MAGAZIN www.pm-magazin.de MAGAZIN 07 2014 Deutschland 3,80 € • Österreich 4,30 € • Schweiz 7,00 sfr • BeNeLux 4,50 € • Griechenland 6,00 € • Italien 5,00 € • Portugal (Cont.) 5,20 € • Slowenien 5,00 € • Spanien 5,00 € MEHR WISSEN – MEHR VERSTEHEN ROBOTER-SCHIFFE Drohnen erobern die Meere Ist unser LEBEN vorbestimmt? Die wahre Macht der Gene und des Schicksals ROHSTOFFE Jetzt wird sogar der Sand knapp MEDIZIN Hightech-Pflaster ersetzen den Arzt RAUMFAHRT Mode für den Ausflug ins All Inhalt 07/14 TITELTHEMA 26 Ist unser Leben vorbestimmt? Raumfahrt Wissenschaftler suchen nach Antworten – und machen mit Gentests den klassischen Wahrsagern Konkurrenz 12 Leicht bekleidet zum Mond Forscher und Designer entwickeln für All-Touristen Raumanzüge, die weniger schwer und aufwendig sind als die Profi-Modelle Biologie 60 Auf der Schleimspur ins Labor Schnecken sind Überlebenskünstler – und Inspirationsquelle für Pharmaforscher, Materialtechniker sowie Neurologen Gut zu wissen Geologie 48 Das Geheimnis der magnetischen Anziehung 42 Auf Sand gebaut Seit Jahrtausenden nutzen Menschen Magneten mit ihrem Nordund Südpol. Doch nach dem Monopol suchen Forscher noch immer 4 07/2014 Nicht nur für Sandburgen, auch für Häuser und Straßen wird der Rohstoff benötigt – in so gewaltigen Mengen, dass er knapp wird Normalerweise besitzt jeder noch so kleine Magnet einen Nord- und einen Südpol. Dabei spricht theoretisch nichts gegen die Existenz eines Monopols. Gefunden hat ihn noch keiner – aber immerhin gelang es Forschern, ihn zu simulieren. Das Bild zeigt eine künstlerische Darstellung des Versuchs 48 07/2014 Gut zu wissen P.M. BLICKT HINTER DIE KULISSEN DER FORSCHUNG Die Kraft der beseelten Steine Wir verdanken ihm Kompass und Elektromotor, Festplatte und Teilchen­ beschleuniger. Seit mehr als zwei Jahrtausenden nutzen Menschen den Magnetismus. Und doch gibt er Forschern immer neue Rätsel auf TEXT: MAURITIUS MUCH P lötzlich kommt der Hirte Magnes nicht mehr vom Fleck. Eben noch erklomm er mit seiner Schaf­ herde den Berg Ida in der Nähe der Stadt Troja. Nun steht er wie angewurzelt da: Seine Schuhe, deren Leder von Nägeln zu­ ­sammengehalten wird, scheinen am Boden festzukleben. Gleiches gilt für seinen eisenbeschlagenen Stab. Eine unsichtbare Kraft hält Magnes an Ort und Stelle gefangen. So schildert der römische Ge­ schichtsschreiber Plinius der Ältere die Entdeckung des Magnetismus. Ein halbes Jahrtausend vor Christus soll sie sich zugetragen haben. Jenes Phänomen, das den Hirten einst am Weitergehen hinderte, mauserte sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem Treiber des Fortschritts. Es bescher­ te der Menschheit präzise Naviga­ tion, kraftvolle Elektromotoren und moderne Speichermedien. Nils Röller, Autor eines Buchs über die Geschichte des Magnetismus, be­ schreibt die geheimnisvolle Kraft so: „Der Magnetismus ist eine Anziehungs­ kraft, durch die sich Körper, zwischen denen ein räumlicher Abstand be­ steht, plötzlich und ohne äußere Ein­ wirkung aufeinander zubewegen.