Kleinasien geschah. „Das ist
eine Gegend, in der seit dem 6. vor­
christlichen Jahrhundert intensiv Me­
tall bearbeitet und gehandelt wurde“,
so Röller. Die erste schriftlich über­
lieferte Bemerkung zum Magnetstein
– einem Eisenmineral namens Mag­
netit – stammt ebenfalls aus der Re­
gion. Der Philosoph Thales von Mi­
let glaubte, dass der Stein eine Seele
habe. Genau wie diese sei er in der
Lage, etwas in Bewegung zu setzen.
Zwei grundlegende Eigenschaften
von Magneten wurden im antiken
Abendland entdeckt. Erstens: Mag­
neten haben Pole. Sie können sich
nicht nur anziehen, sondern auch ab­
stoßen. Zweitens: Magnetische Kraft
ist übertragbar. Eisen etwa, das von
einem Magneten angezogen wurde,
übt – meist vorübergehend – selbst
eine Anziehungskraft aus.
Dass sich Magneten nach der
Nord-Süd-Achse der Erde ausrichten,
erkannten zuerst die Chinesen. Ab 80
n. Chr. formten sie aus Magnetstein
07/2014 49
Gut zu wissen
Löffel, die sich stets nach Nord-SüdRichtung ausrichteten. „Diesen magnetischen Löffel könnte man als einen Vorläufer des Kompasses bezeichnen“, sagt
Röller. Allerdings diente er nicht zur
Orientierung, sondern zum Wahrsagen.
Erst in den folgenden Jahrhunderten
entwickelten die Chinesen eine Magnetnadel zur Navigation. Damit sie sich frei
drehen konnte, schwamm sie in einem
Wasserbecken. Ende des 12. Jahrhunderts gelangte der Kompass nach Europa. Hier setzten findige Seefahrer die
Nadel in ein Gehäuse ein.
Der US-Physiker Edward Mills Purcell sieht in dieser Orientierungshilfe
eine der wichtigsten Erfindungen der
Menschheit: „Das Eisen der Kompassnadeln hat die Geschichte vielleicht noch
nachhaltiger beeinflusst als das Eisen
der Schwerter.“ Doch wieso sich die Nadel nach den Polen ausrichtet, blieb lange ein Rätsel.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts postulierte der englische Naturphilosoph
William Gilbert erstmals, die Erde sei
selbst ein Magnet. Seine Erkenntnisse
ge­­wann er durch Experimente mit einem kugelförmigen Magneten, den er
„terrella“ (kleine Erde) nannte. An dessen Oberfläche führte er Magnetnadeln
entlang. Genau wie auf unserem Planeten richteten sie sich sofort gen Norden
aus.
Was Gilbert noch nicht wusste: Das
Magnetfeld der Erde geht von ihrem
Kern aus. Dieser besteht im Innersten
hauptsächlich aus festem Eisen. Die umDas Erdmagnetfeld kehrt sich im
Schnitt alle 250 000 Jahre um
gebende Schicht, der äußere Erdkern, ist
flüssig und enthält geschmolzenes Eisen,
aber auch Spuren leichterer Elemente.
Die Feldlinien des Erdmagnetfeldes verlassen am magnetischen Nordpol – der
in der Antarktis liegt – das Erdinnere
und umgeben als Magnetosphäre die gesamte Erdoberfläche. Nahe des geografischen Nordpols treten sie senkrecht
wieder ins Erdinnere ein.
Wie das Erdmagnetfeld entstanden
ist, darüber sind sich die Wissenschaft-
50 07/2014
1.
2.
1. In einem Kompass sitzt die Magnetnadel locker auf einem feinen Stift. So kann sie sich
drehen, ohne von der Reibung ausgebremst zu werden 2. Die Nadel richtet sich nach dem
Erdmagnetfeld aus. Es entspringt im Kern und umgibt den gesamten Planeten
ler bis heute nicht einig. Die Theorie mit
den meisten Fürsprechern ist die des
Geodynamo. Sie geht davon aus, dass
die flüssige, eisenhaltige Materie im äußeren Erdkern ständig in Bewegung ist.