“ Thales von Milet meinte, dass Magnete eine Seele besitzen Unsere Vorfahren, so sagt der Pro­ fessor für Medien- und Kulturtheo­ rie an der Zürcher Hochschule für Künste, wurden vermutlich erstmals Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus auf die seltsamen Eigen­ schaften magnetischen Gesteins auf­ merksam. Vieles spricht dafür, dass dies in Kleinasien geschah. „Das ist eine Gegend, in der seit dem 6. vor­ christlichen Jahrhundert intensiv Me­ tall bearbeitet und gehandelt wurde“, so Röller. Die erste schriftlich über­ lieferte Bemerkung zum Magnetstein – einem Eisenmineral namens Mag­ netit – stammt ebenfalls aus der Re­ gion. Der Philosoph Thales von Mi­ let glaubte, dass der Stein eine Seele habe. Genau wie diese sei er in der Lage, etwas in Bewegung zu setzen. Zwei grundlegende Eigenschaften von Magneten wurden im antiken Abendland entdeckt. Erstens: Mag­ neten haben Pole. Sie können sich nicht nur anziehen, sondern auch ab­ stoßen. Zweitens: Magnetische Kraft ist übertragbar. Eisen etwa, das von einem Magneten angezogen wurde, übt – meist vorübergehend – selbst eine Anziehungskraft aus. Dass sich Magneten nach der Nord-Süd-Achse der Erde ausrichten, erkannten zuerst die Chinesen. Ab 80 n. Chr. formten sie aus Magnetstein 07/2014 49 Gut zu wissen Löffel, die sich stets nach Nord-SüdRichtung ausrichteten. „Diesen magnetischen Löffel könnte man als einen Vorläufer des Kompasses bezeichnen“, sagt Röller. Allerdings diente er nicht zur Orientierung, sondern zum Wahrsagen. Erst in den folgenden Jahrhunderten entwickelten die Chinesen eine Magnetnadel zur Navigation. Damit sie sich frei drehen konnte, schwamm sie in einem Wasserbecken. Ende des 12. Jahrhunderts gelangte der Kompass nach Europa. Hier setzten findige Seefahrer die Nadel in ein Gehäuse ein. Der US-Physiker Edward Mills Purcell sieht in dieser Orientierungshilfe eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit: „Das Eisen der Kompassnadeln hat die Geschichte vielleicht noch nachhaltiger beeinflusst als das Eisen der Schwerter.“ Doch wieso sich die Nadel nach den Polen ausrichtet, blieb lange ein Rätsel. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts postulierte der englische Naturphilosoph William Gilbert erstmals, die Erde sei selbst ein Magnet. Seine Erkenntnisse ge­­wann er durch Experimente mit einem kugelförmigen Magneten, den er „terrella“ (kleine Erde) nannte. An dessen Oberfläche führte er Magnetnadeln entlang. Genau wie auf unserem Planeten richteten sie sich sofort gen Norden aus. Was Gilbert noch nicht wusste: Das Magnetfeld der Erde geht von ihrem Kern aus. Dieser besteht im Innersten hauptsächlich aus festem Eisen. Die umDas Erdmagnetfeld kehrt sich im Schnitt alle 250 000 Jahre um gebende Schicht, der äußere Erdkern, ist flüssig und enthält geschmolzenes Eisen, aber auch Spuren leichterer Elemente. Die Feldlinien des Erdmagnetfeldes verlassen am magnetischen Nordpol – der in der Antarktis liegt – das Erdinnere und umgeben als Magnetosphäre die gesamte Erdoberfläche. Nahe des geografischen Nordpols treten sie senkrecht wieder ins Erdinnere ein. Wie das Erdmagnetfeld entstanden ist, darüber sind sich die Wissenschaft- 50 07/2014 1. 2. 1. In einem Kompass sitzt die Magnetnadel locker auf einem feinen Stift. So kann sie sich drehen, ohne von der Reibung ausgebremst zu werden 2. Die Nadel richtet sich nach dem Erdmagnetfeld aus. Es entspringt im Kern und umgibt den gesamten Planeten ler bis heute nicht einig. Die Theorie mit den meisten Fürsprechern ist die des Geodynamo. Sie geht davon aus, dass die flüssige, eisenhaltige Materie im äußeren Erdkern ständig in Bewegung ist. Das Material heizt sich an der Grenze zum inneren Kern auf und steigt nach oben, wo es abkühlt und wieder sinkt. Die Erdrotation führt dazu, dass sich diese Ströme zu Schrauben winden. Die gewundenen Bewegungen erzeugen einen Stromfluss, der ein magnetisches Feld schafft und so das schwache Magnetfeld im Erdkern verstärkt. Das gestärkte Magnetfeld wiederum fördert den Stromfluss. Durch diese Rückkopplungen erhält sich das Magnetfeld selbst. Gesteinsproben aus der Erdgeschichte zeigen eine weitere erstaunliche Eigenschaft des Feldes: Es kehrt sich im Schnitt alle 250 000 Jahre um. „Diese Umpolung hängt vermutlich damit zusammen, dass sich die magnetischen Pole der Sonne in bestimmten Abständen Was reagiert wie? FERROMAGNETISCHE MATERIALIEN werden von Magneten angezogen und können selbst eine solche Anziehungskraft ausüben. Der Klassiker ist Eisen (lateinisch: ferrum), weitere Beispiele sind Kobalt und Nickel. Ihre ferromagnetischen Eigenschaften verlieren sie erst, wenn ihre Temperatur eine bestimmte Schwelle überschreitet. Diese sogenannte Curie-Temperatur ist für jedes Element unterschiedlich. Wird Eisen beispielsweise auf mehr als 768 Grad Celsius erhitzt, verhält es sich nicht mehr ferromagnetisch, sondern paramagnetisch. PARAMAGNETISCHE MATERIALIEN sind nur schwach magnetisch – und auch nur dann, wenn ein äußeres Magnetfeld auf sie wirkt. Eisen gewinnt seine ferromagne- tischen Eigenschaften wieder, wenn es abkühlt. Elemente wie Natrium, Lithium oder Magnesium sind hingegen dauerhaft paramagnetisch. DIAMAGNETISCHE MATERIALIEN werden von einem Magnetfeld abgestoßen. Beim Schwermetall Bismut ist diese Wirkung besonders deutlich zu beobachten. Ist das Magnetfeld stark genug, stößt es aber auch Stoffe ab, die normalerweise keinerlei magnetische Ordnung besitzen – Wasser beispielsweise. Am High Field Magnet Laboratory der Universität Nijmegen, wo einer der stärksten Magneten der Welt steht, brachten Forscher auf diese Weise sogar einen Frosch zum Schweben. Keine Sorge: Dem Tier geht es gut. Elektronenorbit umkehren“, sagt Röller. Allerdings än­ dert sich das solare Magnetfeld alle elf bis zwölf Jahre. Ursache? Unbekannt. Sicher ist dagegen seit knapp 200 Jah­ ren, dass es einen Zusammenhang zwi­ schen elektrischem Strom und Magne­ tismus gibt. Im Jahr 1820 leitete der dä­ nische Physiker und Chemiker Hans Christian Øersted zufällig Strom an ei­ ner Magnetnadel vorbei. Sofort begann sie sich zu drehen: Øersted hatte gezeigt, dass Strom ein Magnetfeld erzeugen kann. Elf Jahre später fand sein engli­ scher Kollege Michael Faraday heraus, dass das Prinzip umkehrbar ist: Elek­ trischer Strom lässt sich mithilfe beweg­ ter Magnetfelder generieren. Dieses Prinzip taufte Faraday Induktion. Heu­ te ist die Beziehung zwischen Strom und Magnetismus als elektromagnetische Wechselwirkung bekannt und gilt als eine der vier Grundkräfte der Physik. Sie ermöglichte eine Reihe von Erfin­ dungen, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Eine davon ist der Elektromotor. In der einfachsten Bauart dieses Antriebs