Das Material heizt sich an der Grenze
zum inneren Kern auf und steigt nach
oben, wo es abkühlt und wieder sinkt.
Die Erdrotation führt dazu, dass sich
diese Ströme zu Schrauben winden. Die
gewundenen Bewegungen erzeugen einen Stromfluss, der ein magnetisches
Feld schafft und so das schwache Magnetfeld im Erdkern verstärkt. Das gestärkte Magnetfeld wiederum fördert
den Stromfluss. Durch diese Rückkopplungen erhält sich das Magnetfeld selbst.
Gesteinsproben aus der Erdgeschichte zeigen eine weitere erstaunliche Eigenschaft des Feldes: Es kehrt sich im
Schnitt alle 250 000 Jahre um. „Diese
Umpolung hängt vermutlich damit zusammen, dass sich die magnetischen Pole der Sonne in bestimmten Abständen
Was reagiert wie?
FERROMAGNETISCHE MATERIALIEN
werden von Magneten angezogen und können selbst eine solche Anziehungskraft
ausüben. Der Klassiker ist Eisen (lateinisch:
ferrum), weitere Beispiele sind Kobalt und
Nickel. Ihre ferromagnetischen Eigenschaften verlieren sie erst, wenn ihre Temperatur
eine bestimmte Schwelle überschreitet.
Diese sogenannte Curie-Temperatur ist für
jedes Element unterschiedlich. Wird Eisen
beispielsweise auf mehr als 768 Grad Celsius erhitzt, verhält es sich nicht mehr ferromagnetisch, sondern paramagnetisch.
PARAMAGNETISCHE MATERIALIEN
sind nur schwach magnetisch – und auch
nur dann, wenn ein äußeres Magnetfeld auf
sie wirkt. Eisen gewinnt seine ferromagne-
tischen Eigenschaften wieder, wenn es
abkühlt. Elemente wie Natrium, Lithium
oder Magnesium sind hingegen dauerhaft
paramagnetisch.
DIAMAGNETISCHE MATERIALIEN
werden von einem Magnetfeld abgestoßen.
Beim Schwermetall Bismut ist diese Wirkung besonders deutlich zu beobachten. Ist
das Magnetfeld stark genug, stößt es aber
auch Stoffe ab, die normalerweise keinerlei
magnetische Ordnung besitzen – Wasser
beispielsweise. Am High Field Magnet Laboratory der Universität Nijmegen, wo einer
der stärksten Magneten der Welt steht,
brachten Forscher auf diese Weise sogar
einen Frosch zum Schweben. Keine Sorge:
Dem Tier geht es gut.
Elektronenorbit
umkehren“, sagt Röller. Allerdings än­
dert sich das solare Magnetfeld alle elf
bis zwölf Jahre. Ursache? Unbekannt.
Sicher ist dagegen seit knapp 200 Jah­
ren, dass es einen Zusammenhang zwi­
schen elektrischem Strom und Magne­
tismus gibt. Im Jahr 1820 leitete der dä­
nische Physiker und Chemiker Hans
Christian Øersted zufällig Strom an ei­
ner Magnetnadel vorbei. Sofort begann
sie sich zu drehen: Øersted hatte gezeigt,
dass Strom ein Magnetfeld erzeugen
kann. Elf Jahre später fand sein engli­
scher Kollege Michael Faraday heraus,
dass das Prinzip umkehrbar ist: Elek­
trischer Strom lässt sich mithilfe beweg­
ter Magnetfelder generieren. Dieses
Prinzip taufte Faraday Induktion. Heu­
te ist die Beziehung zwischen Strom und
Magnetismus als elektromagnetische
Wechselwirkung bekannt und gilt als
eine der vier Grundkräfte der Physik.