sorgen wechseln­ de Ströme dafür, dass sich die Polung eines Elektromagneten laufend um­ kehrt. Ein zweiter, permanenter Mag­ net zwingt den Elektromagneten, sich mit jeder Umpolung neu auszurichten – er beginnt sich zu drehen. In Windtur­ binen ist das umgekehrte Prinzip am Werk: Hier wird das Kreisen der Roto­ ren mithilfe eines Magneten in Strom umgewandelt. Auch die Speicherung digitaler Da­ ten wäre ohne Magnetismus undenk­ bar. Festplatten etwa bestehen aus un­ zähligen magnetisierbaren Einheiten. Jede davon speichert ein Bit. Über die Platte flitzt ein Lesekopf, der den Zu­ stand der Einheiten auslesen oder durch einen kleinen Strompuls verändern kann. In den vergangenen Jahren ist die Speicherdichte in unvorstellbare Höhen geschnellt. Hätte eine moderne Festplat­ te den Durchmesser unseres Planeten, wären die Bits so groß wie die Ähren eines Kornfeldes. Der Lesekopf entsprä­ che einer Boeing 747, die mit einer Mil­ lion Stundenkilometern in einem Zen­ timeter Höhe über das Feld donnert und jede einzelne Ähre zählt. Inzwischen ist die Miniaturisierung nahe am Limit des physikalisch Mögli­ chen. Forscher spüren daher neue Mög­ lichkeiten auf, um die Magnetisierung von Speicherzellen im Nanometerbereich zu steuern – und entdecken dabei neue, eigentümliche Effekte. Noch sind eben längst nicht alle Rätsel der geheimnis­ vollen Anziehungskraft ergründet. Das Kraftfeld eines Magneten lässt sich mithilfe von Eisenspänen sichtbar machen. Sie richten sich nach den Feldlinien aus, die vom Nord- zum Südpol des Magneten verlaufen Atomhülle Elektron Atomkern Neutron Proton Der Ursprung magnetischer Anziehungskraft liegt auf Ebene der Elektronen: Sie verhalten sich wie winzige Magneten Die Quelle des Magnetismus W er den Ursprung der Magnetkraft sucht, muss sich auf die Ebene der Elektronen hinabbegeben. Diese Elementarteilchen, die den Atomkern umgeben, haben einen Spin – eine Eigenschaft, die sich aus dem Drehmoment des Elektrons ergibt und ihm ein magnetisches Kraftfeld verleiht. Normalerweise finden sich Elektronen zu Paaren mit entgegengesetztem Spin zusammen. So heben sich ihre magnetischen Kräfte auf. Die Atome mancher Elemente besitzen jedoch einsame Elektronen, deren Spin sich ausrichten lässt. In einem Klumpen Eisen etwa existieren von Natur aus kleine Bereiche, in denen der Spin – und damit die Magnetkraft – benachbarter Atome in dieselbe Richtung weist. Da verschiedene Bereiche unterschiedlich magnetisiert sind, heben sich die Kräfte im Inneren des Eisens auf. Erst ein äußeres Magnetfeld bringt alle Spins auf Linie und magnetisiert das Eisen. Bei Permanentmagneten wie jenen, die am Kühlschrank haften, zeigen die Spins dau­­erhaft in eine Richtung. Die stärksten und haltbarsten Permanentmagneten bestehen aus einer Mischung von Eisen, Bor und Neodym. Sie können maximal das 1300Fache ihres eigenen Gewichts halten. Übrigens hat jeder noch so kleine Magnet – und sei es ein einzelnes Atom – einen Nord- und einen Südpol. Zwar ist die Existenz eines magnetischen Monopols theoretisch möglich. Bisher wurde er jedoch noch nie beobachtet. Es gelang Wissenschaftlern lediglich, ihn in einer superkalten Atomsup­ ­pe, einem sogenannten Bose-Einstein-Kondensat, zu simulieren. 07/2014 51