Sie ermöglichte eine Reihe von Erfin­
dungen, die aus unserem Alltag nicht
mehr wegzudenken sind. Eine davon ist
der Elektromotor. In der einfachsten
Bauart dieses Antriebs sorgen wechseln­
de Ströme dafür, dass sich die Polung
eines Elektromagneten laufend um­
kehrt. Ein zweiter, permanenter Mag­
net zwingt den Elektromagneten, sich
mit jeder Umpolung neu auszurichten –
er beginnt sich zu drehen. In Windtur­
binen ist das umgekehrte Prinzip am
Werk: Hier wird das Kreisen der Roto­
ren mithilfe eines Magneten in Strom
umgewandelt.
Auch die Speicherung digitaler Da­
ten wäre ohne Magnetismus undenk­
bar. Festplatten etwa bestehen aus un­
zähligen magnetisierbaren Einheiten.
Jede davon speichert ein Bit. Über die
Platte flitzt ein Lesekopf, der den Zu­
stand der Einheiten auslesen oder durch
einen kleinen Strompuls verändern
kann. In den vergangenen Jahren ist die
Speicherdichte in unvorstellbare Höhen
geschnellt. Hätte eine moderne Festplat­
te den Durchmesser unseres Planeten,
wären die Bits so groß wie die Ähren
eines Kornfeldes. Der Lesekopf entsprä­
che einer Boeing 747, die mit einer Mil­
lion Stundenkilometern in einem Zen­
timeter Höhe über das Feld donnert und
jede einzelne Ähre zählt.
Inzwischen ist die Miniaturisierung
nahe am Limit des physikalisch Mögli­
chen. Forscher spüren daher neue Mög­
lichkeiten auf, um die Magnetisierung
von Speicherzellen im Nanometerbereich
zu steuern – und entdecken dabei neue,
eigentümliche Effekte. Noch sind eben
längst nicht alle Rätsel der geheimnis­
vollen Anziehungskraft ergründet.
Das Kraftfeld eines Magneten lässt sich mithilfe von Eisenspänen sichtbar machen. Sie richten
sich nach den Feldlinien aus, die vom Nord- zum Südpol des Magneten verlaufen
Atomhülle
Elektron
Atomkern
Neutron
Proton
Der Ursprung magnetischer Anziehungskraft liegt auf Ebene der Elektronen:
Sie verhalten sich wie winzige Magneten
Die Quelle des
Magnetismus
W
er den Ursprung der Magnetkraft sucht, muss sich auf die
Ebene der Elektronen hinabbegeben. Diese Elementarteilchen, die den Atomkern umgeben, haben einen Spin – eine Eigenschaft,
die sich aus dem Drehmoment des Elektrons
ergibt und ihm ein magnetisches Kraftfeld
verleiht. Normalerweise finden sich Elektronen zu Paaren mit entgegengesetztem Spin
zusammen. So heben sich ihre magnetischen Kräfte auf.
Die Atome mancher Elemente besitzen
jedoch einsame Elektronen, deren Spin sich
ausrichten lässt. In einem Klumpen Eisen
etwa existieren von Natur aus kleine Bereiche, in denen der Spin – und damit die Magnetkraft – benachbarter Atome in dieselbe
Richtung weist. Da verschiedene Bereiche
unterschiedlich magnetisiert sind, heben
sich die Kräfte im Inneren des Eisens auf.
Erst ein äußeres Magnetfeld bringt alle Spins
auf Linie und magnetisiert das Eisen.
Bei Permanentmagneten wie jenen, die
am Kühlschrank haften, zeigen die Spins
dau­­erhaft in eine Richtung. Die stärksten
und haltbarsten Permanentmagneten
bestehen aus einer Mischung von Eisen, Bor
und Neodym. Sie können maximal das 1300Fache ihres eigenen Gewichts halten.
Übrigens hat jeder noch so kleine Magnet – und sei es ein einzelnes Atom – einen
Nord- und einen Südpol. Zwar ist die Existenz eines magnetischen Monopols theoretisch möglich. Bisher wurde er jedoch noch
nie beobachtet. Es gelang Wissenschaftlern
lediglich, ihn in einer superkalten Atomsup­
­pe, einem sogenannten Bose-Einstein-Kondensat, zu simulieren.
07/2014 51
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